Sie sind die Highlights im Mainzer Rosenmontagszug: die politischen Motivwagen. Jedes Jahr nehmen die Mainzer Narren mit großen, dreidimensionalen Karikaturen die hohe Politik aufs Korn, jedes Jahr ist die Spannung enorm: Wer wird glossiert, wer sieht sich in Übergröße am Rosenmontag durch die Straßen rollen? Am Dienstag lüftete der Mainzer Carneval-Verein (MCV) das Geheimnis, freuen können sich die Zuschauer auf einen fliegenden Robert, auf Schiffbruch-Kapitän Olaf und Barbie Sahra – und auf Haas und Goldesel. Das Ereignis ist historisch: Es sind die letzten Motivwagen des Dieter Wenger.

MCV-Wagenbauer Dieter Wenger und seine geliebte Zugente. - Foto: gik
MCV-Wagenbauer Dieter Wenger und seine geliebte Zugente. – Foto: gik

Neun närrische Motivwagen bringt der Mainzer Carneval-Verein (MCV) in diesem Jahr auf die Straße, zwei weniger als sonst üblich. Dabei gäbe es wahrlich genug Themen, die es Wert wären, aufs Korn genommen zu werden – nun sind es sieben Bundes- oder Weltthemen sowie zwei Mainzer Themen geworden, auf die sich die Narren einen Reim und eine bildliche Karikatur gemacht haben. Die Zeichnungen stammen erneut aus der Feder von Michael Apitz, die Auswahl traf ein Kreativkreis des MCV – und da werde durchaus auch hart um die Motive gestritten, verriet Apitz am Dienstag bei der Vorstellung.

Die Umsetzung ist erneut spektakulär: Seit genau 62 Jahren sorgt Dieter Wenger für den MCV für die Umsetzung der gezeichneten Ideen in dreidimensionale Form, der Mann ist eine Legende unter den Wagenbauern. 1962 baute er seinen ersten Wagen, wie viele es seither waren, kann Wenger gar nicht zählen: Tonnen an Styropor und Holzgerüsten, später an Metallgestänge hat er in seinem Wagenbauer-Leben verbaut. 15 große Zugwagen-Chassees bespielte Wenger zwischenzeitlich, legendär ist der alte VW Käfer seiner Sekretärin, den Wenger 1990 zur Zugente umbaute – damit die Mainzer wussten, wann der Rosenmontagszug zu Ende ist.

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Robert ohne Bodenhaftung, Kapitän Olaf mit Kurs aufs Riff

Das Entchen wurde umgehend zum absoluten Liebling der Mainzer, der alte VW Käfer aber gab Anfang der 2010er Jahre zunehmend auf – heute beschließt die Zugente elektrisch und wieder höchst munter den großen Fastnachtsumzug. Sogar Lieder wurden auf das Entlein gedichtet, und weil die Schnorreswackler die Zugente seufzen ließen, sie wolle doch auch einmal die Nummer eins sein, durfte die Ente tatsächlich 2016 beim Rheinhessen-Umzug den großen Festzug an der Spitze anführen.

"Der fliegende Robert": Dem Bundeswirtschaftsminister bescheinigen die Narren, die Bodenhaftung verloren zu haben. - Foto: gik
„Der fliegende Robert“: Dem Bundeswirtschaftsminister bescheinigen die Narren, die Bodenhaftung verloren zu haben. – Foto: gik

Berühmt aber wurde Dieter Wenger bundesweit vor allem für seine großformatigen politischen Karikaturen, und da liefert der Altmeister in seinem letzten Jahr als Meister der Wagen seine absoluten Glanzstücke ab. Da ist vor allem „der Fliegende Robert“: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird von der Energie seiner Wärmepumpe in die Luft katapultiert – der Minister, der ein Kinderbuchautor war, wird selbst zur Struwwelpeter-Figur. „Er verliert die Bodenhaftung, das trifft ja auf den Minister mit seinem krachend gescheiterten Heizungsgesetz zu“, kommentierte Boris Henkel vom MCV-Kreativkreis.

Überhaupt lassen die Mainzer Narren an der Politik der Berliner Ampel-Regierung kein gutes Haar. Da ruiniert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) als „Master of Desaster“ das Gesundheitswesen, der einst gut sortierte Laden geht zunehmend baden – so sehen es die Mainzer Narren. Derweil schlingert das Staatsschiff der Ampel gewaltig im Sturm: „Die nervigen Streitereien der Ampel-Koalition, die stümperhafte Arbeit beim Heizungsgesetz und die Finanz-Klatsche vom Gericht“, zählt Henkel auf – der Bürger sieht das Republikschiff auf Crashkurs, doch Kapitän Olaf ist taub, stumm und blind. „Noch spielt er den Staatsmann, mit Fernglas und Kapp, doch bleibt er auf Kurs, dann saufen wir ab“, warnen die Narren.

Kleine Filme berichten vom „Making of“ der Motivwagen

Abgesoffen ist bereits der Verbrenner, und die einst stolze Automobilindustrie in Deutschland läuft der Konkurrenz längst hinterher. Bei der Zugnummer 70 versucht ein bedröppelter Fred Feuerstein in seinem Steinzeit-Auto verzweifelt, dem Chinesen an der Stoßstange zu bleiben, doch er hat keine Chance: Der Chinamann mit seinem flotten E-Auto hängt die Deutschen spielend ab.

Kapitän Olaf steuert das Regierungsschiff blind und taub geradewegs aufs Riff... - Foto: gik
Kapitän Olaf steuert das Regierungsschiff blind und taub geradewegs aufs Riff… – Foto: gik

„Der Rosenmontagszug ist kein Halligalli-Zug, er ist auch politisch“, betonte Patricia Lowin vom Kreativteam des MCV. Die Wagen seien „so toll gestaltet, dass es eigentlich schade ist, dass sie nur zwei Mal auf die Straße kommen“, sagte Lowin: Außer am Rosenmontagszug sind die närrischen Motivwagen nur noch am Fastnachtssonntag beim „Tanz auf der LU“ zu sehen. Deshalb beschloss der MCV in diesem Jahr, die Wagen und ihre Geschichte mit kleinen Filmen zu dokumentieren. Die können die Zuschauer nun mit Hilfe von QR-Codes abrufen, die an den Wagen aufgebracht sind.

Ihr Fett weg bekommt derweil auch die Opposition: Friedrich Merz etwa droht im braunen Sumpf zu versinken, denn hinter einem winzigen Brandmäuerchen lockt eine dralle Schönheit, die den CDU-Chef an der Krawatte gnadenlos in die braune Brühe zerrt. Alice Weigel wiederum hat sich in eine rosarote Welt verirrt: In einem Cabrio sitzt die AfD-Chefin neben Sahra Wagenknecht, die beiden „Barbies“ allerdings werden ferngesteuert – das Lenkrad hält mit blutigen Händen ein „Ken“, der täuschend echt an Wladimir Putin erinnert…

Eine Friedenstaube hinter den Gittern von Hass, Gier und Intoleranz

„Frau Weigel und Frau Wagenknecht ist wohl egal das Menschenrecht“, reimen die Mainzer Narren dazu: „Die Barbies es nicht interessiert, dass ein Verbrecher sie chauffiert.“ Nein, die Narren blenden Kriege und Krisen wahrlich nicht aus. „Wir haben gesagt, wir können das alles nicht unberücksichtigt lassen“, betonte Henkel. Und so fährt mit der Zugnummer 11 eine arme Friedenstaube durch die Straßen, eingesperrt in einen Käfig aus Stacheldraht. „Gier, Fanatismus, Intoleranz und Hass hindern die Friedenstaube daran, aus dem Käfig herauszukommen“, erklärte Henkel: „Wann darf die Taube endlich fliegen? Wann ist Schluss mit all den Kriegen?“

Die Friedenstaube sitzt eingesperrt im Käfig von Hass, Intoleranz und Gier. - Foto: gik
Die Friedenstaube sitzt eingesperrt im Käfig von Hass, Intoleranz und Gier. – Foto: gik

Fünf Tage vor ihrem ersten Ausritt sind die Motivwagen nahezu fertig, nur hier und da wird noch gepinselt oder nachgebessert. „Wir sind jetzt in der Endspurtphase angelangt“, sagte Dieter Wenger am Dienstag. Noch fehlten ein bisschen Lack hier und eine Schrift da – und natürlich Wengers besonderer Liebling: Der kleine Narrenhund, der immer auf einem Wagen frech sein Bein hebt. An welchem Motiv das sein wird, will Wenger auch dieses Jahr nicht verraten – das Hündchen hob schon sein Beinchen am maroden Mainzer Rathaus oder am Bibelturm, der dann doch nicht kam.

An Mainzer Themen glossieren die Narren in diesem Jahr nur zwei Sachen: Da sucht Bürgermeister und Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) im Allerwertesten des Goldesels nach den letzten Krümeln, doch die Biontech-Quelle sprudelt einfach nicht mehr. „Ausgeschissen“ lautet der Titel, die Narren reimen dazu: „Vorbei sind die Jahre, die goldenen, fetten, als Impfstoffe konnten die Stadtkasse retten.“

Die vergessenen Wahlversprechen des Nino Haase - so könnte man diesen Wagen betiteln. - Foto: gik
Die vergessenen Wahlversprechen des Nino Haase – so könnte man diesen Wagen betiteln. – Foto: gik

Nebenan sonnt sich derweil der neue Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) in seinem neuen Amt, küsst Weinköniginnen und besucht das Marktfrühstück. „Mein Amt ist so schee“, freut sich der OB, doch in seinem Rücken hebt der Narr mahnend den Finger: Was hat der Neue in seinem ersten Jahr eigentlich geschafft? Die Wahlversprechen vergessen, die Inhalte passé – „weniger Blingbling, mehr Substanz“, so Henkel, das mahnen die Narren an.

Zwischen 10.000 und 12.000 Euro kostet einer der närrischen Motivwagen, zur Finanzierung hat der MCV im vergangenen Jahr einen Aktion gestartet, bei der sich jeder beteiligen kann: Für mindestens 55,- Euro Spende kann man eines der Motive zum „an die Wand hängen“ erwerben, und hilft damit zugleich bei der Finanzierung der Wagen. Bis zum 3. März kann man spenden und sich dann ein Motiv nach Wahl aussuchen – mehr dazu findet ihr hier im Internet.

Spenden und dafür ein solches Motiv erstehen - so könnt Ihr die Motivwagen des MCV finanzieren helfen. - Foto: gik
Spenden und dafür ein solches Motiv erstehen – so könnt Ihr die Motivwagen des MCV finanzieren helfen. – Foto: gik

Für Dieter Wenger werden es die letzten Wagen sein, die er realisiert hat: Für den 84-Jährigen ist an diesem Aschermittwoch endgültig Schluss. „Irgendwann muss man einen Schlussstrich ziehen“, sagt er, er brauche Zeit für sich selbst und seine Frau. Die Nachfolge für den Wagenmeister beim MCV ist bislang noch ungeklärt, der Versuch einer Kooperation mit dem Staatstheater Mainz scheiterte an rechtlichen Rahmenbedingungen. Es gebe Gespräche, sagt Wenger, doch entschieden sei noch nichts. Er selbst aber wird 2025 wohl erstmals etwas ganz anderes an Rosenmontag machen: Die Füße hochlegen und die Fernbedienung am Fernseher betätigen, verriet er gegenüber Mainz&.

Info& auf Mainz&: Mehr zu Dieter Wenger, dem Meister der Motivwagen lest Ihr auch hier noch einmal in unserem Porträt aus dem Jahr 2017. Und hier das wichtigste – die Fotogalerie: