Wie intensiv muss Rheinland-Pfalz für Katastrophenfälle vorsorgen? Welche Katastrophenschutz- und Evakuierungspläne braucht es? Die Freien Wähler meinen: Deutlich mehr als derzeit vorhanden. Land und Kommunen müssten auch für außergewöhnlich Krisen Vorsorge treffen – sogar für Erdbeben und Vulkanausbruch, fordern die Freien Wähler. Das Land lehnt ab, die Kommunen stehen oft blank da. Doch so abwegig ist zumindest die Warnung vor Erdbeben nicht.
Nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal muss sich das Land Rheinland-Pfalz weiter bohrenden Fragen nach Vorsorgemaßnahmen stellen. Doch da hakt es weiter: Konkrete Katastrophenschutzpläne sind offenbar weiter Mangelware – die Landesregierung hält etwa konkrete Pläne für den Fall von Erdbeben für unnötig und verweist auch für andere Krisenszenarien auf die Kommunen. Den Freien Wählern ist das zu wenig: Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Krieg in der Ukraine müsse sich das Land nach den Erfahrungen im Ahrtal auch auf unwahrscheinliche Katastrophenszenarien und „alle Eventualitäten“ vorbereiten, fordern sie.
Seit der verheerenden Flut im Ahrtal sind mehr als neun Monate vergangen, inzwischen ist klar: In der Flutnacht versagten gleich reihenweise Alarmierungssysteme und Warnwege – von den 134 Toten im Ahrtal hätten wohl viele gerettet werden können, wenn die Behörden und zuständigen Stellen rechtzeitig Alarm gegeben und evakuiert hätten. Erst Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass das Auslösen eines Großalarms für die Bevölkerung in der Integrierten Leitstelle Koblenz daran scheiterte, dass niemand einen solchen Alarm beantragte – ein entsprechender Antrag per Fax oder Email wurde schlicht nicht gestellt.
Die Freien Wähler (FW) wollten deshalb nun von der Landesregierung wissen: Welche Katastrophenschutzkonzepte gibt es denn in Rheinland-Pfalz auch für bislang eher für unwahrscheinlich gehaltene Szenarien? „Die Flutkatastrophe im Ahrtal war ein Extremereignis ungeahnten Ausmaßes, langfristig hätte niemand damit gerechnet“, begründete FW-Obmann im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal, Stephan Wefelscheid, seine Anfrage.
In der Flutnacht habe „sowohl vor Ort als auch auf Landesebene vieles nicht reibungslos funktioniert hat, angefangen bei der Warnung der Bevölkerung bis hin zur akuten Krisenbewältigung“, sagte Wefelscheid weiter. Deshalb sei es Aufgabe der Politik, „nun auch zu überprüfen, inwieweit wir auf andere Katastrophenszenarien vorbereitet oder eben nicht vorbereitet sind.“
Land hält konkrete Vorsorgekonzepte nicht für nötig
Die Antwort des Mainzer Innenministeriums fiel indes aus Sicht der Freien Wähler ernüchternd aus: „Konkrete Konzepte hält die Landesregierung nicht für notwendig, die Verantwortung für die Einsatzleitung wird ohne weitere Vorbereitung den Landkreisen auf die Schultern gelegt“, kritisierte Wefelscheid. Zur Warnung und Information der Bevölkerung werde lediglich auf die App KatWarn und diverse Internetseiten verwiesen. „Das sind genau die Mechanismen, die schon letzten Sommer versagt oder nur bedingt funktioniert haben“, kritisiert Wefelscheid – das sei „mangelnder Willen zur Prävention.“
Tatsächlich hatte das Innenministerium auf die Anfrage der Fraktion geantwortet, „ein
konkreter Plan“ sei nicht erforderlich – allerdings hatten die Freien Wähler auch konkret nach einem Szenario „Vulkanausbruch/Erdbeben“ gefragt. Zwar seien durch die Wissenschaft tatsächlich in den vergangenen Jahren „schwach magmatisch
induzierte Erdbeben unter dem Laacher See“, festgestellt worden, der See war einst ein Mega-Vulkan, dessen Ausbruch das gesamte Rheinbecken verwüstete.
Die bestehende wissenschaftliche Meinung sei auch tatsächlich, „dass der Vulkanismus am Laacher See ‚langzeitlich schlafend‘, aber nicht erloschen ist“, heißt es vom Land – Experten gehen davon aus: Der Vulkan unter dem Laacher See könnte in der Tat wieder ausbrechen, der Ausbruch würde große Teile der Eifel verwüsten und eine verheerende Flutwelle durch das Rheintal bis Mainz und Köln schicken. Die vulkanischen Aktivitäten würden aber permanent von Experten überwacht, ein erneutes Erwachen des Vulkanismus sich „nach aller Erfahrung mit weiteren deutlichen Vorläufersignalen ankündigen“, heißt es vom Land weiter – und solche Aktivitäten sei bislang nicht beobachtet worden.
Und auch das Risiko eines „Schadensbebens ist in Rheinland-Pfalz gering“, heißt es weiter, die größte Wahrscheinlichkeit bestehe im Bereich des Oberrheingrabens. Doch Wefelscheid widerspricht: Durch Rheinland-Pfalz verlaufe ein sogenannter Grabenbruch in der Eurasischen Platte, ein zentraler Abschnitt dieses Bruches sei der Oberrheingraben – und hier träten seismische Aktivitäten durchaus häufig auf, wenn auch meist nur schwach.
Experten: Erdbeben bis zur Stärke 7 möglich
Eine Studie des GeoForschungsZentrums (GFZ) Potsdam habe 2018 bestätigt: Potenziell möglich wäre auch das Auftreten von Erdbeben mit Schadenswirkung. „Im Großraum Koblenz etwa können demnach Beben bis zur Stärke 7 auf der Europäischen Makroseismischen Skala eintreten“, warnt Wefelscheid. Der Studie zufolge sei die Seismizität in Deutschland zwar insgesamt vergleichsweise niedrig, „aber nicht so gering, dass man auf Erdbebenschutz verzichten kann“ – insbesondere, da sich in Gebieten mit erhöhter Seismizität oftmals wichtige Infrastruktur, Industrie und Ballungsräume befänden.
So war etwa auch schon Mainz von unerwarteten Erdbeben erschüttert worden – etwa Anfang der 1990er Jahre. Und auch die BI Mainz 21 verwies in ihrem Kampf gegen die Mülldeponie im Weisenauer Steinbruch immer wieder darauf: Die Erdbebenkarten der Experten hätten sich zuletzt deutlich verändert, der Rheingraben doch nicht so sicher, wie einst geglaubt – Experten aus Kaiserlautern forderten gar, Bauherren und Investoren müssten ab sofort Ihre Immobilien erdbebensicher gestalten, und zwar in Mainz.
Tatsächlich war genau an dieser Erbebengefahr am Mittelrhein in den 1980er Jahren auch das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich bei Koblenz gescheitert: Das AKW musste im September 1988 nach nur 100 Tagen im Regelbetrieb vom Netz gehen, weil die Betreiber die Erdbebengefahr missachtet hatten – Mülheim-Kärlich steht genau auf einer Spalte des Oberrheingrabens. Ein Gericht kippte die Betriebserlaubnis für das AKW, das seit 2001 für Millionensummen mit großem Aufwand zurückgebaut wird.
Beim Land heißt es nun in der Antwort auf die Anfrage der Freien Wähler, die Mainz& exklusiv vorliegt: Für ein solches größeres Erdbeben im nördlichen Rheinland-Pfalz „haben die für den Katastrophenschutz verantwortlichen Stellen grundsätzlich Vorsorge zu treffen und für verschiedenste Einsatzbereiche die erforderlichen Maßnahmen festzulegen.“ Ein konkreter Plan zum Szenario „Vulkanausbruch/Erdbeben“ sei aber nicht erforderlich. Der Erdbebendienst sei in Rheinland-Pfalz in das Warnsystem KATWARN integriert, „so dass die Bevölkerung auch auf diesem Weg via Smartphone-App informiert wird“, heißt es weiter.
Doch eine solche Warnapp haben nur maximal zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt auf ihrem Smartphone installiert, wenn sie denn überhaupt ein solche nutzen – auf einfachen Handys laufen die Warnapps gar nicht. Zudem schlugen gerade die Warnapps bei vergangenen Übungen wie etwa dem bundesweiten Warntag oft gar nicht erst an – bei der Flutkatastrophe im Ahrtal schlug Nina überhaupt keinen Alarm, eine Warnung über Katwarn wurde erst nach 23.00 Uhr ausgelöst. Beim Land heißt es indes unverdrossen weiter: „Die Bevölkerung wird beispielsweise über Warn-Apps bezüglich der Gefahrenlagen in
unterschiedlichen Stufen informiert und gewarnt.“
Im Übrigen gälten „in einem solchen Fall die allgemeinen Maßnahmen der vorhandenen Katastrophenschutzplanung.“ Doch eine solche Katastrophenschutzplanung scheint in den Kommunen gar nicht unbedingt vorzuliegen: Die Stadt Mainz teilte etwa jüngst auf eine Anfrage der ÖDP im Mainzer Stadtrat mit, Evakuierungspläne für konkrete Krisenfälle gebe es keine, weil „auf unterschiedliche Gefahrenlagen unterschiedlich reagiert werden muss.” Dabei schreibt die Evakueriungsverordnung des Landes vor: „Die zuständigen Behörden müssen planerische Vorbereitungen treffen, um bei jeder Gefahrenlage, deren Ort sich vorher nicht bestimmen lässt und die zu Evakuierungen zwingt, die erforderlichen Maßnahmen durchführen zu können.“
„Auf alle Eventualitäten vorbereiten“
Die Freien Wähler fordern nun: Das Land müsse sich besser mit Katastrophenschutzplänen vorbereiten, und auch den Kommunen dabei helfen. Auch die Flutkatastrophe im Ahrtal habe sich niemand vorstellen können, argumentiert Wefelscheid, klar sei seither doch: „Auch unwahrscheinlichen Katastrophenszenarien muss Beachtung geschenkt und sich auf alle Eventualitäten vorbereitet werden.“
Auch mit Blick auf nukleare Katastrophen habe er bereits gefordert: „Wir brauchen eine angemessene Vorbereitung“, unterstrich Wefelscheid Denn auch wenn diese Ereignisse unwahrscheinlich sein mögen, die potenziellen Schäden wären enorm und ohne Vorbereitung wahrscheinlich katastrophal. „Hier ist das Land gefordert, Rahmenpläne vorzugeben und die Kommunen bei der Aufstellung entsprechender Katastrophenschutzpläne mit Expertise zu unterstützen“, fügte er hinzu.
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