Dieser Sonntag hat schon etwas von High Noon in Wiesbaden: Heute stimmen die Bürger der hessischen Landeshauptstadt über den Bau der Citybahn ab, es ist der vorläufige Schlusspunkt eines jahrelangen Tauziehens und der Höhepunkt eines heftigen Showdowns,  der am Ende mit Anschuldigungen, Beleidigungen und zerstörten Plakaten geführt wurde. Die Citybahn soll einmal den Taunus mit Wiesbaden, und Wiesbaden mit Mainz verbinden, abstimmen dürfen indes nur die Wiesbadener – und wie das ausgeht, weiß derzeit niemand: Befürworter und Gegner des Projektes stehen sich nahezu unversöhnlich gegenüber. Und selbst bei potenziellen Befürwortern ist die Skepsis gegenüber dem Projekt noch immer groß.

Die Citybahn rund um die Ringkirche in Wiesbaden. - Visualisierung: Jan Schlotter
Die Citybahn rund um die Ringkirche in Wiesbaden. – Visualisierung: Jan Schlotter

Seit fast zwanzig Jahren diskutiert Wiesbaden nun schon über das Projekt einer Citybahn, mehrfach scheiterte die Reaktivierung einer Straßenbahn in der hessischen Landeshauptstadt an heftigem Widerstand von Bürgern und Wirtschaft: Noch im September 2018 sprach sich die Vollversammlung der IHK Wiesbaden mehrheitlich gegen das Projekt aus. In der Kurstadt Wiesbaden mit seinen zahlreichen Gründerzeithäusern und historischen Vierteln haben noch immer viele Bürger Vorbehalte gegen eine grundlegende Änderung des Stadtbildes.

Es war der neue Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne), der das Projekt erneut auf die Agenda hob: Auch Wiesbaden kämpft gegen ein Dieselfahrverbot, der Busverkehr in der Innenstadt platzt aus allen Nähten – die Citybahn scheint die Lösung aller Probleme. „Wiesbaden braucht die Citybahn“, betonte Kowol, auch Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) wirbt persönlich seit Wochen auf allen Veranstaltungen und Kanälen: „Die CityBahn ist ein Jahrhundertprojekt und ebenso eine Jahrhundertchance für eine menschengerechte Stadt.“ Dies sei „die große Chance, am Verkehr in Wiesbaden substanziell etwas zu verändern.“ Wiesbaden sei Platz drei der Stauhauptstädte, betont Kowol gerne, die Busflotte könne die Menge der notwendigen Passagiere nicht mehr ausnehmen, das System sei am Anschlag – die Stadt brauche ein leistungsfähiges Nahverkehrssystem, und das sei nun einmal eine moderne Citybahn.

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So soll die Citybahn einmal über die Wiesbadener Straße in Mainz-Kastel rollen. - Visualisierung: Stadtplanungsamt Wiesbaden mit Planungsbüros
So soll die Citybahn einmal über die Wiesbadener Straße in Mainz-Kastel rollen. – Visualisierung: Stadtplanungsamt Wiesbaden mit Planungsbüros

Doch die Wiesbadener sind nur schwer von der Bahn zu überzeugen: Da gibt es die Angst ums Stadtbild und die Frage, ob die Citybahn nicht unüberbrückbare Schneisen schlägt. Manche Gegner argumentieren gar, ein schienengebundenes ÖPNV-System sei veraltet, weil viel zu unflexibel – gefragt seien in der modernen Zeit individuelle Mobilität, flexibel anpassbare Buslinien und ein gut ausgebautes Busnetz, das zudem die großen Steigungen in Wiesbaden bewältigen könne. Mit dem Geld für die Citybahn könne man moderne, Wasserstoff oder Elektro-Busse anschaffen, so ließen sich die Kapazitätsprobleme ebenfalls umweltfreundlich lösen – eine Stadt mit Schienen zu „zerschneiden“, das sei nicht mehr zeitgemäß.

Auch dass kürzlich die Stadt verkünden musste, die Kosten für die 40 Kilometer lange Strecke würden statt 305 Millionen Euro wohl doch eher 426 Millionen Euro betragen, half den Befürwortern nicht gerade. Die Planer betonten zwar gleichzeitig, die Fördersätze seien von 60 auf 75 Prozent erhöht worden, auf Wiesbaden kämen deshalb nur rund 28 Millionen  Euro an eigenen Kosten zu – viele Kritiker aber sind skeptisch. Ende Oktober sprach sich gar der langjährige und sehr beliebte Ex-Oberbürgermeister Achim Exner (SPD) gegen das Projekt aus – ein Nackenschlag für die Planer. Auch die FDP und Teile der CDU sind bis heute gegen das Projekt, die IHK schwenkte zuletzt aber auf Pro-Bahn-Kurs ein.

Geplante Streckenführung der Citybahn mit Haltestellen in Amöneburg und Kastel. - Grafik: Stadt Wiesbaden, Screenshot: gik
Geplante Streckenführung der Citybahn mit Haltestellen in Amöneburg und Kastel. – Grafik: Stadt Wiesbaden, Screenshot: gik

Die Stadt hatte kurz vor dem Bürgerentscheid noch schnell eine Studie „Wirtschaftliche Effekte durch die CityBahn für die Region WI-RTK-MZ“ vorgelegt. Die Studie kommt – wenig überraschend – zu dem Ergebnis, dass eine Straßenbahn die Attraktivität einer Stadt steigert, eine Wertsteigerung bei Immobilien auslöst und das Kundenkontaktpotenzial um etwa 4.100 zusätzliche Personen monatlich pro Haltestelle im Stadtgebiet Wiesbaden auslösen könnte. Auch für das Taunus-Umland errechnet die Studie Zuwächse bei den Nutzerzahlen und bei Besuchern im Bereich Tourismus – letzteres vor allem für Bad Schwalbach – über Vorteile für Mainz schweigen sich die Macher allerdings aus.

Stadtviertel mit Straßenbahnanschluss zeigten in Untersuchungen stets ein deutlich höheres Bevölkerungswachstum und Wohnbautätigkeiten aufweisen, konstatiert die Studie weiter – und prognostiziert Wiesbaden ein mögliches Wachstum von zehn Prozent mehr Bevölkerung Dank Citybahn. Wirtschaftsimpulse erwarte man vorrangig durch eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit, Wiesbadener Händler könnten Dank Citybahn mehr Kaufkraft oder zusätzlichen Umsatz aus dem Umland nach Wiesbaden holen, so die Studie.

Die Citybahn soll auch in den Taunus rollen und Pendler aus Taunusstein anbinden. - Grafik: Citybahn
Die Citybahn soll auch in den Taunus rollen und Pendler aus Taunusstein anbinden. – Grafik: Citybahn

Das Problem der Hessen: Noch immer kommen die meisten Einpendler aus dem Umland mit dem Auto nach Wiesbaden. Rund 800.000 Fahrten mit Pkws zählen die Wiesbadener pro Tag in ihrer Innenstadt, 49 Prozent der Wege werden noch immer mit dem eigenen Auto zurückgelegt – in Mainz sind es trotz Mainzelbahn inklusive Umland noch immer 42 Prozent. „So, wie es ist, kann es nicht weitergehen, es muss sich etwas ändern“, betont Mende deshalb: Die CityBahn sei „zentraler und notwendiger Bestandteil der Lösung unserer unbestreitbaren Verkehrsprobleme.“ Wiesbaden habe jetzt „die einmalige Chance, die Region Wiesbaden-Mainz-Rheingau-Taunus nachhaltig zu vernetzen und dabei auf massive Förderungen durch Bund und Land zurückgreifen zu können“, betont Mende wieder und wieder.

Doch bei einer Umfrage Anfang Oktober im Auftrag des Wiesbadener Kuriers sprachen sich 47 Prozent der Befragten gegen die Citybahn aus, nur 33 Prozent dafür, 20 Prozent waren noch unentschieden. Es sind vor allem die Älteren, die gegen das Projekt sind, ihnen einseitiges Festhalten an „ihrem geliebten Auto“ als einzigen Grund zu unterstellen, wie es Befürworter der Citybahn zuletzt gerne Taten, greift indes zu kurz: Bei vielen geht neben der Angst ums Stadtbild auch die Sorge um den Baumbestand der Landeshauptstadt um.

So könnte die Citybahn über die Biebricher Allee rollen. - Visualisierung: Stadtplanungsamt Wiesbaden
So könnte die Citybahn über die Biebricher Allee rollen. – Visualisierung: Stadtplanungsamt Wiesbaden

So räumte die Stadt auch auf Veranstaltungen stets nur widerwillig ein, dass für die Bahn auch Bäume fallen müssen, vor allem an den neuen Haltestellen. Von rund 100 Bäumen ist die Rede, allein in der Biebricher Allee sollen es 10 bis 15 Prozent werden – Citybahn-Gegner hängten prompt Plakate mit Todeskreuzen an die Bäume, die wiederum von Befürwortern des Projektes beschmiert und zerstört wurden. Mende selbst zeigte sich kürzlich entsetzt davon, wie stark im Endspurt mit „Fake-News“ und Falschbehauptungen agiert werde, doch Tatsache ist auch: kritische Fragen zum Projekt wurden auf den Veranstaltungen zum Teil nur zögerlich und auf mehrfache Nachfrage hin beantwortet. Anstatt klar Zahlen zu benennen, sprach man etwa mit Blick auf die Bäume in der Biebricher Allee lieber von „einem kleinen zweistelligen Prozentbereich“, vertrauensbildend war das nicht.

Auch dass die Trassenführung bis zum Schluss immer wieder verändert wurde, sorgte für Irritationen und nicht selten auch für Kopfschütteln: So kam erst vor wenigen Wochen heraus, dass die Citybahn in Biebrich nicht zum Rhein hinunter und dort entlangrollen soll, sondern durch den dicht bebauten alten Ortskern – und dafür an einer Stelle sogar nur einspurig werden soll. Verkehrsexperten betonen seit Langem, einspurige Strecken seien potentielle Gefahrenstellen und verhinderten zudem einen dichten Takt, die Citybahn soll aber einmal – so die Ansage – im Zehn-Minuten-Takt zwischen Wiesbaden und Mainz rollen. Nicht wenige Wiesbadener bezweifeln inzwischen, dass es diesen Takt jemals geben wird.

Die Citybahn auf der Theodor-Heuss-Brücke - so sehen es die Planer. - Visualisierung: Jan Schlotter
Die Citybahn auf der Theodor-Heuss-Brücke – so sehen es die Planer. – Visualisierung: Jan Schlotter

Auch andere Aussagen der Planer wirkten durchaus widersprüchlich: So hieß es etwa bei einer Informationsveranstaltung im Kostheimer Bürgerhaus am 21. Oktober, ein Nahverkehr solle „möglichst schnell sein“, es mache deshalb „keinen Sinn, dass eine Straßenbahn mit dem anderen Verkehr im Stau steht“, genau deshalb brauche die Citybahn eigene Trassen. Gleichzeitig aber soll die Bahn über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz rollen, und zwar dort „im Verkehr mitschwimmen“ – ausgerechnet auf der Brücke, wo schon heute Autos und Busse permanent im Stau stehen.

Viele Ältere stellten zudem beim Blick auf die neue Citybahntrasse verwundert fest, dass die Haltestellen ein gutes Stück weiter auseinander liegen sollen, als die heutigen Bushaltestellen. So ist der Stadtteil Biebrich etwa heute sehr gut mit verschiedenen Buslinien an die Wiesbadener Innenstadt angebunden, durch die Citybahn werde sich das eher verschlechtern, befürchten viele, weil für die Bahn Buslinien wegfallen könnten. Es würden „nach derzeitiger Planung nicht weniger Busse fahren“, versichern die städtischen Planer zwar, doch gleichzeitig war in Kostheim auch von einer notwendigen „Busnetz-Anpassung“ die Rede – Mainzer Fragesteller konnten denn auch berichten, wie das dann aussehen kann: Seit der Einführung der Mainzelbahn fahre der Bus im Ortskern nur noch alle 20 Minuten statt wie früher alle zehn Minuten, kritisierte ein Zuschauer: „Die Leute werden jetzt weniger bedient.“

Die Mainzelbahn sorgt in Mainz-Bretzenheim weiter für Ärger mit rumpelnden Bahnen und wegen schlechterer Busanbindungen. - Foto: gik
Die Mainzelbahn sorgt in Mainz-Bretzenheim weiter für Ärger mit rumpelnden Bahnen und wegen schlechterer Busanbindungen. – Foto: gik

Die Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) musste denn auch einräumen, die Buslinien, die Bretzenheim teilweise früher angebunden hätten, seien verändert worden, das Ziel sei schon, „Doppelstrukturen“ zu vermeiden. „Wir wollen den ÖPNV grundsätzlich besser machen, aber das Geld ist gleich geblieben“, sagte Eder offen, „wir müssen deshalb umstrukturieren.“ Im Klartext heißt das dann eben: Buslinein wurden zugunsten der Mainzelbahn ausgedünnt, die Fahrgastzahlen auf der Straßenbahn so erhöht – doch für nicht wenige Stadtteilbewohner in Bretzenheim, aber auch in anderen Stadtteilen bedeutete das eine Verschlechterung, denn die Wege zur Mainzelbahn sind oft weiter.

Auch dass die Mainzer Variobahnen noch immer durch lautes Rumpeln auffallen, dass Wendekreise auf dem Lerchenberg und in Bretzenheim noch immer quietschen, und dass die Endabrechnung zur Mainzelbahn noch immer nicht vorgelegt wurde und Kostensteigerungen damit weiter unklar sind – all das wird auch auf Wiesbadener Seite aufmerksam registriert. Wie die Abstimmung am Sonntag ausgeht, ist deshalb weitgehend offen, kurz vor der Abstimmung kam es zu harten Kämpfen: man warf sich gegenseitig Falschbehauptungen, ja sogar „Lügen“ oder das Unterdrücken von Fakten vor – die „Schlacht um Wiesbaden“ wird mit harten Bandagen geführt.

Die Mainzelbahn am Ostergraben - bekommen die Wiesbadener nun die Citybahn? - Foto: gik
Die Mainzelbahn am Ostergraben – bekommen die Wiesbadener nun die Citybahn? – Foto: gik

Und so könnte denn am Ende die Wahlbeteiligung schon allein das Bürgerbegehren entscheiden: Gültig ist die Abstimmung nämlich nur, wenn mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten für die gleiche Antwort abgestimmt haben. Diese Mehrheit liegt in Wiesbaden bei 31.575 Stimmen, rund 210.000 Wiesbadener sind wahlberechtigt. Die Fragestellung, die es zu beantworten gilt, lautet: „Soll der Verkehr in Wiesbaden, zur Vermeidung von Staus und weiteren Verkehrsbeschränkungen für den Autoverkehr, durch eine leistungsfähige Straßenbahn (City-Bahn) von Mainz kommend über die Wiesbadener Innenstadt bis Bad Schwalbach weiterentwickelt werden, um Verkehrszuwächse aufzufangen und Umweltbelastungen (Luftverschmutzung, Lärmbelästigung) zu verringern?“

Scheitert das Bürgerbegehren an dem Quorum, fällt die Entscheidung zurück an die Stadtverordnetenversammlung, dort gab es bisher zumindest eine Mehrheit für das Projekt Citybahn. Doch Verkehrsdezernent Kowol sagte im Kostheimer Bürgerhaus auch: Werde die Citybahn abgelehnt, müsse man sich über die Alternativen im Mobilitätsplan unterhalten – etwa den Einsatz längerer Gelenkbusse. Doch Kowol warnte zugleich, die wären keine adäquate, leistungsfähige Alternative: „Alles andere als die Citybahn wäre Stückwerk.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Fragen rund um die Citybahn und die Kostensteigerung des Projektes lest Ihr hier bei Mainz&. Wir werden natürlich am Sonntagabend live über den Ausgang des Bürgerentscheids berichten – mit dem Ende der Auszählung wird aber frühestens gegen 19.00 Uhr gerechnet.

 

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