Es war ja eine überraschende Meldung am Montag von der Staatsanwaltschaft Mainz, dass es bei den Ermittlungen zu den sexuellen Übergriffen in der Kita in Mainz-Weisenau keine erhärtenden Erkenntnisse gegeben habe. Mainz& wollte wissen: Wie kann das sein? Waren die Vorwürfe über sexuelle Übergriffe von Kindern an Kindern am Ende also nur erfunden? Nein, sagen Betreuer, Therapeuten und auch Eltern der Kita: „Diese Vorfälle hat es gegeben.“ Die Negierung der Vorfälle sei unverantwortlich, sagt der Kinderschutzbund – und eine Expertin hat uns erklärt, wie es sein kann, dass die Polizei nicht belegen kann, was dennoch geschehen sein kann.

Schlagzeilen Kita Weisenau nix passiert
Presseschlagzeilen nach der Meldung der Staatsanwaltschaft: „Nichts dran am Skandal“ – Foto: gik

„Wir haben 15 Familien beraten, die betroffen waren“, sagte Uwe Hinze, Geschäftsführer des Kinderschutzbundes Mainz&. Nach dem Bekanntwerden der monströsen Vorwürfe über sexuelle Übergriffe in der Kita in Weisenau hatte der Kinderschutzbund eine Beratung für betroffene Eltern angeboten, die rege genutzt wurde. Das Thema habe die Familien sehr belastet, sagt Hinze und betont: „Es gab Eltern, die haben konkret geschildert, dass ihre Kinder Übergriffserlebnisse hatten.“ Und gerade für diese Familien sei es „skandalös, dass jetzt in den Zeitungen steht, es war alles nichts.“

Medien: Missbrauchsskandal hat offenbar nie stattgefunden

Denn das machten die Medien daraus: „Offenbar doch kein Missbrauch unter Kindern“, schrieb SWR.de und sprach von einer „Wende im angeblichen Kita-Skandal.“ – „Doch kein Skandal in Skandal-Kita“ schrieb die Welt, und selbst die seriöse FAZ titelte: „In der angeblichen Skandal-Kita ist wohl gar nichts passiert.“ Und die Süddeutsche verstieg sich gar zu der Headline: „Mainzer Missbrauchsskandal hat offenbar nie stattgefunden.“

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„Unverantwortlich“, nennt das Hinze: Die Familien, die angegeben hatten, ihre Kinder hätten solche Erlebnisse gehabt, würden damit stigmatisiert. Das führe im besten Fall zum zornigen Aufbegehren, im schlimmsten Fall aber zum Rückzug, weil man erlebe, dass man mit einem sehr sensiblen Thema nicht ernst genommen werde. „Das stellt das persönliche Erleben in Frage, und es stellt die persönliche Belastung in Frage – und die haben die Familien gehabt“, betont Hinze: „Diese Vorfälle hat es gegeben.“

Staatsanwaltschaft: Suggestive Einflüsse von Eltern auf Kinder

Das Ganze beruhte auf einer Pressemitteilung der Mainzer Staatsanwaltschaft, nach der bei den polizeilichen Ermittlungen sich „die dem Verfahren zugrundeliegenden Vorwürfe nicht erhärtet (haben); es haben sich bislang überwiegend entlastende Erkenntnisse ergeben.“ Das aber, betonte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller Mainz& gegenüber, seien „vorläufige Erkenntnisse“ und noch keine abschließenden Ergebnisse. Die Ermittlungen seien zudem noch nicht abgeschlossen, auch das Bistum und betroffene Eltern könnten noch Aussagen vorbringen.

Kirche Mariä Himmelfahrt in Mainz-Weisenau
Was passierte wirklich in der Kita der Pfarrei Mariä Himmelfahrt in Mainz-Weisenau? – Foto: gik

Wir wollten dennoch von Keller wissen, wie sie sich die Diskrepanz zwischen den von Vielen geschilderten Vorfällen und den Ermittlungsergebnissen erklärt. „Indizien und einzelne Ermittlungsergebnisse etwa in den Gutachten deuten darauf hin, dass es suggestive Einflüsse von Eltern auf Kinder gegeben haben könnte“, sagte uns Keller. Die Sorge der Eltern um das Wohlergehen der Kinder könne eine Rolle gespielt haben, aber auch der Austausch der Eltern untereinander. Auch könne eine Unzufriedenheit mit den Strukturen in der Kindertagesstätte oder der Rolle einzelner Erzieher eine Rolle gespielt haben.

Bistum & Psychiater: Vorfälle gab es, vielfach geschildert

War also alles einfach erfunden? Beim Bistum Mainz können sie das nicht glauben: „Diese Vorwürfe wurden von
zahlreichen Eltern des betroffenen Kindergartens zu Protokoll gegeben“, heißt es im Bistum, „sie waren ernst
zu nehmen.“ Das habe man mit der Schließung der Kita getan. Auch an der Kündigung der Mitarbeiter halte man fest – zum einen, weil der Vorwurf der Verletzung der Aufsichtspflicht weiterhin bestehe, aber auch, weil die Mitarbeiter „nicht bereit waren, aktiv an der Aufklärung der Missstände mitzuwirken.“ Deshalb könne man ihnen von Seiten des Bistums keine Kinder mehr anvertrauen.

Auch der Mainzer Jugendpsychiater Michael Huss ist offenbar überrascht vom Ergebnis der Staatsanwaltschaft. Huss behandelte acht Kinder aus der Weisenauer Kita und sagte dem Südwestrundfunk, nach seinem Eindruck „waren da Vorfälle, die die Kinder emotional belastet haben.“ In seinem Interview spricht er auch das Problem an, die Vorfälle könnten übertrieben worden sein. Auch das Bistum sagte nun, es sei derzeit „fraglich, ob die Übergriffe zwischen den Kindern in allen Fällen so drastisch waren, wie von Eltern und Kindern geschildert.“

Suggestivfragen können Kinder verleiten, „Wahrheit“ zu kreieren

Kindergarten Maria Königin Mainz-Weisenau
Black Box: Die Kita in Mainz Weisenau – Foto: gik

Ja, Eltern könnten sich in solchen Fällen auch untereinander beeinflussen, sagt Kinderschutzbund-Geschäftsführer Hinze – und sie können ihre Kinder beeinflussen, etwa durch „suggestives, angstvolles, problemhaftes“ Nachfragen. „Es kann passieren, dass wenn ich als Eltern suggestiv frage, dass das Kind antwortet, was ich hören will“, sagte Hinze Mainz&: „Es kann unter solchen Bedingungen auch sein, dass ein Kind eine Wahrheit kreiert oder seine Realität anpasst.“

Fachleute fragten deshalb Kinder gerade bei solchen Missbrauchsvorwürfen nicht gezielt nach dem Vorfall. „Man hilft dem Kind eher, ins Erzählen zu kommen“, erklärt Hinze. Wir haben deshalb eine absolute Expertin auf dem Gebiet von sexuellem Missbrauch gerade unter Kindern gefragt: Ursula Enders, Leiterin der Kölner Einrichtung Zartbitter, eine Beratungseinrichtung gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen.

Expertin: Kinder sagen oft bei Polizei nichts

„Ich wundere mich nicht, dass so ein Verfahren eingestellt wird“, sagte Enders Mainz&: „Wir erleben immer wieder, dass Kinder bei der Polizei nichts aussagen.“ Hätten Kinder ihre Erlebnisse einmal ausgesprochen und seien gehört worden, „ist für sie die Welt in Ordnung und es gibt keine Veranlassung für sie, das zu wiederholen“, erklärte Enders. Dazu komme, dass Kinder in der Regel nicht wollten, dass ihre Freunde oder nahe Erwachsene bestraft würden, auch deshalb erzählten sie oft bei der Polizei nichts mehr.

Zu dem konkreten Fall, betont Enders, könne sie nichts sagen. Die Staatsanwaltschaft müsse bei solchen Verfahren aber nach strafrechtlich relevanten Hinweisen suchen. „Wenn die Gerüchteküche brodelt, ist die Entstehung einer Aussage oft nicht mehr nachzuvollziehen, damit ist es für die Staatsanwaltschaft nicht mehr relevant“, sagte Enders. Entscheidend sei deshalb, was die Therapeuten der Kinder sagten.

Und, aus unserer Sicht zumindest, was die Eltern sagen. „Wir sind ziemlich geschockt“, sagte eine Mutter, die ihr Kind in der Weisenauer Kita hatte, dieser Zeitung. Was genau passiert sei – genau darüber hätten sich die Eltern ja gerade Aufklärung durch die Ermittlungen erhofft. Nun fühlten sie sich allein gelassen und irritiert. „Es gibt Kinder, die was erlebt haben“, betonte die Mutter, „es stimmt ja nicht, dass das alles Humbug war.“

Info& auf Mainz&: Den Mainz&-Bericht über die Vorfälle in der Mainzer Kita im Juni könnt Ihr hier nachlesen, unseren Bericht über die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft hier. Die Beratungsstelle Zartbitter findet Ihr im Internet, genau hier.

 

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