Es beginnt gleich mit einem Paukenschlag und sattem Bläsersound: „Jetzt ist sie da, hurra, endlich ist es so weit“, schallt es von der Bühne: „Vorhang auf, tufftä, und mein Narrenherz schreit: H E L A U!“ Es ist „Mainz bleibt Mainz“, und die Schnorreswackler bringen den Saal gleich in Minute fünf zum Beben – die ehrwürdige „Mutter aller Fernsehsitzungen“ kommt in diesem Jahr mit sehr viel Schwung, viel echtem Mainzer Fastnachtsfeeling und grandiosen Vorträgen daher. Die politischen Redner setzen die Highlights der Sendung: Till, Moguntia, Obermessdiener und Thomas Becker als „Mann im Mond“ sind Sternstunden der politisch-literarischen Fastnacht. Und vor einem verneigt sich der Saal besonders: Erhard Grom und seinem letzten Protokoll.

Sein letztes Protokoll: Erhard Grom brilliert noch einmal mit dem politischen Jahresrückblick zum Sitzungsauftakt. -Foto: gik
Sein letztes Protokoll: Erhard Grom brilliert noch einmal mit dem politischen Jahresrückblick zum Sitzungsauftakt. -Foto: gik

Das Protokoll gilt als die Pflichtübung am Beginn einer Fastnachtssitzung, doch was Erhard Grom in 25 Jahren daraus gemacht hat, ist weitaus mehr als das: In perfekten Reimen lässt der Altmeister vom Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) das Jahr Revue passieren, und macht das so pointenreich und unterhaltsam, dass das Publikum immer wieder tosenden Beifall spendet und gut gelaunt mitreimt – das muss man erst einmal schaffen.

In seinem letzten großen Protokoll legt Grom gleich noch einmal einen Parforceritt durch die politische Landschaft hin: Blinder Kanzler, Kremlzwerg mit Größenwahn, Medikamentennotstand und politischer Fachkräftemangel – Grom hält ihnen allen den Narrenspiegel vor, geißelt Despoten und Intoleranz und bricht am Ende noch eine riesige Lanze für Demokratie, Frieden und Freiheit in der Welt. Das ist Narrenkunst auf höchstem Niveau, und Grom zieht zum Abschluss noch einmal alle Register – Politikrap inklusive.

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Politische Narrenkunst der Extraklasse: „Moguntia“ und Mondmann

„Hier geht eine Arä zu Ende“, verneigt sich Sitzungspräsident Andreas Schmitt vor dem Großmeister: „Du hast Dich in die Annalen eingeschrieben.“ Da schwingt Wehmut mit, tritt  mit Grom doch schon wieder einer der Großen der „alten“ Garde großer Fastnachter ab in Richtung Ruhestand. Doch der Nachwuchs scharrt ja längst mit den Hufen: Mit der „Moguntia“ von Johannes Bersch besitzt die Mainzer Fastnacht einen politischen Redner, der inzwischen seine Pointen so gekonnt setzt wie weiland Jürgen Dietz, der legendäre „Bote vom Bundestag“: Süffisant, hintersinnig und jeder Satz ein Treffer – Berschs „Moguntia“ des Jahrgangs 2024 ist die vielleicht beste in seiner Karriere.

Traumhaft gute P0olitik-Nummer: Peter Gottron und Thomas Becker mit "Peterchens Mondfahrt". - Foto: gik
Traumhaft gute P0olitik-Nummer: Peter Gottron und Thomas Becker mit „Peterchens Mondfahrt“. – Foto: gik

Dabei räumte Bersch am Mittwoch in der Närrischen Generalprobe im Mainzer Schloss nicht einmal die meisten Ovationen ab – die „Moguntia“ war bereits der vierte (!) politische Vortrag des Abends. Die Zeiten, in denen sich die Mainzer Fastnacht Sorgen um ihre politische Rednerriege machen musste, sind wahrlich vorbei: So groß ist das Angebot inzwischen, dass das ZDF in diesem Jahr tatsächlich dankend auf Kabarettist Lars Reichow verzichtete – andere Redner seien einfach besser gewesen, teilte der Sender auf Nachfrage mit.

In der Tat: Thomas Becker, bisher den Fernsehzuschauern vor allem als Kokolores-Redner aus dem eher leichten Fach bekannt, setzt in diesem Jahr als „Mann im Mond“ mit Partner Peter Gottron eine wahre Sternstunde auf die Narrenbühne: „Peterchens Mondfahrt“ ist brillante Politik-Narretei, die Roten wie Gelben den Narrenspiegel in aller Deutlichkeit vorhält, und besonders klare Worte in Richtung braunes Funkeln findet. „AfD-Politiker? Die sind doch nicht alle rechts“, beruhigt der „Mann im Mond“ ein besorgtes Peterchen: „Da sind auch ganz stinknormale Faschisten dabei…“

Neuer „Till“ Florian Sitte mit KI statt Reichstagskuppel

Und als würde das alles noch nicht reichen, bietet der MCC auch noch einen brandneuen „Till“ auf: Florian Sitte, bisher Meister der Parodiekunst und bestens bekannt als „Mutti Merkel“, wechselt ins ernsthafte Politikfach und schlüpft ins Gewand einer der ältesten Symbolfiguren der Mainzer Fastnacht. Noch ziemlich nervös in der neuen Rolle, legt Sitte gleichwohl einen starken Einstand hin – mit neuem, modernem Rollenverständnis und digitaler Unterstützung. „Guude, ich bin der Neue“, ruft Sitte in den Saal, hält der Politik gezielt den Spiegel vor und vergisst auch die Moral nicht: „Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme gegen die Demokratie und für die Zerstörung Europas“, mahnt der „Till“.

Neuer "Till" des MCC: Florian Sitte mit altem Gewand, aber runderneuerter Interpretation. - Foto: gik
Neuer „Till“ des MCC: Florian Sitte mit altem Gewand, aber runderneuerter Interpretation. – Foto: gik

Auch die politische Narrenkunst wird in die Moderne gebeamt, und zugleich machen „die Jungen“ genau da weiter, wo „die Alten“ aufgehört haben: bei bissiger Politikkritik, freier Narrenrede und Volkes Stimme, gepaart mit einem guten Schuss Moral zum Schluss – die politisch-literarische Fastnacht, sie ist quicklebendig. „Da geht ein neuer Stern am politisch-literarischen Narrenhimmel auf“, konstatierte denn auch Sitzungspräsident Andreas Schmitt – das kam einem Ritterschlag gleich.

Sogar die Mainzer Hofsänger hat die Modernisierungswelle erfasst: „Let me innovate you“, singt der ehrwürdige Fastnachtschor, und legt gleich zu Beginn eine starke Backstreet-Boy-Nummer aufs Parkett. So sehr hat das politische Potpourri der Hofsänger wohl noch nie den Saal gerockt, der „Kampf“ zwischen „Alt und Jung“, Tradition und Moderne ist ein begeisternder Schlagabtausch mit vielen neuen Sängern und sehr viel frischem Pepp. Wer hier ins Bett geht, verpasst richtig was.

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Junge Musikstars rocken den Saal

Bei so viel modernem Schwung wirkt Alexander Leber mit seinem „Polizisten“ fast schon wie ein Fremdkörper: Nach dem starken Auftakt mit Schnorreswacklern und Grom, kommt Lebers höchst traditioneller Vortrag samt altbackenen Ehewitzen und einseitiger Klischees im Saal soso lala an – Beispiel gefällig? „Der OB fragt: gibt’s noch mehr solche Trottel bei der Polizei? Die anderen schaffen all‘ bei der Stadt.“ Am Ende gibt es zwar stehenden Beifall, aber der Applaus ist eher freundlich als enthusiastisch. Gleich zu Beginn der Sendung gesetzt, könnte das ein echter Abschaltfaktor für jüngere Zuschauer bei „Mainz bleibt Mainz“ sein – und das wäre schade.

Energiebündel und Schwunggaranten: "Dobbelbock" alias Matthias und Andreas Bockius, mit dem Ballett der Füsiliergarde. - Foto: gik
Energiebündel und Schwunggaranten: „Dobbelbock“ alias Matthias und Andreas Bockius, mit dem Ballett der Füsiliergarde. – Foto: gik

Denn für viel Schwung in der Sendung sorgen gerade die jungen Musikstars der Mainzer Fastnachtsszene wie die Combo „Handkäs und sei Mussigg“ mit ihrem mitreißenden „111 Prozent“, und natürlich die Brüder Andreas und Matthias Bockius alias „Dobbelbock“. Die kommen am Mittwochabend später als vorgesehen, dafür aber in der Sitzungsdynamik  goldrichtig – sollte der „Till“ tatsächlich nach den beiden Energiebündeln auftreten müssen, wie eigentlich vorgesehen, dürfte er einen deutlich schwereren Stand haben als am Mittwoch.

In der Generalprobe rocken „Dobbelbock“ im Handumdrehen den Saal und leiten geradewegs über zu Kokolores-Star Jürgen Wiesmann – und der schafft es tatsächlich, noch einen drauf zu setzen: Wiesmann legt einen Spielfreude und Frische an den Tag, dass es im Saal nur so knistert, seine Fortsetzungsgeschichte rund um „Ernst Lustig“ und seine skurrile Familie (Sören!) ist grandios erzählt und mit vielen Pointen gespickt – Stichwort Seminar-Exkursion. „Ernst Lustig“ im Stuhlkreis – da bleibt kein Auge trocken.

„Humba“, „Schorsch, is des schee“ und „Im Schatten des Doms“

Für den Kokolores in der Sendung ist ansonsten Marcus Schwalbach als „Gardist“ zuständig, und tut das routiniert und mit viel Wortwitz. Als Newcomer streut Markus Schönberg noch eine feine Piano-Nummer ein und bringt den Saal mit seinem „O Schorsch is des schee“ in selige Schunkellaune – kein schlechter Einstand des CC Weisenau-Aktiven auf der großen Fernsehrostra. Wenn das ZDF es jetzt noch schafft, dass man am Freitag im Saal auch die Musiker versteht, dann freut das auch das Publikum.

Grandios in Form: Jürgen Wiesmann in seiner Paraderolle als "Ernst Lustig". - Foto: gik
Grandios in Form: Jürgen Wiesmann in seiner Paraderolle als „Ernst Lustig“. – Foto: gik

Gegen 22.45 Uhr ist die Sendung dann auf ihrem Höhepunkt, wenn nach „Ernst Lustig“ die „Humbas“ um Frontmann Thomas Neger erst eine Hommage auf die 60 Jahre alte „Humba“ von Großvater Ernst Neger, und dann die Hymne „im Schatten des Doms“ anstimmen. Da wird der Saal zum funkelnden Nachthimmel, und das neue Bühnenbild – das sonst reichlich spartanisch daherkommt – endlich einmal zur romantischen Kulisse.

Aber Durchhängen gilt nicht: Der „Moguntia“ folgt das wunderschöne „Till-Ballett“, und darauf das Komiker-Kult-Duo Martin Heininger und Christian Schier, die mit ihrer KI-Gründung wahre Lachsalven im Saal produzieren. Da kann nur noch „Obermessdiener“ Andreas Schmitt einen draufsetzen – und Schmitt tut genau das, mit starken Tiraden gegen Kirche, Politik und braunes „Vaterland“.

Obermessdiener mit starken Plädoyer für Demokratie und Freiheit

„Wenn Euch dieser Staat nicht gefällt, dann wandert doch aus!“, ruft der „Obermessdiener“ Björn Höcke, Alice Weigel und Konsorten zu: „Sucht Euch in Russland ein neues Zuhaus!“ Dort und im Iran könnten die Damen und Herren dann selbst erleben, was Demokratie und Freiheit Wert sind, wenn man sie nicht mehr hat. Und endet, wie könnte es anders sein, mit einem starken Schlussplädoyer pro Demokratie, Freiheit und Narrenwort:

Starker Einsatz für Demokratie und Freiheit: "Obermessdiener" Andreas Schmitt. - Foto: gik
Starker Einsatz für Demokratie und Freiheit: „Obermessdiener“ Andreas Schmitt. – Foto: gik

„In Mainz, der goldnen Stadt, unumwunden, haben alle stets zusammengefunden. Die Mainzer Republik, das ist jedem bekannt, war die erste Demokratie auf deutschem Land. Seid stolz darauf, so lautet der Satz: Für Nazifratzen ist hier kein Platz! Steht für Freiheit und Demokratie, heut und immerdar – standfest wie der Dom, Helaulujah!“

Der Saal dankt es mit tosenden Ovationen, die Fastnacht aber, sie setzt wieder einmal ein starkes Statement gegen Faschismus, rechtsextreme Deportationsträume und alle Versuche, die Demokratie zu untergraben. Ungewöhnlich ist das nicht: „Fastnacht, das ist Rebellion, seit 1838“, sagen die Hofsänger – die Fastnacht war von jeher nicht nur die große Trösterin, sondern auch eben das: der Ort der Narrenfreiheit und des freien Wortes.

„Die Botschaft“, sagte Schmitt am Ende noch, „ist angekommen: Frieden, Freiheit, Völkerfreundschaft und multikulturelles Zusammenleben – das ist der Zauber der goldenen Stadt am Rhein, und das lassen wir uns von niemandem mehr nehmen.“ Der Rest ist „Sassa“ und „Olé Fiesta“ – und das alle vereinende „Meenz bleibt Meenz.“

Info& auf Mainz&: Die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird am Fastnachtsfreitag, dem 8. Februar, ab 20.15 Uhr live aus Mainz im ZDF gesendet. Mehr zum Thema Lars Reichow und zum Thema „Profis in der Fastnacht“ lest Ihr hier auf Mainz& – Und zum Thema „Frauen in der Fastnacht“ werden wir auch noch berichten – wenn diese Sendung einen großen Fehler hat, dann diesen: Es steht keine einzige Frau als Rednerin oder Sängerin auf der Bühne. Mehr zur Meenzer Fastnacht und mehr zu den Vereinen in Mainz und ihren Sitzungen, findet Ihr hier in unserem großen Mainz&-Fastnachtsressort.

Und hier die Aktiven von Mainz bleibt Mainz 2024 in der Reihenfolge ihres Auftritts am Mittwoch in der Närrischen Generalprobe und wahrscheinlich auch am Freitag: