„Kein Land in Sicht“ heißt das Thema des Open Ohrs 2015, jetzt dreht die Freie Projektgruppe das Thema einfach eine Umdrehung weiter: „Heimat – was zum Kuckuck?!“ lautet das Thema des Open Ohr 2016. Vier Tage lang wird also an Pfingsten auf der Zitadelle das Thema „Heimat“ im Mittelpunkt stehen – konsequent, sind doch die Flüchtlinge von 2015 dann ein Jahr lang hier… Aber was heißt eigentlich Heimat? Und kann man darauf überhaupt „stolz“ sein? Vom 13. bis 16. Mai wird das politische Jugendkulturfestival diese Fragen beleuchten.
Mit dem Thema „Land in Sicht“ hatte die Freie Projektgruppe ja 2015 unversehens das absolute Topthema erwischt: Just ab Mai verschärfte sich die Situation an der Flüchtlingsfront, begannen immer mehr Menschen ihr Heil in Deutschland zu suchen. „Land in Sicht“ war deshalb auch eines der erfolgreichsten und begehrtesten Open Ohrs überhaupt: Schon am ersten Abend wurde das Festival total überrannt. Unglaublich groß war das Bedürfnis, über das Thema Flucht, Vertreibung und Flüchtlinge zu debattieren.
„Im letzten Jahr haben wir uns die Frage gestellt, wie Deutschland Flüchtlingen durch politische Entscheidungen den Weg zu einer neuen ‚Heimat‘ ebnen kann“, heißt es nun im Thesenpapier für 2016. Dieses Jahr wolle man nun fragen, „ob die ‚Willkommenskultur‘ mehr als ein weiteres ‚Sommermärchen‘ ist.“ Das dürfte die brisante Frage des Jahres 2016 werden, das Open Ohr ist also mal wieder hochaktuell.
„Es ist uns wichtig, den Faden des vergangenen Festivals wieder aufzugreifen, denn das Thema ‚Flüchtlingspolitik‘ ist heute noch brisanter und aktueller als vor einem Jahr“, sagt Nora Weisbrod von der Freien Projektgruppe. Nun aber stelle sich die Frage, wieviel „Heimat“ Deutschland den Geflüchteten bieten könne. „Wir stellen die Frage, wie ‚Heimat‘ heute definiert werden kann“, sagt Weisbrod – der Spagat bei dem Thema sei schließlich groß, reiche „vom Schutz der ‚Heimat‘ über Heimatlosigkeit bis hin zu einer neuen Heimat.“
In der Tat, gerade in Deutschland ist „Heimat“ ein ausgesprochen zwiespältiger Begriff, obwohl er doch gerade von hier stammt: „Heimat“, das gibt es nur im Deutschen. Und seit seinem Missbrauch durch die Nazis ist der Begriff belastet – mit Deutschtümelei, Stereotypisierung, ja: mit Ausgrenzung. Meine Heimat ist nicht Deine Heimat, wollen uns rechte Hetzer weismachen – aber ist das nicht Unsinn? Zu Heimat kann für jemandem auch etwas werden, was zuvor die Fremde war, Millionen von Aus- und Einwanderer belegen das.
„Heimat“, sagt die Freie Projektgruppe, „ist nicht nur ein Ort, sondern es sind auch Werte, Gefühle und Traditionen, die prägen. Kann man das teilen? Kann die ‚Heimat‘ des einen auch die ‚Heimat‘ des anderen werden?“ Klar, kann sie! Wir als gelernte Mainzerin wissen das 😉
Heimat ist aber in Deutschland in jedem Fall noch immer „ein Begriff, der irritiert“, schreibt die Projektgruppe weiter – was natürlich damit zusammenhängt, dass es uns Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg regelrecht verboten war, stolz auf unser Land zu sein. Der Holocaust, die millionenfache Vernichtung von Juden und anderen Ungewollten, hatte etwas zerstört, was in anderen Ländern völlig selbstverständlich ist: Der Stolz aufs eigene Land. Stolz auf Deutschland sein? Um Gottes Willen – das war man doch nicht!
Dann kam das „Sommermärchen“ von 2006, die Fußball-WM – und ganz Deutschland schwenkte auf einmal Deutschland-Fahnen und war stolz, Deutscher zu sein! Und die Älteren, nach dem Krieg Aufgewachsenen schauten sich völlig irritiert um – und stellten die Grundsatzfragen: Kann man stolz auf ein Land sein? Kann man stolz auf sein Land sein? Und darf man das überhaupt?
Heute sind wir wohl beides, stolz und skeptisch zugleich, und kaum haben wir das geschafft – stellt uns das Leben vor eine neue Herausforderung: Zu definieren, was unsere Heimat ist, welche Werte damit verbunden sind – und inwiefern wir die gegen Änderungsversuche verteidigen wollen.
„‚Heimat‘ ist immer in Bewegung: zunehmend weniger ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl“, glauben die jungen Mitglieder der Freien Projektgruppe – in einer globalisierten Welt verschieben sich die Dimensionen, zu Ort und Raum „gesellen sich andere Werte wie Lebensstil, Subkultur oder Religion. Wird ‚Heimat‘ so zum ortlosen Raum? Und wenn das so ist, wie erklärt sich dann Heimweh?“
Ist Heimat also am Ende nur eine Illusion? „Wir möchten uns auf die Suche machen, möchten begreifen, was ‚Heimat‘ war, was sie ist und was sie sein kann“, schreibt die Projektgruppe. Spannend, spannend, finden wir – das Open Ohr wird wie immer dazu eine Fülle an Diskussionen, Podien, aber auch Kulturbeiträge, Anstößen und natürlich viel Musik liefern. Welche Künstler verpflichtet wurde, gaben die Macher noch nicht bekannt – sie sollen aber in Kürze auf der Homepage www.openohr.de bekannt gegeben werden.
Übrigens hat der Kartenvorverkauf fürs Open Ohr jetzt schon begonnen – sichert Euch also dieses Jahr vielleicht frühzeitig Eure Karten…
Info& auf Mainz&: Das 42. Open Ohr Festival findet vom 13. bis 16. Mai 2016 auf der Zitadelle Mainz zum Thema „Heimat – was zum Kuckuck?!“ statt. Eine Dauerkarte für alle vier Tage kostet im Vorverkauf 36,20 Euro, 40,- Euro an der Abendkasse. Dauerkarte mit Zeltplatz (4 Tage): 56,- Euro an der Tageskasse, Abendkasse 58,- Euro. Tageskarten weiter nur an der Tageskasse: je 23,- Euro, am Montag 11,- Euro. Kinder bis einschließlich 13 Jahren haben freien Eintritt, Sozialausweisinhaber zahlen die Hälfte. Die Karten sind auch ÖPNV-Ticket. Karten können ab sofort über das Internet, per Telefon oder über die bekannten Vorverkaufsstellen gekauft werden. Ausführliche Infos unter www.openohr.de.