Der Klimanotstand in Mainz ist vorerst nicht ausgerufen, der Mainzer Stadtrat verschob am Mittwoch die Entscheidung noch einmal. Erst soll Ende September eine umfangreiche Expertenanhörung durchgeführt werden. Eine Symbolausrufung allein reiche nicht, es brauche auch passgenaue Maßnahmen für Mainz, hieß es zur Begründung. Die Ausrufung des Klimanotstandes war von nicht weniger als fünf Fraktionen beantragt worden, am Mittag hatten Klimaaktivisten auf dem Markt die drängende Notwendigkeiten zum Handeln unterstrichen. Die Gruppe „Extinction Rebellion“ übergab dem Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) eine Petition mit 2350 Unterschriften für die Ausrufung des Klimanotstands – und hatte mit einem „Die-In“ vor dem Rathaus dafür ein Zeichen gesetzt.
Seit Anfang 2019 protestieren auch in Mainz Schüler bei den Fridays for Future-Demonstrationen für mehr Klimaschutz, die Ausrufung eines Klimanotstandes stammt aus ihren Reihen. Am Mittwoch trafen sich rund 200 Klimaaktivisten auf dem Mainzer Markt um ihre Forderung zu unterstreichen, mit Plakaten und Reden forderten sie, jetzt zu handeln. Statt „Könnte, Hätte, Wollte“ heiße es „Machen!“ forderte ein Aufkleber, das Zeugnis, das den Politikern ausgestellt wird, lautete weiter: Klimaschutz, Verantwortung, Kompetenz – Setzen 6.
Am Mittwoch übergab zudem die Mainzer Gruppe der „Extinction Rebellion“ eine Petition mit rund 2.350 Unterschriften, in der die Ausrufung des Klimanotstands gefordert wird. Seit über 30 Jahren warnten Wissenschaftler, die UN und andere Umweltorganisationen, dass ein „Weiter so“ unweigerlich in die Katastrophe führen werde, heißt es in der Petition: „Weiter so“ bedeute aber Ernteausfälle, Hungersnöte und Massenflucht, bedeute die Destabilisierung und Zerstörung unserer Gesellschaften durch Krieg und Ressourcenmangel. „Weiter so“ stelle das Leben unserer Kinder und Kindeskinder aufs Spiel – „Weiter so“ sei aber genau das, „was die Regierungen und die Wirtschaft bislang billigend in Kauf nehmen.“
„Der Klimawandel erreicht nun das Endspiel“, warnte Jari Jungmann von den Extinction Rebellions: „Wir haben 2019, und es ist kaum etwas passiert.“ Es sei höchste Zeit zu begreifen, „dass wir am Ende der Welt angelangt sind.“ Durch das Ausrufen des Klimanotstands solle die Stadt Mainz offiziell anerkennen, dass der menschengemachte Klimawandel eine akute und gegenwärtige Gefahr sei und sich verpflichten, „unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte und mit höchster Priorität sofortige und entschlossene Anstrengungen zum Klimaschutz“ zu leisten. „Die Zeit reicht nicht aus, um auf internationale oder bundesweite Entscheidungen zu warten“, betont die Petition: „Wir müssen jetzt handeln, auch hier in Mainz.“
Die Bewegung der „Extinction Rebellions“ (XR) stammt aus Großbritannien, in Deutschland seien seit Oktober 2018 bereits 80 Ortsgruppen entstanden, sagte Tobi von der Mainzer Gruppe. Die drei Kernforderungen der Gruppierung seien „Sagt die Wahrheit“, „Handelt jetzt“ und „Politik neu leben“. Die XRs forderten deshalb auch, dass eine unabhängige Bürgerversammlung die Einhaltung des Klimanotstands überwachen solle. Um die Dringlichkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, veranstalteten die Aktivisten kurz vor der Stadtratssitzung auf dem Rathausplateau ein „Die-In“ – sie legten sich vor den Eingang des Rathauses auf den Boden um ihre Warnung deutlich zu machen: „Klimakrise tötet.“
Im Stadtrat debattierte das Gremium dann kurz darauf intensiv über die Ausrufung des Klimanotstands. Gleich fünf Fraktionen hatten dazu einen Antrag gestellt, ÖDP, Grüne, Linke, Piraten und Volt forderten die Ausrufung. „Der Mensch hat einen Klimawandel mit irreversiblen Folgen verursacht“, sagte ÖDP-Chef Claudius Moseler, „der Klimawandel ist bittere Realität und auf der ganzen Welt zu spüren.“ Trotzdem sei das Thema „über Jahre und Jahrzehnte verschleppt“ worden, auch in Mainz, sagte Moseler, auch mit Blick auf den Stadtrat: „Als ÖDP-Aktiver kam ich mir immer wieder wie ein einsamer Rufer in der Wüste vor…“ Jetzt müsse endlich gehandelt werden, „packen wir es an“, forderte Moseler.
Die ÖDP machte in ihrem Antrag auch konkrete Vorschläge zur Umsetzung: So soll ein Klimaschutzbeauftragter ernannt werden, der die Maßnahmen zur Einhaltung des Klimanotstands überwacht. Neubauten sollen klimaneutral sein, ein Mobilitätsmanagement mit dem Ziel der Reduzierung des individuellen Autoverkehrs erstellt werden. Auch die Linke forderte ein Mobilitätsmanagement, dazu ein Flächenmanagement, eine umfassende Grünflächenstrategie sowie eine Notfallinfrastruktur für die Bevölkerung bei Hitzewellen und Extremwetterereignissen. Für die Kontrolle der Einhaltung würde die Linke den Klimaschutzbeirat mit zusätzlichen Kompetenzen und einer höheren Entscheidungsgewalt ausstatten.
Auch die Grünen kritisierten, Deutschland sei klimapolitisch zur „Lame Duck Europas geworden“, die Eindämmung der menschengemachten Klimakrise müsse „auch in der städtischen Politik oberste Priorität haben.“ In den Kommunen werde entschieden, „wie wir bauen, wie wir uns ernähren, welchen Müll wir produzieren“, sagte Marcel Kühle für die Grünen, deshalb müsse auch hier vor Ort gehandelt werden. Die Grünen forderten als konkrete Maßnahmen unter anderem eine Solarsatzung sowie die sofortige Freigabe kommunaler Dachflächen für die Solarnutzung, sofern geeignet. Grünanlagen schützen, Schutz vor Starkregen, Prüfung zusätzlicher Baumstandorte – die Grünen legten gleich einen ganzen Forderungskatalog vor, Ausbau von Radverkehr und ÖPNV inklusive.
Mainz solle bis 2025 vom Hauptbahnhof bis zur Altstadttangente gleich komplett autofrei werden, forderten die Piraten und die Partei Volt in einem gemeinsamen Antrag. Zudem solle geprüft werden, ob die Finanzierung des ÖPNV zu einem umlagebasierten System umgebaut werden könne, in das jeder einkommenssteuerpflichtige Bürger einzahle – die Nutzung des ÖPNV wäre dann kostenlos.
Verpflichtende Solar- und Solarthermieanlagen bei Neubauten, klimaneutrale öffentliche Gebäude, eine 90-prozentige Recyclingquote – auch Piraten und Volt präsentieren einen ganzen Handlungskatalog. „Wir befinden uns bereits jetzt in einem Ausnahmezustand“, argumentierte Maurice Conrad für die Piraten, Conrad ist auch einer der Organisatoren der Fridays for Future-Bewegung in Mainz. Der Klimawandel sei „kein einfaches Problem mehr, es ist tatsächlich ein Notstand“, unterstrich er.
„Die Freien Demokraten werden den Weg nicht mitgehen, einen Notstand auszurufen“, sagte hingegen FDP-Kreischef David Dietz. Ein Notstand sei ein rechtlich klar umrissener Zustand, der an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sei, „nicht eine der Voraussetzungen ist hier erfüllt“, sagte Dietz. Die FDP halte nichts davon, „das Feuer zu schüren“ oder „das Kind mit dem Bade auszuschütten“, man wolle „mit Augenmaß und differenziert“ diskutieren. Die AfD lehnte das Thema gleich ganz strikt ab, hier solle doch nur „ein Meinungsklima geschaffen werden, mit dem Verbote durchgesetzt werden könnten.“
Skeptisch äußerten sich indes auch CDU und SPD. „Die Symbolausrufung reicht allein nicht, sie muss auch mit Leben gefüllt werden“, sagte CDU-Umweltexperte Norbert Solbach. Der Klimawandel gehe alle an, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen wäre deshalb angemessen gewesen, rügte er. SPD, Grüne, FDP, Piraten und Volt hatten in einem ergänzenden Antrag zur Stadtratssitzung nämlich eine Expertenanhörung vorgeschlagen, um das Thema Klimanotstand besser mit Maßnahmen unterfüttern zu können. „Wir brauchen Maßnahmen, die wirksam das Klima in und um Mainz schützen, wir wollen passgenaue Maßnahmen für Mainz“, betonte Jana Schneiß für die SPD. Die Expertenanhörung soll nun in der nächsten Stadtratssitzung am 25. September stattfinden.
Info& auf Mainz&: Die ganze Petition mit ihrem genauen Wortlaut könnt Ihr hier im Internet nachlesen. Die einzelnen Anträge der Fraktionen in Sachen Klimanotstand findet Ihr im Ratsinformationssystem unter dem Datum des heutigen Stadtrats, hier geht es mit dem Link direkt dorthin. Update: Wir haben den Text inzwischen auch durch die Vorschläge der Linken ergänzt und die (zahlreichen…) Fehler herausgenommen – sorry dafür…