Lange hat die Region drauf gewartet, nun stellte der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) es endlich vor: Um den Frankfurter Flughafen soll es nun tatsächlich eine Lärmobergrenze geben. Erstmals setzt eine hessische Landesregierung an, dem Flughafen eine Grenze in seiner Entwicklung aufzuzeigen – ein Paradigmenwechsel in sich. Der Haken dabei: Leiser wird es für die Region nicht werden, der Flughafen kann den Verkehr sogar noch leicht steigern. Entsprechend harsch fällt die Kritik aus – von allen Seiten. Die Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) sieht aber „mehr Licht als Schatten.“
Und so sieht das Lärmobergrenzen-Modell Al-Wazirs aus: Um den Flughafen herum wird eine Fläche rechnerisch festgelegt, in der ein maximaler Dauerschallpegel von 55 Dezibel herrschen darf. Diese Berechnung und die Fläche sind nicht neu: Schon der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens arbeitete mit solchen Dezibel-Flächeberechnungen sowie der Schallgrenze von 55 Dezibel. Der Planfeststellungsbeschluss genehmigte am Ende eine Ausdehnung von 29.994 Hektar Fläche um den Flughafen herum, und genau das will Al-Wazir nun ändern.
Fläche mit einem Dauerschallpegel von 55 Dezibel wird begrenzt
Mit der Lärmobergrenze soll die Fläche, in der ein Dauerschallpegel von 55 Dezibel herrschen darf, auf 22.193 Hektar Größe begrenzt werden. Zum Vergleich: 2015 betrug die Fläche bei Zugrundelegung des tatsächlichen Flugbetriebs 18.917 Hektar. Damit bliebe dem Flughafen nur noch ein Spielraum von rund 3.200 Hektar, den der Flugbetrieb sich ausdehnen darf. Damit soll sicher gestellt werden, dass das derzeitige Lärmniveau auf Dauer nicht wesentlich überschritten wird, argumentiert der Minister: „Wir senken damit das Lärmniveau um 1,8 Dezibel“, damit solle „einerseits Entwicklung ermöglicht, aber andererseits Lärm begrenzt“ werden.
Die Argumentation zeigt das Dilemma des Ministers auf: Einerseits hatte Al-Wazir im Wahlkampf eine Lärmobergrenze und eine Reduzierung des Fluglärms versprochen, andererseits aber sichert der Planfeststellungsbeschluss dem Flughafenbetreiber Fraport eine Entwicklung des Flughafens zu – und der Planfeststellungsbeschluss ist rechtsgültig. Al-Wazir musste also einen rechtssicheren Weg finden, trotzdem eine Lärmobergrenze zu verankern. Gefunden haben will er das nun über die Betriebsgenehmigung des Airports: „Unser Modell sieht vor, über die Betriebsgenehmigung zu gehen, falls es nötig ist“, sagte Al-Wazir.
Anreiz, Flugbewegungen leiser abzuwickeln
Jedes Jahr soll die Lärmausdehnung des Flughafens auf der Grundlage des tatsächlich stattgefundenen Fluglärms berechnet und mit der maximalen Ausdehnung verglichen werden. Wird die Lärmobergrenze überschritten, soll der Flughafen die „gelbe Karte“ gezeigt bekommen – er würde verpflichtet, Lärmreduzierungsmaßnahmen umzusetzen. Würde die Lärmobergrenze zwei Jahre hintereinander überschritten, würde die Zahl der Flugbewegungen so lange eingefroren, bis der Flughafen Maßnahmen zur Lärmreduzierung ergriffen hat. „Das bedeutet nicht, dass der Flughafen am 21. Dezember geschlossen wird“, betonte Al-Wazir, die Lärmobergrenze setze beim Lärm an, nicht bei der Zahl der Flugbewegungen. Zudem müsse der Flughafen regelmäßig, spätestens alle fünf Jahre, einen Lärmminderungsplan vorlegen.
„Die Funktion einer Lärmobergrenze ist, dass es einen Anreiz geben soll, die Flugbewegungen leiser abzuwickeln“, betonte Al-Wazir. 300.000 Menschen seien schon jetzt stark durch Fluglärm belastet, die Norah-Studie habe nun erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, dass es ein erhöhtes Krankheitsrisiko durch Lärm gebe. Damit sei Handlungsbedarf gegeben – und neue Erkenntnisse, die eine Änderung der Ausbaugenehmigung erlaubten. „Unter Vorsorgeaspekten ist ein weiterer, unbegrenzter Anstieg einer Lärmbelastung nicht zu verantworten“, sagte Al-Wazir, „wir stellen mit einer Lärmobergrenze sicher, dass das derzeitige Lärmniveau nicht dauerhaft wesentlich überschritten wird.“
Erstmals Flughafenentwicklung mit Lärmentwicklung verknüpft
Al-Wazir verwies dabei auch auf die 16 Jahre alte Mediation zum Ausbau des Frankfurter Flughafens: Damals sah der in langen Verhandlungen zwischen Region und Luftverkehrswirtschaft ausgehandelte Kompromiss zum Bau der neuen Nordwestlandebahn eine eben solche Lärmobergrenze verbindlich vor. Umgesetzt wurde sie nie, die Widerstände waren deutlich zu groß. Auch jetzt löste allein die Ankündigung einer Vorstellung der Lärmobergrenze ein Feuerwerk an Mahnungen und Kritik von Seiten der Wirtschaft aus: Der Flughafen dürfe auf keinen Fall in seiner Entwicklung begrenzt, seine Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich nicht eingeschränkt werden – das Mantra des ungebremsten Wachstums prasselte auf den Minister in voller Härte ein.
Der reagierte am Dienstag bewusst gelassen und deutlich: „Wir verankern damit ein neues Prinzip“, sagte Al-Wazir, „zum ersten Mal ist die Entwicklung des Flughafens mit der Frage verknüpft, wie viel Lärm der Flughafen macht.“ Zum ersten Mal setzt damit eine hessische Landesregierung nach Jahren des ungebremsten Ausbaus dem Flughafen eine Wachstumsgrenze – und das mit Wissen und Unterstützung der hessischen CDU. Der hessische CDU-Fraktionschef Michael Boddenberg sprach am Dienstag von einem „wichtigen Schritt in Richtung Lärmentlastung“ und mahnte, die Luftverkehrswirtschaft müsse „im Interesse der Region alles technisch Mögliche und ökonomisch Vertretbare tun, um für eine Fluglärmreduzierung zu sorgen.“
Leiser wird es aber nicht – Linke kritisiert „Placebo“
Der Haken an der Sache: Leiser wird es für die Region dadurch nicht, der Lärmpegel von heute wird de facto fest geschrieben. Der Flughafen kann sogar noch eine leichtere Steigerung umsetzen, sowohl von Flugbewegungen als auch von Fluglärm. Die hessischen Linken sprach deshalb auch von „Augenwischerei und reinem Placebo.“ Da keine Dynamisierung nach unten vorgesehen sei – also keine stetige Senkung der Lärmgrenze –, werde die technische Entwicklung künftig sogar eine Zunahme der Flugbewegungen ermöglichen, die Bevölkerung deshalb nicht profitieren, kritisierte Linksfraktionschefin Janine Wissler.
Wissler kritisierte zudem die Berechnung auf der Grundlage des Dauerschallpegels, der aber ist nun einmal im Bundesemmissionsschutzgesetz so festgelegt. „Das Gesetz sieht nun einmal den Dauerschallpegel vor“, sagte Al-Wazir, „wenn man das ändern will, muss man auf Bundesebene das Gesetz ändern.“ Das nun vorgelegte Modell errechne „eine klare, objektive Grundlage und berücksichtigt nicht subjektive Wahrnehmungen wie etwa durch einen Index.“
Al-Wazir setzt zunächst auf Verhandlungen und droht mit Betriebsänderung
Die hessische SPD kritisierte derweil, das Modell sei „weder rechtssicher noch planbar, weder für die Menschen noch für die Airlines.“ Al-Wazirs Vorschlag „zielt eindeutig darauf, Zeit zu gewinnen“, sagte SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel, denn eine freiwillige Vereinbarung könne das nicht sein. „Die Ankündigung im Falle eines Scheiterns der freiwilligen Vereinbarung die Betriebsgenehmigung zu ändern, ist eine untaugliche Drohung“, fügte er hinzu.
Tatsächlich kündigte Al-Wazir an, er werde nun erst einmal der Luftverkehrswirtschaft Verhandlungen über eine Obergrenze anbieten. „Ich meine das ausdrücklich ernst“, betonte er. Erst wenn eine gemeinsame Lösung scheitere, werde er den Weg ü+ber die Betriebsgenehmigung gehen. Das kam bei den Vertretern auf der Wirtschaft auf der Pressekonferenz auch gar nicht schlecht an: Man habe schließlich selbst eine freiwillige gemeinsame Lösung gefordert, sagte ein Vertreter des Verbandes hessischer Unternehmer, das Angebot des Ministers sei positiv.
Wirtschaft schäumt über „Tabubruch“
In der anschließenden Sitzung der Fluglärmkommission klang das offenbar aber anders: Teilnehmer berichteten nachher, die Luftverkehrswirtschaft gehe auf die Barrikaden und werfe Al-Wazir „Tabubruch“ und „Vertrauensbruch“ vor. Gleichzeitig lehnte der Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft die Lärmobergrenze „grundsätzlich“ ab und warf dem Minister vor, „der Investitionssicherheit am Standort Deutschland einen schwarzen Tag und eine düstere Zukunft zu bescheren.“ Statt „Wettbewerbsverzerrung“ und Bedrohungen werbe man „für gemeinsame Wege zu einer weiteren Reduktion des Fluglärms“, und das vor allem durch neue Technik und Erneuerung der Flugzeugflotten.
Der Sinn einer Lärmobergrenze, sagte Al-Wazir dazu auf der Pressekonferenz, sei genau dieser: „Dass sie nie erreicht wird, sondern von Anfang an einen Anreiz für die Luftverkehrswirtschaft setzt, Flugbewegungen leiser abzuwickeln und diese Grenze nie zu erreichen.“ Deutlich härter dürfte hingegen die Auseinandersetzung mit der Fraport werden: Der Flughafenbetreiber hatte bereits im Vorfeld angekündigt, gegen eine Anordnung klagen zu wollen und pochte am Dienstag erneut auf den Planfeststellungsbeschluss. Das Lärmobergrenzenmodell sei „unserer Sicht nicht akzeptabel“, eine Lärmobergrenze dürfe „die Ausbauziele nicht konterkarieren“, sagte Fraport-Chef Stefan Schulte.
Die langfristige Zahl von bis zu 701.000 Flugbewegungen pro Jahr dürfe nicht in Frage gestellt, „der höchstrichterlich bestätigte Planfeststellungsbeschluss als Grundlage für milliardenschwere Investitionen am Flughafen nicht willkürlich angetastet werden“, schimpfte auch der hessische Verband der Unternehmer in seiner offiziellen Mitteilung.
Fluglärmkommission: Wirksames Anreizsystem für Lärmminderung
„Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Landesregierung endlich den jahrelangen politischen Bekenntnissen und Versprechungen Taten“ zu einer Lärmobergrenze folgen lasse, sagte hingegen der Vorsitzende der Fluglärmkommission, der Raunheimer Bürgermeister Thomas Jühe. Durch eine Begrenzung des Lärmanstiegs erlangten nun auch die Anwohner im Flughafenumland „erstmalig Planungssicherheit – ein Privileg, welches bislang nur die Luftverkehrswirtschaft für sich in Anspruch nehmen konnte.“ Gleichzeitig werde „ein wirksames Steuerungs- und Anreizsystem etabliert, um heute bereits technisch mögliche Lärmminderung an der Quelle durch leisere Flugzeuge oder Flugverfahren auch tatsächlich in die Praxis zu überführen.“
Das Bündnis der Bürgerinitiativen mochte dagegen nicht von einem „großen Wurf“ sprechen: Ein Absenkung des Lärmniveaus sei nicht vorgesehen, eine freiwillige Einigung „blauäugig“, sagte Sprecher Thomas Scheffler. Auch seien im Mediationsergebnis damals lokale Lärmobergrenzen vorgesehen gewesen, hier werde aber nur ein einheitlicher Lärmdeckel für alle vorgesehen.
Eder: Lärmschutz bekommt eigenes Gewicht – Scharfe Kritik der SPD
Als „unzureichend und halbherzig“ wertete hingegen die rheinland-pfälzische SPD das Modell: „Es ist nicht verständlich, dass Hessen sich weigert, eine klare Obergrenze für erlaubte Flugbewegungen festzulegen“, sagte der Mainzer SPD-Abgeordnete und Neustadt-Ortsvorsteher Johannes Klomann. Die Landesregierung in Wiesbaden „mogelt sich damit um eine Antwort herum auf die zentrale Frage: Wie viele Maschinen können höchstens im Rhein-Main-Gebiet starten und landen, damit der Lärm für die Menschen noch erträglich ist?“, schimpfte er.
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) begrüßte hingegen die Lärmobergrenze als „ersten Schritt zur Begrenzung von Lärmzuwächsen.“ Rheinland-Pfalz halte im Übrigen eine bundesgesetzliche Regelung für erforderlich, die insbesondere Lärmobergrenzen einführe, die gesetzliche Nachtruhe festschreibe sowie Luftfahrtbehörden und Flugsicherungsorganisation zu einer Aufwertung des Schutzes vor Fluglärm verpflichte. Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) betonte, der Frankfurter Flughafen werde damit weltweit der erste Aiport mit rechtlich verbindlichen Lärmobergrenzen sein, das könne Signalwirkung für andere Flughäfen entfalten.
In Mainz hingegen äußerte sich Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) vorsichtig-positiv: „Ich kann verstehen, wenn Leute enttäuscht sind“, sagte sie Mainz&, das Modell werde nicht dazu führen, dass es leiser werde. „Aber es ist ein Signal in die Region hinein, dass der Lärmschutz ein eigenes Gewicht bekommt und dass nicht allein die Wirtschaftlichkeit zählt, betonte Eder. Mit einer Lärmobergrenze werde es nicht so laut werden, wie es hätte werden können und vor allem genehmigt sei. Das sei „ein Signal, dass die Luftverkehrswirtschaft nicht mehr machen kann, was sie will“, betonte Eder: „Das ist ein Richtungswechsel und ein mutiger Schritt.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Pressemitteilung des Hessischen Verkehrsministeriums samt Präsentation könnt Ihr hier im Internet nachlesen. Eine Grundlage für die Errechnung der Lärmobergrenze bildeten übrigens Fluglärmkarten des Deutschen Fluglärmdienstes, den Mainz&-Bericht dazu gibt es hier.