Alle reden über sie, aber irgendwie keiner mit ihnen: Seit die Schiersteiner Brücke wegen eines Bauunfalls gesperrt ist, richtet sich der Ärger zunehmend gegen die Naturschützer vom Mainzer Sand. Das Bündnis „Nix in den (Mainzer) Sand setzen“ steht auf einmal am Pranger – als Verhinderer legitimer Verkehrsinteressen. Aber stimmt das überhaupt? Mainz& hat einfach mal nachgefragt – und sich mit dem Sprecher des Bündnisses, Jürgen Weidmann, getroffen. Heraus kam ein dreistündiger Spaziergang – und eine spannende Reportage über eiszeitliche Wanderdünen, eine Autobahn und über konstruktiv-kreative Naturschützer.

Spaziergang in der Dünenlandschaft des Mainzer Sands mit Jürgen Weidmann - Foto: gik
Spaziergang in der Dünenlandschaft des Mainzer Sands mit Jürgen Weidmann – Foto: gik

„Der sechsspurige Ausbau ginge da unten bis an die Pfähle“, sagt Jürgen Weidmann, und zeigt von der Brücke hinab auf die Autobahn: „Die Böschungen müssten weg, die Bäume auch. Das wären fünf Meter weniger Naturschutzgebiet, und das auf vier Kilometern Länge.“ Wir stehen auf der Brücke über die Autobahn 643, und damit eigentlich mitten im Mainzer Sand. Die Autobahn führt durch ein durch Europarecht besonders geschütztes FFH-Gebiet (Flora-Fauna-Habitat), aber die Autobahn führt eben auch zur Schiersteiner Brücke – und damit beginnen die Probleme.

Als die Autobahn in den 1960er Jahren gebaut wurde, sah der Straßenverkehr noch ganz anders aus: viel weniger Autos bevölkerten die Straßen, die Menschen waren nicht so mobil, Wohnen und Arbeiten lagen noch enger zusammen. Heute muss allein die – inzwischen gesperrte – Schiersteiner Brücke pro Tag rund 90.000 Fahrzeuge verkraften, weswegen seit 2013 eine neue Brücke gebaut wird.

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Blick auf die A 643 von der Brücken im Mainzer Sand - Foto: gik
Blick auf die A 643 von der Fußgängerbrücke im Mainzer Sand aus. Die roten Pfeile zeigen, wie weit die ausgebaute Autobahn reichen würde – Foto: gik

Weidmann: „Wir waren nie die Verhinderer“

Doch für die anschließende Autobahn gibt es noch nicht einmal Baurecht, seit Jahren streiten sich Bund und Land Rheinland-Pfalz, ob es nun vier oder sechs Spuren werden sollen. Vier und zwei Seitenstreifen – „4+2“ – sagen Land und Stadt Mainz, sechs Spuren plus Standstreifen sagt der Bund, und hat das gerade eben noch einmal verfügt, sprich: befohlen. Warum die Ausbaupläne nicht längst stehen – das wird nun den Naturschützern in die Schuhe geschoben. Ein guter Grund, endlich einmal mit ihnen zu sprechen, statt über sie zu schimpfen.

„Wir waren nie die Verhinderer“, sagt Jürgen Weidmann, und schüttelt den Kopf. Wir stehen mitten im Mainzer Sand, der Boden unter den Füßen ist praktisch reiner Sand, es sieht aus, wie am Strand, irgendwo am Mittelmeer. „Wir hatten hier früher in Bewegung befindliche Dünen“, erklärt Weidmann. Vor rund 11.500 Jahren, während der letzten Eiszeit, wehte der Wind vom Rhein aus Sand hierher auf die Höhe bei Mainz, die riesigen Dünen des Mainzer Sands reichen bis nach Ingelheim.

Wandernde Dünen, Urzeitkrebse, seltene Pflanzen

Schwalbenschwanz-Falter im Großen Sand - Foto: Herbert Immekus
Schwalbenschwanz-Falter im Großen Sand – Foto: Herbert Immekus

Doch das Wandern der Dünen ist Vergangenheit, heute ist der Sandboden mit niedrigen Pflanzen bewachsen, so seltenen Arten wie das blau-grüne Schillergras und die Sandlotwurz sind darunter, in Pfützen finden sich manchmal Urzeitkrebse. Es ist eine karge Landschaft, die ihren Charme nur langsam entfaltet: Wenig Bäume, viel niedriges Gewächs, ein paar windschiefe Kiefern. „Die Pflanzenwelt hier ist in ihrer Zusammensetzung einzigartig“, erklärt Weidmann. Im Mainzer Sand treffen sich Arten aus den Steppen im Osten, vom Mittelmeerraum und von der Atlantikküste.

Seit 1939 ist der Mainzer Sand schon Naturschutzgebiet, für das Freihalten der Flächen von Büschen und Bäumen sorgten früher auch die Militärs: bis in die US-Zeit hinein war der Sand Truppenübungsgelände, und wie so oft, entwickelte sich auch hier ein Biotop quasi im Schatten der Panzer. 1997 kamen die alten Truppenübungsflächen zum Naturschutzgebiet hinzu, für das Freihalten der Landschaft sorgt heute ein Schäfer.

Ausdehnung des Mainzer Sands auf einer Karte von 1858 - Foto: gik
Ausdehnung des Mainzer Sands auf einer Karte von 1858 – Foto: gik

Weidmann ist der Vorsitzende eines Bündnisses, das sich 2011 wegen der Ausbaupläne der Autobahn gründete und den Titel trägt „Nix in den (Mainzer) Sand setzen.“ Dem Bündnis gehören Naturschutzverbände an, aber auch Parteien und Kirchen, selbst die Stadt Mainz ist Mitglied. Seine Ziele sind besserer Verkehrsfluss (!), Lärmschutz für die Anwohner und der Erhalt der Natur. „Unser Ziel war immer, nicht klagen zu müssen, sondern einen Kompromiss zu finden“, sagt Weidmann, „gerade um schnelle Planungen zu ermöglichen.“

„4+2“ – ein Modell des Bundesverkehrsministers

Das Bündnis erzwang die Einrichtung eines Runden Tisches, sechs Mal tagte das Gremium seither, zuletzt Anfang 2014. Auf den Treffen schlug das Bündnis die „4+2“-Lösung vor: einen Ausbau der Autobahn auf vier reguläre Spuren plus zwei Standspuren, die in Stoßzeiten als dritte Spur dienen können. „Den Vorschlag haben wir vom Bundesverkehrsminister“, sagt Weidmann verschmitzt, denn der Bund hat „4+2“-Lösungen selbst auf rund 350 Kilometern bundesweit verwirklicht. „Das ist keine grüne Spinnerei“, betont Weidmann, vielmehr eine gute Variante, um Flächenverbrauch zu reduzieren.

Blick auf Schiersteiner Brücke vom Mainzer Sand aus - Foto: gik
Blick auf Schiersteiner Brücke vom Mainzer Sand aus – Foto: gik

Besonders gerne wird die Lösung für Autobahnen genutzt, die vorwiegend in den Stoßzeiten voll werden – und genau so eine Pendlerautobahn ist die A643. Dazu zeigen Untersuchungen, dass von den rund 90.000 Fahrzeugen pro Tag 20.000 nur die Schiersteiner Brücke zwischen Mombach und der Äppellallee nutzen. „Wir waren nie gegen den Ausbau der Brücke“, betont Weidmann, dieses Stück sei derzeit zu 40 Prozent überlastet.

Die A 643 zwischen Mombach und Gonsenheim habe aber nur eine Überlastung von 10 Prozent, sagt Weidmann. „Da muss was passieren, ganz klar“, betont er – nur warum müssen es gleich sechs Spuren plus Standstreifen sein? Wir haben daraufhin natürlich die Gegenfrage gestellt: Warum sind ganze fünf Meter mehr rechts und links so dramatisch?

Mainzer Sand bedroht durch Baugebiete

Die Karthäusernelke kommt aus dem Mittelmeerraum - Foto: Jürgen Weidmann
Die Karthäusernelke kommt aus dem Mittelmeerraum – Foto: Jürgen Weidmann

„Der Mainzer Sand ist bedroht“, sagt Weidmann, „wir haben hier nur noch ein Restgebiet.“ Seit Jahrzehnten schrumpfe das Gebiet, hauptsächlich durch Bauvorhaben in Mainz und Ingelheim. Die Hasenquelle, die Hochhäuser der Elsa-Brändström-Straße – all das habe das Gebiet verkleinert und das sensible ökologische Gleichgewicht verändert. Gerade die mächtige „Elsa“ stoppte den Wind und veränderte das Klima.

An der Autobahn sorgen derzeit noch Böschungen für einen Puffer gegen Sprühnebel der Scheibenwischer und Salzrückstände im Winter. Dieser Puffer aber werde durch den Ausbau weiter ins Gebiet hinein verlagert, die Konsequenzen seien noch gar nicht absehbar, sagt Weidmann. Würden dann auch noch die geplanten, acht (!) Meter hohen Lärmschutzwände gebaut, drohten drastische Veränderungen des Kleinklimas bei Licht, Wärme und Wind – im Extremfall könnten sogar die wichtigen Winde zum Erliegen kommen, das ökologische Gleichgewicht kippen.

Große Kiefer im Mainzer Sand - Foto: gik
Große Kiefer im Mainzer Sand – Foto: gik

„Wenn die Balance nicht stimmt, ist das auch für den Menschen nicht gut“, sagt Weidmann. Ist das Gleichgewicht gestört, gibt es mehr Schädlinge und mehr Umweltkatastrophen, das spüren wir ja jetzt schon. Und niemand wisse, wie wertvoll die Pflanzenvielfalt einmal werde, „wir wissen ja nicht, was auf uns noch zukommt“, sagt Weidmann. Pharmafirmen durchkämmten ja auch jetzt den Regenwald auf der Suche nach Heilpflanzen. „Hier im Sand haben wir einen Punkt, wo man die Artenvielfalt schützen und bewahren kann, was noch da ist“, sagt Weidmann. Und wenn es doch Alternativen zum sechsspurigen Ausbau gebe, die sogar billiger seien…

Der Bundesverkehrsminister war nie hier

Flüsterasphalt haben sie vorgeschlagen und Tempo 80 gegen den Lärm. Eine Auffahrt in Mombach mit einer echten Beschleunigungsspur oder – besser noch – eine komplette Spur, die von der Auffahrt Mombach über den Rhein reiche, und dort auf die A66 führe. Auch die breitere Abbiegespur Richtung A66 gehe auf das Konto der Naturschützer, sagt Weidmann: „Das waren die bösen Naturschützer“, sagt er sarkastisch, „die haben versucht mitzudenken.“

Schäfchenwolken statt Schäfer: Der Mainzer Sand mit den Hochhäusern der Elsa-Brändström-Straße in Gonsenheim - Foto: gik
Schäfchenwolken statt Schäfer: Der Mainzer Sand mit den Hochhäusern der Elsa-Brändström-Straße in Gonsenheim – Foto: gik

Weidmann ist wütend, vor allem, dass der Bund nun einfach den sechsspurigen Ausbau der Autobahn verfügte: „Der Bundesverkehrsminister hat nie mit uns geredet, war nie hier, aber entscheidet: das ist alles dummes Zeug“, kritisiert Weidmann. Dabei wäre es dem Bündnis sogar lieber gewesen, wenn alles in einem Rutsch geplant worden wäre. „Wir hätten gerne gewusst, wie es weiter geht“, sagt Weidmann.

Werden die Naturschützer denn nun gegen den Ausbau klagen? „Vielleicht“, sagt Weidmann vorsichtig, und dass man das erst sagen könne, wenn sie die Pläne zu Gesicht bekämen. Auch jetzt noch wäre das Bündnis zu einem Kompromiss bereit, ein Verzicht auf Teile der Lärmschutzwand „könnte helfen“, sagt er. Und die Naturschützer hätten ja auch schon Zugeständnisse gemacht, betont Weidmann, die Frage sei aber doch: Muss man den Mainzer Sand weiter schwächen? Der Sand, sagt Weidmann noch, „den kann man nicht einfach umziehen oder reproduzieren.“

Info& auf Mainz&: Mehr über den Mainzer Sand und das Bündnis für den Erhalt findet Ihr auf dieser Internetseite, dort seht Ihr auch, wer alles Mitglied im Bündnis ist. Auch der AK Umwelt Mombach ist hier naturschützend aktiv, wie genau, seht Ihr hier. Über den Mainzer Sand gibt es übrigens auch ein Fotobuch von Herbert Immekus und Dr. Joachim Wolf, Informationen dazu findet Ihr auf der Seite des AK Umwelt, genau hier.

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