Das wird spannend: Mainz bekommt wohl zum ersten Mal eine Kenia-Koalition im Mainzer Stadtrat. Grüne, SPD und CDU beschlossen am Donnerstagabend die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, das teilten die drei Parteien im Anschluss gemeinsam mit. Damit bekommt Mainz eine wahre Mammutkoalition: Gemeinsam halten Grüne, SPD und CDU mit 41 Sitzen im Stadtrat mehr als zwei Drittel der Stimmen. Bei der SPD heißt es, man wolle dennoch mit den übrigen Parteien zusammenarbeiten, wenn von dort gute Vorschläge kämen – im Stadtrat soll endlich wieder der Blick auf die Stadt Vorrang haben. Erste Themenschwerpunkte gibt es auch schon – eine Mainz&-Analyse.

Sieht so die neue Koalition im Mainzer Stadtrat aus? Grüne, SPD und CDU wollen künftig zusammenarbeiten, Mainz& hat dafür mal das Stadtwappen neu eingefärbt - und wir entschuldigen uns ausdrücklich beim Mainzer Rad(t). - Foto: gik
Sieht so die neue Koalition im Mainzer Stadtrat aus? Grüne, SPD und CDU wollen künftig zusammenarbeiten, Mainz& hat dafür mal das Stadtwappen neu eingefärbt – und wir entschuldigen uns ausdrücklich beim Mainzer Rad(t). – Foto: gik

Vier Wochen nach der Kommunalwahl am 9. Juni werden damit die Weichen im Mainzer Stadtrat neu gestellt: Mainz bekommt eine ganz große Koalition, in der erstmals auch politische Gegner zusammenarbeiten, bei denen das vorher fast schon undenkbar schien. Eine Koalition von Rot-Grün gemeinsam mit der CDU gibt es in Deutschland bislang vor allem im Osten: in den drei Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt reagieren derzeit noch gleich drei Kenia-Kombinationen – benannt ist sie nach der Flagge des afrikanischen Staates Kenia.

Im Westen gab es diese Farbenkombination bisher allerdings nur einmal: im Frankfurter Römer von 2016 bis 2021. Nun kommt wahrscheinlich auch der Mainzer Stadtrat hinzu: Am Donnerstagabend beschlossen CDU, SPD und Grüne in Mainz die Aufnahme von Verhandlungen für eine gemeinsame Koalition. Bei der SPD votierte der Unterbezirksvorstand einstimmig dafür, bei der CDU sagte der Kreisvorstand Mainz ebenso einstimmig Ja.

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Grüne beschließen mit Mehrheit, SPD und CDU einstimmig in Gremien

Die größte Hürde hatten dabei nach Mainz&-Informationen wohl die Grünen zu nehmen: Hier beschloss eine Mitgliederversammlung nach längerer Aussprache die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen, dabei stimmten nach Angaben von Kreischef Jonas König rund 70 Prozent der Mitglieder mit Ja, jeweils etwa 15 Prozent enthielten sich oder stimmten mit Nein. Tatsächlich waren in den vergangenen Jahren die Gräben zwischen Grünen und CDU besonders tief, gerade in der Verkehrspolitik prallten die Meinungen oft hart aufeinander.

Die neue Sitzverteilung im Mainzer Stadtrat seit der Kommunalwahl am 9. Juni 2024. - Grafik: Stadt Mainz
Die neue Sitzverteilung im Mainzer Stadtrat seit der Kommunalwahl am 9. Juni 2024. – Grafik: Stadt Mainz

Nun aber wollen die drei Partner es gemeinsam versuchen: Ausschlaggebend sei gewesen, dass die Grünen stabile Mehrheiten angestrebt hätten, und gleichzeitig ihre Ziele umsetzen wollten, sagte König am Abend im Gespräch mit Mainz&. Alle übrigen möglichen Konstellationen hätten entweder nur sehr knappe Mehrheiten im Stadtrat ermöglicht – oder seien gar ganz gescheitert. Das bezog sich vor allem auf die Europapartei VOLT, die am Donnerstagnachmittag überraschend Koalitionsverhandlungen eine Absage erteilt hatte.

Bei der Stadtratswahl am 9. Juni 2024 hatte die bisherige Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ihre Mehrheit verloren, gemeinsam kamen die drei Parteien nur noch auf 30 der insgesamt 60 Sitze – zu wenig für eine Mehrheit. Auch mit VOLT hätte die V-Ampel nur 33 Stimmen, und damit eine Mehrheit von zwei Sitzen gehabt, das wurde bereits als sehr knappe Mehrheit gesehen – die Stadträte arbeiten ehrenamtlich, ein Ausfall kann deshalb immer mal passieren. Dazu sitzen in den Reihen der SPD mit Innenminister Michael Ebling und dem Bundestagsabgeordneten Daniel Baldy zwei Politiker, die schnell durch andere Termine verhindert sein können.

Kenia: Gemeinsame Erklärung und gemeinsames Arbeitspapier

Nun soll es also die ganz große Koalition werden: Gemeinsam halten Grüne, SPD und CDU 41 Sitze im Mainzer Stadtrat, das entspricht 68 Prozent, und damit mehr als zwei Drittel der Stimmen. „Mainz ist eine der dynamischsten Städte Deutschlands. Wir wollen den Schwung mitnehmen, um den großen Herausforderungen, die auf unsere Stadt in den nächsten Jahren zukommen, gerecht zu werden“, betonten die Parteichefs Christin Sauer und Jonas König (Grüne), Jana Schmöller und Ata Delbasteh (SPD) sowie Thomas Gerster (CDU) am Abend in einer gemeinsamen Erklärung.

Team der Grünen-Spitze, von Links: Die Kreischefs Jonas König und Christian Sauer, die bisherige Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross und der neue Fraktioneschef Daniel Köbler. - Foto: Grüne
Team der Grünen-Spitze, von Links: Die Kreischefs Jonas König und Christian Sauer, die bisherige Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross und der neue Fraktioneschef Daniel Köbler. – Foto: Grüne

„Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, haben wir uns geeinigt, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen einzutreten, um mit einer starken Mehrheit Mainz fit für die kommenden Jahre zu machen,“, erklärten die Parteichefs weiter: „Wir werden gemeinsam dafür arbeiten, dass alle Menschen in Mainz nachhaltig, erfolgreich und sozial gerecht miteinander leben.“

Auch einige Hauptziele nennen die drei Parteien in ihrer Erklärung bereits, und die lassen schon einmal darauf schließen, wo die jeweiligen Parteien ihre Schwerpunkte sehen – und wie man die durchaus divergierenden Parteilinien zusammenbringen will: Als Hauptziele nennen die künftigen Koalitionsparteien nämlich: „Die Klimaziele von 2035 zu erreichen und die Klimaresilienz voranzutreiben, mehr bezahlbaren und sozialgeförderten Wohnraum schaffen und eine gemeinsame Entwicklung einer zukunftsfähigen Verkehrsführung.“ Damit dürften die drei Pole Klima (Grüne), bezahlbarer Wohnraum und Soziales (SPD) und Verkehrspolitik und Wirtschaft (CDU) benannt sein.

Themen: Klimaresilienz, Verkehr und bezahlbarer Wohnraum

Als weitere gemeinsame Aufgaben nennen die potenziellen Partner zudem den Ausbau der Kitaversorgung und die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen, die Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt sowie die Schaffung von mehr Grün- und Naherholungsflächen. Auch hier schlagen sich die Schwerpunkte von SPD, CDU und Grünen nieder. „Fundament für diese Aufgaben ist ein solider Haushalt, den die Parteien bereits für das Jahr 2025 vorlegen wollen“, heißt es zudem.

Die beiden SPD-Kreischefs Ata Delbasteh und Jana Schmöller. - Foto: gik
Die beiden SPD-Kreischefs Ata Delbasteh und Jana Schmöller. – Foto: gik

Damit muss sich die neue Koalition im Rat mit ihrer Arbeit sputen: Der neue Haushalt für 2025 muss bis Jahresende stehen, und dafür bereits im Herbst in den Gremien beraten werden. Ziel sei deshalb, mit den Verhandlungen noch während der Sommerferien zu beginnen, sagte Jonas König von den Grünen gegenüber Mainz&. „Wir wollen jetzt sehr schnell gucken, welche Arbeitsgruppen gibt es, wer sitzt da drin, und können einzelne Gruppen vielleicht schon mal mit der Arbeit beginnen“, sagte SPD-Kreischefin Jana Schmöller gegenüber Mainz&.

„Wir haben breit diskutiert, aber einstimmig beschlossen“, verriet SPD-Ko-Kreischef Ata Delbasteh im Gespräch mit Mainz&. In den seit der Wahl laufenden Sondierungsgesprächen sei es „vor allem ein Kennenlernen der derzeit handelnden Akteure“ gewesen, verriet Schmöller zudem – es ging neben Innhalten auch um das Thema Vertrauen und Verlässlichkeit. Am Ende „hat man gewusst, man kann zusammensitzen, sich in die Augen gucken und was Gutes gemeinsam für Mainz erreichen“, betonte Schmöller.

Ende der Ampel nach 15 Jahren, Verlierer: die FDP

Den Ausschlag gegeben habe am Ende aber, dass man in der Konstellation SPD-Themen voranbringen könne, wie eben bezahlbaren Wohnraum und Ganztagsbetreuung, betonten die beiden Parteichefs. „Das schaffen wir nur mit einem starken, verlässlichen Bündnis“, unterstrich Schmöller. „Wir haben einen Auftrag von den Bürgern bekommen, den wir umsetzen wollen“, betonte Delbasteh zugleich: „Unsere Aufgabe ist es, zusammenzukommen und Herausforderungen zu bewältigen – wir wollen uns zusammenreißen, es geht um Vielfalt in Einklang.“

Wahlplakate der Mainzer FDP im Kommunalwahlkampf. - Foto: gik
Wahlplakate der Mainzer FDP im Kommunalwahlkampf. – Foto: gik

Verlierer des neuen Bündnisses ist damit in jedem Fall die FDP: Nach 15 Jahren bedeutet das Aus für die Ampel in Mainz auch das Ende der Liberalen in der Stadtregierung – die FDP war bereits seit der Neuwahl der Wirtschaftsdezernentin Ende 2022 nicht mehr im Stadtvorstand vertreten. Bei dem Wunsch nach einer breiten Mehrheit spielt denn mit Sicherheit auch eine Rolle, dass in den kommenden fünf Jahren sämtliche Dezernentenposten im Stadtvorstand neu gewählt werden müssen. Stand heute werden die Dezernenten von Grünen, SPD und CDU gestellt.

Man habe über Personen bislang gar nicht gesprochen, betonten hingegen Schmöller und Delbasteh, es gelte die Devise: Erst die Inhalte, dann das Personal. Eine neue Kenia-Konstellation hätte aber in jedem Fall eine fast schon erdrückende Mehrheit im Stadtrat, dazu stellen CDU, Grüne und SPD bis auf Marienborn auch noch alle Ortsvorsteher von Mainz. Als „Erdrücken“ der Opposition wolle man das aber nicht verstanden wissen, betont man bei der SPD: „Mehr Ohr am Bürger geht ja gar nicht“, sagte Schmöller.

OB Haase mahnte Mut zu Neuem und weniger Ideologie an

Das sei „keine Absage an andere Parteien“, betonte auch Delbasteh: „Wenn wirklich gute und sinnvolle Vorschläge von anderen kommen, werden wir die gerne aufnehmen“, eine „noch breitere Zusammenarbeit“ über die Koalition hinaus sei durchaus denkbar. Das wären völlig neue Töne im Mainzer Stadtrat, der gerade in den vergangenen fünf Jahren durch starke ideologische Grabenkämpfe und nicht selten sogar die Herabsetzung des politischen Gegners erlebt hatte – meist durch Stadträte der Ampel-Fraktionen.

Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) bei seiner Amtseinführung im Stadtrat 2023. - Foto: gik
Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) bei seiner Amtseinführung im Stadtrat 2023. – Foto: gik

Erst bei der Konstituierung des neuen Stadtrats vergangenen Dienstag hatte der neue Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) die Stadträte ermahnt, weniger ideologisch und mehr pragmatisch zusammenzuarbeiten, und mehr das Wohl der Stadt als Ganzes im Blick zu haben. „Wir sind hier nicht der Bundestag, und auch nicht der Landtag, wir treffen Entscheidungen für Mainz“, mahnte Haase. Der Stadtrat könne Mainz stark voranbringen, wenn die Politik mehr auf die Bürger höre, Prozesse besser erkläre und Entscheidungen im Respekt voreinander treffe.

Haase hatte auch mehr Mut für Neues gefordert, offenbar gibt es den in den Parteien inzwischen auch: Die künftigen Partner legten am Donnerstag gleich ein ganzes Arbeitspapier vor, das die Überschrift „Verantwortlich handeln: Mainz dynamisch weiterentwickeln“ trägt. „Wir stellen die Menschen in unserer Stadt in den Mittelpunkt, gerade in den bewegten Zeiten, in denen wir leben“, heißt es darin, Betonungen werden auf Sicherheit und Weltoffenheit, auf den gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus, auf das harmonische soziale Zusammenleben, aber auch auf Wirtschaftsentwicklung, einen gut ausgebauten Katastrophenschutz und eine nachhaltige Mobilität mit allen Verkehrsträgern gelegt.

Dreht wohl künftig mit am Mainzer Rad: Die CDU mit Kreischef Thomas Gerster. - Foto: gik
Dreht wohl künftig mit am Mainzer Rad: Die CDU mit Kreischef Thomas Gerster. – Foto: gik

„Wir wollen ein Bündnis schmieden, das in einer Zeit des Wandels den Mainzerinnen und Mainzern Stabilität und Sicherheit bietet, ohne dabei in Stillstand zu verfallen“, heißt es in dem Papier, das von den Parteien verschickt wurde, und weiter: „Dafür bringen wir unterschiedliche Ideen und Kompetenzen zusammen, um gemeinsame Projekte anzupacken und stehen neuen Ideen offen gegenüber.“

Es gehe darum, „Mainz klimaneutral, mit einer dynamischen Wirtschaft und sozial gerecht weiterzuentwickeln und dabei die unterschiedlichen Bedürfnisse in den verschiedenen Teilen unserer Stadt und damit aller Mainzer*innen in den Blick zu nehmen.“ Die Umsetzung wird wohl bis in den Herbst hinein dauern.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Absage von VOLT und den Hintergründen der Sondierungsgespräche lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zu den Hintergründen der Koalitionsbildung und der Konstituierung des neuen Stadtrats lest Ihr hier.