In zwei Tagen wählen die USA einen neuen Präsidenten, und wohl noch nie hat die westliche Welt derart gebannt auf den Ausgang geblickt. Ein Wunder ist das nicht: Wir erleben die erste große post-faktische Wahlkampfschlacht, in der Lügen und Fakenews mehr zählen, als Fakten und Wahrheit, in der ein orangener, verbal Amok-laufender Horror-Clown gegen eine seriöse, empathische und hoch qualifizierte Frau kämpft – und auch noch Chancen hat zu gewinnen. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zukunft der Demokratie, denn Experten sind sich einig: Trump ist ein lupenreiner Faschist – und sein Sieg könnte die USA in den Autoritarismus führen. Auch für Deutschland wäre das keine gute Nachricht. Mainz& politisch, die Politik-Kolumne, mit einer Analyse zur US-Wahl.
Es gibt ja eine gewisse Form von Gleichgültigkeit in Deutschland, ein Abwiegeln und Wegducken, das insbesondere unter deutschen Wirtschaftsvertretern verbreitet ist: Naja, wenn Trump die US-Wahl gewinne, so schlimm werde das schon nicht werden, sagte erst kürzlich ein hochrangiger Wirtschaftsvertreter sinngemäß im Gespräch mit mir – meinen ungläubigen Blick konnte er sichtlich nicht deuten. Ist es Ignoranz gegenüber dem US-Wahlkampf, die verzweifelte Hoffnung, dass es so schlimm wirklich nicht werde – oder vielleicht sogar heimliches Sympathieren mit dem Polterer Trump?
Wenn kommenden Dienstag die USA endgültig an die Wahlurnen schreiten, ist es der Showdown einer Entwicklung, die derzeit sämtliche westliche Demokratien bedroht: Tiefe Spaltung, gefolgt von Grabenkämpfen, ein Aushöhlen von gemeinsamen Werten und Inhalten, der schier unaufhaltsame Vormarsch von Fakenews und Desinformationen, schließlich offene Lügen, Diffamierungen und Herabwürdigungen des politischen Gegners bis hin zu Androhung von Gewalt, Verfolgung, Deportation.
Donald Trump: Der Nero der US-Demokratie?
Es ist die orchestrierte und systematische Unterwanderung westlicher Demokratie und ihrer liberalen und offenen Gesellschaften, die wir gerade erleben. Die Diffamierung seriöser Medien, das Fluten der Informationsgesellschaft mit Lügen, bis Lüge und Wahrheit ununterscheidbar ineinander rinnen, verfolgt den perfiden Plan, alles zu unterminieren, was einmal als Fakten und Wahrheit galt. Garniert mit Angst-schürenden Fakenews vor dem Bösen, dem Absturz, der allgemeinen Bedrohung für den eigenen Wohlstand oder gar das Leben, lautet das Ziel: Erschütterung, Einschüchterung, Bedrohung – bis auch das letzte Fünkchen Sicherheit erstirbt, und man sich verzweifelt an den einen, den wahren Messias, den Retter, den Erlöser klammert.
So funktioniert Populismus der übelsten Sorte, es ist ein Rezept, das längst auch in Europa und in Deutschland angekommen ist – Rechtsaußen-Parteien, Autokraten wie der Ungar Viktor Orban und natürlich vor allem Diktatoren wie Wladimir Putin spielen diese Klaviatur ausführlich. Und zunehmend erfolgreich. Doch niemand beherrscht diese Agenda der Autokratie so meisterhaft wie Donald Trump. Der US-Präsidentschaftskandidat lügt, schimpft, beleidigt, raunt und irrlichtert durch seine Wahlkampfauftritte, dass man sich fassungslos fragt, wie irgendjemand diesen Halloween-Kürbis überhaupt Ernst nehmen kann.
Doch glaubt man den aktuellen Umfragen und Berichten in deutschen Medien, dann hat dieser Horror-Clown gute Chancen, noch einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Aber ist das wirklich so? Was wird am 5. November den Ausschlag geben – und wann wissen wir überhaupt, wer zum neuen Präsidenten gewählt worden ist – und was passiert dann? Bürgerkrieg? Chaos? Eine monatelange Hängepartei? Mainz& hat mit Spezialisten gesprochen und US-Medien zugehört, Experten wie dem ZDF-Korrespondenten Elmar Theveßen und Medien wie CNN, New York Times und vielen anderen. Hier ist unsere Einschätzung zur wichtigsten Wahl für die Demokratie bisher.
Das Momentum: Euphoriewellen, Attentate und Kampfeswillen
Als sich Ende August nach langem, quälenden Ringen, US-Präsident Joe Biden endlich zum Verzicht auf eine zweite Kandidatur durchrang, und diese an seine Vize Kamala Harris übergab, raste eine wahre Euphoriewelle durch die USA. Mit strahlendem Lachen und einer Botschaft von Hoffnung, Chancen und Zukunft fegte Kamala Harris Bedenken und Befürchtungen, Ängste und Depression vom Tisch, redete mit viel Angriffslust Klartext über Amerika und verbreitete zupackende Aufbruchstimmung – „America – HOPE is making a comeback!“, rief niemand Geringeres als Ex-Präsidentschaftsgattin Michelle Obama ihrer Partei zu.
Da war die Euphoriewelle gerade auf ihrem Höhepunkt, auf dem Parteitag der Demokratischen Partei nämlich – es wurde ein berauschendes Fest von Hoffnung und Siegeswillen. Gleich reihenweise warfen sich hochkarätige US-Frauen für Kamala in die Bresche: Gouverneurinnen und Politikerinnen wie Gretchen Whitmer oder Elizabeth Warren, Linke wie Alexandria Ocasio-Cortez, Legenden wie Nancy Pelosi – und schließlich noch Star-Moderatorin Oprah Winfrey, eine der einflussreichsten Frauen der USA überhaupt.
Knapp acht Wochen danach ist die Euphorie einer verbissenen Kampfesstimmung gewichen. Das Momentum liegt plötzlich wieder bei Donald Trump – und niemand kann so recht sagen, warum. Der Attentatsversuch auf den Ex-Präsidenten war es jedenfalls nicht, er spielt in der Wahrnehmung – außer bei Trump selbst – kaum noch eine Rolle. In nationalen Umfragen liegt noch immer Kamala Harris vor Donald Trump – doch der Vorsprung ist auf einen hauchdünnen Prozentpunkt geschrumpft. Ohnehin sind die „National Polls“ in den USA nicht wirklich aussagekräftig für den Wahlausgang, wird doch der Kandidat nicht direkt gewählt, sondern via Wahlmänner und Wahlfrauen – und da heißt es: The Winner takes it all. Wer im Staat die Mehrheit hat, kriegt alle Wahlmänner-Stimmen.
Showdown in sieben Swing States
Und so kommt es zu der kuriosen Lage, dass am kommenden Dienstag alle Augen auf nur noch sieben der 50 Bundesstaaten gerichtet sind, als müsste der Rest der USA gar nicht mehr zur Wahlurne gehen: Der Großteil der Wahlen sei längst entschieden, lediglich in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, in Georgia und North Carolina sowie in Nevada und Arizona kann es noch so oder so ausgehen. Nicht immer stimmt diese Rechnung übrigens: Bei der Wiederwahl von Barack Obama 2012 gehörten noch Colorado, Ohio, Virginia und das heutige Trump-Country Florida zu den Wechselstaaten – und Obama gewann sie alle.
Tatsache ist auch: Die Entscheidungen fielen zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen in den USA mit ausgesprochen dünnen Vorsprüngen, so gewann Joe Biden den Swing State Georgia im Jahr 2020 mit ganzen 12.000 Stimmen Vorsprung – und in Wisconsin gaben ganze 20.000 Stimmen den Ausschlag für den Demokraten. Es waren übrigens Briefwahlunterlagen, die das Ergebnis in Wisconsin zugunsten Bidens kippen ließen, in der Wahlnacht hatte der Demokrat in dem Swing State noch hinter Trump gelegen.
Ist das ungerecht? Da gehen rund 260 Millionen Menschen zur Wahl – aber dann entscheiden wenige Zehntausend das Schicksal des Landes? Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die USA nicht nur zutiefst inhaltlich gespalten sind – sie sind es auch entlang geographischer Grenzen. Die Amerikaner ziehen gerne und viel um, ein Wechsel von der Ostküste an die Westküste, von Nord nach Süd oder umgekehrt, ist überhaupt kein Ding – man zieht dorthin, wo man sich wohler fühlt, das Klima besser ist, der Job lockt oder Friends and Family wohnen.
Liberale Rechte hier, Verbot von Abtreibung und „Wokeness“ dort
Und so hat sich das riesige Land der USA in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend „sortiert“: Liberal und modern denkenden Menschen zogen eher an die Westküste oder in den Nordwesten, Konservative beherrschten ohnehin meist schon den Süden – jetzt dominieren sie auch frühere Swing States wie Florida. Vor allem, seitdem dort der ultra-rechte Ron de Santis – ein Trump-Jünger – die Zügel in der Hand hält, liberale Bücher verbietet, das Abtreibungsrecht kippte, die Erwähnung von Gender-Themen in Kitas und Grundschulen verbat, die Geschichte der Sklaverei relativierte und das Wort „Klimawandel“ aus Gesetzen strich, flüchten liberale Menschen in Scharen aus dem Staat.
De Santis gibt denn auch einen klaren Vorgeschmack darauf, wie eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump aussehen könnte: die Rechte von Minderheiten und Frauen dürften drastisch eingeschränkt werden, politische Feinde werden sich klarer Verfolgung gegenüber sehen, Waffenfanatiker gestärkt und vor allem ultrarechte, ja faschistische Themen weitreichend zum Zuge kommen. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube in Deutschland, dass eine zweite Amtszeit Trumps nur eine Fortsetzung seiner ersten Amtszeit mit ein bisschen verschärftem Ton wäre – die Realität sieht weitaus dramatischer aus.
Bereits im Sommer 2023 wurde ein Geheimplan bekannt, ein Strategiepapier, erstellt von der ultrarechten Heritage Foundation – Trump selbst hat es seine „Geheimwaffe“ genannt. Das Papier sieht nichts weniger als einen radikalen Umbau des US-Staates zu einem autoritären Machtapparat vor, Fahrplan für die ersten 180 Tage nach der Amtsübernahme inklusive. Das Konzept, sagt ZDF-Amerika-Korrespondent Elmar Theveßen, sei genau auf Trump zugeschnitten und sehe einen klaren Fahrplan hin zu einer erzkonservativen und ultrareligiösen Politik vor.
Project 2025 und Donald Trump: „Faschismus durch und durch“
Laut „Project 2025“ soll der US-Kongress soll geschwächt, die Unabhängigkeit des Justizministeriums ausgehöhlt, Zehntausende Regierungsbeamte durch eine ultrakonservative Gefolgschaft ersetzt und ganze Behörden aufgelöst werden. Das Militär soll im Inneren gegen „Feinde“ eingesetzt, Migranten massenhaft deportiert werden – laut Theveßen ist das ein Fahrplan zur totale Machtübernahme. Offiziell hat sich Trump zwar von dem Papier distanziert, glaubwürdig ist das nicht: Er selbst hat angekündigt, er werde „Dictator for a day“ sein und die größte Massen-Deportation von Migranten ohne Papiere in der US-Geschichte anordnen – genau die Inhalte, die in „Project 2025“ stehen.
Hunderte der Vorschläge in dem dicken Strategieplan passten exakt zu Trumps eigener Politik aus Amtszeit eins, noch mehr zu seinen Vorschlägen im Wahlkampf, analysierte der Fernsehsender CBS – oft versteckt hinter wirren Tiraden, wüsten Beschimpfungen und abschweifenden Wiederholungen. Doch in seinen scheinbar wirren Reden versteckt Trump Inhalte, die den genauen Zuhörer schaudern lassen: zutiefst menschenverachtende Aussagen, rassistische Tiraden, und Aussagen über Rasse und „vergiftetes Blut“, ja sogar über Internierungslager die eins zu eins einem anderen Lehrbuch entsprungen zu sein scheinen: dem der deutschen Nationalsozialisten.
„Trump ist ein Faschist“, sagt denn auch ZDF-Mann Theveßen, er sagte es zuletzt mit voller Überzeugung in einer bemerkenswerten Folge der Talkshow von Markus Lanz, in der ZDF-Korrespondenten von rund um den Erdball die Folgen einer neuen Trump-Präsidentschaft bewerteten. Und Theveßen, einer der besten Beobachter und Analytiker der US-Landschaft, machte überdeutlich klar: Mit einer neuen Amtszeit von Donald Trump wäre die Demokratie in den USA massiv in Gefahr – und womöglich sogar am Ende.
„Zölle sind mein Lieblingswort“: Der Mann, der für Hitler schwärmt
Das hätte auch erhebliche Folgen für die Wirtschaft in Europa und gerade in Deutschland: Die USA sind derzeit Deutschlands wichtigster Exportpartner, der Wegbruch dieses Außenhandelsvolumens würde – gleich nach dem Einbruch in China – die deutsche Wirtschaft massiv ins Wanken bringen. Und einen Einbruch würde es geben, das ist so sicher, wie das Orange in Donalds Trump Gesicht: „America first“ würde zu massiven Zöllen und Einfuhrbeschränkungen, zu Handelsschranken und massiv steigenden Preisen in den USA führen – „Zölle sind mein Lieblingswort“, flötet Donald Trump derzeit allerorten. Er wird Ernst machen, von Tag eins an.
Denn dieses Mal wird es keine moderaten Republikaner wie einen Dick Cheney oder andere mehr geben, die einen Donald Trump einhegen, seine radikalen Ansichten abschwächen werden – im Gegenteil. Sein Vize J.D. Vance ist ein fast noch schlimmerer Scharfmacher als Trump, seine Getreuen sind Ultra-Nationalisten, Rechtsextremisten, Evangelikale der schlimmsten Sorte. Mindestens ein Dutzend früherer Trump-Mitarbeiter aus seiner ersten Amtszeit warnen inzwischen eindringlich vor einer zweiten Amtszeit – darunter White House-Mitarbeiter, Pressesprecher sowie Trumps damaliger Vize Mike Pence.
Gerade erst hat Trumps ehemaliger Stabschef John Kelly in einem Interview mit der New York Times berichtet, Trump habe sich mehrfach lobend über Adolf Hitler geäußert und bevorzuge „sicherlich den diktatorischen Ansatz in der Regierung“. Und der hochrangige US-General Mark Milley, ebenfalls kurz in Trumps Regierung tätig, nannte Trump vor wenigen Tagen öffentlich „einen Faschisten durch und durch“ – so steht es auch im jüngsten Enthüllungsbuch des legendären Watergate-Journalisten Bob Woodward.
„It’s the Economy, stupid“ – Ist Trump noch zu stoppen?
Und was sagen die Amerikaner zu all dem? Wieso hat ein Mann, der solche Dinge verkündet, sich derart äußert, überhaupt solchen Zulauf, solche Chancen? Die Antworten darauf sind wohl vielfältig: Trump hat die Lüge salonfähig gemacht, ja, einen eigenen „Neusprech“ gesetzt, in dem Freiheit und Diktatur, Rechte und Beschneidung einfach in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das Konglomerat wird geglaubt, weil man es glauben will – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
„It’s the Economy, stupid“ – der legendäre Satz des Demokratie Bill Clinton feiert in diesem Wahlkampf eine unglaubliche Renaissance. Nur hätte sich der ökonomisch höchst erfolgreiche Clinton wohl nie träumen lassen, dass tatsächliche wirtschaftliche Erfolge so ins Gegenteil verkehrt werden können. Denn die US-Wirtschaft boomt, Joe Biden hat Hunderttausende Jobs geschaffen, schon Barack Obama brachte die danieder liegenden US-Autoindustrie zurück in die Erfolgsspur. Europa schaut neidisch auf den „Inflation Reduction Act“, der tatsächlich ein neues Wirtschaftswunder ausgelöst hat, Klimaschutz inklusive.
Und trotzdem klagen die Amerikaner, wie schlecht es ihnen geht: Die enorme Inflation der vergangenen Jahre hat die Preise in ungeahnte Höhen getrieben, und selbst die, denen es gut geht, schauen mit Sorgen in die Zukunft. Trump nützt diese Ängste gnadenlos aus, spielt mit ihnen und verspricht das Blaue vom Himmel: Komplettes Streichen von egal welchen Belastungen, mehr Geld für alle, das Paradies auf Erden. Dabei sagen namhafte Ökonome klar: Trumps Wirtschaftsplan würde gerade die einfachen Menschen und die Mittelschicht erheblich belasten – und Millionäre massiv entlasten.
Trump betreibe klassischen Populismus, sagt David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern und Experte für Populismus und Spaltung in den USA: Populisten trennten das Volk zwischen „einer korrupten Elite und ‚dem wahren Volk‘, dessen Stimme sie angeblich sind“, erklärte Sirakov Mitte Oktober in einem Vortrag im Mainzer Presseclub: „Das kann man mit jeder Ideologie füllen – Sozialismus, Nationalismus, linkspopulistisch, rechtspopulistisch.“
Die Blaupause für Trump sei der Rassemblement Nationale von Marine le Pen in Frankreich, sagt Sirakov, die Elemente: das angeblich korrupte System, der unehrliche Gegner, die lügenden Medien, der Alleinvertretungsanspruch, die Hybris – und der Heilsbringer: Niemand kennt das System so gut, wie ich, also kann nur ich es fixen. Es gehe um Identität statt Inhalten, das sei klassische Identitätspolitik – und eine Ideologie, in der alles geglaubt und ins Denkschema eingepasst werde, sagt Sirakov: „Die Realität scheitert an meiner Ideologie.“
Der Zauber von Hope, Chance, Freedom – und Abtreibungsrechte
Es war kein Zufalle, dass Kamala Harris dem eine Vision eines besseren Amerika entgegensetzte: Das alte Versprechen von Chancen und Aufstieg, ein Land, das voran geht, positives Beispiel ist – die alte „City upon a Hill“, der Aufstieg zu einer glorreichen Zukunft, es sind uralte Topoi der US-amerikanischen Geschichte. Da spielt auch die Befreiung von Bevormundung und Religionsgesetzen, die einstmals die puritanischen Gründungsväter aus Europa in der Neuen Welt suchten, eine wesentliche Rolle.
Kamala Harris garnierte diese ur-amerikanischen Themen noch mit einem hoch-aktuellen und hochgradig brisanten: Es waren die von Trump eingesetzten obersten Richter, die das nationale Recht auf Abtreibung kippten – Harris machte daraus den Kampf um Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper. „We are not going back“ ist eine ihrer wichtigsten Botschaften: Frauen, wir lassen uns nicht ins Mittelalter zurückwerfen. Genau so empfinden das Millionen von Amerikanerinnen – es ist die Achillesferse des Donald Trump, dessen Vize auch noch über „kinderlose Cat-Ladies“ spottete. Was ihn bei einem Großteil der modernen, selbstbewussten Frauen umgehend disqualifizierte.
Und so könnten denn auch gleich eine ganze Reihe wichtiger Personengruppe am Dienstag den Ausschlag geben – und zwar zugunsten von Kamala Harris: Da sind vor allem die Frauen, die nach einhelliger Einschätzung mit überwältigender Mehrheit für Harris stimmen werden – der Abtreibungsdebatte wegen. Und gerade berichtete das Portal Newsweek, gerade unter den „Early Voters“, die bereits wählen gegangen sind, seien mit 54 Prozent deutlich mehr Frauen als Männer – und das gelte auch für sechs der sieben Swing States, wie die Frankfurter Rundschau berichtet.
Massenhaft Frauen als „Early Voters“ in Pennsylvania
Trump schaue gar mit Sorge auf den Vorsprung der Frauen im wichtigen Staat Pennsylvania, berichten mehrere Medien – das renommierte und gewöhnlich gut unterrichtete Magazin „Politico“ schreibt gar, die enorme Welle früher Frauen-Wähler gebe den Demokraten neue Hoffnung für einen möglichen Sieg von Kamala Harris. Die war gerade von ihrem Kampagnenpfad abgewichen, um eine flammende Rede zum Thema Abtreibung ausgerechnet in Texas zu halten – dem Staat mit den schärfsten Abtreibungsverboten.
Selbst für eingefleischte Republikanerinnen ist das Aus für das Recht auf Abtreibung ein Grund, Kamala Harris zu wählen – dazu kommen inzwischen einige Hundert sogenannte „moderate Republikaner“, die inzwischen auch Donald Trump den Kampf angesagt haben. Lange, zu lange haben sie der Machtübernahme ihrer Partei durch die Trumpisten tatenlos zugesehen, jetzt aber sprechen sich selbst republikanische Ex-Präsidenten wie George W. Bush oder langjährige Topleute wie Mitt Romney, John McCain oder Liz Cheney öffentlich gegen Trump aus – und für die Demokratin Harris. Ein beispielloser Vorgang in der US-Geschichte.
Der Aufstand zeigt: Es gibt sie eben doch, die gemäßigte politische Mitte in den USA, die der Spaltung und vor allem der wüsten Beschimpfungen überdrüssig ist – und die sehr reale Angst haben um die Demokratie in Amerika. Man sollte diese meist schweigende und leise Gruppe nicht unterschätzen, viele sind ehrbare Mittelschichtler, denen Werte wie Anstand, Ehrlichkeit und Respekt voreinander noch wichtig sind. Wenn Harris diese Gruppe zu sich herüberziehen kann, kann sie mehr als nur mit knappem Vorsprung gewinnen.
Studenten, Frauen, gemäßigte Republikaner: Wahl entscheidend?
Und dann sind da noch die Jungen, die Studenten und Linken im Land, die Universitäts-Eliten und die Promis: Sie alle sind keine Trump-Fans, um es vorsichtig zu sagen – und sie sind empfänglich für die Idee, mit der schon Joe Biden 2020 die Wahl gewann: Wir retten die Demokratie vor Donald Trump. Kamala Harris hat in den vergangenen Wochen viel getan, diese Gruppen zu umgarnen. Sie hat sich von Bidens Gaza-Nichteinmischung entfernt und deutlich schärfere Töne gegenüber Israel angeschlagen.
Sie hämmert wieder und wieder die Botschaft ein, Trump sei nicht geeignet für das höchste Amt im Staat, er sei mental instabil und nachgerade gefährlich – für Frauen sei auch das ein Topthema, berichtet Politico. Ein Problem hat Harris derweil mit schwarzen Männern und Latinos: Deren Machismo lässt sie zu Trump laufen, dessen offenem Rassismus zum Trotz. Doch Harris konnte auch damit punkten, dass sie eben sehr wohl einen Plan zur Reduzierung illegaler Einwanderungsfluchtlinien über die mexikanische Grenze hat – und dass aktuell die Zahlen von Flüchtenden massiv gesunken sind.
Und Harris hat – was in Deutschland kaum berichtet wurde – einen 82-Punkte-Plan zur Stärkung der Wirtschaftskraft vorgelegt, der unter anderem Punkte wie Förderung von Wohneigentum für junge Familien und Investitionen in Startups, aber auch niedrigere Energiekosten, niedrigere Lebensmittel- und Arzneikosten vorsieht – wer will, kann sich das ganze Papier hier im Original ansehen. Ihre Vorschläge stießen auf breite Zustimmung in der Bevölkerung, und zwar sowohl bei Demokraten als auch Republikanern, berichtete die Umfrageseite YouGov im August – sollte das alles wieder verpufft sein?
Taylor Swift, „The Boss“ und Michelle Obamas „Do something!“
Und so sind sich die Experten zumindest in einem bislang einig: Die entscheidende Rolle in diesem Wahlkampf wird die Mobilisierung der eigenen Wähler spielen. Und gerade in diesem Punkt ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die Trümpfe in der Hand halten. Das späte Aus von Joe Biden hat der Partei einen ungeahnten Schwung gegeben, eine Art Neustart – und einen ungewohnten Zusammenhalt von linken bis rechten Flügeln. Der Sensations-Parteitag im August hat die Demokraten elektrisiert, Stars wie die Obamas werfen gerade jetzt im Endspurt ihre ganze rhetorische und moralische Power in den Wahlkampf.
Noch immer hallt Michelle Obamas „Do something!“ in den Köpfen nach, Harris‘ Wahlkampfslogan „When we Fight, we Win“ wurde ohnehin schon zu „When we Vote, we Win“. Es geht um etwas in Amerika, es geht um vieles, wenn nicht um alles – und das ist den amerikanischen Wählern sehr bewusst. In Sachen Mobilisierung habe die demokratische Partei zumindest bis Ende September weit vor den Republikanern gelegen, berichtete Sirakov in seinem Vortrag auch – und zwar mit 84 Prozent zu 74 Prozent.
Dazu kommt der Promi-Faktor: Halb Hollywood unterstützt Harris, Größen wie George Clooney und Julia Roberts oder Popstars wie Billie Eilish, Beyoncé oder der Rapper Eminem werben für sie. Die Rock-Ikone „The Boss“ Bruce Springsteen trat gerade gemeinsam mit Barack Obama auf einer Harris-Rally auf – für Trump singen ein paar Country Stars und der alternde Wrestler Hulk Hogan. Der Celebrity-Faktor ist in den USA ein wichtiger Teil bei der Mobilisierung – allen voran natürlich der Punkt, als sich Megastar Taylor Swift für Kamala Harris aussprach.
Swifts Empfehlung motivierte Zehntausende zum Wählen
Deren Post auf Instagram als „childless cat Lady“ ging erst viral – und hatte dann „messbare Auswirkungen auf die Registrierungszahlen der Wähler und sicher auch letztlich auf die Wahl“, sagt Sirakov. Denn in den USA muss sich vorab registrieren, wer wählen gehen will, und wer sich registriere, gehe mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent auch zur Wahl berichtete der Experte. Nach Swift’s Post aber registrierten die Behörden einen rasanten Anstieg von Zehntausend Registrierungen pro Stunde mehr als normal, berichtet Sirakov – und diese Wähler werden mit großer Sicherheit nicht Donald Trump ihre Stimme geben.
So blickt die Welt nun gebannt auf das, was sich da am 5. November entfalten wird – es wird die wohl spannendste Wahlnacht der Geschichte. 538 Wahlleute gibt es in dem berühmten „Electoral College“, 270 Stimmen braucht der Sieger mindestens, um nächster US-Präsident zu werden. Nach den derzeitigen Prognosen könnte Harris mit 226 Wahlleuten rechnen, Trump käme sicher auf 219 – noch zu vergeben sind 93 Wahlmännerstimmen.
Die Entscheidung könnte vergleichsweise früh am Abend fallen, sofern sich einer der beiden den wichtigen Swing State Pennsylvania mit seinen 19 Stimmen sichert – und vielleicht noch Wisconsin und Michigan mit ihren 25 Stimmen dazu. Das wäre Harris’s sicherster Weg zum Sieg, die „Blue Wall“, wie es in den USA heißt – doch zuletzt lag Trump in fünf von sieben Swing States in den Umfragen vorn. Sicher ist: Gewinnt Trump, werden auch die Demokratien in Europa weiter erheblich unter Druck geraten, die Wirtschaft ins Schlingern geraten – und Diktatoren feiern.
Welche Bedeutung die Wahl hat, wissen aber offenbar auch die US-Bürger: Zu Kamala Harris jüngster Wahlkampfveranstaltung in Washington kamen zwischen 40.000 und 75.000 Teilnehmer – es wurde ein „Women’s March“ für Frauenrechte, wie die Washington Post in Anlehnung an den legendären Marsch auf Washington unter dem schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King schrieb. Das Setting war zutiefst symbolträchtig: Kamala Harris sprach mit dem Rücken zum Weißen Haus, genau an der Stelle, an der Donald Trump am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol aufrief.
Harris rief nicht nur ihre Wähler, sondern das ganze Land dazu auf, Trumps „Chaos und Spaltung“ eine Absage zu erteilen – sie selbst schwor, die demokratischen Institutionen und Ideale zu verteidigen, die das Fundament Amerikas sind. Wenn Mobilisierung wirklich das entscheidende Element bei diesen Wahlen ist – dann stehen die Chancen, dass die 47. Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika Kamala Harris heißt, vielleicht doch nicht so schlecht.
Info& auf Mainz&: Mehr zur US-Wahl und den Chancen von Kamala Harris und Donald Trump könnt Ihr auch noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Wir empfehlen zudem die sehr ausführlichen Dossiers von ZDF und ARD zur US-Wahl. Mainz& wird in der Nacht vom 5. auf den 6. November einen Live-Ticker anbieten – wir beobachten für Euch die Entwicklung via CNN und anderer Medien, wir analysieren und ordnen ein. Seid mit dabei! Kommentare könnt Ihr dann am besten auf unserem Facebook-Account mit uns teilen.