Der Neubau der Schiersteiner Brücke schreitet voran, bis 2021 soll die neue sechsspurige Rheinquerung stehen – doch der Anschlussausbau der A643 auf rheinland-pfälzischer Seite kommt weiter nicht voran. Den Industrie- und Handelskammern (IHKs) aus Rheinhessen und Wiesbaden stößt das nun sauer auf: Sie forderten am Donnerstag, das Mainzer Verkehrsministerium müsse nun endlich einen Zeitplan für den Ausbau vorlegen. „Fünf Jahre nach der Anweisung des Bundesverkehrsministers zum sechsspurigen Ausbau des Teilstücks ist immer noch kein Ende der Planung absehbar“, kritisierte der Mainzer IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz. Es brauche jetzt endlich „belastbare Aussagen“ des Ministers in Sachen Ausbau. Die A643 drohe zu einem dauerhaften Nadelöhr für den Verkehr zu werden.
Im Februar 2015 hatte der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) per Dekret einen vollen sechsspurigen Ausbau der Autobahn 643 zwischen der Schiersteiner Brücke und dem Autobahndreieck Mainz-Süd verfügt, sein Vorgänger Peter Ramsauer (CSU) schon einmal 2014 – beides gegen den Willen der damals rot-grünen Landesregierung. Die wollte das Autobahnteilstück nur mit einer 4+2-Lösung ausbauen, also vier Spuren plus einem variabel nutzbaren dritten Seitenstreifen, der in Stoßzeiten als dritte Fahrspur hätte geöffnet werden können. Die 4+2-Lösung war ein Kompromiss, den Land Rheinland-Pfalz und Stadt Mainz mit den Naturschutzverbänden ausgehandelt hatten – die A643 führt durch das europaweit einmalige Naturschutzgebiet Mainzer Sand.
Das Dekret des Bundesverkehrsministers ließ den vor Ort ausgehandelten Kompromiss platzen, nun wird fest mit Klagen von Umweltverbänden gegen den Ausbau gerechnet – die Umweltschützer sehen den Fortbestand der einmaligen Steppenlandschaft in Gefahr. Im Sommer 2017 wurde zudem angeblich eine äußerst seltene Wildbienenart im Mainzer Sand entdeckt, die Dünen-Steppenbiene war seit 150 Jahren nicht mehr dokumentiert worden. Im Mainzer Verkehrsministerium hieß es dazu im November 2017, man werde jetzt erst einmal überprüfen, ob die Biene tatsächlich im Mainzer Sand zu finden und wie selten sie sei – und ob sie von einem Ausbau überhaupt gestört würde. „Vielleicht ist sie ja weitergeflogen“, sagte ein Mitarbeiter.
Tatsache ist: das für den Ausbau notwendige Planfeststellungsverfahren ist noch immer nicht eingeleitet. 2015 hatte Landesminister Roger Lewentz (SPD), damals zuständig für das Verkehrsressort, noch den Start des Planfeststellungsverfahren für den Sommer 2016 angekündigt, sein Nachfolger Volker Wissing (FDP) versprach 2016 eine schnelle Einleitung des Bauvorhabens. Die Mainzer CDU-Opposition argwöhnte im Juni 2017, die rot-gelb-grüne Landesregierung verzögere das Bauvorhaben aus ideologischen Gründen, die Grünen blockierten offenbar weiter den sechsspurigen Ausbau.
Anfang Juni 2017 musste das Verkehrsministerium dann einräumen: der Start sei erst einmal verschoben. Zwar lägen inzwischen die Verkehrsuntersuchung sowie die vorgeschriebene Betrachtung von Alternativrouten vor, sagte eine Sprecherin damals Mainz&, auch die Kartierungen seltener Arten und Vegetation seien erfolgt. Doch neue Gerichtsurteile auf EU-Ebene hätten neue Gutachten erforderlich gemacht, EU-Gerichte hatten neue Auflagen zur Wasserrahmenrichtlinie sowie zu Untersuchungen von gefährlichen Unternehmen gemacht. Dazu müsse noch eine Stellungnahme der EU eingeholt werden.
Auf die wartet man im Verkehrsministerium offenbar noch immer: Der Landesbetrieb Mobilität sei derzeit dabei, „die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren zusammenzustellen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Mainz&-Anfrage am Donnerstag, „dazu zählt auch das Einholen einer EU-Stellungnahme.“ Wann vollziehbares Baurecht vorliege, sei nur schwer abzuschätzen. Eine Aussage zum Start des Planfeststellungsverfahren machte die Sprecherin nicht, im Ministerium geht man zudem fest davon aus, dass Klagen von Umweltverbänden vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig landen – diese Verfahren dauern in der Regel mindestens Monate.
Auch nach der Fertigstellung der neuen Schiersteiner Brücke bleibt die A643 also unausgebaut, und das voraussichtlich noch auf Jahre hinaus. Damit sei auf rheinland-pfälzischer Seite täglich weiter Staugefahr gegeben, die vierspurige A643 drohe „ein Nadelöhr“ zu werden, klagte Jertz. Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen zufolge nutzten pro Tag gut 60.000 Pkw sowie rund 5.000 Lkw und Busse die Strecke zwischen dem Autobahndreieck Mainz und der Anschlussstelle Mainz-Mombach. Für die Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet bedeute das weiter Umwege, Zeitverlust, zusätzliche Kosten und einen Wettbewerbsnachteil, klagte der Wiesbadener IHK-Hauptgeschäftsführer Joachim Nolde: „Die Betriebe brauchen endlich Planungssicherheit.“
Info& auf Mainz&: Unsere beiden jüngsten Artikel zu den Verzögerungen beim Ausbau der A643 findet Ihr hier: Freigabe Schiersteiner Brücke und Entdeckung Wildbiene sowie hier: Ausbau A643 verzögert sich weiter. Eine Reportage über das Naturschutzgebiet Mainzer Sand vom März 2015 könnt Ihr hier bei Mainz& lesen.