Es ist das Ende einer Ära und eine Art hessische Zeitenwende: Nach 40 Jahren in der Landespolitik und fast zwölf Jahren als Ministerpräsident ist der CDU-Politiker Volker Bouffier am Dienstag von seinem Amt zurückgetreten. Mit ihm geht eine Politikerpersönlichkeit der alten Garde, aber auch ein Wegbereiter neuer Koalitionen – Bouffier war der Architekt der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene – ein einstiger „Schwarzer Sheriff“, der zum Brückenbauer und Landesvater wurde. Sein Nachfolger Boris Rhein (CDU) muss nun bis zur Landtagswahl in 1,5 Jahren beweisen, dass er das Land in Krisenzeiten führen kann.

Unterzeichnung des zweiten schwarz-grünen Koalitionsvertrags in Hessen 2018. - Foto: Kai Klose
Unterzeichnung des zweiten schwarz-grünen Koalitionsvertrags in Hessen 2018. – Foto: Kai Klose

Es war 2013, als Volker Bouffier sein Meisterwerk vollbrachte: 2010 hatte der gebürtige Gießener die Nachfolge von Roland Koch (CDU) als hessischer Ministerpräsident angetreten, doch bei der Landtagswahl 2013 verlor seine schwarz-gelbe Koalition die Mehrheit – die FDP stürzte auf gerade noch 5 Prozent ab. Das war der Moment, als sich Volker Bouffier neu erfand, und die Weichen stellte für eine bis dahin neue Konstellation in der bundesdeutschen Parteienlandschaft: Bouffier schmiedete die erste schwarz-grüne Koalition in einem bundesdeutschen Flächenland.

Ausgerechnet in Hessen, dem Land, in dem einst CDU und Grüne Erzfeinde waren, weil Roland Koch mit Stimmungsmache gegen ausländische Mitbürger und einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft seine erste Wahl gewonnen hatte – ausgerechnet in diesem Bundesland sagten die Grünen „Ja“ zu einer Koalition mit der CDU. Architekt dieser neuen Koalition: Volker Bouffier. Ausgerechnet der Mann, der unter Roland Koch als Innenminister als Hardliner galt und geradezu als „Schwarzer Sheriff“ verrufen war.

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Am Dienstag, dem 31. Mai 2022, trat Bouffier nach fast zwölf Jahren als Ministerpräsident zurück, freiwillig und aus Altersgründen. Verabschiedet wurde da ein Mann, der es geschafft hatte, zu einem echten Landesvater der Hessen zu werden, der gelobt wurde als Brückenbauer, als „Elder Statesman“ und als Kämpfer für Föderalismus und Demokratie. 40 Jahre lang war Bouffier als Landtagsabgeordneter, Staatssekretär, schließlich als Minister und Ministerpräsident tätig, seit 2018 war er der dienstälteste Ministerpräsident der Republik.

Der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) bei seiner Abschiedsrede auf Volker Bouffier vor Schloss Biebrich. - Screenshot: gik
Der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) bei seiner Abschiedsrede auf Volker Bouffier vor Schloss Biebrich. – Screenshot: gik

„Landespolitik ohne Volker Bouffier – das gab es zwar mal, aber daran erinnern können sich nur noch wenige“, sagte denn auch Tarek Al-Wazir, stellvertretender Ministerpräsident von den Grünen am Montagabend bei der feierlichen Verabschiedung Bouffiers im Hof des Biebricher Schlosses: Vieles habe sich in den vergangenen 40 Jahren verändert, „aber einer war immer da“, sagte Al-Wazir: „Volker Bouffier.“

40 Jahre lang war Bouffier aktiver Politik in der hessischen Landespolitik: 1982 wurde er erstmals in den Hessischen Landtag gewählt, 1987 wurde er Staatssekretär im Finanzministerium, im April 1999 wurde er Minister für Inneres und Sport unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Verabschiedet wurde Bouffier denn auch mit einer feierlichen Serenade im Garten von Schloss Biebrich bei Wiesbaden. Rund 700 Gäste waren am Montagabend zur feierlichen Verabschiedung des scheidenden Ministerpräsidenten gekommen, Ehrengäste, Weggefährten und so mancher alte Freund.

 

Ex-Ministerpräsident Roland Koch war ebenso da wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) als Nachbarin. Ein anderer Nachbar, der gerade frisch wiedergewählte Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), stand fast schon bescheiden vor der Lebensleistung des Älteren: In der Ministerpräsidentenkonferenz habe Bouffiers Wort Gewicht gehabt, „Du genießt Ansehen und Respekt über die Parteigrenzen hinweg“, sagte Wüst: „Brücken bauen – das ist eine deiner großen Stärken.“

Würdigte Volker Bouffier als klugen Mahner und Förderalisten: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). - Screenshot: gik
Würdigte Volker Bouffier als klugen Mahner und Förderalisten: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). – Screenshot: gik

Und auch ein weiterer Nachbar würdigte Bouffier als „einen klugen Mahner, der den Föderalismus lebt“: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei kam, und auch er beschrieb Bouffier als Versöhner, als integrierende Persönlichkeit und als Kämpfer für das demokratische System der Republik: „Auf Volker Bouffier hören, und seinen Gedankengängen folgen, heißt einer Lösung näher zu kommen“, sagte Ramelow, den eine persönliche Geschichte mit dem Hessen verband: Beide hatten ihre Arbeitslaufbahn einst gleichzeitig bei Karstadt in Gießen begonnen.

Mit einer feierlichen Serenade in Schloss Biebrich wurde Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Montagabend verabschiedet. - Screenshot: gik
Mit einer feierlichen Serenade in Schloss Biebrich wurde Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Montagabend verabschiedet. – Screenshot: gik

Volker Bouffier blickt auf eine fast schon einmalige Karriere in der bundesdeutschen Politik zurück: Der gebürtige Gießener gehörte seit 1978 dem Landesvorstand der hessischen CDU an, von April 1999 an war er Innenminister von Hessen und blieb es bis zu seiner Wahl als Ministerpräsident im Jahr 2010. Bouffier war ein getreuer Gefolgsmann von Roland Koch, er führte die Rasterfahndung in Hessen ein und mit harter Hand Abschiebungen durch, so erwarb er sich seinen Ruf als „Schwarzer Sheriff“.

Volker Bouffier 2014 auf seiner Sommerreise mit Fußballkids in Frankfurt. - Foto: gik
Volker Bouffier 2014 auf seiner Sommerreise mit Fußballkids in Frankfurt. – Foto: gik

Als 2010 Koch sein Amt an Bouffier abgab, vollzog der eine für viele überraschende Wandlung: Bouffier wurde zum Landesvater, zum Kümmerer, der auf die Menschen mit großer Herzlichkeit zuging. Zum Brückenbauer wurde er nach der Landtagswahl 2013, als er gegen heftige Widerstände in der eigenen Partei die erste schwarz-grüne Koalition schmiedete, die bis heute hält – und zum Vorbild wurde: Er habe sich „viele gute Ratschläge abgeholt“, bekannte Hendrik Wüst am Montagabend, der selbst gerade vor der Bildung einer solchen Koalition in NRW steht, und versprach: „Ich werde sie alle beherzigen.“

Der entscheidende Satz 2013 sei der von Volker Bouffier gewesen, bekannte Al-Wazir am Montagabend: „Jetzt stellen wir uns alle mal vor, der Andere könnte auch Recht haben“, sagte Bouffier damals zu Beginn der Sondierungen, die er neben den Grünen auch mit der SPD geführt hatte. Für die hessische Landespolitik – damals das schärfte Parlament aller 16 Bundesländer – war das ein unerhörter Satz, er wurde zum Leitmotiv für Bouffiers Amtszeit.

Nach über acht Jahren gemeinsamer Regierungszeit „kann ich sagen: Volker Bouffier ist und bleibt ein Konservativer – aber er will wirklich Brücken bauen“, würdigte ihn nun Al-Wazir. Der CDU-Mann sei ein Ministerpräsident gewesen, der unterschiedliche Positionen im Sinne des Gemeinwohls zusammenbringen wolle, „das ist die Rolle in seinem Leben, die vielleicht am ehesten dem Menschen Volker Bouffier gerecht wird.“

 

Dabei musste Bouffier sein Land durch zahlreiche Krisen steuern: Die Flüchtlingskrise 2015, schließlich die Corona-Pandemie ab 2020, zu einer Zeit, als er selbst als schwer angeschlagen galt. Bei der Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober 2018 hatten Bouffier und seine CDU zweistellige Verluste hinnehmen müssen – minus 11,3 Prozent, so viele wie nie. Erst danach wurde bekannt, dass Bouffier an Krebs litt, den er erst 2019 überwand – ein Rücktritt war dennoch für ihn nie eine Option, denn „Aufgeben“ stand nicht zur Debatte.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit seiner Frau bei der Serenade in Schloss Biebrich am Montagabend. – Screenshot: gik
Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit seiner Frau bei der Serenade in Schloss Biebrich am Montagabend. – Screenshot: gik

Die großen Erschütterungen in Bouffiers Amtszeit aber waren der Mord an seinem Freund, dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch Rechtsextremisten 2019 – und das Erbe der NSU-Mordserie. Es war in Bouffiers Amtszeit, dass die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU entdeckt wurde, doch es war auch unter Bouffier, dass die Aufklärung nie konsequent durchgeführt wurde.

Es war auch Bouffier, der als Innenminister den rechtsextremen Verfassungsschützer Andreas Temme deckte und seine Vernehmung durch die hessische Polizei verhinderte. Auch wegen dieser Sperrerklärung ist bis heute nicht geklärt, welche Rolle Temme bei dem Mord am Kasseler Internetcafé-Besitzer Halit Yozgat spielte. Die schleppende Bekämpfung des Rechtsextremismus in der hessischen Polizei, ja der rechtsextremistischen Gruppierungen im Norden Hessens insgesamt, sie sind ein Erbe der Amtszeit Bouffiers. Erst der kaltblütige Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke am 1. Juni 2019 änderte das – heute gilt Hessen zumindest in der Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet als führend.

Auch Probleme innerhalb seines Kabinetts löste Bouffier nur zögernd: Sein Inn4enminster Peter Beuth (CDU) ist trotz zahlreicher Skandale um rechtsextreme Polizeibeamte oder rechte Drohschreiben an Politiker noch immer im Amt. Seine Justizministerin Eva Kühne-Hörmann galt regelrecht als Skandalministerin – Bouffier hielt dennoch an ihr fest: Loyalität war dem hessischen Ministerpräsidenten stets wichtig. Zum Schock wurde für Bouffier der Selbstmord seines Finanzministers Thomas Schäfer im Frühjahr 2020 – Bouffier trat mit Tränen in den Augen vor die Presse. Schäfer galt als wichtigster Kandidat für die Nachfolge Bouffiers, sein Freitod erschütterte den Ministerpräsidenten.

Boris Rhein auf der Pressekonferenz zum Rücktritt Bouffiers und seiner eigenen Nachfolge. - Screenshot: gik
Boris Rhein auf der Pressekonferenz zum Rücktritt Bouffiers und seiner eigenen Nachfolge. – Screenshot: gik

Die Corona-Pandemie machte Rücktrittspläne Bouffiers vorerst wieder zunichte: Mit Umsicht aber sichtlich gealtert steuerte Bouffier Hessen durch die Krise, Verlässlichkeit wollte er den Hessen bieten. „Ich habe mein Amt immer so verstanden, dass ich ein Ministerpräsident für alle Menschen bin“, sagte Bouffier bei seiner Abschiedsrede am Dienstag im hessischen Landtag: „Erst kommt das Land, dann das Amt, dann die Partei.“

Im Februar 2022 kündigte er dann an, sein Amt niederlegen zu wollen – auch um seinem Nachfolger vor der nächsten Landtagswahl im Herbst 2023 genügend Zeit zur eigenen Profilierung zu geben. Nachfolger wird nun ausgerechnet der Mann, den Bouffier einst als Innenminister feuerte: Boris Rhein, gebürtiger Frankfurter, war von 2010 bis 2014 Nachfolger Bouffiers im Amt des hessischen Innenministers. Doch die Rolle als konservativer Hardliner misslang Rhein, Bouffier – sichtlich unzufrieden – degradierte ihn nach der Wahl 2013 zum Minister von Wissenschaft und Kunst. Doch in dieser Rolle profilierte sich der Frankfurter als kenntnisreicher und zunehmend weltgewandter Ressortchef und stieg so im Januar 2019 sogar zum Landtagspräsidenten auf.

 

In seinem neuen Amt erwarb sich Rhein, gerade in der Corona-Pandemie, hohe Anerkennung quer über alle Fraktionen hinweg. Er modernisierte den Landtag und zeigte sich als gereifter Politiker mit Format – so wurde Rhein zum idealen Nachfolger Bouffiers, der als eher liberaler Frankfurter auch den Grünen als neuer Regierungschef vermittelbar war. Mit Rhein kommt eine Politiker-Generation mit neuem Verständnis für Politik und Gesellschaft ins Amt. Moderner, digitaler und weniger verhaftet in altem Freund-Feind-Denken, muss Rhein gleichwohl nun beweisen, dass er das Format hat, Hessen durch kommende Krisen zu führen.

Boris Rhein als Landtagspräsident am Pult im Wiesbadener Landtag. - Foto: gik
Boris Rhein als Landtagspräsident am Pult im Wiesbadener Landtag. – Foto: gik

„Mir ist bewusst, wie groß die Fußstapfen sind“, bekannte der 50-Jährige am Dienstag in seiner Rede als frisch gewählter Ministerpräsident: „Volker Bouffier ist eine Ausnahmepersönlichkeit in der hessischen Politik und er hat die Politik der Bundesrepublik geprägt.“ Tatsächlich wurde Bouffier in den letzten Jahren immer mehr auch zur Führungspersönlichkeit in der Bundes-CDU, bildete gar eine Art Gegenwicht zu Bundeskanzlerin Angela Merkel.

2021 war es maßgeblich Volker Bouffier, der gemeinsam mit CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat der Union verhinderte und Armin Laschet durchsetzte – es wurde ein Fiasko für die CDU und eine große Niederlage für Bouffier. Da war nach seiner eigenen Darstellung der Machtwechsel in Hessen längst beschlossen: Er habe für sich selbst im Juli 2021 die Entscheidung getroffen, sagte Bouffier bei seiner Rücktrittsankündigung im Februar.

„Ich sage Danke für politische Klugheit, viel Besonnenheit und Weitsicht und für unermesslichen persönlichen Einsatz“, dankte Rhein am Dienstag im Landtag seinem Vorgänger Bouffier. Da war der Frankfurter gerade mit 74 Ja-Stimmen zum neuen hessischen Ministerpräsidenten gewählt worden – fünf Stimmen mehr, als Schwarz-Grün eigentlich Sitze hat. Rhein kündigte an, auch er wolle „Ministerpräsident aller Hessen“ sein – und er zitierte „den großen sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt“: „Mehr Demokratie wagen – so ist es unser Auftrag heute, uns mehr einzusetzen, für dieses Mehr an Demokratie“, betonte Rhein.

Boris Rhein bei seiner Vereidigung als neuer hessischer Ministerpräsident. - Screenshot: gik
Boris Rhein bei seiner Vereidigung als neuer hessischer Ministerpräsident. – Screenshot: gik

Das furchtbare Leid der Ukrainer „zeigt uns jeden Tag, welches unmenschliches Leid von Nationalismus und Diktatur ausgehen“, unterstrich der neue Ministerpräsident: Der Krieg in der Ukraine sei „eine Warnung“ für alle Demokraten, denn „die Demokraten in der Ukraine verteidigen gerade nicht nur ihre Freiheit, sie verteidigen auch unsere Freiheit – und die Idee der Freiheit überhaupt.“ Die liberale Demokratie werde nicht nur von außen, sondern auch von innen bedroht, betonte Rhein: Der „riesengroße“ Mut der Ukrainer „sollte uns beflügeln im Einsatz für Demokratie und Freiheit.“

„Für mich schließt sich heute ein Kreis“, sagte der scheidende Bouffier. Er habe „immer versucht, Brücken zu bauen, nicht immer gelingt das“, bekannte der 70-Jährige. Doch entscheidend sei in der Politik eben „die Fähigkeit zum Kompromiss, nur so ist es möglich, politisch zu gestalten“, betonte er: „Wenn jeder dem anderen nur noch erklärt, dass er Unrecht hat, dann ist das Stillstand.“ Er habe seine Ämter immer gerne und in Freude ausgeübt, sagte Bouffier: „Aber vor alle war es mir eine große Ehre.“

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