Das lange Warten hat sich am Ende dann doch gelohnt: „Ich hab ihn“, schallt es über die Felder am Rande von Klein-Winternheim – es war der Moment, als sich Komet C2023 A3, genannt Tsuchinshan-Atlas, endlich blicken ließ. Am Samstag fand bundesweit der Astronomietag statt, in der Sternwarte der Mainzer AAG gab es dazu Teleskope, 4,5 Milliarden Jahre alte Meteorite – und eben einen Kometen über Mainz. Und die Erkenntnis: Wolken weichen irgendwann, und wir alle sind tatsächlich aus Sternenstaub.
Tsuchinshan-ATLAS heißt der Himmelskörper, der seit dem 12. Oktober am Himmel auch über Mainz zu sehen ist – wenn, ja wenn das Wetter mitspielt. Tatsächlich waren die Himmelsgeister bisher eher ungnädig: tagelang verhüllten Wolken den Himmel über Mainz und verhinderten damit den Blick auf einen kosmischen Besucher. C2023 A3 heißt der jüngste entdeckte Komet mit offiziellem Namen, und der verrät, dass Tsuchinshan-Atlas erst im Jahr 2023 entdeckt wurde.
Das Geschoss aus Metall, Wassereis, gefrorenem Gas und Staub stammt wahrscheinlich aus der der sogenannten Oortschen Wolke, die jenseits der Umlaufbahn des Neptun liegt. Beim österreichischen „Standard“ spekuliert man deshalb, dass Tsuchinshan-ATLAS das letzte Mal vor rund 80.000 Jahren in Erdnähe unterwegs war – das wäre dann zu Zeiten der Neandertaler gewesen. Entdeckt wurde der Himmelsbote erstmals am 9. Januar 2023 von Wissenschaftlern auf Aufnahmen eines Teleskops in China, deshalb auch der Name Tsuchinshan-Atlas.
Komet Tsuchinshan-Atlas
Im Nachhinein stellte man dann fest: Der Komet war 2022 auch schon in Hawaii, in Chile und in Kalifornien vorbeigeflogen, Wissenschaftler nennen ihn einen der spannendsten Kometen derzeit – wir können gerade die erste Passage des Kometen durch das innere Sonnensystem beobachten. Am 12. Oktober erreichte C2023 A3 mit etwa 70 Millionen Kilometern die größte Annäherung an die Erde, seither ist er im Prinzip auch mit bloßem Auge am Nachthimmel zu sehen – doch in Mainz gestaltete sich das leider meist schwierig.
Der Grund: Tsuchinshan-Atlas steht direkt nach Sonnenuntergang ziemlich tief am westlichen Abendhimmel, und sinkt dann weiter in Richtung Horizont, bis er gegen 22.00 Uhr bereits schon wieder untergeht. In Mainz verdeckten in den vergangenen Tagen zudem viele Regenwolken die Sicht, am Samstag herrschte deshalb großes Rätselraten: Würde sich der Komet pünktlich zur Langen Nacht der Astronomie überhaupt blicken lassen?
„Es ist dunkel, und eine dichte Wolkendecke liegt schwer über dem Himmel. Unser Team steht beisammen, blickt nach oben, und fragt sich, ob es noch eine kleine Hoffnung gibt, dass der Wind die Wolken vertreibt. Doch es bleibt still, die Luft steht, kein Windhauch regt sich. Da kommt plötzlich eine kleine Besucherin und sagt entschlossen, sie werde einfach hexen, damit die Wolken verschwinden“, so beschreibt Hristina Heinen von der Astronomischen Arbeitsgemeinschaft Mainz (AAG) den Beginn der Astronomienacht – und genau so war es.
AAG Mainz: Astronomiekunde seit 1961, Drama um Sternwarte
1961 wurde die Astronomische Arbeitsgemeinschaft Mainz (AAG) gegründet, mehr als 50 Jahre lang leitete sie die Mainzer Sternwarte, die sich früher auf dem Turm der Anne-Frank-Schule mitten in der Mainzer Innenstadt befand. Die 1962 eröffnete Sternwarte mit ihrer markanten Kuppel war jahrzehntelang Anziehungspunkt für die Mainzer und Ausgangspunkt für zahllose Vorträge und Seminare in Sachen Himmelswissenschaften. Doch ausgerechnet im Jahr der Wissenschaft in Mainz 2011 fasste die Stadt den Beschluss, die Sternwarte still zu legen – angeblich wegen unauflösbarer Brandschutzbestimmungen und einem fehlenden zweiten Fluchtweg.
Es war das Aus für die Sternwarte in Mainz, seither sind Kuppel und Raum auf dem Turm in Mainz verwaist, ein Nachfolgeprojekt in Stadecken mit einer Sternwarte für ganz Rheinhessen scheiterte an der unkooperativen Kreisverwaltung in Ingelheim und Blockaden durch Landwirte im Rheinhessischen. Seither bleibt der Astronomischen Arbeitsgemeinschaft Mainz nur ein höchst rudimentäres Zuhause: Am Rande der Felder von Klein-Winternheim stehen die Teleskope der AAG versteckt in einem Verschlag.
Das Wort „Sternwarte“ ist für diesen Treffpunkt der Astronomiefreunde vermessen, denn die Besucher stehen auf freiem Feld, es gibt weder Räume zum Aufhalten und Aufwärmen noch Toiletten oder gar einen Turm für die Rundsicht. Trotzdem heißt der Ort „Paul-Baumann-Sternwarte“, trotzdem schaffen es die höchst engagierten Mitglieder der AAG, die widrigen Umstände vergessen zu lassen – und die Besucher in den Bann der Himmelskörper zu ziehen. Paul Baumann war einst der Gründer der AAG Mainz, nach ihm ist sogar ein Himmelskörper benannt: Der Asteroid Nummer 3.683 trägt den Namen Baumann.
4,5 Milliarden Jahre alte Meteoriten: Wir alle sind aus Sternenstaub
Mehrere Dutzend Besucher sind an diesem Samstagabend trotz bewölkten Himmels zur Sternwarte gekommen, gebannt lauschen sie den Geschichten von Dr. Sascha Wisser, der in einer Vitrine gleich mehrere Meteoritenreste präsentiert. Einen Steinmeteorit, gefunden in der algerischen Wüste, dürfen die Besucher sogar in die Hand nehmen, der kleine, dunkle und überraschend schwere Brocken aus Eisen, Nickel, und Sulfiden ist stolze 4,5 Milliarden Jahre alt. Meteorite gelten nicht umsonst als Blick in die Kinderstube unseres Universums – so, wie auch der Mainzer Meteorit, der 1852 an der Pariser Chaussee beim Pflügen auf einem Acker bei Mainz gefunden wurde.
Vor etwa 30.000 Jahren schlug der Gesteinsbrocken ganz in der Nähe des Mainzer Gautors in die Erde ein, 2017 wurden seine Reste erstmals in einer großen Ausstellung zur Astronomiegeschichte in Mainz gezeigt. Heute sind die Überreste des Meteoriten von Mainz in Museen in verschiedene Länder verstreut, und doch habe jeder von uns Sternenstaub im Körper und im Haus, erklärte Sascha Wisser: Der Wasserstoff des Urknalls, so sagen es Forscher, finde sich ebenso in unseren Körpern wie der Kohlenstoff von kleineren Sternen. Dazu kommt: Etwa 40 Tonnen komischer Staub rieseln jeden Tag aus dem Weltraum auf die Erde – und landen in unserem Hausstaub.
Der Satz „wir alle sind aus Sternenstaub“ ist also schlicht wahr, vielleicht ist das ja der Grund, warum Menschen mit so viel Sehnsucht und Neugier in den Himmel blicken. Am Samstagabend wird die Geduld am Ende doch noch belohnt: Gegen 21.30 Uhr reißen die Wolken endlich ein Stück weit auf, ein klares Stück Himmel am Horizont gibt einen – wenn auch diesigen – Blick frei. „Zwischen den Wolkenlücken taucht der Komet C/2023 A3 auf, sichtbar durch unsere Teleskope und Ferngläser“, freut sich Heinen: „Unsere kleinste Besucherin konnte doch hexen!“
Komet noch gut bis zum 25.Oktober zu sehen, Vortrag bei der AAG
Tsuchinshan-Atlas ist übrigens noch mindestens bis zum 25. Oktober 2024 am Abendhimmel zu sehen, bei klarem Himmel mit bloßem Auge, ansonsten reicht auch ein handelsübliches Fernglas aus. Danach wird der Komet langsam verblassen und wahrscheinlich ab Mitte November nicht mehr ohne Hilfsmittel zu sehen sein.
Suchen solltet Ihr genau im Westen, ein guter Anhaltspunkt ist der Abendstern Venus, der in der Nähe funkelt. Meist steht der Komet dicht über Gebäuden oder Bäumen der Umgebung, sehr hilfreich beim Finden sind auch Astronomie-Apps wie etwa „Star Walk 2“. Die spektakulären Aufnahmen in diesem Artikel wurden mit Langzeitbelichtung und guten Kameras gemacht – manche aber auch einfach mit dem Handy.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Kometen könnt Ihr am 27. Oktober 2024 erfahren, in der Aula der Anne-Frank-Schule in Mainz lädt die AAG Mainz dann zu einem spannenden Vortrag zum Thema „Kometen als Fenster in die Vergangenheit“. Thema ist dabei natürlich auch der aktuelle Komet C/2023 A3, Tsuchinshan-ATLAS. Der Vortrag findet bereits am Nachmittag von 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr statt, der Eintritt kostet 3,- Euro. Tickets sind nur vor Ort erhältlich, weitere Infos hier im Internet.