Es muss ein Inferno gewesen sein, eine Zerstörung apokalyptischen Ausmaßes – vor 70 Jahren, am 27. Februar 1945, legten Bomber der britischen Luftwaffe binnen 20 Minuten das goldene Mainz in Schutt und Asche. 435 Bomber der Royal Airforce warfen zwischen 16:29 und 16:45 Uhr rund 1.500 Tonnen an Bomben auf Mainz. 80 Prozent der Innenstadt wurden zerstört, 1209 Menschen starben in der Gluthölle. Mit einem umfangreichen Programm gedenkt die Stadt Mainz der Tragödie vor 70 Jahren.
Wenn am morgigen 27. Februar von 16.30 bis 16.43 die Glocken der Mainzer Innenstadtkirchen läuten, dann wisst Ihr: Genau jetzt vor 70 Jahren versank das goldene Mainz in Trümmern und Feuersbrunst. Über Jahrhunderte hinweg war Mainz am Rhein die “goldene Stadt” gewesen, eine selbstbewusste Metropole, Sitz des wichtigsten deutschen Erzbischofs und im Mittelalter des Reichskanzlers. In Mainz wurden Könige gekrönt und hohe Politik gemacht, seine wunderbaren Gebäude spiegelten die Bedeutung und den Reichtum der Stadt. Es muss eine wunderschöne Stadt gewesen sein.
“Das war das Ende von Mainz”, sagte später Anton Maria Keim, langjähriger Bürgermeister und Kulturdezernent von Mainz. Keim war damals 16 Jahre alt und mit dem Fahrrad in der Innenstadt unterwegs. Als der Fliegeralarm um kurz nach 16.00 Uhr losging, habe er sich in den Osttürmen des Doms in Sicherheit bringen wollen, berichtete Keim 2010 dem SWR. Am Schillerplatz geriet er in den Bombenhagel, erlebte das Inferno im Hausflur der Elsässer Bank.
“Aus dem Keller unter mir drang Geschrei: Gas- und Wasserleitung waren geplatzt und die Leute ertranken und erstickten”, erzählte Keim in dem Interview. Er selbst hatte ungeheures Glück und konnte “nach diesen furchtbaren 20 Minuten mit einer leichten Rauchvergiftung auf meinem Fahrrad mit Mühe und Not aus dem brennenden Mainz herauskommen – auch wenn ich bis heute nicht genau weiß, wie.”
Keim wohnte damals in Hechtsheim, von der Hechtsheimer Höhe aus sah er die brennende Stadt, “wie eine einzige Fackel, die sich nach oben zusammenschloss. Ich habe wie ein Kind geheult. Uns war damals klar: Das ist das Ende von Mainz.” Ein Wunder indes: der Dom blieb stehen, und wurde für die Bevölkerung das Symbol für Beständigkeit schlechthin.
Doch das Grauen der 20 Minuten blieb für die Überlebenden ihr Leben lang ins Gedächtnis eingebrannt. Der Schillerplatz sei beim Alarm voll von Leuten gewesen, berichtete Keim weiter, “mit Kindern und Kinderwägen, die sich in die Keller flüchten wollten.” Der Platz habe damals ein Holzpflaster gehabt, “die eingebrannten Leichen waren noch monatelang zu sehen. Von den Dächern tropfte geschmolzenes Zinn, den Leichendunst habe ich heute noch in der Nase.”
Es war der zweite große Luftangriff auf Mainz, beim ersten Angriff am 12. August 1942 hatte ebenfalls ein britischer Bomberverband mehr als 300 Tonnen Brand- und Sprengbomben über der Altstadt entladen. Schon da wurden komplette Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt, “ein kaum zu löschender Feuersturm durchzog die Innenstadt”, berichtet Frank Teske auf der Internetplattform historicum.net.
In dieser und der folgenden Nacht wurden insgesamt 781 Wohnhäuser, fünf Kirchen, vier Schulen, ein Krankenhaus, 23 öffentliche Gebäude und 40 Geschäfte zerstört, 161 Menschen fanden den Tod. Danach war Mainz für längere Zeit nicht mehr Ziel von Luftangriffen, die Zerstörung vom 27. Februar 1945, so kurz vor Kriegsende, besonders bitter.
An jenem Februartag 1945 gab es zu den Toten auch 344 Vermisste und etwa 4.000 Verletzte, 33.000 Menschen wurden obdachlos. Als am 21. März 1945 die Amerikaner Mainz erreichten, fanden sie mehr Trümmerhaufen als Gebäude vor. Der 27. Februar 1945, er veränderte für immer das Gesicht dieser einstmals so schönen Stadt.
Es dauerte Jahrzehnte, bis sich Mainz von diesem Inferno erholte. Wie sehr es den Mainzern in den Knochen steckte, zeigte sich ausgerechnet in der Fastnacht: 1952 fügte Ernst Neger, der singende Dachdecker, dem Kinderlied “Heile, heile Gänsje” zwei Strophen hinzu (hier auf Youtube in der Fassung von 1979 anhören, Nachkriegs-Strophe ab 4.19):
Wär ich einmal der Herrgott heut, dann wüsste ich nur eens:
Ich nähm’ in meine Arme weit mein arm’ zertrümmert’ Meenz.
Und streichel es ganz sanft und lind und sag’ „Hab’ nur Geduld!
Ich bau Dich widder auf geschwind! Ja, Du warst doch gar net schuld.
Ich mach dich widder wunnerschön,
Du kannst, Du derfst net unnergehn … Heile, Heile, Gänsje …“
Wenn ich mir so mei Meenz betracht, dann denk ich in mei’m Sinn:
Mer hat’s mit Meenz genau gemacht wie mit der Stadt Berlin.
Man hat’s zerstört, hat’s zweigeteilt. Und trotzdem hab ich Mut,
zu glaawe, des des alles heilt. Aach des werd widder gut.
Meenz und Berlin, Ihr seid so schön.
Ihr könnt, Ihr derft net unnergeh‘n … Heile, Heile, Gänsje …
Noch in den 1960er Jahren rührte das Lied in der Fernsehfastnacht “Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht” die Menschen zu Tränen. Und die Strophen zeigen, wie weh es den Mainzern angesichts der Zerstörung ihrer Stadt ums Herz war.
Zum Mahnmal an jenen 27. Februar wurde die Ruine der Christophskirche in der Innenstadt in der Nähe des Kaufhofs. Die einstige Taufkirche des Buchdruck-Erfinders Johannes Gensfleisch zu Gutenberg wurde an jenem Tag in Trümmern gelegt. Ihre Ruine wurde nie wieder aufgebaut, die Kirche ist bis heute ein Mahnmal für die Schrecken des von Deutschland ausgelösten Kriegsinfernos.
In der Christophskirche findet denn auch am Freitag um 11.00 Uhr ein Gedenken der Stadt Mainz zum 70. Jahrestag der Zerstörung statt. Dabei stellt die Initiative St. Christoph die neue Gestaltung der Kirche zu einem dauerhaften Mahnmal vor. Im Sommer 2011 nahm sich eine Gruppe Mainzer Bürger
um den Mäzen Stefan Schmitz der bröckelnden Kirche an und entwarf ein Konzept für einen dauerhaften Ort der Erinnerung samt einer Ausstellung. Wenn Ihr dabei sein wollt: einfach hingehen, die Veranstaltung ist öffentlich.
Um 17.00 Uhr gibt es dann im Frankfurter Hof die zentrale Gedenkfeier der Stadt Mainz. Die Gedenkrede hält Landtagspräsident Joachim Mertes. “Wir brauchen diesen Tag des Gedenkens, weil unsere Zukunft auch auf Erinnerung und Erfahrung gründet”, schreibt Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) im Vorwort zur Veranstaltungsbroschüre. Geschichte ist Teil unserer Identität, betont der OB – “und jede und jeder von uns trägt eine ganz persönliche Verantwortung für das Bestreben um Frieden in unserem Land und in der Welt.”
Zum 70. Jahrestag gibt es zudem ein ganzes Bündel an Veranstaltungen quer durch Mainz. Am Freitagabend um 19.30 Uhr wird in St. Stephan mit der Aufführung des Oratoriums “in terra pax” von Frank Martin der Zerstörung gedacht. Auch St. Stephan versank am 27. Februar in Schutt und Asche, nach dem Krieg gestaltete – durch die intensiven Bemühungen des Pfarrers Klaus Mayer – niemand Geringeres als Marc Chagall die neuen Kirchenfenster. Die blauen Fenster von St., Stephan sind ein einzigartiges Werk und ein wirklich besonderes Zeugnis der Versöhnung, das zugleich zu Völkerverständigung und zum Frieden mahnt.
Eine besondere Veranstaltung gibt es außerdem am Freitagabend um 19.00 Uhr im Willigis-Gymnasium in der Altstadt: Das Institut für Geschichtliche Landeskunde veranstaltet gemeinsam mit dem Institut für Mediengestaltung der Hochschule Mainz einen Erinnerungsabend an den 27. Februar. Im Mittelpunkt stehen die Berichte von drei Zeitzeugen – Gisela Matzkowsky, Philipp Münch und Willi Matthes -, die den Untergang von Mainz selbst miterlebten.
Umrahmt wird das Gespräch von einer Ton- und Videoinstallation, die den Eindruck der Bombardierung der Stadt wieder erstehen lassen will. Das brennende Mainz soll visualisiert werden, auch mit Tonaufnahmen, die das ZDF zur Verfügung stellt.
Am Sonntag, den 1. März, bietet der Verein für Sozialgeschichte zudem eine Führung durch Mainz “Auf den Spuren der Zerstörung” an. Treffpunkt ist um 11.00 Uhr der Schillerplatz, der Rundgang endet am Landtag. Und vom 22. März an widmet sich eine Ausstellung im Stadthistorischen Museum auf der Zitadelle dem Thema Wiederaufbau von Mainz.
Info& auf Mainz&: Alle Informationen zu den Veranstaltungen rund um das Gedenken an den 70. Jahrestag der Zerstörung von Mainz haben wir einer Broschüre entnommen, die von der Stadt Mainz ausgegeben wurde – der damals gültige Link ist leider inzwischen ungültig, da die Internetseite der Stadt Mainz seither umgezogen ist. Das Interview des SWR mit Anton Maria Keim findet Ihr hier.
Anmerkung zu Ernst Neger’s Heile Gänsje: Zu der zweiten neuen Strophe haben wir keine gesungene Fassung von Ernst Neger gefunden, auch taucht sie auf der Original-Homepage neger.de gar nicht auf. Vielleicht kann uns jemand aufklären, wie es sich damit verhielt? Wir würden uns freuen!