Vergangenen Freitag stellte der Mainzer Herzspezialist Thomas Münzel die neuesten Ergebnisse seiner Lärmwirkungsforschung vor, doch was dann passierte, ließ ihn verwundert die Augen reiben: In einem Kommentar unter einem Bericht zur Studie in den Online-Nachrichten des SWR wurde Münzel persönlich angegriffen. Er betreibe die Forschung ja nur, weil sein Privathaus „in einer 1A-Lage“ in Mainz unter der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens liege, Münzel sei ein „Anti-Flughafen-Professor“ hieß es da. Der Autor ist Referent für Fluglärmschutz im hessischen Verkehrsministerium – ausgerechnet. Fluglärm-Gegner in Mainz und Frankfurt reagierten empört – und fordern, dem Mann die Zuständigkeit für Fluglärmschutz zu entziehen.
Es war am Samstagmittag, als Thomas Münzel seinen Augen nicht traute. Am Vortag hatte der Professor und Chef der Mainzer Herzklinik die neuesten Ergebnisse seiner Lärmforschung vorgestellt, am Folgetag fand er unter einem Artikel dazu auf der Internetseite des SWR den folgenden Kommentar: „Auch wenn es immer wieder gerne von Anti-Flughafen-Professor Münzel behauptet wird, die Mainzer Uni-Klinik liegt NICHT unter einer Anflugroute des Frankfurter Flughafens. Wohl aber das private Anwesen des Herrn Professors – übrigens in einer 1a-Lage der Landeshauptstadt, was ihm herzlich gegönnt sei.“ Und „interessanterweise“, fügte der Kommentator noch hinzu, falle der Beginn des wissenschaftlichen Interesses Münzels mit der Inbetriebnahme der neuen Nordwestlandebahn zusammen, „wird aber vermutlich nur Zufall sein.“
Münzel spricht von einem „Skandal“ und wirft dem Mann vor, absichtlich Falschmeldungen zu verbreiten: „Unsere Lärmforschung, die europaweit anerkannt ist, wird von einem Referenten für Fluglärmschutz diskreditiert, das ist unverantwortlich“, sagte er dieser Zeitung. Denn Autor der Zeilen ist niemand anderes als Alexander Scheid, seines Zeichens Referent in der Stabsstelle Fluglärmschutz im Hessischen Verkehrsministerium unter Tarek Al-Wazir (Grüne). Scheid sitzt in der Fluglärmkommission und ist auch Mitglied im Expertengremium Aktiver Schallschutz im Frankfurter Umwelthaus. Den Kommentar hatte er mit seinem Namen unterzeichnet. „Ich möchte mich dazu nicht äußern“, sagte Scheid auf Anfrage von Mainz&, er sei Beamter und dürfe sich dazu nicht äußern.
Die Pressestelle des Ministeriums bestätigte unterdessen, Scheid sei in der Tat Autor des Kommentars. „Der Mitarbeiter hat sich am Samstagmittag als Privatperson auf der Internetseite geäußert“, sagte Ministeriumssprecher Marco Kreuter gegenüber Mainz&. Er habe in dem Kommentar nicht auf seine Funktion im Ministerium hingewiesen, es handele sich zudem „um seine Privatmeinung, die wir daher auch nicht kommentieren.“ Grundsätzlich halte man im Ministerium aber „Forschung zu den Auswirkungen von Verkehrslärm auf den Menschen für wichtig und lassen entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse in unsere Arbeit einfließen“, betonte er zudem.
Doch als Privatmeinung wird Scheids Kommentar keineswegs gesehen: „Das Entsetzen über die Identität des Verfassers ist groß“, sagte Thomas Scheffler, Sprecher des Bündnisses der Bürgerinitiativen, dieser Zeitung. Ein Mitarbeiter der Stabsstelle Fluglärm „erdreistet sich, die Arbeit von Professor Münzel derart zu diffamieren“, kritisiert Scheffler und fordert, Al-Wazir müsse die Eignung Scheids als Mitarbeiter der Stabsstelle „sehr kritisch auf den Prüfstand stellen.“ Die Bürgerinitiativen hielten „einen weiteren Einsatz in der Stabsstelle Fluglärm nicht für akzeptabel.“
Bahnbrechende Forschungsergebnisse von drei renommierten Professoren, publiziert in einer hoch renommierten Fachzeitschrift, würden hier „persönlich anmaßend, unflätig kommentiert“, schimpft Klaus Rehnig von der Frankfurter Initiative „Stop Fluglärm“. Münzel als „Anti-Flughafen-Professor“ zu bezeichnen sei „schlicht falsch“, da sich der Professor ausschließlich gegen den raumunverträglichen Ausbau in der Rhein-Main-Region äußere.
Tatsächlich hatte Münzel noch am Freitag auf der Pressekonferenz betont: „Ich bin nicht dafür, dass wir den Flughafen zumachen, wir müssen auch fliegen.“ Gleichzeitig hatte er aber auch Lärmobergrenzen und eine Ausweitung des Nachtflugverbots gefordert – und dabei auf seine Studienergebnisse verwiesen: Demnach löst Fluglärm hohen oxidativen Stress in den Zellen aus und führt zu Schäden vergleichbar mit Bluthochdruck, Diabetes und Rauchen – Münzel sprach von einem „Durchbruch in der Lärmforschung“.
Der Herzspezialist hat zudem nie einen Hehl daraus gemacht, dass seine Forschungen durchaus von dem sprunghaft gestiegenen Fluglärm über Mainz inspiriert wurden: Mit der Eröffnung der neuen Landebahn wurde eine Anflugroute direkt über die Mainzer Oberstadt gelegt. Schon 2014 forderte Münzel eine Verlegung der Flugroute, weil die auch die Mainzer Uniklinik massiv mit Lärm überzieht – und verweist dabei auf Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO, nach denen Krankenhäuser mit maximal 45 Dezibel Mittelpegel überflogen werden sollten. Tatsächlich werden über der Mainzer Uniklinik regelmäßig Mittelpegel von 55 Dezibel und Lärmspitzen zwischen 75 und 80 Dezibel gemessen.
Die Anflugroute BR07 reiche zwar nicht unmittelbar über die Uniklinik, führe aber „nur wenige hundert Meter am Klinikum vorbei“, betont Rehnig. „Der Fluglärm ist dort immer noch so laut, dass er gesundheitsschädigend ist“, sagt Lars Nevian, 2. Vorsitzender der Mainzer Initiative gegen Fluglärm. 77 Dezibel seien „Werte wie in Hochheim oder dem Frankfurter Süden.“ Tatsächlich besitzt die Uniklinik seit Februar 2013 eine eigene Messstation auf dem Gebäude der Augenklinik, eingerichtet vom Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz. Die Station registrierte allein in diesem Jahr bereits 474 Überflüge über die Mainzer Uniklinik, 2016 waren es insgesamt 4.658 Überflüge.
Am Samstag, dem 11. Februar 2017, lagen die gemessenen Lärmwerte dabei zwischen 5.00 Uhr morgens und 22.00 Uhr abends dauerhaft bei 55 Dezibel, mit mehr als ein Dutzend Spitzenwerten zwischen 70 und 80 Dezibel. „Ein Referent für Fluglärmschutz müsste Empathie für Lärmgeschädigte haben und sich mit seiner Aufgabe identifizieren“, kritisiert Nevian. Dies sei bei Scheid „ganz offensichtlich nicht der Fall.“ Mit seinem Kommentar beschädige Scheid das Ansehen der Stabsstelle Fluglärmschutz und lasse deren Zielsetzungen und Arbeit als unglaubwürdig erscheinen. „Al-Wazir hat hier offenbar den Bock zum Gärtner gemacht“, fügte Nevian hinzu.
Info& auf Mainz&: Überflugrouten und genaue Messdaten des Fluglärms über der Mainzer Uniklinik könnt Ihr selbst auf der Seite des Deutschen Fluglärmdienstes einsehen: Auf www.dfld.de in der linken Leiste „Messwerte“ auswählen, in der Region auf den schwarzen Punkt für Mainz klicken. Bei der Messstation dann „LfU (Mobil)“ auswählen – das ist die Messstation auf der Augenklinik in der Mainzer Oberstadt. Geht Ihr auf „Flugspuren live“, könnt Ihr die aktuellen Flieger am Himmel über Mainz auf einer Karte verfolgen und auch die aktuellen Lärm-Höchstwerte sehen.