Gruselige Zeiten für die Kultur- und Clubszene in Mainz: Der November Lockdown entwickelt sich mehr und mehr zur Geisterstunde für die Gastronomieszene sowie die gesamte Kultur- und Veranstaltungsbranche. Zum zweiten Mal in diesem Jahr sind ihre Unternehmen zwangsweise in einem Lockdown geschickt, das Ziel: Die enorme zweite Welle von Corona-Infektionen einzudämmen. An Halloween protestierten Unternehmer der Mainzer Clubszene, der Veranstaltungsbranche und der Kulturbranche in Mainz mit Gräbern, Totenkreuzen und Grablichtern, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Die versprochenen Wirtschaftshilfen hat die Bundesregierung inzwischen vorgestellt, wann die Gelder aber fließen, ist noch nicht ganz klar. Viele Gastronome sind jetzt auf „Essen to Go“ angewiesen.

Kreuze, Totenlichter, Gräber - die Mainzer Clubszene fürchtet um ihr Überleben und protestierte an Halloween in Mainz. - Foto: gik
Kreuze, Totenlichter, Gräber – die Mainzer Clubszene fürchtet um ihr Überleben und protestierte an Halloween in Mainz. – Foto: gik

Grabsteine, Totenkreuze, ganze Gräber haben sie vor dem Mainzer Staatstheater aufgebaut, zünden Kerzen an. Ein Totenschädel ziert das Grab des „Good Times“, bei „Moguntia Music“ werden ein Kopfhörer und ein DJ-Teller zu Grabe getragen. Es ist Halloween in Mainz, und die gruselige Szenerie passt perfekt zu der Situation derer, die hier „zu Grabe getragen“ werden: Good Times, Caveau, Alexander the Great – es ist die Mainzer Clubszene, deren Sterben hier betrauert wird.

Seit dem 2. November sind Restaurants, Bars und Clubs wieder im Zwangs-Lockdown, viele ihrer Besitzer fürchten um nichts weniger als ihre Existenz. „Wir wollen zeigen, dass wir noch da sind“, sagte der Organisator, der Mainzer DJ Stefan Bösing im Interview mit Mainz&. Bei vielen Betrieben und vor allem Kulturschaffenden kämen die Wirtschaftshilfen des Staates zur Coronakrise schon seit März nicht an, „wir wollen zeigen, dass es die Betriebe gibt, aber dass sie leider nicht so richtig ernst genommen werden“, kritisierte Bösing. Große Konzerne würden mit Milliardenhilfen gerettet, aber die 1,4 Millionen Erwerbstätigen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche gingen bisher praktisch leer aus.

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DJ Stefan Bösing im Interview mit Mainz& während der Halloween-Demo der Mainzer Clubszene. - Foto: gik
DJ Stefan Bösing im Interview mit Mainz& während der Halloween-Demo der Mainzer Clubszene. – Foto: gik

„Wir wollen nicht , dass diese ganze Branche wegstirbt“, sagte Bösing, auf das Sterben der Branche, von Clubs und Künstlern, wolle man deshalb plakativ hinweisen. Er selbst sei als DJ in Mainz unterwegs, „viele meiner Freunde kämpfen derzeit ganz stark ums Überleben“, erzählte er. Er selbst habe im Sommer „genau einen Auftrag gehabt“, überleben könne er nur, weil er noch einen anderen Job habe. „Wir brauche eine unbürokratische Unterstützung für diese Betriebe“, sagte Bösing, das gelte auch für die Gastronomie, die den Sommer über brav ihre Hausaufgaben gemacht und Hygienekonzepte entwickelt habe. „Die bekommen jetzt ihre Läden einfach wieder zugemacht“, sagte Bösing, das sei für viele ganz bitter.

„Das Alexander the Great ist seit März zwangsgeschlossen, in mein Good Times durften ab Juli wieder vier Leute rein“, sagte Michael Vogt, in Mainz auch als „Sweaty“ bekannt. Seine Angst, dass Clubs nicht wieder aufmachen könnten, sondern sterben müssten sei „sehr groß“. In der Mainzer Szene habe sich zwar ein toller Zusammenhalt entwickelt, „aber es werden einige nicht überleben, wenn das so weiter geht“, warnte er. An der Branche hingen so viele Menschen, „ich sage immer, ein Festival fängt schon bei der Klofrau an, da ist so viel drumherum, und diese ganzen Leute leiden gerade.“

Grab für das "Q Kaff" bei der Halloween-Demo der Mainzer Clubszene. - Foto: gik
Grab für das „Q Kaff“ bei der Halloween-Demo der Mainzer Clubszene. – Foto: gik

Er selbst bekomme inzwischen das Corona-Hartz IV, „wenn’s der Gesellschaft dient, soll es mir recht sein“, sagte Vogt weiter, „aber ich denke, es dient nicht der Gesellschaft.“ Die Hygienekonzepte seine von intelligenten Menschen entworfen worden, die Gastronomie habe es umgesetzt, „jetzt wird es gesagt: das ist nutzlos, wir müssen Euch wieder zumachen.“ Ihm gehe es derzeit vor allem um seine Leute, sagt er: Die bekämen als Aushilfskräfte entweder gar nichts, oder als Kurzarbeiter weniger als die Hälfte ihres alten Einkommens. „Die haben aber ja inzwischen ein gewisses Lebensniveau, haben ein Auto, eine Wohnung, einen Kredit aufgenommen“, sagt Vogt, „da kannste nicht auf einmal sagen, schmeiß mal alles weg.“

Gerettet habe ihn letztlich eine Initiative seiner Stammgäste, eine Patenaktion mit Spenden für seinen Club „Alexander the Great“.  „520 Leute unterstützen uns monatlich mit 9.000 Euro seit vier Monaten“, berichtete „Sweaty“ – das sei genau das Geld, das er brauche, um seinen Club zu retten. „Wir sind momentan in einem sicheren Boot, aber andere brauchen Unterstützung“, sagte Vogt – Caveau, Schon Schön, Gut Leut‘, die alle bräuchten noch dringend Hilfe.

Die Mainzer Clubszene protestierte am Halloween gegen ein Clubsterben und für mehr Hilfen durch den Staat. - Foto: gik
Die Mainzer Clubszene protestierte am Halloween gegen ein Clubsterben und für mehr Hilfen durch den Staat. – Foto: gik

Das gilt offenbar auch für viele Gastronomiebetriebe: Am Samstagabend herrschte in der Mainzer Innenstadt gähnende Leere, die Gastronomiebetriebe haben geschlossen, nur Außer-Haus-Verkauf ist erlaubt – doch auch der stockt offenbar: „Es kommen weniger Leute zum Abholen als vorher“, berichtete eine Gastronomin, „es ist ja niemand mehr unterwegs…“

Derweil stellte die Bundesregierung vor zwei Tagen die angekündigten Wirtschaftshilfen für den November-Lockdown vor: Danach sollen von der Schließung der betroffenen Betriebe 75 Prozent ihres Umsatzes pro Schließungs-Woche ersetzt bekommen, als Bezugsgröße gilt der November 2019. Auch Solo-Selbstständige sind explizit einbezogen, wer nun aber im November 2019 saisonal bedingt gerade keine Umsätze hatte, kann alternativ den durchschnittlichen Wochenumsatz im Jahre 2019 zugrunde legen. Auch eine Ausfallregel für solche Unternehmen, die erst nach November 2019 gegründet wurde, gibt es.

Im Gegensatz zur bisherigen Überbrückungshilfe gibt es nun auch eine Erleichterung für Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen ohne Steuerberater. Auch die Novemberhilfen sollen in erster Linie über Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beantragt werden, es gibt aber eine Ausnahme: „Für Solo-Selbständige, die nicht mehr als 5.000 Euro Förderung beantragen, entfällt die Pflicht zur Antragstellung über einen prüfenden Dritten“, heißt es auf der Homepage der Bundesregierung zu den Wirtschaftshilfen: „Sie werden
unter besonderen Identifizierungspflichten direkt antragsberechtigt sein.“

Info& auf Mainz&: Sein Lieblingsrestaurant kann man während des November-Lockdowns sehr gut durch Essen to Go unterstützen, viele Restaurants sind Mitglied bei großen Lieferdiensten wie Lieferando und Co. – aber nicht alle. Viele bieten Essen zum Abholen an, eine Liste dieser Restaurants, Weinstuben und Bars findet Ihr hier bei der Stadt Mainz im Internet. Eine Reihe Gastronome haben zudem im ersten Corona-Lockdown den gemeinsamen Lieferdienst „Mainz liefert“ gegründet, den Ihr hier im Internet findet. Mehr Informationen zum Wellenbrecher-Lockdown im November und was er bringen soll, findet Ihr hier bei Mainz&.  Ausführliche Informationen zu den Novemberhilfen der Bundesregierung, wer sie bekommen kann, wie man sie berechnet und wie und wo man sie beantragt findet Ihr hier im Internet. Wie Ihr Künstler in Mainz unterstützen könnt, dazu gibt es eine ganz neue Benefizaktion: alles zur „Kirche für Künstler“ lest Ihr hier auf Mainz&. Dort können sich auch Künstler für einen Auftritt bewerben.

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