Was für eine Nacht. Erst nimmt Kamala Harris im TV-Duell ihren Kontrahenten Donald Trump nach Strich und Faden auseinander – und dann meldet sich auch noch Taylor Swift zu Wort. Diese Dienstagnacht dürfte die Entscheidung im US-Präsidentschaftsrennen gebracht haben: Donald Trump hat fertig. Ein wirr redender, aggressiver alter Mann, der nur sein Ego kennt, wird von einer smarten, toughen und sympathischen schwarzen Frau nach allen Regeln der Kunst in den Senkel gestellt – die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit Kamala Harris heißen. Weil sie es kann.
Erinnert sich noch jemand an den 27. Juni 2024? Da stammelte sich im Fernsehen ein blasser, alter Mann mit Mühe durch seine Sätze, verlor eins ums andere Mal den Faden, verwechselte Sachen und Personen – und wirkte zutiefst verloren und verbraucht. Der Mann hieß Joe Biden, und wollte noch einmal Präsident der USA werden, sein Kontrahent hieß Donald Trump, und wirkte munter, angriffslustig und tatendurstig. Der Rest ist Geschichte.
Zweieinhalb Monte später schaut die Welt erneut gebannt auf einen Fernseher, auf dem sich zwei Kandidaten für das Präsidentschaftsamt gegenüberstehen, und die Frage lautet: Wird dieses Duell noch einmal Geschichte schreiben? 90 Minuten später ist klar: Es wird – aber anders als gedacht. Mit großer Spannung, ja mit Bangen auf Seiten der Demokraten, wurde auf die Antwort auf die Frage gewartet: Kann Kamala Harris sich gegen Donald Trump behaupten, kann sie überzeugend auftreten, Ideen auftischen – kurz: Kann sie Präsidentin?
Michelle Obama: Die Hoffnung macht gerade ein Comeback
90 Minuten später steht fest: Sie kann. Und wie. Kamala Harris hat ein Meisterstück abgeliefert: Von Beginn an ist sie in der Offensive, praktisch mit ihren ersten Sätzen präsentiert sie einen Plan – zwei Förderprogramme für Familien mit kleinen Kindern in Sachen Hausbau und für kleine Unternehmen und eine Steuersenkung für die Middle Class. Es geht um Wirtschaft, und Kamala Harris macht sofort klar: Ich habe einen Plan, und dabei geht es um Euch. Um die Mittelschicht, um junge Familien, um die kleinen Unternehmen – und nicht um Steuersenkungen für Millionäre und Big Business. Bähm.
Hat hier noch jemand „keine Inhalte“ gesagt?
Was haben deutsche Kommentatoren nicht alles geschrieben über die Frau, die als erste Präsidentin der USA werden will? Sie sei ja nicht so überzeugend, sie punkte vor allem mit Lachen und Freude, habe ja keine Inhalte. Ich weiß ja nicht, wo meine überwiegend männlichen Kollegen waren, die solche Sätze schrieben – obwohl sie auf dem Parteitag der Demokraten saßen, waren sie offenbar irgendwo woanders.
Auf der Nominierungs-Convention der Demokraten für Kamala Harris und ihren Vize Tim Walz hagelte es Themen, man musste nur zuhören. Da ging es um die Wirtschaft und um den Gaza-Krieg, es ging um Respekt, Würde und all die Werte, die Amerika eben zu Amerika machen. Und es ging vor allem um Freiheit, um Chancen für die Zukunft, und ein Amerika, das nach vorne blickt. „America – HOPE is making a comeback!“, rief Michelle Obama dem kochenden Saal zu, und sprach von „der infektiösen Kraft der Hoffnung“.
Kamala Harris: Yes, she can – Ja, sie kann es
Und es war ihr Mann, Ex-Präsident Barack Obama, der im Anschluss mal eben eine neue Vision für Amerika entwarf, für ein Land, das sich Herausforderungen stellt, seinen Nachbarn hilft und ein starker Verteidiger von Freiheit und Demokratie in der Welt ist. Keine Inhalte? Für Amerikaner sehr wohl – und seien wir doch mal ehrlich: Was würden wir in Deutschland nicht für einen Politiker geben, der in der Lage ist, ein leuchtendes Bild von unserem Land zu zeichnen, dem wir nachstreben können, von dem wir uns inspirieren lassen? Was gäbe es denn besseres, für das man sein Kreuzchen machen könnte? „Yes, she can“, rief Barack Obama schließlich in den Saal – bis heute haben das noch immer viele bezweifelt.
Und dann waren da noch all die Frauen, die die Bühne rockten. Gouverneurinnen, Senatorinnen, Powerfrauen allesamt, Frauen, die hier kaum jemand kennt, und die in den USA doch Stars sind: Gretchen Whitmer, Elizabeth Warren, Amy Klobuchar, Alexandria Ocasio-Cortez, Maura Healey, Kathy Hochul – und natürlich Nancy Pelosi, Hillary Clinton und Jill Biden. Als Höhepunkt schließlich noch Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey, eine der einflussreichsten Frauen der USA überhaupt. Ihr Thema? Abtreibung.
Das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, abzutreiben nach einer Vergewaltigung oder anderer Notlage – dieses Recht ist den amerikanischen Frauen heilig. Und es war Donald Trump, der die entscheidende Anzahl super-konservativer Richter in den Supreme Court bugsierte, die vor zwei Jahren genau dieses Recht kippten – die berühmte „Roe vs. Wade“-Entscheidung aus dem Jahr 1973, nach der Frauen selbst das Recht haben, über eine Abtreibung zu entscheiden, war gekippt.
Megathema Abtreibung: Recht, über eigenen Körper zu entscheiden
Für Frauen in den USA ist das ein Fanal, zumal seither zahlreiche konservative Bundestaaten Abtreibungsrechte massiv eingeschränkt haben. Und sämtliche Rednerinnen auf der Democratic Convention machten genau diesen Punkt: Das lassen wir uns nicht bieten, wir lassen uns dieses Recht nicht nehmen. Es ist eines der Megathemen im US-Wahlkampf, und eines der Hauptthemen, die Kamala Harris meint, wenn sie sagt: „We’re not going back – Wir lassen uns nicht zurückwerfen.“ Keine Inhalte?
Seit Joe Biden seine Kandidatur zurückzog und Kamala Harris binnen 24 Stunden die Unterstützung ihrer Partei organisierte – und gleich noch Rekordspendensummen einwarb – hat die Vizepräsidentin der USA praktisch keine Fehler gemacht. Sie reiste durchs Land und elektrisierte auf ihren Auftritten ihre Wähler, die in Scharen herbeiströmten. Sie elektrisierte das Land, einfach schon dadurch, dass sie jünger, energetisch und schlicht freundlich ist – der Wechsel zu Kamala Harris löste eine wahre Euphoriewelle im Land aus.
Und wer hat jemals behauptet, man könne nicht mit einem Lächeln eine Wahl gewinnen? Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz tat genau das, und eine gewisse Kanzlerin namens Angela Merkel machte die Raute und plakatierte „Sie kennen mich“ – das reichte für einen satten Wahlsieg. Hat da jemand nach Inhalten gefragt? Kamala Harris hat eine ganz ähnliche Eigenschaft: Sie strahlt mit ihrem breiten Lachen Zuversicht und Spaß aus, sie signalisiert, hier kommt jemand, dem es Freude macht, Probleme zu lösen und dem Land zu dienen – ihr Lachen ist schlicht unwiderstehlich.
Meisterstück in Polit-Kommunikation: Harris im TV-Duell
An diesem Dienstagabend aber galt es, eine völlig andere Seite zu beweisen: Ernsthaftigkeit, Staatstragendes Auftreten, Leadership und Problemlösungskonzepte waren gefragt. Und es gab genau eine Person im Raum, die das lieferte: Kamala Harris. Exzellent vorbereitet, lieferte Harris eine sensationelle Performance ab: Klar, präzise und mit verständlicher, aber keineswegs platter Sprache, konnte die Vizepräsidentin über jedes beliebige Thema eloquent und kompetent reden – egal ob Wirtschaft, Einwanderung oder auswärtige Politik.
Harris wirkte sattelfest und in den Themen drin, niemals hörte sie sich an, als würde sie vorgefertigte Sätze von sich geben. Immer wieder schaute sie direkt in die Kameras, wandte sich an das Fernsehpublikum, sprach die Amerikaner direkt an – im Gegensatz zu Donald Trump: Der schaute meist unter sich oder in Richtung Moderator, murmelte vor sich hin, adressierte nicht ein einziges Mal die Wähler, und brabbelte immer wirreres Zeug. Beispiel gefällig?
„Donald Trump hat uns die schlimmste Attacke auf die Demokratie seit dem Bürgerkrieg hinterlassen“, schimpfte Harris: „Sein Plan würde eine Rezession auslösen – Donald Trump hat keinen Plan für Euch da draußen!“ Trump darauf: „Mein Plan ist brilliant, es ist ein großer Plan – SIE hat Bidens Plan kopiert! SIE haben die Wirtschaft zerstören! SIE ruinieren unser Land! Sie ist eine Marxistin! Sie lassen Millionen von Fremden in unser Land, die essen die Haustiere der Leute!“
33 Lügen bei Donald Trump, epische Angriffssätze bei Harris
33 Lügen hat CNN im Laufe der Debatte auf Trumps Seite gezählt, eine Fehlinformation bei Kamala Harris. „You got a bunch of lies coming from this fella“, kommentierte diese denn auch ziemlich zu Beginn der Debatte trocken: „Ihr werdet einen Haufen Lügen von diesem Typen da hören.“ Es waren genau solche Sätze, mit denen Kamala Harris Trump regelrecht zerstörte und vorführte, manche sind schon jetzt episch – so wie dieser hier: „You werde fired by 81 million people – Du wurdest von 81 Millionen Menschen gefeuert.“
Die Moderatoren des ausrichtenden Senders ABC News taten ihr bestes, Trump und seine Tiraden einzuhegen, und sie stellten durchaus unangenehme Fragen. Wie etwa die, warum er sich eigentlich so sehr mit der Frage nach der Hautfarbe seiner Konkurrentin beschäftige – hatte Trump doch sich auf seinen Rallyes ewig über die Frage ausgelassen, ob Harris tatsächlich „schwarz“ sei, dass sie „sich schwarz gemacht habe“, und dass er viel besser aussehe als sie.
„Das ist mir doch egal, es könnte mir gar nicht egaler sein“, wand sich Trump daraufhin – und log, dass sich die Balken bogen: „Ach, ich weiß nicht…“ Harris daraufhin: „Es ist eine Tragödie, dass wir jemanden als Kandidaten haben, der ständig versucht, uns zu spalten, vor allem mit dem Thema Rasse – Americans want better than that“: Amerika hat etwas besseres verdient. Wahre Leader wüssten, dass Führung nicht bedeute, andere nieder zumachen, sondern sie zu stärken, stichelte Harris noch, und versetzte Trump Schlag um Schlag: „Ich treffe die Anführer dieser Welt – und sie lachen über ihn. Sie sind froh, dass er nicht im Weißen Haus saß, sonst würde Putin jetzt in Kiew sitzen.“
Trump brüstet sich mit Freundschaft zu Viktor Orban
Trumps Antwort? Er brüstete sich ausgerechnet mit der Unterstützung durch Viktor Orban, dem ungarischen Regierungschef, der sich stetig weg von der Demokratie und hin zu einem Putin-Gefolgsmann entwickelt hat. Da war es für Harris ein leichtes, Trump um die Ohren zu hauen, er habe selbst gesagt er wolle „Diktator von Tag eins an“ sein – und dass Ex-Mitarbeiter ihm bescheinigten, Trump sei eine Gefahr für die Demokratie und respektiere die Verfassung nicht. „Deshalb unterstützen mich inzwischen mehr als 200 Republikaner“, führte Harris genüsslich aus. Trump aber würde doch für jeden umfallen, der ihm schmeichele und einen Gefallen versprechen. ätzte sie – so wie Putin: „Ein Diktator, der Dich zum Mittagessen verspeisen würde.“
Der Demokratin gelang ein wahres Kunststück: Sie schlug Donald Trump mit seinen eigenen Waffen, nannte ihn „schwach“ und „lächerlich“, während sie für sich selbst starke Vokabeln wie „Leadership“, „Respekt“ und „Commander in Chief“ benutzte. Mit jeder Geste, mit jedem Satz machte sie klar: Hier steht eine Anführerin, eine Frau, die genau weiß, was sie will, die die Kraft hat dieses Land im Griff zu halten und zu steuern. Und Donald Trump wirkte neben ihr wie erstarrt und überfordert, ein aus der Zeit gefallener „rambling old man“, der nichts anzubieten hatte als Hass und Ängste: Einwanderer überfluten das Land, die Kriminalität explodiert, „überall Kriege, wir werden im Dritten Weltkrieg landen“ – dass das meiste davon frei erfunden wahr, störte Donald Trump doch nicht.
„Ich bin nicht Joe Biden – und ich bin ganz sicher nicht Donald Trump“, setzte Harris dagegen: „Was ich anbiete, ist eine neue Generation von Führungskraft für unser Land – mit Optimismus und Vertrauen in das, was wir tun können. Und jetzt: Lasst uns über unsere Pläne reden – ICH habe einen Plan, also lasst uns eine neue Seite aufschlagen und vorwärts gehen.“
CNN-Analysten: Harris hat geliefert und Trump vorgeführt
„Sie hat geliefert, aber so was von“, staunten da selbst die CNN-Analysten im Anschluss: „Die Leute wollten wissen, wer sie ist und woraus sie gemacht ist – und sie hat es ihnen gezeigt.“ Vom Beginn an habe Harris den Kampf zu Trump getragen, seine Sprache gestohlen und sie gegen ihn selbst verwendet, analysierte eine Kommentatorin: „Sie hat ihn gezwungen, nach IHREN Regeln zu kämpfen.“ Donald Trump habe daneben regelrecht alt ausgesehen, analysierte ein weiterer CNN-Mann, und schwärmte regelrecht: „Sie hat ihn gemaßregelt und ihm Fallen gestellt, sie hat ihn in seine Lügen und seine Wut verführt – und er ist in jede einzelne Falle gelaufen. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“
Tatsächlich wurde Harris im Laufe der Debatte immer mehr zur kühlen Chefanklägerin und Staatsanwältin, die sie einmal war – analysierend, beherrscht und höchst effizient in ihren Attacken. Zugleich aber schaffte sie es auch, warm zu wirken, Mitgefühl zu versprühen und den Zuschauern zu vermitteln: „Ich will eine Präsidentin für alle sein, ich werde für Euch kämpfen.“ Man nahm es ihr ab. „Sie hat wirklich für die Menschen geredet, er hat nur über sich selbst geredet“, bilanzierte ein Kommentator.
Und dann war da noch die eine Nachricht, unmittelbar nach dem Ende des TV Duells: Sie habe lange überlegt und sich gründlich informiert, schrieb Taylor Swift auf Instagram: „Ich werde meine Stimme für Kamala Harris und Tim Waltz abgeben. Ich stimme für Kamala Harris, weil sie für die Rechte und Fälle kämpft, von denen ich glaube, dass sie einen Champion-Kämpfer brauchen, um sie zu gewinnen. Ich glaube, sie ist eine beherrschte, begabte Anführerin, und ich glaube, wir können in diesem Land so viel mehr erreichen, wenn wir mit Ruhe und nicht mit Chaos geführt werden.“
Taylor Swift for Kamala Harris: Wahlentscheidende Swifties?
Taylor Swift posierte in ihrem Post mit einer Katze – eine klare Anspielung auf Trumps Vize-Kandidaten J.D. Vance. Der hatte nämlich im Wahlkampf über kinderlose „Cat Women“ hergezogen – kinderlose Frauen also, die statt Kinder Katzen hegen. Eine Aussage, auf die ein Empörungssturm gefolgt war. Und auch Taylor Swift unterstreicht das Thema Abtreibung und das Recht einer Frau, über ihren Körper selbst zu entscheiden, als entscheidenden Punkt ihrer Wahl.
Im Harris-Lager dürfte man heute eine Flasche Champagner geköpft haben – für die Unterstützung des größten Popstars unserer Zeit, dürfte man dort gebetet haben. Denn Taylor Swift ist nicht irgendwer: Sie hat Millionen von Fans und Follower, die sehr genau hinhören, was sie sagt – und die „Swifties“ folgen Taylor in ihren Empfehlungen. Es sind zumeist junge Frauen, die – guess what – das Thema Abtreibung ebenfalls stark bewegen dürfte. Swifts Empfehlung hat sehr wohl das Zeug, die Wahl entscheidend zu beeinflussen.
Kamala Harris müsse sich um die Unterstützung junger Frauen keine Sorgen mehr machen, kommentierte prompt eine CNN-Analystin – sie müsse jetzt eher mehr um Männer werben. Woraufhin ihr Kollege soufflierte: Das könne ja nun Taylors Freund tun – der Football-Star Travis Kelce. „Donald Trump lost the election tonight“, kommentierte ein Beobachter auf X, und ein anderer ergänzte: „It’s over. Give Kamala the job.“
Info& auf Mainz&: Mit der Politik-Kolumne „Mainz& politisch“ widmen wir uns Themen, die über Mainz hinausreichen, aber gleichwohl wichtig für politische Entwicklungen sind. Dabei analysieren wir, ordnen ein, kommentieren auch ein wenig – eben eine Kolumne, die aber gleichwohl auf intensiver Recherche beruht – wie immer bei Mainz&. Mehr zu der Euphoriewelle der Kamala Harris, und warum sie gute Chancen hat, die erste schwarze Frau im Weißen Haus zu werden (und wie das kam) lest Ihr hier bei Mainz&.