Paukenschlag in Wiesbaden: Die Stadt Frankfurt muss ab dem 1. Februar 2019 Diesel-Fahrverbote einführen. Das urteilte das Wiesbadener Verwaltungsgericht am späten Mittwochnachmittag. Schon ab dem 1. Februar 2019 muss die Stadt laut Gericht Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der Klasse Euro 4 und älter einführen, ab dem 1. September 2019 auch für Diesel der Euro 5-Norm. Der Umfang der Fahrverbote ist unklar, das Gericht sprach aber von “zonenbezogenen Fahrverboten” – damit scheiden Fahrverbote nur für einzelne Straßen wohl aus. Die Klage richtete sich formal gegen den Luftreinhalteplan des Landes Hessen, und da machte das Gericht klar: Die dort vorgesehenen Maßnahmen reichen nicht aus, die schädlichen Stickoxide in ausreichendem Maße zu senken. Die Entscheidung hat gravierende Folgen auch für Tausende von Pendlern aus Rheinland-Pfalz – und für weitere Fahrverbote etwa in Wiesbaden.
Die Deutsche Umwelthilfe hatte im November 2015 Klage gegen das Land Hessen wegen anhaltender Überschreitung der Stickstoffdioxidwerte in der Stadt Frankfurt eingereicht. Ziel sei die schnellstmögliche Einhaltung des Grenzwertes, Diesel-Fahrverbote seien dafür die alleinige Möglichkeit und müssten deshalb in den Luftreinhalteplan des Landes Hessen aufgenommen werden, so die Klage der DUH. Der Umweltverband klagt derzeit gegen mehr als 20 Städte im Umweltgebiet in derselben Sache – auch gegen die Stadt Mainz. Bislang hat die DUH sämtliche Verfahren zu Dieselfahrverboten gewonnen, in Düsseldorf, Stuttgart und Hamburg ordneten Gerichte bereits Fahrverbote an. Die Mainzer Klage wird Mitte Oktober vor dem Mainzer Verwaltungsgericht verhandelt – auch hier droht ein Fahrverbot.
Denn in Mainz wie in Frankfurt, Wiesbaden und anderen Städten überschreiten die Stickoxidwerte seit Jahren den zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Als Hauptverursacher gilt der Straßenverkehr und hier vor allem die Dieselfahrzeuge. Und so wurde gerade der Dieselskandal mit dem Betrug durch die Autohersteller für die Städte zum Problem: Weil die Diesel-Autos viel mehr Stickoxide ausstoßen, als erlaubt, sinken in den Städten auch die Werte nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße. So lag der Jahresmittelwert in Frankfurt 2017 noch immer bei 47,2 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und damit noch immer über dem Grenzwert.
Dabei sinken die Werte seit Jahren: 2009 wurde in Frankfurt noch ein Jahresmittelwert von 64 Mikrogramm gemessen. 2010 ging der Jahresmittelwert bereits auf 56,2 Mikrogramm zurück und sank bis 2016 weiter auf 52,0 Mikrogramm. Vor allem seit die DUH klagte, unternahm Frankfurt wie andere Städte auch Maßnahmen, um den drohenden Fahrverboten zu entgehen – vergeblich: Die Wiesbadener Richter machten jetzt unmissverständlich klar, dass ihnen auch Nachbesserungen nicht reichen, solange der Grenzwert noch immer überschritten wird: Die Maßnahmen im Luftreinhalteplan des Landes Hessen für Frankfurt seien nicht ausreichend, um die Luft so weit zu verbessern, dass der Grenzwert eingehalten werden könne. Das gelte auch für “das kurz vor der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten vorgelegte vorläufige Gesamtkonzept zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans”, so die Richter.
Damit dürfte klar sein: Die Gerichte sind nicht bereit, sich mit kurzfristigen, eilig ergriffenen Maßnahmen beschwichtigen zu lassen. Und so gab das Gericht dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt “drei unverzichtbare” Maßnahmen auf: Die Einführung von Fahrverboten, eine Nachrüstung der Dieselbusflotte mit Filtern und eine bessere Parkraumbewirtschaftung, die zusätzliche Anreize für den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr setzt. Konkret schlug das Gericht dabei vor, außerhalb der Kernzonen kostenlose Park & Ride-Parkplätze zu schaffen.
Zu den Fahrverboten sagte das Gericht laut Mitteilung dies: “Angesichts der hohen Grenzwertüberschreitung im Stadtgebiet Frankfurt hat das Gericht die Einführung eines zonenbezogenen Fahrverbots für notwendig erachtet.” Die Gesundheitsgefährdung der Innenstadtbewohner, der Fahrradfahrer, der Fußgänger und Insassen der durchfahrenden Fahrzeuge sei nach wie vor hoch, deshalb verpflichtet die Kammer das Land Hessen, “dieses Fahrverbot für Fahrzeuge der Dieselfahrzeuge einschließlich der Klasse Euro 4 und Benziner der Klassen 1 und 2 bereits ab dem 1. Februar 2019 vorzusehen.” Für die Dieselfahrzeuge der Klasse Euro 5 solle das Fahrverbot zum 1. September 2019 eingeführt werden. Ausnahmegenehmigungen seien zeitlich zu begrenzen und mit hohen Gebühren zu versehen, “um deutliche Anreize zur Um- oder Nachrüstung zu setzen.”
Das ist ein echter Schlag für alle Besitzer alter Dieselfahrzeuge sowie für Zehntausende von Pendlern, die jeden Tag nach Frankfurt zur Arbeit pendeln. Darunter sind auch Tausende Rheinland-Pfälzer – was auf sie zukommt, ist noch weitestgehend unklar. Die Stadt Frankfurt teilte am Abend mit, man erwarte nun vom Land Hessen in enger Abstimmung mit der Stadt festzulegen, wie umfangreich eine Fahrverbotszone sein müsse, “um den Maßstäben Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit zu genügen.” Die Menschen müssten ein Fahrverbot auch “im Stadtraum begreifen, und wir müssen es kontrollieren können“, sagte der Frankfurter Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD).
Er bedauere, “dass die verstärkten Anstrengungen der Stadt, die Grenzwerte für die Stickoxid-Belastung zeitnah einzuhalten, vom Verwaltungsgericht nicht stärker gewürdigt wurden”, sagte Oesterling weiter. Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge stellten “einen Einschnitt in das städtische Gesamtverkehrssystem in einem bisher nicht bekannten Ausmaß dar” und träfen letztlich die Menschen, die im Vertrauen auf die Aussagen der Autohersteller eine vermeintlich umweltfreundliche Wahl getroffen hätten. Und dann schimpfte der Dezernent: “Wir bekommen als Kommune trotz all unserer Bemühungen die Quittung für zehn Jahre politischen Stillstand in Berlin, so lange schon weist der Städtetag auf die Stickoxidproblematik hin und fordert eine Blaue Plakette. Von den Mogeldieseln der deutschen Automobilindustrie will ich gar nicht anfangen.”
“Viel zu lange hat die Bundesregierung verbindliche europäische Richtlinien zum Schutz der Gesundheit regelrecht sabotiert. Dieser Rechtsbruch muss ein Ende haben”, forderte auch Frankfurts Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) und schimpfte: “Die Bundesregierung hat – anstatt für saubere Luft zu sorgen – der betrügerischen Automobillobby den Steigbügel gehalten. Dies müssen die Städte und Verbraucherinnen und Verbraucher jetzt ausbaden.“
Oesterling nannte die Verhängung von Fahrverboten “bitter, aber nachvollziehbar.” Frankfurt werde nun mit aller Kraft weiter die Maßnahmen für bessere Luft umsetzen. Dazu gehören dem Dezernenten zufolge Lückenschlüsse im Radwegenetz und die Modernisierung der Busflotte mit Elektrofahrzeugen. Im Dezember sollen die ersten fünf batterie-elektrischen Busse auf der Buslinie 75 eingesetzt werden, drei Wasserstoffbusse folgen. In den folgenden Jahren soll die Elektrobusflotte systematisch ausgebaut werden: Ab Dezember 2019 sollen zusätzlich insgesamt 18 Elektrobusse auf der Buslinie 36 verkehren, und ab Dezember 2020 sollen weitere Elektrobusse folgen. Allerdings, schränkte Oesterling auch ein, erfolgten diese Maßnahmen unter dem Vorbehalt der begrenzten Verfügbarkeit – bundesweit bestellen derzeit Städte Elektrobusse, die Hersteller kommen mit der Lieferung nicht hinterher.
Dem Gericht seien alle diese Maßnahmen “aber nicht weitgehend genug gewesen, um Fahrverbote für Diesel vermeiden zu können”, sagte Oesterling weiter, “ich bedauere das außerordentlich.” Nun müssen wir aber mit dem Land Hessen “gemeinsam einen Weg finden, wie wir damit umgehen.” Vom Land hieß es, man habe sein Möglichstes getan, um die Schadstoffbelastung in Frankfurt zu reduzieren. “Saubere Luft ist uns wichtig”, sagten Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) in einer gemeinsamen Mitteilung. Das Land Hessen werde das Urteil nun sehr genau prüfen, das Gericht ließe Revision beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel zu.
Vor allem aber forderten Bouffier und Hinz den Bund auf, “seiner Verantwortung nachzukommen und endlich eine rechtliche Grundlage für eine Hardware-Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge zu schaffen.” Dies sei “die effektivste Methode, um die Luftqualität in unseren Städten zu verbessern und die EU-weiten Grenzwerte einzuhalten”, betonten die beiden Politiker. Nur so könne man das Problem relativ schnell in den Griff bekommen und die Gesundheit der Menschen schützen. Bezahlen müssten die Nachrüstungen indes die Autohersteller: “Es darf nicht sein, dass wohlmeinende Verbraucher, die geglaubt haben, einen wenig emittierenden Diesel zu kaufen, am Ende die Dummen sind”, kritisierten Bouffier und Hinz. Auch müsse der Bund rasch dafür sorgen, dass umgerüstete Autos eine Fahrerlaubnis erhielten.
Damit wächst der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich, eine Lösung der Umrüstungsproblematik zu finden: Mit Bouffier fordert dies nun nicht nur ein CDU-Ministerpräsident, sondern auch ein Bundesvize ihrer Partei – und ein Ministerpräsident, der in acht Wochen eine Landtagswahl zu bestreiten hat. Ende Oktober wählen die Hessen einen neuen Landtag, eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition ist laut Umfragen derzeit wohl nicht möglich, vor allem, weil die CDU schwächelt. Der Spitzenkandidat der Grünen, Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), schrieb am Mittwoch auf Twitter, er setze sich seit zweieinhalb Jahren auf der Verkehrsministerkonferenz für eine Hardware-Nachrüstung auf Herstellerkosten ein – erst sei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), dann sein Nachfolger Andreas Scheuer (CSU) dagegen gewesen. “Jetzt haben wir das Ergebnis”, kritisierte Al-Wazir.
“Wir wollen keine Fahrverbote, sondern eine grundsätzliche Lösung des Problems“, betonten unterdessen Bouffier und Hinz. Die Stadt Frankfurt mahnte derweil, das Land Hessen müsse jetzt schnell klare Festlegungen zu Ausnahmegenehmigungen treffen und das “idealerweise in Absprache mit anderen Bundesländern, insbesondere Rheinland-Pfalz, um einen Flickenteppich verschiedener Regelungen zu vermeiden.”
Der Verkehrsexperte der FDP-Opposition, Jürgen Lenders, kritisierte hingegen, Autohersteller und Regierung schöben sich “seit Jahren die Verantwortung” zu, Ministerin Hinz aber “eiert herum, das muss endlich ein Ende haben.” Es sei “absolut nicht hinnehmbar, dass jetzt auch Hessens Autofahrer dafür bezahlen sollen, weil Regierung und Autohersteller keine Lösung für das Problem finden”, schimpfte Enders. Allein in Frankfurt seien knapp 74.000 Dieselfahrer vom Fahrverbot betroffen. Jeden Tag pendelten außerdem über 360.000 Menschen nach Frankfurt ein, viele davon mit einem Dieselauto. “Hessenweit erfüllen rund 70 Prozent der Dieselfahrzeuge nicht die Euro-6-Norm”, warnte Enders.
Die Landesregierung müsse nun zügig einen verbindlichen Plan vorlegen, wie die Umrüstung von Fahrzeugen finanziert werden solle, forderte der FDP-Politiker. Dazu müsse dringend mehr in den Ausbau des ÖPNV investiert und dessen Kapazitäten erhöht werden. Auch die Chefin der Linksfraktion im Hessischen Landtag, Janine Wissler, schimpfte, die Mobilitätswende habe viel zu lange auf sich warten lassen: “Jetzt erhalten Bürgerinnen und Bürger die Quittung für ein lange vorbereitetes Politikversagen.”
Info& auf Mainz&: Die ganze Pressemitteilung der Stadt Frankfurt könnt Ihr hier im Internet lesen, an den Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz bleiben wir natürlich dran. Über die drohenden Dieselfahrverbote, auch für Mainz, haben wir seit zwei Jahren mehrfach ausführlich berichtet, einen Artikel findet Ihr etwa hier bei Mainz& und hier zur Leipziger Entscheidung und den Mainzer Stickoxidwerten.