Es ist ein ganz starkes Urteil in einer Zeit, in der die freie Meinungsäußerung in Deutschland immer stärker unter Beschuss gerät: Das Landgericht Mainz hat in einem Urteil die freie Meinungsäußerung in der politischen Debatte gestärkt. Der Partei Alternative für Deutschland (AfD) darf Judenhetze vorgeworfen werden, das sei „eine wahre Tatsachenbehauptung“, urteilte Richterin Susanne Gast nun. Die AfD hatte den Mainzer Grünen Daniel Köbler wegen Aussagen im Wahlkampf verklagt, nun wies die Richterin den Antrag der AfD in Bausch und Bogen ab: Köblers Äußerungen seien von der freien Meinungsäußerung gedeckt.

Wahlplakat Grüne Daniel Köbler
Daniel Köbler, Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl 2016

Köbler hatte in einem Interview mit der Rhein-Zeitung die folgenden beiden Sätze gesagt: „Es gibt in der AfD Menschen, die gegen Juden hetzen und den Holocaust leugnen. Sie sind nicht ausgeschlossen worden.“ Die rheinland-pfälzische AfD forderte daraufhin von Köbler eine Unterlassungserklärung, als der Grünen-Politiker diese verweigerte, zog die AfD vor Gericht und forderte eine Unterlassung.

Richterin: Behauptung „Judenhetze“ darf getroffen werden

Die Richterin befand nun: diese Behauptung darf so getroffen werden. Zwar handele es sich bei der Aussage zur Judenhetze um eine Tatsachenbehauptung, die nicht der reinen Meinungsäußerung unterliegt, sondern nachprüfbar und belegbar sein muss. Das aber sei der Fall, befand Gast – und zog dafür eine judenfeindliche Karikatur heran, die das Brandenburger AfD-Mitglied Jan-Ulrich Weiß auf Facebook gepostet hatte. Die Karikatur sei eindeutig judenfeindlich, „in Bezug auf Hetze gegen Juden ist der Wahrheitsbeweis damit geführt“, befand die Richterin.

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Zum Fall Weiß hatte dann ein Schiedsgericht der AfD getagt, Weiß aber nicht ausgeschlossen. Diese Entscheidung müsse sich die AfD zurechnen lassen, denn es habe sich um ein Schiedsgericht der Partei gehandelt, sagte Gast. Damit sei auch „die Aussage ‚gegen Juden gehetzt und nicht ausgeschlossen‘ erweislich wahr“ und dürfe so auch öffentlich getroffen werden, urteilte sie.

AfD: Judenhetze ist „interpretationsbedürftiger Begriff“

AfD Plakat Asylchaos stoppen
AfD Plakat im Landtagswahlkampf 2016 in Rheinland-Pfalz

Das ist starker Tobak für die AfD, die sich im Wahlkampf und besonders seit ihrem Einzug in den Landtag bei der Wahl gerne als streng bürgerlich gibt. „Wir verwahren uns gegen alle Behauptungen, wir hätten ausländerfeindliche oder antisemitische Ziele“, betonte Jan Bollinger, AfD-Vorstandsmitglied und Pressesprecher: „Die Behauptungen implizieren, wir würden das billigen, das ist nicht der Fall.“ Doch vor Gericht bestritt die AfD den Satz zum Thema Judenhetze nicht, ihr Anwalt erhob keinen Einspruch zu den Ausführungen der Richterin.

„Wir sind natürlich gegen Hetze gegen Juden, das ist aber ein sehr interpretationsbedürftiger Begriff“, sagte Bollinger nach dem Urteil. Wenn die Karikatur Judenhetze sei, „dann gibt es Judenhetze auch bei Grünen, SPD und Linkspartei.“ Gegen diesen Vorwurf wolle sich die AfD aber künftig „politisch wehren“, juristisch will man dagegen nicht weiter vorgehen.

Holocaust-Leugnung: Kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein

Etwas anders liegt der Fall in Sachen Holocaust-Leugnung: Dies sei das schwerste Geschütz, das man gegen einen politischen Gegner auffahren könne, gab die Richterin zu bedenken. Die Behauptung, es gebe Holocaust-Leugner in der AfD sah sie auch nicht als erwiesen an, tatsächlich seien entsprechende Personen schon länger nicht mehr Mitglieder der Partei. Dennoch wies die Richterin auch den Antrag der AfD gegen Köbler in diesem Punkt zurück.

Elefantenrunde SWR Alte Lokhalle kleiner
Viel erlaubt in politischer Debatte – hier die Elefantenrunde im SWR mit allen Parteien vor der Landtagswahl 2016 – Foto: gik

Köbler habe nämlich aufgrund von Berichten seriöser Medien genügend stichhaltige Anhaltspunkte für seine Aussage gehabt. Damit handele es sich nicht um eine bewusst falsche Tatsachendarstellung – „der Meinungsfreiheit ist der Vorrang einzuräumen“, betonte die Richterin. Köblers Aussage sei nämlich ein Beitrag zum „geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ gewesen. Und es sei ausdrücklich der verfassungsgemäße Auftrag der Parteien, an der Meinungsbildung der Bürger mitzuwirken.

Politische Auseinandersetzung „verträgt keine inhaltliche Reglementierung“

„Diese Aufgabe verträgt keine inhaltlichen Reglementierungen, wenn sie nicht um ihre Grundvoraussetzungen gebracht werden soll“, betonte die Richterin. Köbler aber sei auch als Mandatsträger der Grünen für diese Aufgabe legitimiert. Die AfD wiederum habe sich schließlich als Landespartei freiwillig in die politische Auseinandersetzung begeben. Und gerade in einem Wahlkampf seien vereinfachte Darstellungen und polemische Überzeichnungen hinzunehmen, sofern sie nicht direkte Lügen seien.

Köbler ließ über seinen Anwalt mitteilen, er sehe sich bestätigt und sei „erleichtert, dass ich Recht bekommen habe.“ Nun hoffe er, dass sich die AfD der politischen Auseinandersetzung im Landtag stelle und nicht weiter versuche, politische Äußerungen über Gerichte zu bekämpfen. Die AfD hingegen prüft, ob sie in Sachen Holocaust-Leugnung Berufung einlegt.

 

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