Auch das Bistum Mainz ist von sexueller Gewalt gegen Kinde rund Jugendliche betroffen: Bis jetzt seien 53 Missbrauchsvorwürfe gegen Kleriker seit dem Jahr 1946 bekannt, teilte das Bistum Mainz am Dienstag mit, darunter seien 50 Diözesan- oder Ordenspriester. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte am Dienstag das Ergebnis der von ihr in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie auf ihrer Vollversammlung in Fulda vorgestellt, das Bistum Mainz legte parallel dazu ein eigene Auswertung vor. Vorwürfe gegen zwei Diakone seien in der Studie nicht erfasst, teilte das Bistum weiter mit, insgesamt zähle man bisher 169 minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs im Bistum. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf zeigte sich tief erschüttert und lud die Betroffenen für Sonntag, den 18. November zu einem Gottesdienst nach Mainz ein: „Ich will Sie als Bischof um Vergebung bitten“, sagte Kohlgraf, und forderte, klerikale Machtstrukturen und die kirchliche Morallehre auf den Prüfstand zu stellen.
Die Deutsche Bischofskonferenz hatte am Dienstag die lange erwarteten Ergebnisse ihrer deutschlandweiten Studie zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vorgestellt. In der Kurzform „MHG-Studie“ ist sie benannt nach den Orten der Universitäten des Forschungskonsortiums – M(annheim)-H(eidelberg)-G(ießen) – der ausführliche Titel lautet „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“. Die Studie war schon vor ihrer Veröffentlichung umstritten, weil die Forscher Originaldokumente wenn überhaupt nur eingeschränkt einsehen konnten und keinen vollständigen Zugang zu den Akten hatten. Die gefunden Zahlen seien lediglich „eine untere Schätzgröße“, betonten die Forscher ausdrücklich, die Dunkelziffern lägen mit Sicherheit höher.
Insgesamt wurden für die Missbrauchsstudie 38.156 Personal- und Handakten der 27 Diözesen aus den Jahren 1946 bis 2014 durchgesehen, dabei fanden die Forscher Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch 1.760 Kleriker an 3.677 Kindern und Jugendlichen. 1.429 Beschuldigte waren oder sind Diözesanpriester, 159 Ordenspriester, 24 hauptamtlichen Diakone. Bei 58 Beschuldigten war der Klerikerstatus unbekannt. 62,8 Prozent der Opfer waren Jungen, 34,9 Prozent Mädchen, die Hälfte war beim ersten Kontakt maximal 13 Jahre alt. Gut ein Viertel waren vierzehn Jahre und älter, bei 22,6 Prozent war das Alter unbekannt. Die Kleriker waren meist zwischen 30 und 50 Jahre alt, viele sind Mehrfachtäter, die ihre Opfer im Schnitt anderthalb Jahre bis 22 Monate lang drangsalierten.
Im Bistum Mainz erfasste die Studie Vorwürfe gegen 50 Diözesan- oder Ordenspriester, teilte das Bistum Mainz in einer eigenen Auswertung mit. Dazu kämen Vorwürfe gegen zwei Ständige Diakone, die nicht in der Studie erfasst seien, ein beschuldigter Priester sei bereits vor Jahrzehnten verstorben. Den insgesamt 53 Beschuldigten könnten bislang 169 Opfer zugeordnet werden, davon 122 Jungen und 47 Mädchen. Die zuletzt erfasste Tat datiere aus dem Jahr 2010. Dazu gab es in den vergangenen Jahren im Bistum 13 Vorwürfe gegen Heimleiter, Pädagogen, Erzieher oder Erzieherinnen sowie Ordensschwestern, die aber in der MGH-Studie nicht erfasst werden.
Die Ergebnisse der MHG-Studie „haben mich erneut erschüttert“, sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf in einer schriftlichen Stellungnahme. „Dass die Wirklichkeit sexuellen Missbrauchs in der Kirche ein Thema ist, war seit Jahren klar“, sagte Kohlgraf weiter. Die Kirche habe „einen langen Weg der Aufarbeitung“ der sexualisierten Gewalt vor sich, das gelte auch für Mainz. Als Bischof von Mainz trage er die Verantwortung für das Geschehen, auch wenn er erst seit einem Jahr den Bischofsstab trage, sagte Kohlgraf, und betonte: „Vertuschung und Schutz der Institution darf es nicht geben.“
Der Mainzer Bischof lud die Betroffenen für Sonntag, den 18. November, zu einem Gottesdienst nach Mainz ein: „Ich will Sie als Bischof um Vergebung bitten und deutlich machen, dass wir das uns Mögliche tun, dass die Taten weiter aufgeklärt, aufgearbeitet und in Zukunft verhindert werden“, betonte Kohlgraf. Er wolle in den kommenden Wochen und Monaten Betroffene persönlich treffen, es genüge nicht, die Situationen nur aus den Akten herauszulesen. „Ich kann ihr Schicksal nur erahnen. Ihr Leid bedauere ich zutiefst“, sagte Kohlgraf. Auf keinen Fall wolle er die betroffenen Menschen als „Fälle“ sehen.
Als Bischof stehe er aber auch „vor Fragen, die das kirchliche Selbstverständnis in Frage stellen“, sagte Kohlgraf weiter. Klerikale Machtstrukturen und ein bestimmtes klerikales Selbstverständnis förderten möglicherweise derartige Verbrechen, „bestimmte Auffassungen der kirchlichen Morallehre verhindern einen offenen Umgang mit den Erfahrungen und Fragen menschlicher Sexualität.“ Und „offenbar kann der Priesterberuf auch Männer anziehen, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur zum Täter werden“, sagte Kohlgraf. Diesen konkreten Fragen, die von der MHG-Studie benannt würden, werde er nachgehen, das Thema sexualisierter Gewalt und der Umgang damit „fordert von vielen einen Haltungswechsel und echte Umkehr“, betonte er. „Wie ich als Bischof dies begleiten und selbst leben kann, ist eine drängende Frage für mich“, fügte Kohlgraf hinzu.
Nach heutigem kirchlichem Recht müssen alle Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger der Römischen Glaubenskongregation gemeldet werden, die über Sanktionen und Entschädigungen der Opfer entscheidet. 52 Menschen stellten bisher im Bistum Mainz einen Antrag auf Anerkennung erlittenen Leides, 47 wurden mit Summen zwischen 1.000 und 13.000 Euro entschädigt, vier Fälle wurden abgelehnt. Insgesamt flossen im Bistum Mainz bislang 275.000 Euro an Entschädigungssummen. Darüber hinaus fanden 18 Gerichtsverfahren wegen Missbrauchs gegen Mitarbeiter des Bistums Mainz statt, vier Angeklagte wurden zu Haftstrafen, elf zu Geldstrafen oder Haft auf Bewährung verurteilt, drei freigesprochen.
Opfer sexuellen Missbrauchs können auch weiterhin Anträge auf Leistungen in Anerkennung ihres Leids stellen, betonte das Bistum ferner. Auch sei die Präventionsarbeit im Bistum Mainz in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden, was Ihr hier nachlesen könnt. Im Bistum Mainz nähmen alle neuen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, an einer Intensiv-Schulung Prävention teil, unterstrich das Bistum weiter. Das Schulungsangebot werde zudem derzeit überarbeitet und solle künftig auch die Erkenntnisse der aktuellen MHG-Studie mit berücksichtigen.
Die Priester des Bistums Mainz seien zwischen 2012 und 2014 alle in eintägigen Großgruppen-Schulungen an verschiedenen Standorten geschult worden. Die Themen Sexualität, Zölibat und Prävention sexualisierter Gewalt seien Teil der Priesterausbildung in Mainz. Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in das Seminar ist ein Gespräch mit einer forensischen Psychologin verpflichtend.
Info& auf Mainz&: Die gesamte Missbrauchsstudie samt Kurzzusammenfassungen und Statements der obersten deutschen Bischöfe findet Ihr auf dieser Internetseite. Das Statement von Bischof Kohlgraf sowie die Mainzer Auswertungen findet Ihr hier im Internet. Das Bistum Mainz hat zwei unabhängige Missbrauchsbeauftragte eingesetzt, die Ihr unter der Email-Adresse missbrauchsbeauftragter(at)bistum-mainz.de oder telefonisch unter 06102 / 599 86 56 (Richard Seredzun) und 06165 / 2081 (Sr. Marie Bernadette Steinmetz RSM) erreicht. erreicht. Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine kostenfreie Hotline unter der Telefonnummer 0800/0005640 eingerichtet, die von 14.00 bis 20.00 Uhr besetzt ist, Informationen gibt es auch unter www.hilfe-nach-missbrauch.de.