Zum Nein der EU-Kommission zum sechsspurigen Ausbau der A 643 bei Mainz kommt nun Widerstand und Kritik aus dem rheinland-pfälzischen Verkehrsministerium: Die „Blockadehaltung“ der EU-Kommission sei „nicht nachvollziehbar“, der Ausbau „zwingend notwendig“, sagte Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP) – und fordert nun von der Bundesregierung „ein klares Bekenntnis zum Projekt“. Auch die Mainzer FDP spricht sich entschieden für den Ausbau aus, die Linke fordert hingegen „ein deutliches Nein zu jeglichen Erweiterungsplänen.“ Schweigen kommt hingegen von der Mainzer CDU. Mit Kommentar.

Anfang der Woche war ein Schreiben des Umweltkommissariats der Europäischen Union bekannt geworden, dass man dort den Plänen für einen sechsspurigen Ausbau der A643 von Mainz nach Wiesbaden nicht zustimmen will. Als Gründe nannte die EU vor allem eine „unzureichende“ Verträglichkeitsprüfung für das FFH-Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“, zudem reichten die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen nicht aus, und Alternativen für den sechsspurigen Ausbau sei auch nicht ausreichend geprüft worden.
Damit kippte die EU zumindest vorerst mehr als zehn Jahre andauernde Planungen für den Ausbau der wichtigen Verbindungsstrecke zwischen Mainz, dem rheinhessischen Umland und Wiesbaden. Das hatten SPD und Grüne umgehend begrüßt, auch das Mainzer Bündnis „Nix in den (Mainzer) Sand setzen“ hatte die Entscheidung begrüßt – und gefordert, die Pläne für den Ausbau insgesamt auf Eis zu legen.
Scharfe Kritik von Schmitt: „4+2-Variante ist ein Placebo“
Scharfe Kritik kommt nun hingegen von der rheinland-pfälzischen Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP): „Der sechsspurige Ausbau der A643 ist zwingend notwendig – für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts, für die Logistik, den Güterverkehr und die tausenden Pendlerinnen und Pendler, die tagtäglich auf diese Verbindung angewiesen sind“, betonte Schmitt. Die A643 sei eine der zentralen Verkehrsachsen in Rheinland-Pfalz, der Ausbau zwischen Mainz und Wiesbaden sichere die Leistungsfähigkeit dieser Verbindung – insbesondere für den Wirtschaftsverkehr und die Logistikbranche.

Die Kritik der EU-Kommission an der Ausbauplanung sei nicht nachvollziehbar, kritisierte Schmitt zudem: „Dass die EU-Kommission diesem Projekt nun einen vorläufigen Riegel vorschiebt, ist nicht nur fachlich nicht überzeugend – es ist politisch ein fatales Signal“, betonte sie. Die Ministerin wies zudem die EU-Kritik zurück, Alternativen seien nicht ausreichend geprüft worden: Die vom Landesbetrieb Mobilität geprüfte sogenannte 4+2-Variante bedeute in der Realität gar keine substanzielle Flächenersparnis.
„Die 4+2-Variante mag auf dem Papier charmant wirken – in der Praxis ist sie ein Placebo“, sagte Schmitt: Die Variante bringe „kaum weniger Flächenverbrauch, keine verlässliche Verkehrswirkung, aber massive neue Unsicherheiten im Genehmigungsprozess.“ Zudem warnte die Ministerin eindringlich vor den Folgen weiterer Verzögerungen: „Die in die Jahre gekommene Vorlandbrücke ist ein sicherheitsrelevanter Engpass“ – die in den 1960er Jahren gebaute Brücke gilt als ebenso marode, wie es die alte Schiersteiner Brücke war, die inzwischen von Seiten des Landes Hessen durch eine auf sechs Spuren ausgebaute Brücke ersetzt wurde.
Ministerin: Ohne Ausbauplanung kein Ersatz für Vorlandbrücke
Tatsächlich war es ein Teil der Vorlandbrücke, der durch ein Absacken eines Brückenpfeilers im Februar 2015 den „Brückengau“ mit einer wochenlang gesperrten Rheinbrücke verursacht hatte. Schmitt warnte nun: „Ohne Ausbauplanung kein Brückenersatz – und ohne neue Brücke keine Entlastung. Die Brücke steht unter Druck – und mit ihr die Geduld von Wirtschaft, Bevölkerung und Planern.“

Schmitt fordert nun ein klares politisches Bekenntnis vom Bund sowie Verhandlungen mit Brüssel – namentlich von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU). Dessen Vorgänger Volker Wissing (FDP) hatte es weder als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz noch im Bund geschafft, die Pläne für den Ausbau fertig auf den Weg zu bringen. Der Bund wiederum hatte 2015 den sechsspurigen Ausbau per Dekret verfügt, gegen den sich in Mainz breiter Widerstand regte.
Schmitt forderte nun: „Die Bundesregierung ist am Zug. Bundesminister Patrick Schnieder muss Haltung zeigen, Verantwortung übernehmen – und in Brüssel klarstellen: Deutschland steht zum A643-Ausbau.“ Ziel müsse es sein, Wirtschaft, Mobilität und Umweltschutz miteinander zu verbinden. „Planungssicherheit und Tempo sind im Wettbewerb der Standorte längst ein entscheidender Faktor“, mahnte Schmitt: „Wer dauerhafte Blockaden in der Verkehrsinfrastruktur hinnehmen muss, verliert nicht nur Nerven – sondern wirtschaftliche Perspektiven.“

Mainzer FDP: Verzögerte Umsetzung des Ausbau „quält Region“
Volle Unterstützung erhält die Ministerin dabei von der Mainzer FDP: Das vorläufiges Nein der EU-Kommission sei „ein Schritt zurück“, dabei sei doch „die Diskussion um den Ausbau der A 643 im Grunde vor langer Zeit zu einem Ende gekommen“, kritisierten FDP-Fraktionschefin Susanne Glahn und FDP-Mobilitätsexperte David Dietz: „Es wird wirklich Zeit, dass wir auch auf rheinland-pfälzischer Seite zu Potte kommen.“ Die A643 sei eine der Hauptverkehrsachsen in Rheinland-Pfalz, sichere den Wirtschaftsstandort und verbinde die beiden Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz.

„Die immer wieder verzögerte Umsetzung des Ausbaus hat die gesamte Region lange genug gequält“, kritisierte Dietz. Denn eigentlich hätten doch schon die bisher intensiven, wie langwierigen Prüfungen der verschiedenen Ausbauvarianten schlussendlich als Ergebnis den vollumfänglichen Ausbau als beste Variante gezeigt. Der immer wieder vorgebrachte Einwurf der Befürworter der 4+2 Variante, dass der Flächenverbrauch bei einem sechsspurigen Ausbau zu hoch sei, wollen die Liberalen nicht gelten lassen.
„Eine Prüfung des LBM hat gezeigt, dass durch die vielen Auf- und Abfahrten sich eine Nutzung des Standstreifens während der Stoßzeiten als schwierig gestalten würde“, betonte Dietz mit Verweis auf die Planungen des Landesbetriebs Mobilität. Außerdem würden die benötigten Nothaltebuchten „fast so viel Fläche versiegeln wie ein sechsspuriger Ausbau“, unterstrich er. Auch die Möglichkeiten, einen effektiveren Lärmschutz für die Bürger zu realisieren sowie die geplante Grüne Brücke gebe es nur bei einem vollumfänglichen Ausbau, „das spricht unseres Erachtens für die große Lösung“, betonte Glahn.
Mainzer Linke: Mehr gute Infrastruktur im ÖPNV statt Ausbau
Wenn es gelingen solle, Mainz mit weniger Autoverkehr zu belasten, dann sei „eine Stärkung der Autobahn- und Zubringertrassen rund um Mainz unumgänglich“, sagten die beiden FDP-Politiker weiter. Eine Nicht-Ausbau würde weiter Verkehr in die Stadt verlagern und die betreffenden Ortsteile belasten, „das wollen wir beenden.“ Wer ernsthaft glaube, dass mit einer Verknappung der Fläche weniger Verkehr in einer der prosperierendsten Regionen entstehe, der sei mit dieser Position zum Scheitern verurteilt, fügte die FDP-Politiker hinzu.

Genau das aber moniert die Linke: Die Verkehrsexpertin der Linken, Carlotta Stahl, forderte hingegen „ein grundsätzliches Umdenken“ in Sachen Verkehrsplanung: „Mehr Spuren führen zu mehr Verkehr und eben nicht zu einer Entlastung! Was wir brauchen ist ein Weniger an Motorisiertem Individualverkehr und ein Mehr an guter Infrastruktur im ÖPNV!“ Die Strecke werde vor allem von Pendlern genutzt, von denen „sicherlich viele lieber in Bus und Bahn unterwegs wären, statt aufs Auto angewiesen zu sein“, behauptete Stahl.
„Jegliche Ausweitung“ der Autobahn „gefährdet das einzigartige Biotop Mainzer Sand – mit unabsehbaren Folgen für das Binnenklima der gesamten Stadt“, klagte zudem der Vorsitzende der Linksfraktion im Mainzer Stadtrat, Tupac Orellana. Dazu werde „die Lärmbelästigung für die Anwohnenden in Mombach und Gonsenheim weiter zunehmen.“ Zwar sei der Bau von Lärmschutzwänden mitgeplant, die aber die Fläche des Sandes weiter reduzieren würden.
LBM: Lärmschutzwand für Anwohner nur mit sechsspurigem Ausbau
Orellana verschwieg dabei jedoch, dass nach den Plänen des Landesbetriebs Mobilität (LBM) eine Lärmschutzwand nur bei einem Ausbau der Autobahn auf sechs Spuren möglich wäre, der LBM machte dafür bei der Vorstellung der Pläne im Jahr 2018 Platzgründe geltend. Gerade bei einem sechsspurigen Ausbau würde der Lärm für die Anwohner also reduziert – bei einem 4+2-Ausbau sei das nicht möglich.

Zudem hatte der LBM vorgerechnet, dass eine voll ausgebaute Autobahn lediglich sieben Meter breiter würde als heute – die meiste Fläche davon außerhalb des FFH-Gebietes. Auch mit dem Nein der EU-Kommission ist zudem ein Ausbau der Strecke keineswegs vom Tisch: Die EU hatte selbst die 4+2-Lösung angesprochen, auch für die wäre aber ein Ausbau der Strecke nötig.
Die Entscheidung der EU-Kommission sei „eine vorläufige und könnte sich perspektivisch ändern, so dass es dann doch zum Ausbau komme“, räumte denn auch Stahl ein, und forderte: „Die Lösung liegt hier nicht im Nachgeben sondern darin, konsequent bei einem deutlichen Nein zu jeglichen Erweiterungsplänen zu bleiben.“ Gleichzeitig forderte sie, die Planungen für den Ersatz der maroden Vorlandbrücke „nun endlich auf den Weg zu bringen, um Gefahren abzuwenden.“
Mainz&-Kommentar: Das Schweigen der CDU
Was meint eigentlich die Mainzer CDU zu den jüngsten Entwicklungen in Sachen A643? Gute Frage – wir können es Euch nicht sagen. Es gibt bis heute, Stand 19.30 Uhr, keine, wirklich keine einzige Reaktion der Parteit, die nach den Grünen die stärkste Fraktion im Mainzer Stadtrat stellt. Und die bis zur Kommunalwahl im Juni 2024 die stärkste Opposition stellte – und lange FÜR den Ausbau der A643 eintrat. Und jetzt?

Das Schweigen der CDU wird immer dröhnender, je länger es andauert, und man fragt sich: Warum? Traut man sich in der CDU seit dem Eintritt in die Kenia-Koalition nicht mehr, genau die Haltungen und Ideen zu vertreten, für die die Wähler die CDU doch im Juni 2024 gewählt haben? Oder drohen die Mainzer Grünen der CDU mal wieder mit dem Bruch der Koalition, falls die es wagen sollte, eine eigenen Meinung zu vertreten? Genau das ist in den vergangenen Monaten passiert – und es hatte dazu geführt, dass die CDU einknickte und bei Haltungen einfach passte.
Beide Parteien sowie die gesamte Kenia-Koalition seien gewarnt: Koalitionen sind keine Gefängnisse, er den Koalitionspartner dazu „verhaftet“, seine ureigensten politischen Haltungen aufzugeben, weil man sonst „das Bündnis platzen lässt“, der verkehrt Demokratie in ihr Gegenteil. Koalitionen sind Bündnisse, in denen sich politische Parteien auf gemeinsame Inhalte geeinigt haben – nicht mehr, und nicht weniger.
Wer verlangt, dass der politische Partner seine Haltungen an der Garderobentür abgibt, der sorgt genau für die Nicht-Unterscheidbarkeit und den Parteienverdruss, den man doch so eilfertig vorgibt zu bekämpfen. Und die Partei, die sich erpressen lässt, sorgt genauso dafür, dass der Wähler nicht mehr erkennen kann: Wofür stehen die eigentlich? Wofür habe ich die eigentlich gewählt? In sieben Monaten sind in Mainz erneut Wahlen, dann wird ein neuer Landtag bestimmt. Und man fragt sich: Wie will die CDU eigentlich die Wähler davon überzeugen, ihr eine Landesregierung anzuvertrauen – wenn sie es in der Landeshauptstadt nicht einmal schafft, klare Haltung zu wichtigen Themen zu zeigen?
Info& auf Mainz&: Mehr zum Nein der EU-Kommission zu sechsspurigen Ausbau der A643 haben wir ausführlich hier bei Mainz& berichtet.