Nach dem Mord an einem 20 Jahre alten Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein, warnen Experten nun vor einer Radikalisierung von Corona-Leugnern. Die Sicherheitsbehörden registrierten bereits „eine deutliche Instrumentalisierung der Tat“ durch rechtsextreme Verschwörungsfanatiker und Corona-Leugner, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Dienstag in Mainz: „Das ist abscheulich.“ Verfassungsschutzexperten betonen, die Szene radikalisiere sich seit Wochen, die Aggressivität steige. Die Experten hatten bereits vor einem Jahr gewarnt, Querdenker- und Coronaleugner-Szene werde zunehmend von Extremisten unterwandert und durchaus auch gewaltbereit. Inzwischen sprechen Experten von „Corona-Terror“ und einer steigenden Gefahr.

An dieser Tankstelle in Idar-Oberstein wurde am Samstag ein Student von einem radikalen Corona-Leugner erschossen. - Foto: ZDF,. Screenshot: gik
An dieser Tankstelle in Idar-Oberstein wurde am Samstag ein Student von einem radikalen Corona-Leugner erschossen. – Foto: ZDF,. Screenshot: gik

Vergangenen Samstag war ein 20 Jahre alter Student, der in einer Tankstelle in Idar-Oberstein arbeitete, abends von einem 49 Jahre alten Mann erschossen worden. Der Grund: Streit um die Maskenpflicht. Nach den bisherigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft betrat der 49 Jahre alte Idar-Obersteiner gegen 19.45 Uhr die Tankstelle, um dort Bier zu kaufen. Weil er aber keine Mund-Nasen-Bedeckung trug habe es eine kurze Diskussion mit dem Kassierer gegeben, berichtete die Polizei – der 49-Jährige  wurde auf die Maskenpflicht hingewiesen, knallte das Sixpack wutentbrannt auf die Theke und verließ die Tankstelle.

Gegen 21.25 Uhr aber kam er wieder, trug zunächst eine Mund-Nasen-Bedeckung, doch als er an der Kasse ankam, zog er die Maske herunter, zog er einen Revolver aus der Hosentasche und schoss dem Studenten in den Kopf. Anschließend flüchtete der Täter zu Fuß, konnte aber am nächsten Morgen auf der Polizeiinspektion Idar-Oberstein festgenommen werden, wo er offenbar von sich aus erschienen war. Es handele sich um einen 49-jährigen Deutschen, der in Idar-Oberstein lebe und bisher polizeilich nicht in Erscheinung getreten sei, teilte die Polizei weiter mit.

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Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann am Montag auf einer Pressekonferenz zum Mord in dar-Oberstein. - Screenshot: gik
Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann am Montag auf einer Pressekonferenz zum Mord in dar-Oberstein. – Screenshot: gik

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in einem Stadtteil von Idar-Oberstein fanden die Ermittler jedoch nicht nur die Tatwaffe, sondern auch weitere Schusswaffen und Munition. Die Herkunft der Waffen müsse noch geklärt werden, hieß es weiter, laut Staatsanwaltschaft besaß der Mann keinen Waffenschein und keine Genehmigung, Waffen zu besitzen. Der Mann hat die Tat inzwischen gestanden und gab dabei an, er habe „aus Ärger über die Zurückweisung bei seinem ersten Besuch in der Tankstelle und die Aufforderung des Kassierers, eine Mund-Nasen-Bedeckung anzulegen“ gehandelt, wie es im Polizeibericht weiter heißt. Auch habe er in seiner Vernehmung angegeben, die Corona-Schutzmaßnahmen abzulehnen. Der Täter habe „ein Zeichen setzen“ wollen, der Student sei für ihn „verantwortlich“ gewesen, weil er die Maßnahmen durchgesetzt habe, sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann.

Die Tat sorgt inzwischen bundesweit für Empörung, „der Schock sitzt tief, meine Gedanken sind bei Familie und Freunden des Opfers“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Dienstag in Mainz. Die Tat müsse aufgeklärt, der Täter bestraft werden. Doch was Politik, Behörden und Beobachter vor allem umtreibt, ist der Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen: Er beobachte seit Monaten eine Eskalation rechter Verschwörungsfantasien  im Umfeld von aggressiven und gewaltbereiten Bürgern, sagte der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, dem Redaktionsnnetzwerk Deutschland (RND): Auch bisher als nicht gewaltbereit bekannte Menschen rasteten immer öfter aus, pöbelten und randalierten, heißt es in dem Bericht von ZDF Online dazu.

Warnt vor Radikalisierung bei Corona-Leugnern und der Instrumentalisierung des Mordes: Innenminister Roger Lewentz (SPD). - Foto: gik
Warnt vor Radikalisierung bei Corona-Leugnern und der Instrumentalisierung des Mordes: Innenminister Roger Lewentz (SPD). – Foto: gik

„Der kaltblütige Mord an dem Studenten, der als Tankstellen-Kassierer arbeitete, ist furchtbar, aber für mich keine Überraschung angesichts der steten Eskalation der letzten Wochen“, zitieren die ZDF-Kollegen Kramer wörtlich. Die steigende Aggressivität sei im Alltag „überall spürbar“, offenbar auch, weil der Druck auf Corona-Leugner wächst, sich Impfen zu lassen. Experten gehen davon aus, dass es einen gewissen Prozentsatz von um die zehn Prozent der Bevölkerung gibt, die Corona-Impfungen generell ablehnen, viele von ihnen, weil sie die Gefahren der Corona-Pandemie und einer Covid-19-Erkrankung komplett leugnen. In diesen Kreisen kursieren vielfach düstere Verschwörungstheorien, nach denen „der Staat“ angeblich die Corona-Pandemie zur Unterdrückung der Bevölkerung nutzt.

Der Mord von Idar-Oberstein werde derzeit von Corona-Leugnern in sozialen Netzwerken instrumentalisiert, die Sicherheitsbehörden registrierten eine deutliche Zunahme solcher Aktivitäten, sagte Innenminister Lewentz nun. In den einschlägigen extremistischen Foren werde die Tat „der vermeintlichen „Tyrannei“ des Staates und seiner Institutionen zugerechnet“, das sei „perfide“ und „abscheulich“: „Wenn Anhänger rechtsextremer Verschwörungsideologien und Corona-Leugner die Tat zu Propagandazwecken missbrauchen, und einen Mord für ihre perfiden Zwecke nutzen, dann betreiben sie abscheuliche Stimmungsmache und zeigen dadurch ihr wahres Antlitz.“

Reichsbürger und Querdenker schwenkten Reichsflaggen auf den Stufen des Reichstages in Berlin. - Screenshot: gik
Reichsbürger und Querdenker schwenkten Reichsflaggen auf den Stufen des Reichstages in Berlin. – Screenshot: gik

Lewentz hatte bereits vor einem Jahr, im November 2020, vor einer Radikalisierung der Corona-Leugner- und Querdenker-Szene gewarnt: Querdenker-Szene und Corona-Leugner-Proteste würden zunehmend von Rechtsextremisten und Reichsbürgern unterwandert – und die Proteste radikalisierten sich rasant und mit hoher Gewaltbereitschaft, sagte Lewentz. Anlass waren damals mehrere Querdenker-Kundgebungen, die unter anderem zu einer Art „Sturm auf den Reichstag“ führten. Die Coronaprotestler bildeten „ein Sammelbecken für Rechtsextreme und Reichsbürger“, betonte damals der Chef des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, Elmar May. Noch nähmen Rechtsextreme bei den Kundgebungen keine prägende Rolle ein, „aber eine Abgrenzung zur rechtsextremistischen Szene gibt es auch nicht.“

Die Querdenker seien „keine Organisation, die wir derzeit als komplett extremistisch einschätzen“, unterstrich May im Herbst 2020 – es gebe aber einen Trend zu mehr staats- und demokratiefeindlichen Aktionen, die Entwicklung der Szene sei sehr dynamisch. „Es macht uns ganz große Sorgen, dass da Menschen in der Radikalisierungsspirale drin sind“, sagte damals auch Lewentz, und nannte als Beispiel die „Querdenker“-Rednerin, die sich mit der NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglich und behauptete, sie sei „seit Wochen im Widerstand“ gegen die Corona-Maßnahmen. „So etwas kann dazu führen, dass die Radikalisierung sehr schnell bis zur extremsten Situation führt“, hatte der Innenminister damals gesagt, dann seien auch Anschläge durch Einzeltäter nicht auszuschließen.

Coronaleugner-Demo 2020 in Mainz. - Foto: gik
Coronaleugner-Demo 2020 in Mainz. – Foto: gik

Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz werde deshalb die Beobachtung der Querdenker-Protestbewegung intensivieren, hatte Lewentz im Herbst 2020 angekündigt. Der Täter von Idar-Oberstein aber war weder dem Verfassungsschutz noch der Polizei bekannt, bislang gebe es auch keine Erkenntnisse zu Verbindungen des Täters in die rechtsextremistische oder Reichsbürger- und Selbstverwalter Szene, so der Verfassungsschutz weiter. Allerdings berichtet das ZDF, der Täter von Idar-Oberstein habe bereits früher Verschwörungsinhalte im Netz geteilt, folge fast ausschließlich AfD-Politikern und habe eine Nähe zu radikalen Corona-Leugnern.

Auf dem Messengerdienst Telegram äußerten Follower des inzwischen in den Rechtsextremismus abgedrehten Attila Hildmann Verständnis für den Mord – man müsse „diese Masken-Scheiße (…) mit Waffengewalt regeln.“ Man müsse auch in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Schusswaffen vorgehen „und den Leuten sagen, dass die Masken-Scheiße vorbei ist und die Fahrer gefügig machen“, zitiert das ZDF den radikalen Corona-Leugner weiter – mit Screenshot. Beim Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz spricht man inzwischen aber von einem „gewaltbereiten und demokratiefeindlichen Corona-Protestgeschehen“, das man konsequent im Blick behalte: Dort gebe es demokratiefeindliche Ansätze mit dem Ziel, den demokratischen Staat zu delegitimieren.

Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, betonte am Abend in der Sendung ZDF heute live, es plädiere dafür, diese sich radikalisierenden Corona-Leugner nicht länger als Querdenker oder Leugner zu bezeichnen, sondern als „Corona-Terrorismus“: Es handele sich „um eine echte Ideologie, die gegen den Staat gerichtet ist“, sagte Fiedler. Die Anhänger radikalisierten sind und glaubten zunehmend kruden Verschwörungstheorien, die mit der Realität nichts mehr zu tun hätten. „Das sind tatsächlich verfassungsfeindliche Tendenzen, und so sollten wir auch drüber sprechen“, sagte Fiedler.

Die Verschwörungsforscherin Pia Lamberty warnte aber, dies auf eine Haltung „gegen den Staat“ zu reduzieren, seit nicht weitgehend genug: Es gehe um einen Vorurteilstruktur gegen „alle denen, die als mächtig registriert werden.“ Das könnten zwar Politiker sein, es hätten aber auch die Angriffe gegen Medien und Presse stark zugenommen, Querdenker hätten sich vor Schulen postiert und Kinder angesprochen. „Das wird immer noch verharmlost und teilweise nicht ernst genommen und als ‚kritische Haltung‘ missverstanden, es handele sich aber um Menschen, die einen Systemsturz wollten und auch vor Gewalt nicht zurückschreckten: „Es sind schon seit anderthalb Jahren immer wieder aus Worten Taten geworden.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Artikel zu Extremismus auf Corona-Demos könnt Ihr hier noch einmal bei Mainz& nachlesen. Die ausführliche Warnung des Innenministers aus dem Herbst 2020 zur Radikalisierung der Corona-Leugner-Szene findet Ihr hier im Internet – die Details sind durchaus erschütternd. Die hervorragende Sendung von ZDF Heute live mit dem Titel „Mordmotiv Maskenpflicht“ findet Ihr hier im Internet oder auch hier auf Facebook – aktuell läuft sie noch.

 

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