ACHTUNG: KORREKTUR! Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat gestern eine Falschnachricht an uns weiter gegeben. Demnach liegen dem Amt nun doch keine Hinweise darauf vor, dass die Probleme mit Cell Broadcasting am gestrigen Donnerstag ihre Ursache im Netz der deutschen Telekom haben. Genau das aber hatte das BBK am Donnerstag auf Mainz&-Anfrage mitgeteilt – nun ruderte die Behörde zurück.
Beim bundesweiten Warntag am Donnerstag hatte das neue System Cell Broadcasting nicht wie erwartet funktioniert: Rund die Hälfte der Handys wurde von der neue Warnnachricht, die direkt auf die Handys gespielt werden sollte, eben nicht erreicht – eine peinliche Panne, sollte doch gerade das Cell Broadcasting Warnlücken schließen. Besonders Nutzer im Netz der Deutschen Telekom berichteten, bei ihnen sie die Nachricht nicht angekommen – auf direkt daneben liegenden Handys in anderen Netzen aber sehr wohl.
Das BBK teilte daraufhin am Donnerstag um kurz nach 17.00 Uhr auf Mainz&-Anfrage mit: „Zu Ihren Fragen nach möglichen Problemen mit Apple-Geräten oder dem Netz der Telekom liegen uns derzeit Erkenntnisse vor, die das generell bestätigen würden.“ Damit bestätigte das BBK unsere Recherchen – scheinbar.
Am Freitagvormittag aber meldete sich das BBK erneut – und korrigierte seine Angaben von gestern Abend: Es gebe nun doch KEINE Hinweise darauf, die auf generelle Probleme von Apple-Geräten oder mit dem Netz der Deutschen Telekom mit dem Cell Broadcasting hindeuten würden, hieß es nun auf einmal: In dem Satz habe das Wort „keine“ gefehlt. Das ist mithin genau das Gegenteil dessen, was das BBK gestern mitteilte. Damit brauchte das BBK nicht nur rund 16 Stunden, um seine eigene Falschmeldung zu korrigieren – die Bundesbehörde kann auch weiter nicht erklären, wieso das Cell Broadcasting bei einer solch großen Zahl von Handys nicht funktionierte.
Der ursprüngliche Artikel
Am Donnerstag sollte erstmals das neue Warnsystem „Cell Broadcast“ eine Warnmeldung bundesweit auf alle Smartphones und Handys ausspielen – doch daraus wurde nichts: Geschätzt 50 Prozent aller Smartphones und Handy wurden von den Cell Broadcasting-Messages nicht erreicht. Dabei wurde die neue Technik eigens dafür eingeführt, um genau diesem Umstand abzuhelfen.
Am Donnerstag sollten pünktlich um 11.00 Uhr die Warnsysteme in Deutschland auf ihre Tauglichkeit und Funktionsfähigkeit überprüft werden – es war der zweite bundesweite Warntag nach 2020. Schon vor zwei Jahren hatte der Warntag in einem Desaster geendet: Sirenen heulten nicht, Warnapps schlugen keinen Alarm – die Warnkette erweis sich als wenig funktionsfähig. Ein Jahr später, im Juli 2021 suchte die mit der Flut in NRW und vor allem im Ahrtal in Rheinland-Pfalz die schlimmste Naturkatastrophe seit dem Zweiten Welkrieg den Westen der Republik heim.
Eine der schockierendsten Erkenntnisse nach der bis zu zehn Meter hohen Flutwelle im Ahrtal, die mindestens 134 Menschen das leben kostete: Gewarnt worden waren die meisten eben nicht – nicht vor den steigenden Wassermaßen am Nachmittag des 14. Juli, nicht vor der Flutwelle, die sich das Tal herunterwälzte – und auch nicht vor den verheerenden Fluten, die erst um 2.00 Uhr morgens die Ahrmündung bei Sinzig erreichten.
Sirenen: gut, Medien: verspätet, Katwarn: unzuverlässig
Im Jahr 2022 sollte es nun anders laufen: Eine Warnkette wolle man erproben, teilten das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) und auch das Mainzer Innenministerium mit. Ziel sei, dass jeder Bürger über mindestens ein Warnmedium erreicht werden könnte, betonte Innenminister Michael Ebling (SPD). Dafür wurde alles eingesetzt, was es gab: Sirenen, Radiomeldungen, Fernsehmeldungen, Warnmeldungen über Handy-Warnapps und sogar Meldungen auf digitalen Anzeigetafeln oder Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr.
Ein Jahr nach der Ahrflut konnte man dabei feststellen: Vieles funktionierte besser als zwei Jahre zuvor. Im Gegensatz zu 2020 etwa heulten die Sirenen im Mainzer Stadtgebiet pünktlich los, auch die Warnapp Nina, die von der Stadt Mainz genutzt wird, wurde pünktlich angesteuert und spuckte dann Warnmeldungen auf dem Handy aus.
Doch beim Rest hakte es erneut: Die zweite Warnapp Katwarn warnte nicht nur mit 15 – 30 Minuten Verspätung, sondern auch zu völlig unterschiedlichen Zeiten: Manche Nutzer, die zwei Handys besitzen, notierten Warnmeldungen um 11.09 Uhr und 11.14 Uhr – auf zwei Handys derselben Marke, die genau nebeneinander im selben Raum lagen. Bei anderen Nutzern meldete sich Katwarn erst um 11.23 Uhr, andernorts gar erst um 11.27 Uhr – im Ernstfall können diese Spannen den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.
Cell Broadcast: Nur geschätzte 50 Prozent der Handys erreicht
Auch Radiosender wie SWR3 verbreiteten die offizielle Warnmeldung mit rund 20 Minuten Verspätung – sie hatte die Radioredaktion schlicht nicht früher erreicht. Vor allem aber die Verbreitung der neuen Cell Broadcast-Meldungen ging gehörig schief – ausgerechnet des Systems, das die Lücken im Verbreitungsnetz nun endlich schließen sollte: Auf geschätzt 50 Prozent der Handys wurde die behördliche Warn-Nachricht mit dem durchdringenden Sirenenton nicht ausgespielt.
Während die Handybesitzer sich noch über ihre stummen Geräte wunderten, verbreitete das BBK jedoch schon Pressemeldungen, wie erfolgreich der Warntag doch verlaufen sei: „Nach vorläufigen Erkenntnissen war der bundesweite Warntag 2022 ein Erfolg“, freute sich BBK-Präsident Ralph Tiesler bereits am Mittag. Das Zusammenspiel der einzelnen Systeme habe funktioniert, betonte Tiesler: „Die Probewarnung hat gezeigt, dass unsere technische Infrastruktur robust ist, und die technischen Probleme der Vergangenheit behoben sind.“
Zu den technischen Problemen mit der Warnapp Katwarn, den verspäteten Radiomeldungen sowie zur Frage, warum so viele Handys eben gerade von der Cell Broadcast-Nachricht nicht erreicht wurden, äußerte sich Tiesler indes nicht. Dabei häuften sich ab dem Mittag immer neue Meldungen von Nutzern in den sozialen Netzwerken, nach denen der Ausfall vor allem auf ein Problem hindeuteten: den Netzbetreiber Deutsche Telekom.
BBK ahnungslos: Probleme mit Apple-Geräten und Deutscher Telekom
Auch bei der Deutschen Telekom zeigte man sich zunächst ahnungslos: Von Problemen im Netz der Deutschen Telekom wisse man nichts, hieß es noch am späten Nachmittag bei der Pressestelle in Bonn. „Uns haben aber den ganzen Tag über sehr viele Meldungen erreicht, wo es gut geklappt hat“, sagte ein Sprecher auf Mainz&-Anfrage. Probleme mit dem Telekom-Netz wollte man nicht bestätigen.
Auch beim BBK ist man weiter ahnungslos: „Wir werten den bundesweiten Warntag sukzessive, basierend auf den Rückmeldungen der am Warntag beteiligten Partner (Länder und Kommunen, Mobilfunknetzbetreiber, etc.) sowie im Rahmen der Umfrage zum Warntag und einer wissenschaftlichen Begleitstudie aus und informieren die Öffentlichkeit, sobald uns belastbare Informationen vorliegen“, hieß es auf Mainz&-Anfrage. Überhaupt sei es ja gerade der Sinn des Warntages, „die Abläufe im Fall einer Warnung auf Basis der technischen Warninfrastruktur in Deutschland“ und mit den beteiligten Akteuren durchzuspielen.
Dabei werde die Funktionstüchtigkeit der Systeme ebenso überprüft wie die der Schnittstellen zwischen den Systemen, so könnten auftretende Probleme identifiziert und im Nachgang behoben werden. „Zweck der Probe ist dementsprechend ausdrücklich, Schwachstellen im Warnsystem zu finden, um diese im Nachgang zu beseitigen und das System für den Ernstfall stabiler und effektiver zu machen“, betont man beim BBK.
Warntag zeigte zahlreiche Schwachstellen im System auf
Die AfD im Mainzer Landtag kritisierte hingegen, der Warntag habe erneut „umfangreiche Mängel“ aufgezeigt, vielerorts sei verspätet oder gar nicht gewarnt worden – gerade beim Cell Broadcasting. „Es muss oberstes Ziel sein, die Warnmittel weiter zu perfektionieren und auszubauen, um einen funktionierend Warnmittelmix zu gewährleisten“, forderte Fraktionsvize Jan Bollinger. Die AfD reichte am Donnerstag eine Kleine Anfrage im Landtag zu den „Problemfeldern“ ein.
Die Warnmittel seien auch in Rheinland-Pfalz „erfolgreich erprobt worden“, sagte hingegen Innenminister Michael Ebling (SPD): „Nach einem ersten Zwischenstand hat Cell Broadcast grundsätzlich gut funktioniert, sofern die Smartphone-Einstellungen korrekt waren.“ Allerdings hatten die Einstellungen auf den Smartphones mit der Frage, ob die CB-Nachricht ausgespielt wurde oder nicht, überhaupt nichts zu tun: Die Nachricht wurde vom BBK in der höchsten Stufe, und damit unabhängig von Smartphone-Einstellungen ausgespielt – und erreichten auch Handys, wo manche Felder deaktiviert waren.
Grüne: Mängel bei Cell Broadcast abstellen, eine Warnapp für alle
Die Grünen im Mainzer Landtag sprachen von „wichtigen Erkenntnissen“ des Warntags und forderten Verbesserungen: Cell Broadcasting sei „eine relevante Verbesserung bei den direkten Warnungen an die Bevölkerung“, betonte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Carl-Bernhard von Heusinger, Mängel wie nicht erfolgte Warnungen auf älteren Handys oder Abhängigkeit von Einstellungen müssten aber nun abgestellt werden.
„Auch bei den verschiedenen existierenden Warn-Apps gibt es Anpassungsbedarf“, kritisierte von Heusinger: Die Apps verfügten über unterschiedliche technische Standards, so brauche ein Bürger alle Apps, um keine Warnung zu verpassen. „Es ist für uns deshalb ein wichtiges Ziel, eine einzelne App zur Warnung der Bevölkerung zu schaffen, die die Funktionen der aktuell parallel operierenden Apps vereint, und verpflichtend auf jedem Smartphone installiert sein muss“, forderte der Grünen-Politiker. Tatsächlich können sich bisher noch Kommunen aussuchen, ob sie Katwarn oder Nina benutzen – in Mainz etwa wird nur Nina verwendet, anderswo nur Katwarn.
„Um wirklich möglichst alle Menschen zu erreichen müssen wir den Warnmittelmix stärken.“, forderte zudem die Grünen-Landtagsabgeordnete Lea Heidbreder, Vorsitzende der Enquete-Kommission „Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge“ im Mainzer Landtag: „Wir brauchen Sirenen, gegebenenfalls auch ergänzt durch Lautsprecheransagen. Wir brauchen aber auch ein gut funktionierendes Cell Broadcasting, eine einheitliche Warn-App mit eindeutigen Botschaften und Handlungsanweisungen sowie rasche und klare Warnungen über den Rundfunk.“
Dieser Warnmittelmix müsse zudem auch fremdsprachige Menschen sowie Menschen mit Einschränkungen wie etwa einer Seh- oder Hörschwäche zuverlässig erreichen und von ihnen verstanden werden, betonte Heidbreder weiter. Auch müssten die Menschen besser geschult werden, um Sirenensignale auch richtig einordnen könnten. „Hier ist noch viel Arbeit zu leisten und eine Vereinheitlichung notwendig“, fügte sie hinzu.
Info& auf Mainz&: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat zum Warntag 2022 eine Umfrage gestartet, in der ausführlich die Erfahrungen mit den einzelnen Warnmitteln abgefragt werden – die Umfrage wird von renommierten Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen im Auftrag des BBK durchgeführt und läuft noch bis zum 15. Dezember 2022. Die Umfrage findet Ihr hier im Internet – macht mit! Mehr dazu wie der Warntag 2022 lief, lest Ihr zudem hier bei Mainz&.