„Kultur ist systemrelevant“, sagte am Dienstagabend der Kabarettist Christoph Sieber: „An den Künsten hängt nicht nur unsere Art zu leben, sondern die Existenz von Vielen.“ Seit Ende der 1980er Jahre habe sich die Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem der dynamischsten Wirtschaftszweige weltweit entwickelt, berichtete der Kabarettist in der ZDF-Sendung „Mann Sieber!“ – doch echte Hilfen in der Coronakrise blieben für diese Branche bislang weiter aus. Bundesregierung und in Rheinland-Pfalz die Landesregierung weigern sich weiter, die Soforthilfen für die Solo-Selbstständigen so zu ändern, dass die Ein-Personen-Unternehmen auch ihren Lebensunterhalt zum Teil aus dem Hilfsprogramm zur Coronakrise bestreiten können. NRW kündigte dagegen am Montag Nachbesserungen an, die Stadt Ingelheim stockt ebenfalls Hilfen auf.

#kulturerhalten - Tobias Mann und Christoph Sieber richteten einen eindringlichen Appell in ihrer Sendung "Mann Sieber!". - Screenshot: gik
#kulturerhalten – Tobias Mann und Christoph Sieber richteten einen eindringlichen Appell in ihrer Sendung „Mann Sieber!“. – Screenshot: gik

Sieber und sein Mainzer Kollege Tobias Mann richteten am Dienstagabend in ihrer Sendung „Mann Sieber!“ einen flammenden Appell zum Abschluss ihrer Sendung: „Kultur ist nicht alles, aber ohne Kultur ist alles nichts“, sagte Mann. Der Grund: Der Bund weigert sich weiter, die Corona-Soforthilfen für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige um eine Komponente zu erweitern, mit denen die Ein-Personen-Unternehmen die Hilfen auch für den Lebensunterhalt verwenden dürfen – etwas, das jeder Geschäftsführer einer GmbH oder ein CEO eines Großunternehmens völlig selbstverständlich tun darf.

Solo-Selbstständige dürfen das hingegen nicht, der Unternehmerlohn wird bei ihnen nicht als „Liquidität“ oder „Betriebsmittelkosten“ anerkannt – die Folge: Vielen Einzelunternehmern nützt die Soforthilfe des Bundes so gut wie nichts, weil sie keine großen Betriebskosten haben – sie fühlen sich als „Unternehmer zweiter Klasse“. Das trifft in erheblichem Ausmaß auch Unternehmer in der Kultur- und Kreativwirtschaft, in Rheinland-Pfalz etwa verweisen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) diese Berufsgruppen explizit in die Corona-Grundsicherung der Arbeitsämter. Ein eigenes Unterstützungsprogramm lehnte das Land bisher ab und legte stattdessen ein Programm für Arbeitsstipendien auf – Solo-Selbstständigen wie Tontechnikern, Beleuchtern oder Eventmanagern nützt das indes gar nichts.

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Tobias Mann und Christoph Sieber mit einer Auflistung betroffener Berufe durch die Kreativwirtschaft in "Mann Sieber!".- Screenshot: gik
Tobias Mann und Christoph Sieber mit einer Auflistung betroffener Berufe durch die Kreativwirtschaft in „Mann Sieber!“ – Screenshot: gik

Dabei machten Mann und Sieber in ihrer Sendung klar, welche enorme wirtschaftliche Wertschöpfung in der Branche steckt: 2018 betrug der Anteil der Kreativwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland rund drei Prozent, das waren rund 100 Milliarden Euro – und mehr Wertschöpfung als die chemische Industrie, die Energieversorger oder die Finanzdienstleister zum BIP beisteuerten. „Das heißt wir sind auf Platz zwei“, staunte da Tobias Mann – tatsächlich trägt nur die Automobilindustrie mehr zum BIP in Deutschland bei.

Bei den Beschäftigtenzahlen, klärte Sieber auf, sehe das sogar noch beeindruckender aus: Während in der chemischen Industrie rund 340.000 Beschäftigte in Deutschland tätig sind, im Maschinenbau 1,08 Millionen und im Fahrzeugbau 1,1 Millionen, arbeiten in der Kultur- und Kreativbranche fast 1,7 Millionen Beschäftigte – viele davon übrigens als Solo-Selbstständige. Das sei doch aber „nichts für die große Masse“, zitierte Mann da ein gängiges Gegenargument, die Politik müsse doch erst die „wichtigen Bereiche“ der Wirtschaft wie Tourismus oder Automobilindustrie retten.

3000 Künstler schickten Videos für die Sendung "Mann Sieber!" ein, - Screenshot: gik
3000 Künstler schickten Videos für die Sendung „Mann Sieber!“ ein, – Screenshot: gik

Wieder falsch, rechnete Sieber vor: In der Saison 2017/2018 hätten zwar 21,4 Millionen Menschen in Deutschland ein Fußballstadion für ein Spiel der 1. bis 3. Liga besucht – aber 34 Millionen Menschen waren im Theater oder im Sinfoniekonzert und mehr als 114 Millionen besuchten ein Museum. „Man könnte fast ernsthaft den Eindruck gewinnen, dass es gewollt ist, dass Hunderttausende Künstler in Hartz IV abgleiten“, bilanzierte Sieber, und betonte: „Wir sind systemrelevant, denn an den Künsten hängt nicht nur unsere Art zu leben, sondern die Existenz von Vielen.“

In NRW hat man das offenbar erkannt: Die Landesregierung kündigte am Montag an, die Corona-Soforthilfen aus eigenen Mitteln aufzustocken und allen Kulturschaffenden einen Zuschuss zum Lebensunterhalt von 2000 Euro zu gewähren. „Die Bundesländer haben sich beim Bund nachdrücklich dafür eingesetzt, dass die von der Krise hart getroffenen Solo-Selbstständigen Teile der Soforthilfe auch zur Sicherung ihres Lebensunterhalts einsetzen können“, sagte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), der Bund sei der parteiübergreifenden Forderung der Länder „bedauerlicherweise nicht gefolgt.“ Besonders Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verweigere sich hartnäckig einer Nachbesserung, berichteten verschiedene Medien in den vergangenen Tagen – eine Begründung gibt es dafür bisher nicht.

Zehntausende Solo-Selbstständige, Künstler und Kreativschaffende der Branche sind in der Coronakrise noch immer ohne Unterstützung. - Foto: gik
Zehntausende Solo-Selbstständige, Künstler und Kreativschaffende der Branche sind in der Coronakrise noch immer ohne Unterstützung. – Foto: gik

Nordrhein-Westfalen stockt nun sein eigenes Landes-Zuschussprogramm um weitere 27 Millionen Euro auf. NRW hatte gleich zu Beginn des Shutdowns zur Eindämmung der Corona-Krise ein Landesprogramm aufgelegt, das explizit auch Ausgaben für den Lebensunterhalt vorsah – der Etat von fünf Millionen Euro war jedoch im Handumdrehen ausgeschöpft, Tausende Künstler und Solo-Selbstständige gingen leer aus. Seither hatte NRW mit dem Bund hartnäckig über Nachbesserungen verhandelt – vergeblich. Nun entschied das nördliche Nachbar-Bundesland, den Kulturschaffenden selbst unter die Arme zu greifen.

Mit dem neuen Programm habe NRW zunächst einmal eine faire Vertrauensschutzlösung entwickelt, betonte Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos): Den NRW-Antragstellern, die im März und April bei der ersten Antragstellung zum Zuge kamen, drohte nämlich die Rückzahlung der Gelder. NRW hatte nämlich kommuniziert, die Bundesgelder könnten auch für den Lebensunterhalt verwendet werden, so wie es der Bund in ersten Ankündigungen selbst verkündet hatte. Bei der Ausgestaltung des Programms fielen die Lebensunterhaltskosten aber auf einmal raus, da hatten viele Betroffene in NRW die Zuschüsse aber schon beantragt und zum Teil auch bewilligt bekommen. Sie erhalten nun einen Vertrauensschutz und müssen die Gelder nicht zurückzahlen, das Land begleicht 2.000 Euro für den Lebensunterhalt aus eigener Tasche.

Die Probleme der Kreativbranche betreffen auch Kunsthandwerker, Techniker oder Beleuchter. - Foto: gik
Die Probleme der Kreativbranche betreffen auch Kunsthandwerker, Techniker oder Beleuchter. – Foto: gik

Dazu können nun alle, die in der ersten Runde nicht zum Zuge kamen, einen Zuschuss für den Lebensunterhalt von 2.000 Euro für die Monate März und April beantragen. „Es war mir persönlich ein besonderes Anliegen, dass wir die Vielzahl an Kulturschaffenden, die bisher bei unserem MKW-Programm nicht zum Zuge gekommen sind, nicht im Stich lassen“, sagte Pfeiffer-Poensgen. Die neue Unterstützung sei zudem „eine Anerkennung der unternehmerischen Leistung und Wertschätzung dieser Berufsgruppe“, ergänzte Wirtschaftsminister Pinkwart. Voraussetzung für die Antragstellung ist, dass die Antragsteller im März und April keine Leistungen aus dem MKW-Programm, der NRW-Soforthilfe 2020 oder der Grundsicherung bezogen haben – alle Details dazu findet Ihr hier.

Und so gibt es Hilfen für Solo-Selbstständige und Künstler weiter nur dort, wo die Wertschätzung für die Leistung als Unternehmer anerkannt und die Programme entsprechend abgeändert werden. In Ingelheim beschloss der Stadtrat am Montag beschlossen, die Programme des Landes aus eigenen Mitteln aufzustocken, Solo-Selbstständige und Künstler können sich deshalb um eine Aufstockung von 2.000 bis 4.500 Euro bewerben – Voraussetzung ist allerdings, dass sie bereits einen Bescheid über Corona-Soforthilfen, Kredite oder Künstler-Stipendien bekommen haben. Damit fallen weiter die Unternehmer durchs Raster, die eben keine größeren Betriebskosten haben oder auch nicht für ein Arbeitsstipendium in Frage kommen. Wie sagte ein Kreativer der Branche neulich genervt: „Hätte ich einen Porsche geleast, würde der Staat mir den jetzt bezahlen – als Kreativschaffender bleibt mir aber jetzt nur Hart IV.“

Info& auf Mainz&: Den Beitrag „Erhaltet die Kultur“ über die Aktion #kulturerhalten von Tobias Mann und Christoph Sieber könnt Ihr Euch hier in der ZDF-Mediathek ansehen, es lohnt sich! Alle Informationen zum NRW-Landesprogramm für Corona-Soforthilfen findet Ihr hier im Netz. Mehr über die Ingelheimer Unterstützungsprogramme findet Ihr hier im Netz. Über die Situation der Solo-Selbstständigen haben wir bei Mainz& bereits diverse Artikel geschrieben, einen grundlegenden dazu findet Ihr hier, einen Artikel mit zahlreichen Appellen an die Politik lest Ihr hier.

 

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