Es ist das Ende einer Ära: In Mainz endet nach 78 Jahren die Zeit der sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Bei der Oberbürgermeisterwahl am Sonntag verlor die SPD die Wahl glatt und schaffte es nicht einmal in die Stichwahl. Die Mainzer schickten stattdessen den Kandidaten der Grünen, Christian Viering, sowie den parteilosen Nino Haase in die Stichwahl. Haase kam mit großem Abstand und mit 40,2 Prozent auf Platz eins, Viering holte 21,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 49,2 Prozent, für eine OB-Wahl ist das viel.

SPD-Kandidatin Mareike von Jungenfeld im Mainz&-Interview kurz vor dem Wahltag. - Foto: gik
SPD-Kandidatin Mareike von Jungenfeld im Mainz&-Interview kurz vor dem Wahltag. – Foto: gik

Die Wahl wurde notwendig, weil der bisherige Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) im Oktober 2022 überraschend zum Innenminister von Rheinland-Pfalz berufen worden war. Ebling gab damit nur drei Jahre nach seiner Wiederwahl seinen OB-Posten auf – und hinterließ eine für die plötzliche Wahl ungerüstete Partei. Die Sozialdemokraten hoben nach einer längeren Suche schließlich die 41 Jahre alte Finanzreferentin Mareike von Jungenfeld als SPD-Kandidatin auf den Schild – es wurde keine glückliche Wahl.

Die Ko-Vorsitzende der Mainzer SPD kam beim Wahlgang am Sonntag auf ganze 13,3 Prozent und damit nur auf Platz vier der insgesamt sieben Kandidaten. Für die SPD ist das ein Debakel: Nach 78 Jahren verliert die SPD den Chefsessel in der Landeshauptstadt – seit 1945 hatten Sozialdemokraten die Landeshauptstadt regiert. „Falscher Zeitpunkt, falsche Kandidatin – und eine Partei, die für eine Nachfolge nicht gerüstet war“, so lautete am Sonntagabend die schonungslose Analyse vieler Sozialdemokraten, und einer fügte erbost hinzu: „Danke, Ebling.“

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Debakel für die SPD: Verlust der Landeshauptstadt nach 78 Jahren

Die SPD-Kandidatin sah sich nicht in der Lage, dieser Zeitung am Wahlabend auch nur ein Statement zu geben, auch ihr Ko-Vorsitzender sowie die restliche Parteispitze verweigerte sich einer Anfrage. Für die in Rheinland-Pfalz erfolgsverwöhnten Sozialdemokraten ist das ein herber Einschnitt: Offenbar konnte die Partei nicht einmal ihre eigene Wählerklientel vom Kreuz bei der SPD überzeugen.

„Das Wahlergebnis der Oberbürgermeisterwahl in Mainz ist enttäuschend“, reagierte die rheinland-pfälzische SPD am Abend in einer dürren Meldung. Mareike von Jungenfeld habe „einen engagierten Wahlkampf geführt, dabei haben wir sie gerne unterstützt“, sagte Landesvorsitzender Roger Lewentz und Generalsekretär Marc Ruland. Es war der Rücktritt von Lewentz als Innenminister, der die Rochade ausgelöst hatte.

Überzeugender Wahlkampf, heimlicher Sieger: Linken-Kandidat Martin Malcherek. - Foto: Linke
Überzeugender Wahlkampf, heimlicher Sieger: Linken-Kandidat Martin Malcherek. – Foto: Linke

Zum Problem der Sozialdemokraten wurde auch, dass der Linken-Kandidat Martin Malcherek einen überzeugenden Wahlkampf mit frischen Ideen und viel Kompetenz hinlegte. „Malcherek war der bessere Sozialdemokrat“, sagte einer – Namen nennen, wollte am Sonntagabend niemand auf der Wahlparty der Sozialdemokraten. Malcherek kam am Ende auf 7,1 Prozent, deutlich mehr als bei seinem Wahlkampf vor drei Jahren.

Das Ergebnis sei „ein großartiger Erfolg“ für die Linke in Mainz und zeige, „dass wir mit Martin Malcherek seit 2019 im Stadtrat auf die richtigen Themen setzen“, sagte Co-Fraktionschef Tupac Orellana. Mit dem richtigen Kandidaten und den richtigen Themen könne auch die Linke noch die entsprechenden Ergebnisse holen. Malcherek selbst freute sich: „Das Ergebnis zeigt, dass die Linke in Mainz immer besser ankommt.“

Er habe auf die richtigen Themen gesetzt, zudem seien die Mainzer „unzufrieden mit der Ampelkoalition, wie man es an unserem, oder dem Ergebnis von Nino Haase ablesen kann.“ Die Linke gehe nun mit Rückenwind in den kommenden Kommunalwahlkampf.

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Staunen bei Haase, deutlicher Vorsprung in ganz Mainz

Ausgelassen bis ungläubig war dagegen die Stimmung auf der Wahlparty des parteilosen Kandidaten Nino Haase: Schon bei der Auszählung der ersten Stimmen um kurz nach 18.00 Uhr schnellte der Balken des 39 Jahre alten Unternehmers in die Höhe – bis auf Werte um die 40 Prozent. Der Trend verfestigte sich über den Abend hinweg, am Ende hatten 40,2  Prozent der Wähler Haase ihre Stimme gegeben.

Freute sich am Wahlabend über Platz 1: der parteilose Kandidat Nino Haase. - Foto: gik
Freute sich am Wahlabend über Platz 1: der parteilose Kandidat Nino Haase. – Foto: gik

„Ich bin unfassbar zufrieden und ziemlich euphorisch“, reagierte Haase am Wahlabend – völlig überrascht sei er aber nicht. „Wir haben einen sehr guten Wahlkampf gemacht, waren sehr strukturiert und haben von Woche zu Woche mehr gemerkt, dass wir immer mehr in Kommunikation mit den Wählern kommen“, sagte er gegenüber Mainz&. Auch sein Wahlkampf mit Video-Formaten und Podcasts habe sich ausgezahlt.

„Wir haben mit vielen Akteuren aus der Stadt zusammengearbeitet und gezeigt, was überparteilich möglich ist“, freute sich Haase. Er sei überzeugt, dass es das sei, was die Menschen wollten: „Authentische, transparente Politik mit einer offenen, klaren Kommunikation“, sagte er, „und ich finde, wer Verantwortung übernehmen will, sollte auch Antworten geben – und das haben wir, glaube ich, in den letzten Monaten gemacht.“

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Haase: Mainzer wollen „authentische, überparteiliche Politik“

Die Zustimmung für Haase zog sich dabei quer durch die Stadt, selbst in Stadtteilen, die sonst typischerweise SPD oder CDU zuneigen, zeigte sich dasselbe Bild: Haase lag mit teilweise Stimmenanteilen von über 40 Prozent deutlich vorn. Selbst in der traditionell Grün wählenden Neustadt bewegte sich Haase mit 30,3 Prozent auf Augenhöhe mit Grünen-Kandidat Viering, der hier auf 32 Prozent kam – für einen Grünen ein ausgesprochen schlechtes Ergebnis.

Vorläufiges amtliches Endergebnis des ersten Wahlgangs der OB-Wahl in Mainz am Sonntag. - Grafik: Stadt Mainz
Vorläufiges amtliches Endergebnis des ersten Wahlgangs der OB-Wahl in Mainz am Sonntag. – Grafik: Stadt Mainz

In der Oberstadt, ebenfalls ein Stadtteil, in dem die Grüne sonst starke Stimmenanteile halten, lag Haase gar mit 38,5 Prozent deutlich vor Viering mit 23,5 Prozent. Selbst in Mombach – eigentlich ein SPD-Heimatstadtteil und Heimatort von Ex-OB Ebling – kam Haase auf 41 Prozent, die SPD-Kandidatin hingegen nur auf 17,7 Prozent. Viering holte hier 17,5 Prozent. Generell stimmten ein bisschen mehr Wähler bei der Briefwahl für Haase, während Viering noch am Wahltag etwas mehr punkten konnte.

Debakel für die SPD in Mombach: Haase vorn

In Mombach lag die Wahlbeteiligung mit gerade einmal 38,2 Prozent auch stadtweit mit am niedrigsten, in eher CDU-geneigten Stadtteilen hingegen bei teilweise sogar deutlich über 50 Prozent – in Drais gingen gar 62,3 Prozent der Wähler zur Wahl. Stadtweit gingen 49,2 Prozent der wahlberechtigten Mainzer zur Wahl, für eine Oberbürgermeisterwahl sei das ein guter Wert, sagte Wahlleiter und Bürgermeister Günter Beck (Grüne) am Abend.

CDU-Kandidatin Manuela Matz im Mainz&-Interview vor der Wahl. - Foto: gik
CDU-Kandidatin Manuela Matz im Mainz&-Interview vor der Wahl. – Foto: gik

Insgesamt waren rund 161.670 Wahlberechtigte zur Wahl des Oberbürgermeisters aufgerufen, die Wahl sei ohne besondere Vorkommnisse und Pannen abgelaufen, sagte Beck weiter. Die Briefwahl boomte, rund 46.000 Mainzer gaben ihre Stimme auf diese Weise ab. Zum zweiten großen Verlierer der Wahl wurde derweil die CDU-Kandidatin: Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz kam ebenfalls nur auf 13,5 Prozent der Stimmen.

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Niederlage auch für die CDU, Dämpfer für Grüne

Damit ist klar: Obwohl sie eine der bekanntesten Kandidaten war, konnte Matz nicht nur die Mainzer, sondern offenbar auch große Teile ihrer eigenen Partei nicht hinter sich versammeln – die CDU hatte bei der Kommunalwahl 2019 zuletzt 23,4 Prozent bekommen. Die CDU hatte sich entschieden, nicht wie 2019 noch Haase zu unterstützen, sondern stattdessen auf die eigene Kandidatin zu setzen – das zahlte sich nicht aus.

Aber auch die Grünen konnten ihr Wählerpotenzial nicht ausschöpfen: Hatten sie bei der Kommunalwahl 2019 noch 27,6 Prozent erhalten, kam Viering jetzt nur auf 21,5 Prozent der Stimmen. „Ich bin nicht übermäßig erfreut heute Abend“, bilanzierte Grünen-Landeschef Josef Winkler am Sonntagabend, das Wichtige aber sei: „Ich freue mich, dass die Grünen in der Stichwahl sind.“

Grünen-Kandidat Christian Viering am Wahlabend. - Foto: gik
Grünen-Kandidat Christian Viering am Wahlabend. – Foto: gik

Viering selbst betonte hingegen, er habe das Potenzial der Grünen ausgeschöpft: „Ich bin relativ genau bei dem, was wir in den letzten Jahren, mal abgesehen von 2019, immer geholt haben“, sagte Viering gegenüber Mainz&, „deshalb sind wir sehr zufrieden, dass wir das jetzt am Ende auch umsetzen konnten.“ Die Grünen hätten im Gegensatz zu anderen Parteien ihr Potenzial gehalten, „das war das Ziel“, betonte Viering. Viele Wähler, die in der Vergangenheit SPD und CDU gewählt hätten, seien offenbar zu Haase gewechselt. „Wir haben jetzt die Aufgabe, in den nächsten Wochen die Wähler noch einmal zu mobilisieren“, sagte Viering.

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Stichwahl am 5. März zwischen Haase und Viering

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis steht fest: In drei Wochen findet eine Stichwahl am 5. März 2023 zwischen Haase und Viering statt. Da Haase vor drei Jahren auch von der CDU unterstütz worden war, stehen seine Karten gut, seinen Stimmanteil noch weiter zu steigern. Die Grünen müssen hingegen nun auf Stimmen von SPD und Linken hoffen – allerdings wählten wohl schon im ersten Wahlgang viele Sozialdemokraten eher Haase.

Einfach werde es nicht, den Vorsprung Haases noch einzuholen, hieß es Abend bei den Grünen: „Schwer, aber zu schaffen.“ Es komme jetzt auf die Mobilisierung der Wähler an – traditionell gehen bei einer Stichwahl deutlich weniger Wähler zur Wahl. Entscheidend könnte also sein, wer sein Wählerpotenzial besser ausschöpfen kann.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Verlauf des Wahlkampfes und einer Mainz&-Analyse des Auftretens der Kandidaten, sowie zur Frage: Welche macht hat ein OB – lest Ihr hier auf Mainz&.

Korrektur&: Da haben wir doch tatsächlich versehentlich den Bürgermeister Günter Beck i die SPD gesteckt – das tut uns natürlich Leid, und dafür entschuldigen wir uns. Beck ist natürlich bei den Grünen. Vermutlich passierte der Fehler, weil wir uns bei der SPD-Wahlparty trafen… nix für ungut. Wir haben das natürlich korrigiert.