Paukenschlag in Mainz zu Jahresbeginn: Die Mainzer CDU schickt für die Oberbürgermeisterwahl Ende Oktober den parteilosen Aktivisten Nino Haase ins Rennen. Die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel schlug am Montagabend Haase als CDU-Kandidaten vor, zuvor hatte der CDU-Kreisvorstand ihn einstimmig nominiert. Der 35 Jahre alte Chemiker soll frischen Wind in die verkrustete Mainzer Parteipolitik bringen, so die Ansage: Haase solle ein Bürgerkandidat sein, der die Wähler wieder für Stadtpolitik jenseits von Parteiengeklüngel begeistern soll. Haase selbst sprach von Transparenz, echter Bürgernähe und Ideen für Mainz, er wolle mit freiem Denken die Potenziale von Mainz stärken. Der 35-Jährige wurde in Mainz als Sprecher der Bürgerinitiative Gutenberg Museum bekannt, 2018 war er maßgeblich an dem Bürgerentscheid zum Bibelturm beteiligt, den die BI haushoch gewann.

Die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel stellt Nino Haase als OB-Kandidaten der CDU vor. – Foto: gik

„Wir wollen einen neuen Weg“, sagte Flegel am Montagabend bei der Bekanntgabe von Haases Kandidatur. Haase sei nicht Mitglied der CDU, aber er trete für die CDU an und werde von der CDU unterstützt. In Mainz bestimme inzwischen „eine Handvoll, eine eingeschworene Gemeinschaft im Stadtvorstand“ die Politik, das aber führe mittlerweile „zu dermaßen vielen Fehlentscheidungen“, das könne so nicht weitergehen. „Mit einem unabhängigen Kandidaten wollen wir die Menschen für etwas Neues begeistern“, sagte Flegel, „sicher ist die Entscheidung mutig, und sie ist etwas ganz, ganz Neues.“

Zum ersten Mal präsentiert damit eine große Volkspartei bei einer Oberbürgermeisterwahl nicht einen Kandidaten aus den eigenen Reihen, sondern einen unabhängigen, parteilosen Kandidaten. Die Wahl zum Oberbürgermeister von Mainz ist keine unbedeutende: Mainz ist Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz und mit inzwischen 215.000 Einwohnern die 36. größte Stadt Deutschlands. Der Oberbürgermeister dieser Stadt hat Gewicht und Stimme, seit 1949 stellte die SPD alle Stadtoberhäupter von Mainz.

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Seit 12. April 2012 ist Michael Ebling (SPD) Oberbürgermeister von Mainz, seines Amtszeit endet im April 2020 – Ebling hat verkündet, dass er zur Wiederwahl antreten will. Am 27. Oktober steht die OB-Wahl in Mainz an, eine mögliche Stichwahl würde zwei Wochen später stattfinden. Bislang ist aber auch Ebling noch nicht offiziell nominiert, die SPD will das erst nach der Kommunalwahl am 26. Mai durchführen. Auch die Grünen halten sich bislang noch bedeckt, was einen möglichen eigenen Kandidaten angeht.

Ließ Nino Haase den Vortritt, anstatt selbst als CDU-OB-Kandidatin anzutreten: die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel. – Foto: gik

Die Frage, wen die CDU als Herausforderer für Ebling ins Rennen schickt, war mit Spannung erwartet worden: Die Christdemokraten hoffen angesichts der bundesweiten Schwäche der SPD auf Rückenwind bei der Kommunalwahl – und auf die Chance, im Herbst endlich selbst den OB von Mainz stellen zu können. Als mögliche Kandidaten wurden immer wieder CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig, aber auch der Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner genannt. Seit ihrer Wahl zur Mainzer CDU-Chefin im September 2016 galt aber die Gonsenheimer Ortsvorsteherin Sabine Flegel als Top-Kandidatin, schon auf ihrem Wahlparteitag ritt sie scharfe Angriffe gegen Ebling und propagierte den Wahlspruch „Raus zu den Bürgern“.

Die Überraschung am Montagabend war denn auch groß: Nicht Flegel und kein anderer CDU-Mann fordern im Herbst Ebling heraus, die CDU nominiert stattdessen einen parteilosen, unabhängigen Kandidaten. „Wir haben uns ganz viele Gedanken gemacht: was will der Bürger?“, sagte Flegel am Montagabend. Die CDU sei stark und habe „eine gute Truppe mit hochkarätigem Personal“, betonte die Chefin, „und wir haben uns auch nicht gestritten.“ Aber auch die CDU sehe die steigende Politikverdrossenheit, die auch vor ihren eigenen Reihen nicht Halt mache. „Wenn man Wahlen gewinnen will, schafft man es vielleicht nicht allein mit der CDU“, sagte Flegel offen, „wir wollen, dass sich eine Allianz bildet für einen unabhängigen Kandidaten.“ Es gehe darum, die Menschen zu begeistern für etwas Neues, für einen Oberbürgermeister für alle Bürger. „Wir wollen endlich das Fenster aufreißen und frische Luft reinlassen“, sagte Flegel, „das hat Mainz noch nicht gehabt, und irgendwie ist es sexy.“

Nino Haase (rechts) mit dem Gründer der BI Gutenberg-Museum, Thomas Mann, vor Plakaten gegen den Bibelturm im Frühjahr 2018. – Foto: gik

Ausschlaggebend für die Entwicklung waren die Ereignisse um den Bibelturm, räumte die CDU offen ein: Im April 2018 hatten 77,3 Prozent der Mainzer einen Bibelturm als Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums abgelehnt, der Wahlkampf im Vorfeld war mit großer Härte geführt worden. Die Bibelturm-Gegner wurden teilweise haltlos als „Banausen“ und rückwärtsgewandte Modernisierungsverweigerer beschimpft, die Mainzer sahen das anders: Der Bürgerentscheid wurde auch zu einem Votum gegen eine abgehobene Stadtpolitik über die Köpfe der Bürger hinweg. „Wenn man weiß und verstanden hat, dass ein Bürgerentscheid so ausgegangen ist, wie er ausgegangen ist, dann ist das eine Maßeinheit, die wir sehr ernst nehmen“, sagte Flegel, durchaus selbstkritisch. Die CDU hatte im Stadtrat für den Bibelturm gestimmt, Teile der Partei jedoch gegen den Turmbau gekämpft.

Nino Haase war Sprecher der Bürgerinitiative Gutenberg Museum, die den Bürgerentscheid mit der Sammlung von rund 13.500 Unterschriften erzwungen hatte. Der medienerfahrene Chemiker hatte der BI mit seinen Aktionen zu erheblichem Schwung verholfen und stets betont, er wolle Mainz mit Ideen voranbringen. Unter Haases tatkräftiger Mithilfe legte die BI schon während des Wahlkampfes Gegenkonzepte samt Vorschlägen für Finanzierungskampagnen vor, auch ein Modell zur Stärkung der Marke Gutenberg entwickelte die BI. Ihre Vorschläge wurden von der Stadtspitze um Ebling nie aufgegriffen, seit April 2018 herrscht Stillstand in Sachen Weiterentwicklung Gutenberg-Museum.

Will ein OB neuen Stils werden: transparenter, offener, näher am Bürger und offen für Ideen. Nino Haase tritt am 28.10.2019 als unabhängiger OB-Kandidat an. – Foto: gik

Haase begründete seine OB-Kandidatur nun genau damit: „Viele Menschen hatten die Hoffnung, dass sich danach etwas ändert, man hat den Menschen ein Versprechen gegeben“, sagte Haase am Montagabend: „Ich möchte nicht, dass die Menschen enttäuscht werden, die aktuelle Stadtsitze um OB Ebling ist aber auf dem besten Weg dahin.“ Die Stadtpolitik werde beherrscht von Parteiendominanz, es herrsche eine Unfreiheit für Ideen, geradezu ein Denkverbot, sagte Haase: „Es traute sich keiner, offen zu sprechen, der Arm des OB reicht bis in die Fraktion“, kritisierte Haase, „diese Unfreiheit behindert vieles, was wir erreichen könnten.“

So arbeiteten in Mainz Dezernate nicht zusammen, es herrsche ein Flickenteppich, eine übergreifende Idee für die Stadt gebe es nicht. „Es gibt keine Bestrebungen, neue Stadtteile zu erschließen, in der Wirtschaftspolitik herrscht absoluter Stillstand“, zählte Haase auf. Neue Gewerbegebiete würden nicht ausgeschrieben, Mainz nicht entwickelt. „Das darf nicht so weiter gehen“, betonte Haase, und genau das wolle er ändern: „Mainz soll bis 2030 eine führende Rolle im Rhein-Main-Gebiet spielen, und das können wir – aber es fehlt der politische Wille.“

Auch im Verhältnis zwischen OB und Bevölkerung brauche es eine Korrektur, forderte Haase: „Es muss wieder ein Vertrauen her, es braucht einen transparenten Führungsstil abseits parteipolitischer Spielchen“, sagte er. Ortsbeiräte müssten gestärkt werden, die „Überheblichkeit“ ihnen gegenüber ein Ende haben. Bürgerinitiativen müssten ernst genommen werden, anstatt sie „abzuwatschen“ und sie „als Ahnungslose mit Hang zum Rechtspopulismus zu beleidigen“. Ein OB müsse sich vor seine Bürger stellen und dafür sorgen, dass genau das nicht passiere, sagte Haase. In BIs säßen hochkompetente Menschen, „wenn man diese Menschen und ihre Ideen mitnimmt, kann man in Mainz Projekte verwirklichen, wovon wir nicht mal zu träumen wagen.“ Genau dafür wolle er als OB-Kandidat einstehen: „Ich habe die Möglichkeit, frei von Parteizwängen Ideen und Vorschläge zu prüfen und für die Stadt umzusetzen.“

Die CDU betonte, genau diesen Aufbruch für die Mainzer Stadtpolitik wolle und brauche man: „Die Stadtratsarbeit in Mainz befindet sich in einer gewissen Sackgasse“, sagte Fraktionschef Schönig. Sinn eines Stadtrates sei „ein Meinungsstreit, um die beste Lösung“, genau das aber passiere schon lange nicht mehr: „Es wird nur noch auf die politische Ausrichtung geachtet, alles von der Opposition wird abgelehnt, alles was von der Verwaltung kommt, ist prima“, beschrieb Schönig die Lage. Eine echte Diskussion um Lösungen finde nicht mehr statt. „Mit dem Versuch, einen unabhängigen Kandidaten an die Spitze zustellen, hoffen wir, dass das parteipolitische Klein-Klein aufgebrochen wird“, sagte Schönig: „Alles, was Demokratie ausmacht, ein Werben um unterschiedliche Ideen, ein Ziel zu erreichen, das wollen wir wiederbeleben.“

Ein erstes Plakat für die OB-Wahl gibt es schon mal: Nino Haase will OB von Mainz werden. – Foto: gik

„Stadtratspolitik soll auch Spaß machen, und sie macht keinen Spaß“, sagte Haase: „Es gibt keine offenen Diskussionen mehr im Stadtrat. Wir müssen freies Denken wieder zulassen, genau das ist die Motivation dieser Kandidatur.“ Der 35-Jährige hat in Mainz Chemie studiert und am Forschungsinstitut Cern in Genf sowie als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz sowie an der Universität Augsburg gearbeitet. Von 2017 bis 2018 war er Mitglied der Geschäftsführung der wissenschaftlichen Rechercheplattform Thesius, bekannt wurde Haase zudem, weil er 2009 die Spielshow „Schlag den Raab“ gewann – und damit rund drei Millionen Euro.

Haase hat keine Verwaltungserfahrung, und er ist nicht Mitglied der CDU. Das wolle er auch nicht werden, sagte Haase am Montag, seine Unabhängigkeit sei sein Vorteil. Er sei aber nach dem Bürgerentscheid zum Bibelturm wiederholt von vielen Seiten angesprochen worden, ob er nicht sein Engagement im politischen Bereich fortsetzen wolle. „Ich bin auch von vielen Unternehmern angesprochen worden“, sagte Haase: „Die Energie, die ich da letztes Jahr gespürt habe, hat mich zum Nachdenken gebracht.“ Er wolle Menschen wieder für Politik begeistern, „ich glaube, dass ich in der Lage bin, viele Menschen neu mitzureißen“, sagte Haase: „Eine Stadtführung, die Mainz aktiv gestalten will und kann, und nicht nur verwaltet – ja, das möchte ich, ja das kann ich.“

Info& auf Mainz&: Haase muss nun noch von der CDU-Parteibasis offiziell als OB-Kandidat  nominiert werden, am 29. und am 31. Januar stellt er sich den CDU-Mitgliedern bei zwei Bürgerversammlungen in Mainz vor. Die offizielle Nominierung soll dann am 4. Februar auf einem Parteitag der Mainzer CDU erfolgen. Mehr über die Gedankenwelt von Nino Haase lest Ihr unter anderem hier auf Mainz& zum Bibelturm. Wer ist der Mann, der die Mainzer Stadtpolitik aufmischen und als Unabhängiger Oberbürgermeister von Mainz werden will? Das erzählen wir Euch hier in unserem Mainz&-Porträt: Kämpfernatur, Wissenschaftler, Millionär.

 

 

 

 

 

 

 

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