Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz, keine Anklage gegen Verantwortliche im Ahrtal zu erheben, regt sich immer mehr Protest. Am Samstag wird es nun eine Protestaktion der besonderen Art geben: Mit einem Schiff werden die „Stummen Zeugen“, eine Installation des Künstlers Dennis Meseg für die 135 Toten im Ahrtal, von Remagen aus nach Mainz fahren. Entlang des Rheins wünschen sich Inka und Ralph Orth, Eltern der in der Ahrflut gestorbenen Johanna, eine Menschenkette des Protestes. „Wir müssen unsere Stimmen erheben für die ‚Stummen Zeugen‘, sie können es selbst nicht mehr“, sagte Inka Orth am Freitag: „Dieser Justizskandal muss ein Ende haben.“
Vor einer Woche hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz zwei Jahre und neun Monate nach der verheerenden Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal als Ergebnis ihrer Ermittlungen verkündet: Man habe die Ermittlungen gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und seine Kreisbrandmeister eingestellt, zu einer Anklage werde es nicht kommen. Die Entscheidung, aber noch mehr ihre Begründung, lösten Fassungslosigkeit und Entsetzen aus – allen voran bei den Betroffenen im Ahrtal.
Die Eltern der in der Ahrflut 2021 gestorbenen Johanna Orth wollen derweil nicht aufgeben: „Es muss eine Anklage geben“, forderte Ralph Orth auch am Freitag noch einmal. Am Dienstag hatte der Rechtsausschuss des Mainzer Landtags zu dem Thema getagt (Bericht folgt), Justizminister Herbert Mertin (FDP) hatte ein Eingreifen gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft dabei abgelehnt. Doch die Eltern Orth wollen sich damit nicht zufrieden geben: Sie legten über ihren Anwalt Christian Hecken Beschwerde gegen die Entscheidung ein – und sie wollen weiter kämpfen.
Orth: Gerichtsverfahren und Veröffentlichung des Abschlussberichts
„Wir erwarten nicht, dass jemand im Voraus verurteilt wird“, betonte Ralph Orth nun in einem Video auf Facebook, „aber es muss zu einem öffentlichen Verfahren kommen.“ Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei ein gigantischer „Justizskandal“, in der Begründung der Behörde würden Dinge zu Unrecht so konstruiert, dass man angeblich keine Anklage erheben könne. „Lasst Euch nicht verschaukeln von der Justiz, die Argumente, die eindeutig dafür sprechen, dass hier Menschen hätten gerettet werden können, ignoriert“, sagte Orth in dem Video-Interview.
Den Angehörigen liegt der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft vor, der bislang aber nicht öffentlich ist. „Wenn man ihn liest, kommt man in großen Teilen zu der Erkenntnis, dass die Menschen im Ahrtal eigentlich selber Schuld an der Katastrophe waren“, kritisierte Orth nun: „Es ist unsäglich wie hier argumentiert wird, das ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Betroffenen.“ Die Familie Orth fordert nun, den Abschlussbericht öffentlich zu machen, dies habe man auch Justizminister Mertin zu prüfen gebeten. „Wir sind uns sicher, dass alle das Recht haben die ausführliche Darlegung zu lesen“, sagte Orth.
Um die Forderung zu untermauern, und auf eine Anklage vor allem gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU) zu drängen, laden die Orths nun zu einer besonderen Protestaktion an diesem Samstag, den 27. April 2024. „Wir werden mit den ‚Stummen Zeugen‘ von Dennis Meseg morgen früh um 6.00 Uhr auf dem Rhein von Remagen nach Mainz fahren“, kündigte Inka Orth, Johannas Mutter an: „Unsere Bitte: Begleitet uns an dem Ufer des Rheins, kommt und bringt ein weißes Zeichen mit, säumt das Ufer von Remagen bis Mainz!“
„Stumme Zeugen“ gehen auf Bootsfahrt von Remagen nach Mainz
Die „Stummen Zeugen“ sind eine Gruppe von 135 Schaufensterpuppen, die der Künstler Dennis Meseg Mitte Februar vor dem Landtag in Mainz anlässlich einer der letzten Sitzungen des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal installierte. Die 135 „Zeugen“ symbolisieren dabei die 135 Menschen, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 in der Flutwelle im Ahrtal ums Leben kamen – viele davon, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt wurden. In der Flutnacht starben eigentlich 136 Menschen, eine Person gilt aber bis heute als „vermisst“, weil ihre Leiche nie gefunden wurde.
Diese Installation wird sich nun auf einem Schiff am Samstagfrüh von Remagen aus durch das Rheintal auf den Weg nach Mainz machen. Entlang der Strecke soll nach den Wünschen der Eltern eine Menschenkette entstehen, die mit weißen Bändern, T-Shirt oder Laken gegen das vergessen der Ahrflut-Toten und für eine Aufarbeitung der Versäumnisse der Verantwortlichen vor Gericht protestiert. „Erhebt Eure Stimme mit uns gemeinsam, dass dieser Justizskandal aufgelöst wird, und die Menschen in Verantwortung genommen werden, die damals die Verantwortung trugen“, appelliert Inka Orth.
In Mainz soll das Protestschiff mit den „Stummen Zeugen“ voraussichtlich gegen 18.00 Uhr an einem Anleger am Fischtorplatz ankommen. Im Gepäck haben die Orths dann auch einen Brief an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), der der Staatskanzlei übergeben werden soll. „Wir können nicht aufgeben, wir wollen nicht aufgeben“, betonte Inka Orth: „Johanna hätte nicht sterben müssen, und auch die anderen 134 Opfer nicht.“
Sollte die Oberstaatsanwaltschaft Koblenz die Beschwerde gegen die Nicht-Anklage ablehnen, werde man ein Klageerzwingungsverfahren anstrengen, sagte Ralph Orth gegenüber der Internetzeitung Mainz&. Die Kosten würden „ganz sicher in sechsstelliger Höhe liegen“, deshalb habe man auf der Plattform „Go Fund Me“ einen Spendenaufruf gestartet. „Wir suchen auf diesem Weg Unterstützer, die bisherigen Verfahrenskosten und auch die über den Spendenbetrag hinausgehenden Kosten tragen wir privat“, betonte Orth.
Info& auf Mainz&: Die Protestfahrt der „Stummen Zeugen“ wird von mehreren Personen auf ihren Facebook-Accounts live begleitet werden, das Ankündigungs-Video findet Ihr hier bei Tibor Schady im Internet. Auf diesem Account soll auch im Laufe des Freitags ein Zeitplan für die Bootsfahrt gepostet werden, wann das Schiff welchen Ort passiert. Binnenschiffer haben angekündigt, das Schiff mit Hupkonzerten begleiten zu wollen. Einen ausführlichen Bericht über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft findet Ihr hier bei Mainz&. UPDATE&: Wie die Bootsfahrt verlief, und was in Mainz in der Staatskanzlei geschah, das lest Ihr hier bei Mainz&.