Man reibt sich ja schon verwundert Augen und Ohren: Plötzlich reden die regierenden Ampel-Fraktionen im Mainzer Stadtrat von einer „großen Lösung“ für das Gutenberg-Museum, plötzlich reden sie ganz selbstverständlich von 50 Millionen Euro und mehr, plötzlich steht gar die Frage nach einem neuen Standort im Raum – und womöglich eine Suche nach einer ganz neuen Lage für ein Haus, das Johannes Gutenberg und seine geniale Erfindung ins rechte Licht rückt. Es ist nur sehr wenige Wochen her, da wurde einer in Mainz für genau diese Aussagen regelrecht an den Pranger gestellt: Johannes Gerster.

Neu Töne im Mainzer Stadtrat: die Politik zieht Konsequenzen aus dem Bürgerentscheid zum Bibelturm. – Foto: gik

Der Ex-CDU-Chef forderte genau das: groß denken, eine große Lösung suchen, viel Geld in die Hand nehmen für ein echtes Weltmuseum der Druckkunst – und das von Bund und Land holen. Gerster wurde beinahe schon niedergebrüllt, seine Vorstellungen für unrealistisch erklärt, für Spinnereien eines alternden Rentners. Scheitere der Bibelturm, werde es keine große Lösung geben, betonte Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) wieder und wieder – jetzt spinnen ihre eigenen Parteifreunde Ideen von genau so einem großen Wurf, und man fragt sich: Warum erst jetzt? Warum sind alle diese Sätze nicht vorher gefallen? Warum gab es vor dem Bürgerentscheid offenbar Denkverbote?

Warum fallen erst jetzt im Mainzer Stadtrat Sätze wie: Ein solches Großprojekt darf nicht entschieden werden, ohne die Bürger umfassend einzubeziehen? Warum hat man eben nicht die Bürger gleich zu Beginn, vor zwei Jahren, einbezogen? Und warum hat man glauben machen wollen, man könne mit 5,5 Millionen Euro einen kompletten Bibelturm samt Untergeschossen und Sanierung finanzieren? „Mit 5,5 Millionen Euro kann man kein Museum sanieren“, sagt nun SPD-Stadträtin Martina Kracht, und als Bürger dieser Stadt hätte man sich solche ehrlichen Sätze erheblich früher gewünscht.

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Die Debatte zeigt: Es ist – mit Verlaub – im Vorfeld des Bürgerentscheids viel Unwahres einfach mal behauptet worden. Es ist noch mehr verschwiegen worden – und offenbar haben sehr viele Stadträte vor dem Bürgerentscheid mit ihrer Meinung sehr hinter dem Ofen gehalten. Das aber ist vom Volk gewählten Vertretern unwürdig: Stadträte sind gewählt, um das Volk zu vertreten, genau das aber haben sie in diesem Fall nicht getan. Stadträte, die eine kritische Meinung zum Bibelturm hatten, haben geschwiegen – wieso hatten sie offenbar das Gefühl, schweigen zu müssen?

Jetzt, einen Monat nach dem Bürgerentscheid, war es im Stadtrat auf einmal, als hätte jemand einen Deckel von einem Topf genommen: endlich, endlich wurde im Stadtparlament wieder diskutiert, wurden Ideen und Ansätze ausgetauscht – sachlich, nachdenklich, konstruktiv. Das Stadtparlament ist der Ort, Ideen für Mainz zu diskutieren, viel zu lange fand das so gut wie gar nicht statt. Das bleierne Abnicken im Stadtrat – es hat Mainz und seiner Debattenkultur massiv geschadet.

Frischer Wind für das Mainzer Rad – der Bürgerentscheid hat die Stadtpolitik belebt und aufgemischt. – Foto: gik

Es ist dem Bürgerentscheid und damit hoch engagierten Bürgern in der Stadt zu danken, dass nun frischer Wind durch die Stadtpolitik weht – und ein Stück Hoffnung: auf eine neue Politik, die Ideen für die Stadt entwickelt und ihre Bürger dabei ernst und mitnimmt. Auf frische Debatten im Rat der Stadt, auf den Austausch von Ideen, auf neues Zuhören und Hinhören – auf Bürger, Experten und gerne auch mal die Opposition. Denn auch die gängigen Instrumente der Bürgerbeteiligung sind doch längst zu Feigenblättern städtischer Verwaltungen geworden, und das ist kein Problem allein von Mainz: lieblose Informationsveranstaltungen nachmittags um, 16.00 Uhr, wenn kein Arbeitnehmer kommen kann, müssen dann herhalten für den Satz, die Bürger seien doch gefragt worden – und selbst Schuld, wer nicht da war.

Dieses Verhalten, diese Ignoranz dem Bürger gegenüber ist am 15. April explodiert, ebenso aber auch das Wegducken von Volksvertretern, die bloß nicht auffallen wollten mit einer abweichenden Meinung. Es wäre geradezu ein Traumergebnis, wenn der erste Bürgerentscheid von Mainz genau hier aufgerüttelt, zu einem Lerneffekt geführt hätte. Eine moderne Demokratie braucht engagierte Volksvertreter, die das Volk vertreten, braucht führende Stadtpolitiker, die Ideen und Pläne entwickeln – und einen politischen Rat, der das Ohr an den Bürgern hat und nicht an ihnen vorbei Politik macht.

Und das Gutenberg-Museum? Keine Angst, es ist wie wir prophezeit haben: die Energie aus der Debatte um den Bibelturm mündet gerade in eine Bewegung pro Erneuerung für das Museum. Und wir erinnern gerne an den Mainz&-Leser, der vor dem Bürgerentscheid meinte: „Vielleicht sollte man das Ganze lieber noch mal ganz neu denken!“ Man könne doch das Gutenberg-Museum „aus seinem (derzeitigen) Versteck herausholen und ihm einen wirklich würdigen und repräsentativen Platz in der Stadt geben“ – genau dieses Neu Denken hat gerade begonnen. Es straft all jene Lügen, die weismachen wollten, das Aus für den Bibelturm sei das Ende einer Museumserneuerung – das ist mitnichten der Fall. Da werden viele, viele Ideen geboren, viele neue Ansätze gedacht, darunter Hochprofessionelles – wir werden darüber berichten. Und wir freuen uns sehr darauf: hier passiert gerade etwas, das richtig gut werden kann für Mainz, für das politische Stadtklima – und für ein großartiges neues Weltmuseum der Druckkunst.

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