Der Gefahrstoffaustritt in der Papierfabrik der Firma Essity in Mainz-Kostheim hat zu einem Großeinsatz der Wiesbadener Feuerwehr geführt – und zu mehr als einem Dutzend Verletzten. Am Montagabend sei es „aus noch ungeklärter Ursache zur Zersetzung eines in der Papierherstellung eingesetzten Hilfsstoffes“ gekommen, teilte die Firma Essity am Dienstag mit. Das Ergebnis: Schwefeldioxid trat aus, es kam zu einer deutlichen Geruchsbelästigung, in der Umgebung wurde Gefahrstoffalarm ausgelöst. In der Nacht kam es dann noch zur Druckentweichung eines Containers, es gingen erneut Sirenen los. Bei dem Großeinsatz wurden insgesamt 13 Feuerwehrleute verletzt.

Das Essity-Werk in Mainz-Kostheim liegt direkt am Mainz. – Foto: Essity
Das Essity-Werk in Mainz-Kostheim liegt direkt am Mainz. – Foto: Essity

Um 20.04 Uhr hatte nach Angaben eines Feuerwehrsprechers in Wiesbaden eine Brandmeldeanlage im Essity-Werk in Mainz-Kostheim Alarm geschlagen: In einer der Werkhallen war es aus noch ungeklärter Ursache zur Zersetzung eines Hilfsstoffes in der Papierproduktion gekommen, wie die Feuerwehr Wiesbaden und die Firma Essity am Dienstag übereinstimmend mitteilten. Die Zersetzung habe eine massive Rauch- und Temperaturentwicklung zur Folge gehabt – durch das Zersetzungsprodukt Schwefeldioxid kam es „auch in der angrenzenden Nachbarschaft zu einer Geruchsbelästigung.“

Der Schwefelgestank war indes nicht nur in Mainz-Kostheim, sondern auch bis nach Mainz deutlich zu riechen. Gegen 21.30 Uhr löste die Feuerwehr Wiesbaden dann großen Warnalarm über das Modulare Warnsystem (MOWAS) aus – und zwar wegen eines Gefahrgutunfalls. Gewarnt wurde gleich wegen „extremer Gefahr“, im weitem Umkreis schlugen Handys an – allerdings berichteten Kostheimer gegenüber Mainz&, ihre Handys seien stumm geblieben.

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Teile der Halle stürzten ein, weitere Container geborgen

Die Warnketten im Ort funktionierten aber offenbar gut: Nachbarn warnten einander, die Nachrichten machten schnell die Runde. Auf dem Essity-Gelände hatten inzwischen Mitarbeiter und Werkfeuerwehr dafür gesorgt, dass die Halle und angrenzende Gebäude umgehend geräumt wurden, zunächst wurden deshalb auch keine Mitarbeiter verletzt. Als die Feuerwehr Wiesbaden dann anrückte, wurden mehrere Trupps der Feuerwehr unter Atemschutz zur Erkundung und Brandbekämpfung ins Gebäude geschickt.

Warnmeldung wegen Gefahrstoffaustritts in Mainz-Kostheim am Montagabend. – Screenshot: gik
Warnmeldung wegen Gefahrstoffaustritts in Mainz-Kostheim am Montagabend. – Screenshot: gik

„Um zu verhindern, dass auch in den anderen, in der Werkhalle gelagerten Containern durch die Hitzeentwicklung eine Zersetzung ausgelöst wird, wurden diese unter massiven Wasser- und Personaleinsatz gekühlt“, teilte die Feuerwehr weiter mit. Glücklicherweise habe das Erfolg gezeigt, so dass eine Ausbreitung auf weitere Container habe verhindert werden können.

Doch gebannt war die Gefahr damit noch lange nicht: Der Brand ließ offenbar Teile der Halle einstürzen, die auch den fraglichen Container unter sich begruben – was die Bergung und Kontrolle erschwerte. Bei der Bergung der übrigen Container in der Halle kam es dann mitten in der Nacht zu einem weiteren Vorfall: Gegen 2.45 Uhr habe ein halbvoller Container „beim Verbringen in die sichere Nachbarhalle durch eine Zersetzungsreaktion Temperatur entwickelt“, so der Bericht weiter.

In der Nacht weitere Gefahrstoffaustritt bei zweitem Container

Der Container sei im Freien separiert und gekühlt worden, es sei aber nicht gelungen, die Zersetzungsreaktion zu verlangsamen. „Kurze Zeit später öffnete die Druckentlastung des Behälters“, das habe zu einem erneuten Auslösen der Brandmeldeanlagen und Sirenen auf dem Werksgelände geführt – offenbar in der Umgebung deutlich zu hören. „Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt“, heißt es weiter.

Feuerwehrmänner mit voller Ausrüstung bei einer Übung in Mainz. - Foto: gik
Feuerwehrmänner mit voller Ausrüstung bei einer Übung in Mainz. – Foto: gik

Den ganzen Abend über waren bereits mehrere Messfahrzeuge im Stadtgebiet im Einsatz gewesen, die fortlaufend Messungen durchgeführt hätten, betonte die Feuerwehr. „Nachdem der Wind drehte, brachten auch die Stadt Mainz und der Landkreis Groß-Gerau Messfahrzeuge auf die Straße.“ Es habe aber „zu keiner Zeit eine gefährliche Konzentration von Schwefeldioxid in der Luft außerhalb des Werksgeländes festgestellt werden können“, betont der Bericht. Für die Anwohner habe „zu keiner Zeit eine Gefährdung“ bestanden, behauptete das Unternehmen Essity sogar.

Die Firma Essity gehört zu den führenden Hygiene- und Gesundheitsunternehmen in Deutschland, in dem Werk in Mainz-Kostheim werden unter anderem Toilettenpapier oder Marken „Tempo“ oder „Zewas“ produziert. In der Umgebung des Werkes stinkt es gerne mal nach Schwefel, berichten Kostheimer immer wieder.

13 Feuerwehrleute klagten über schwere Reizungen der Atemwege

Dass die ausgetretenen Substanzen indes alles andere als harmlos waren, erlebten die Feuerwehrmänner und -frauen indes selbst: Nach ihrem Einsatz in der Werkhalle hätten insgesamt elf Wiesbadener Feuerwehrleute und zwei Werksfeuerwehr-Mitarbeiter über teils schwere Reizungen der Atemwege geklagt, 12 Personen wurden zu Kontrolle und Beobachtung in umliegende Kliniken transportiert.

Ein Lagerhallenbrand in der Wormser Straße in Mainz im Jahr 2015. - Foto: gik
Ein Lagerhallenbrand in der Wormser Straße in Mainz im Jahr 2015. – Foto: gik

Insgesamt waren rund 120 Einsatzkräfte vor Ort, 60 weitere warteten im Bereitstellungsraum auf ihren Einsatzbefehl – auch Landeshauptstadt Mainz unterstütze mit einem Löschfahrzeug. Da aber die Feuerwehr die chemischen Reaktionen in den Containern durch den Einsatz von Wasser nicht stoppen konnte, sogar ein TUIS, ein Transport-Unfall- und Hilfeleistungssystem der chemischen Industrie, alarmiert. Die Werksfeuerwehr der BASF Ludwigshafen entsandte daraufhin einen Fachberater sowie technisches Spezialgerät und Personal, um die Wiesbadener Feuerwehr zu unterstützen.

Bei dem ausgetretenen Gefahrstoff habe es sich um ein Hilfsmittel aus der Altpapieraufbereitung gehandelt, teilte Essity zudem mit. Die Ursache für den Gefahrstoffzwischenfall sei „derzeit noch nicht bekannt, bei Essity unterliegen alle Gefahrstoffe besonderen Sicherheitsvorkehrungen“, betonte das Unternehmen weiter. Diese würden „sorgfältig gelagert und verwendet“, auch würden die Anlagen regelmäßig gewartet. Die Mitarbeitenden seien im Umgang mit Gefahrstoffen geschult.

„Essity bedauert den Vorfall zutiefst“

„Essity bedauert den Vorfall zutiefst, und wünscht den Verletzten eine vollständige Genesung“, teilte das Unternehmen weiter mit. Den Rettungskräften danke man für ihren schnellen Einsatz, der maßgeblich zur Eindämmung des Vorfalls beigetragen habe. Zur vollständigen Aufklärung werde Essity eng mit Feuerwehr, Spezialkräften und Behörden zusammenarbeiten.

Die Feuerwehr bei einem Brand auf der Ingelheimer Aue. Foto: Feuerwehr Mainz
Die Feuerwehr bei einem Brand auf der Ingelheimer Aue. Foto: Feuerwehr Mainz

Auch der Wiesbadener Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) dankte den Einsatzkräften. Er habe „sich selbst ein Bild von dem Einsatz machen können, der sehr professionell und geordnet abgelaufen ist“, sagte Mende. Die beteiligten Behörden hätten mit den Feuerwehren und den Hilfsorganisationen „in gewohnt professioneller Weise Hand in Hand gearbeitet.“ Für die Wiesbadener Einsatzkräfte war der Einsatz erst am Dienstagmorgen gegen 6.30 Uhr beendet – nachdem um 3.00 Uhr die Zahl der Einsatzkräfte noch einmal hatte aufgestockt werden müssen.

Der zweite Container wies zu dem Zeitpunkt immer noch „eine leichte Geruchsentwicklung auf“, die Werksfeuerwehr der BASF Ludwigshafen sorgte danach durch Kühlung für eine kontrollierte Reaktion des Gefahrstoffs. „Auftretendes Schwefeldioxid wird mit Wasser niedergeschlagen und gebunden, so dass eine Gefährdung der Bevölkerung weiterhin ausgeschlossen werden kann“, hieß es weiter. Auch am Dienstag wurden die Kühl- und Kontrollmaßnahmen von der Essity-Werksfeuerwehr mit Unterstützung der Fachberater fortgeführt.

Die stellvertretende Ortsvorsteherin von Mainz-Kostheim, Marion Mück-Raab (AUF) kritisierte unterdessen das nicht-lückenlose Funktionieren der Warnketten: „Ich verstehe nicht, warum bei einer Gefahrensituation, die gestern als „extrem“ eingestuft wurde, keine Lautsprecherdurchsagen gemacht wurden“, schrieb Mück-Raab auf Facebook: „Ich frage mich auch, für was wir eigentlich eine Sirene haben.“ Großartig sei hingegen gewesen, „wie toll in Kostheim der Flurfunk funktioniert hat – viele, gerade die älteren Leute, sind von ihren Nachbarn informiert worden.“ Das Thema werde auf der nächsten Kostheimer Ortsbeiratssitzungen auf der Tagesordnung stehen, kündigte Mück-Raab an: „Das muss in Zukunft anders laufen.“

Info& auf Mainz&: Den ganzen Bericht der Feuerwehr Wiesbaden zu dem Großeinsatz könnt Ihr hier im Internet nachlesen.