Kurz vor dem Shutdown in Deutschland war dies eines der Bilder, die die Politik zu rigiden Maßnahmen trieben: Eltern, die sich zum fröhlichen Plausch gleich scharenweise auf Kinderspielplätzen trafen, derweil ihre Sprößlinge vergnügt auf den Spielgeräten tobten. Sechs Wochen danach fordern die rheinland-pfälzischen Grünen nun die Wiederöffnung: „Wir können uns vorstellen, die Spielplätze unter Einhaltung strenger Regeln wieder zu öffnen“, heißt es in einem Papier zu „Familienpolitik in Coronazeiten“, das aus der Feder von Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) gemeinsam mit anderen grünen Landtagsabgeordneten stammt. Kritik kam prompt von der CDU-Opposition, damit schaffe man „neue Hotspots der Infektionsgefahr.“ Die Mainzer SPD schlägt derweil eine Kinder-Sommerakademie vor.
Familien mit einem eigenen Grundstück können Schaukeln für den Garten kaufen. Doch Hintergrund der Debatte ist die Sorge um vor allem die Kinder, die in den nunmehr sechs Wochen seit der Schließung der Schulen und Kitas auf kleine Wohnungen, oft sogar ohne Balkon angewiesen sind. Experten sorgen sich um Freizeit- und Spielmöglichkeiten für diese Kinder, deren Eltern oft nicht die Ressourcen haben, ihre Kinder kreativ zu beschäftigen. Gerade in den Städten sei die Lage für viele Familien kritisch, sagt Regine Schuster vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: „Wenn alle Freizeitmöglichkeiten geschlossen sind, Spielplätze, Sport, dann wissen viele nicht wohin“, sagte Schuster im Gespräch mit Mainz&: „Wer in beengten Wohnungen lebt und vielleicht auch ein begrenztes Volumen hat an Spielmaterial, da ist das einfach ein Problem.“
Die Idee steckt auch hinter dem Familienpapier mehrerer rheinland-pfälzischer grüner Landtagsabgeordneter um Familienministerin Anne Spiegel (Grüne): Kinder bräuchten „Raum zum Toben und Spielen im Freien“, besonders Kinder, die gerade keinen Garten nutzen könnten, litten derzeit stark unter den Einschränkungen des Corona-Shutdown, heißt es in dem Papier, das Mainz& vorliegt. Deshalb solle „geprüft werden, wo Kinder unter Aufsicht und mit Einhaltung von Abstandsregeln wieder Angebote im Freien besuchen können.“ Voraussetzung dafür sei die Beschränkung einer maximalen Personenzahl und deren Kontrolle sowie die Einhaltung von Mindestabständen und Hygieneregeln beim Bespielen der Plätze.
Dass in dem Papier aber auch die Wiederöffnung der Spielplätze vorgeschlagen wird, sorgte umgehend für Kritik der Opposition: „Ich halte das für gefährlich, das ist doch nicht zu kontrollieren“, sagte CDU-Familienexpertin Simone Huth-Haage gegenüber Mainz&: „Das wären neue Hotspots der Infektionsgefahr.“ Spielplätze seien Orte für viele Sozialkontakte, dort träfen sich die Kinder ebenso wie die Eltern – es entstünden neue Infektionsketten, die nicht mehr nachzuverfolgen seien. Auf dem Land sei die Situation für die Familien sicher einfach als in der Stadt, betonte Huth-Haage: „Aber auch in der Stadt kann man Bewegungsanreize setzen, mit Ball, Frisbee, Seilspringen oder Kästchenhüpfen. Man kann dem Bewegungsdrang von Kindern auch gerecht werden ohne Spielplatz.“
Ministerin Spiegel schränkte am Donnerstag im Familienausschuss des Landtags ein, sie habe „eine Diskussion in Gang bringen“ wollen. „Ich habe mich für eine perspektivische Öffnung ausgesprochen und nicht für eine sofortige“, betonte die Ministerin. Es könne in einem ersten Schritt etwa über Einzelspielgeräte in den Fußgängerzonen nachgedacht werden. „Wir müssen in den Blick zu nehmen, was die Kinder jetzt brauchen“, plädierte Spiegel.
In dem Grünen-Papier heißt es zudem, es seien „kreative Lösungen in den Kommunen vor Ort gefragt.“ So könnten Spielzeiten auf den Plätzen etwa im Voraus über das Internet gebucht werden, oder die Kommunen zurzeit nicht benötigtes Personal, wie Erzieher zur Spielplatzaufsicht einsetzen. „Die Ministerin kann das nicht einfach auf die Kommunen abwälzen“, kritisierte Huth-Haage, wenn Spiegel so etwas fordere, müsse sie auch ein Konzept zur Öffnung der Spielplätze vorlegen: „Ich sehe das nicht – wollen wir das Ordnungsamt daneben stellen?“
„Wir haben einfach keine Orte mehr, wo Kinder hingehen können“, verteidigte die Mainzer Grünen-Chefin Katharina Binz die Idee, das Papier und ihre Ministerin: „Während wir Orte für Erwachsene immer mehr wieder öffnen, bleibt für Kinder alles gesperrt.“ In der Stadt sei es schwierig, attraktive Orte zu finden. „Wenn man mit dem Kind über die Wiese laufen muss, fällt erst mal auf, wie wenig diese Orte geeignet sind, um mit Kindern dort zu verweilen“, sagte Binz.
„Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, zu kommunizieren, sich mitzuteilen, in Interaktion zu stehen mit anderen, zu spielen“, sagt Schuster, die lange Vorsitzende des Kinderschutzbundes war. Es gebe eben auch „Familien, die gehen überhaupt nicht raus, die bleiben komplett in der Wohnung“, das könne den „Ärgerpegel“ und den Frustrationspegel stark steigern. In der Gesellschaft habe sich allerdings auch eine „gewisse Freizeitkonsumhaltung“ breit gemacht, sagt Schuster: „Viele sind gewohnt, Dinge zu erleben, die vorgefertigt sind, das Erlebnis selber zu gestalten, das haben viele nicht gelernt. Das haben viele auch nicht gelernt, ihren Kindern zu vermitteln.“
Natürlich werde in den Kindergärten die Kreativität der Kinder gefördert, aber genau dieses Feld falle derzeit ja gerade weg. Auch Schuster fordert deshalb: „Wir müssen Materialien und Spielgeräte wieder zugängig machen.“ Sicherlich müsse zu Beginn ein Ansprechpartner dabei sein, der auch eine Betreuungsfunktion habe und auf die Einhaltung der Regeln achte. „Man müsste Zonen schaffen und die Betreuung sicherstellen“, etwa durch einen Spielplatzpädagogen, sagt Schuster: „Die Unruhe zuhause und die mangelnde Möglichkeit, die macht genauso krank.“
Die Mainzer SPD-Stadtratsfraktion fordert derweil auch Entlastung für die Eltern in den kommenden Sommerferien – und schlägt eine Kinder-Sommerferienakademie vor. Dieses Jahr werde kein Jahr wie jedes andere, für viele Familien werde es schwierig, die Betreuung ihrer Kinder während der gesamten Sommerferien zu gewährleisten, sagten Jana Schneiß und Christine Zimmer: Eine große Anzahl an Familien werde auf eine verbindliche Betreuung während der Sommerferien angewiesen sein. Eine Sommerferienakademie könne das bieten, zugleich könnten hier „viele Mainzer Kinder vergangene Unterrichtsinhalte aufarbeiten oder wiederholen und Selbstbewusstsein tanken“, sagte Zimmer, die schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist.
In der Sommerferienakademie könne mit „einem guten Mix aus Lernen und Freizeitangebot sowohl Bildung als auch Ferienspaß und Betreuung miteinander verbunden werden“, schlagen die beiden SPD-Politikerinnen vor. An möglichst allen 10 Ganztagsgrundschulstandorten müsse es deshalb für eine hohe Anzahl an Kindern ein festes Betreuungsangebot mit festen Betreuungszeiten über drei Wochen hinweg geben. „Angebote können nur für kleine Gruppen geplant werden, davon brauchen wir dann aber viele und in der Schule ist der Platz dafür“, betonte Schneiß, jugendpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Die Finanzierung könnte teilweise über das Bildungs- und Teilhabepaket erfolgen, auch solle die Stadt die Möglichkeit einer Finanzierung über das Soforthilfegeld des Landes prüfen. Eine Mainzer Sommerferienakademie wäre zudem auch eine Möglichkeit freiberuflichen Kräften, Künstlern, Musikern, Soloselbständigen und Studenten, die in den vergangenen Wochen massive Verdienstausfälle gehabt hätten, eine Arbeitsmöglichkeit über den Sommer zu bieten, sagten Schneiß und Zimmer.
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