Auch in Mainz sind nun Polioviren im Abwasser der Kläranlage nachgewiesen worden. Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwoch mitteilte, wurden die Viren bei der seit 2021 laufenden Untersuchung des Kläranlagen-Abwassers festgestellt. Polioviren lösen die als „Kinderlähmung“ bekannte Krankheit aus, die eigentlich als in Deutschland ausgerottet galt. Die jetzigen Viren stammen wahrscheinlich von Schluckimpfungen gegen Polio, die noch in Asien und Afrika weit verbreitet ist. Das RKI warnt vor einer möglichen Ansteckungsgefahr, das Mainzer Gesundheitsministerium rät, den Impfschutz zu überprüfen.
Bereits am 28. November hatte das Robert-Koch-Institut gewarnt, bei Abwasseruntersuchungen in vier großen Städten in Deutschland seien „von Schluckimpfstoff abgeleitete Polioviren“ nachgewiesen worden – zunächst betraf das die Städte München, Bonn, Köln und Hamburg. Nun weitet sich die Sache aus: auch in Dresden, Düsseldorf und Mainz wurden nun diese Polioviren nachgewiesen, wie das RKI am Mittwoch mitteilte.
Wie das RKI betont, handelt es sich bei den Viren nicht um den sogenannten Wildtyp, sondern um Polioviren, die mittels Schluckimpfungen zur Immunisierung verwendet werden. Aus den Funden könne zwar „nicht geschlossen werden, ob cVDPV2 innerhalb Deutschlands zirkuliert“, betont man beim RKI – doch nach den jüngsten Funden schließt die Gesundheitsbehörde das auch nicht mehr aus. Es sei „jedoch denkbar, dass Menschen hierzulande die Viren weitergeben und – sofern ungeimpft – einzelne von ihnen auch an einer Poliomyelitis erkranken“, so das RKI weiter. Kurz: Es besteht Ansteckungsgefahr.
Polioviren in Mainz bereits seit Mitte November aufgetreten
„Poliomyelitis“ ist der Fachbegriff für eine Krankheit, die in Deutschland eigentlich schon als ausgerottet galt: Kinderlähmung. Die hoch ansteckende Infektionskrankheit befalle vor allem Kinder unter fünf Jahren, heißt es bei der Initiative „End Polio Now“ von Rotary. Das Virus werde durch persönlichen Kontakt – vor allem über Schmierinfektionen – übertragen und finde sich am häufigsten in kontaminiertem Wasser. „Der Erreger befällt das Zentralnervensystem und führt zu Lähmungen und manchmal zum Tod“, so die Beschreibung weiter.
Nachdem in den 1950er Jahren der Impfstoff gegen Polio entwickelt wurden, erfolgten weltweite Impfkampagnen – auch in Deutschland ist vielen Älteren noch die Schluckimpfung bekannt, die bis weit in die 1990er Jahre hinein verbreitet war. Die letzte in Deutschland erworbene Erkrankung an Poliomyelitis durch Wildviren sei 1990 erfasst worden, heißt es beim RKI. Die letzten beiden importierten Fälle (aus Ägypten bzw. Indien) seien 1992 registriert worden. In Deutschland galt die Polio eigentlich seit Jahrzehnten als ausgerottet, der Lebendimpfstoff der „Schluckimpfung“ wird bereits seit 1998 in Deutschland nicht mehr verwendet,
Doch offenbar wurde genau dieser Lebendimpfstoff nun wieder importiert – und das nicht nur punktuell: Das RKI stellte nun diese Polioviren in all den Städten fest, die seit 2021 Teil des im Zuge der Corona-Pandemie eingeführten Abwassermonitorings sind – darunter eben auch Mainz. Wie der Erreger dorthin kam, ist bislang unklar, er kann aber mit dem Stuhl von Geimpften ausgeschieden werden. Festgestellt wurde er in Mainz bereits in der Woche ab dem 11.11.2024, in den beiden Kalenderwochen 46 und 47.
Letzter großer Polio-Ausbruch im Gazastreifen
Der letzte große Polio-Ausbruch weltweit erfolgte im Zuge des Gaza-Krieges: Am 1. September begann deshalb im Gazastreifen eine Massenimpfkampagne von Kindern gegen die Krankheit – vielfach per Schluckimpfung. Eine zweite Impfrunde erfolgte Mitte Oktober, mehr als 92.000 Kinder wurden nach WHO-Angaben immunisiert. Insgesamt sollen mehr als 590.000 Kinder unter zehn Jahren die zweite Dosis für einen vollständigen Schutz vor der Infektionskrankheit erhalten.
Es sei nun „denkbar, dass Menschen hierzulande die Viren weitergeben“, warnt das RKI – wer nicht geimpft sei, könne dann auch erkranken. „Eine mögliche lokale Zirkulation muss daher in jedem Fall rasch gestoppt werden“, warnt die Behörde. Man rufe daher vor allem medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitsdienst auf, mögliche
Impflücken zu schließen und verstärkt auf Poliomyelitis-typischer Symptome sowie auf gute Händehygiene zu achten.
Mainzer Gesundheitsminister rät: Impfschutz überprüfen
Im Mainzer Gesundheitsministerium hieß es am Abend, man stehe in engem Austausch mit dem RKI sowie der Weltgesundheitsorganisation WHO, weitere Proben würden derzeit noch untersucht. Bislang lägen aber keine Erkenntnisse über Polio-Erkrankungs- oder Verdachtsfälle vor, auch nicht deutschlandweit. „Das Risiko, sich mit Polio zu infizieren, ist trotz des Nachweises im Abwasser auch weiterhin äußerst gering“, betonte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD).
Die Nachweise von Polioviren im Abwasser zeigten, „dass unsere Frühwarnsysteme gut funktionieren. Damit besteht nun die Möglichkeit einer erhöhten Wachsamkeit bei der weiteren Überwachung.“ Rheinland-Pfalz hatte erst spät, im Herbst 2022, ein Abwasser-Monitoring in 14 Kläranlagen im Land installiert, nachdem die Kläranlage in Mainz bereits 2021 Teil eines Pilotprojektes zur Erkennung von Sars-CoV-2-Viren gewesen war. Das Frühwarnsystem im Abwasser kann Virenkonzentrationen höchst zuverlässig erkennen und sogar neue Viruswellen vorhersagen – trotzdem wurde das Projekt zwischenzeitlich eingestellt.
Nun zeigt sich, wie wichtig das Früherkennungssystem auch mit Blick auf andere Viren ist. Denn: Der Impfschutz bei Polio liegt heutzutage nicht mehr bei 99 Prozent wie in früheren Jahren, sondern niedriger. „In keinem Landkreis liege die Impfquote unter 90 Prozent bei den Einschulkindern“, sagte Hoch weiter. Auch der Minister mahnte: „Jetzt ist die gute Gelegenheit, den Impfschutz grundsätzlich zu prüfen.“ Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, seien vor der Erkrankung geschützt. In Deutschland würden Babys in der Regel im Alter ab zwei Monaten geimpft – seit 1998 erfolgt die mit einem Totimpfstoff, der gespritzt wird.
Info& auf Mainz&: Die aktuellen Meldungen des RKI zum Thema Polioviren findet Ihr hier im Internet, einen ausführlichen Ratgeber zu Polio findet Ihr hier beim RKI im Internet. Wie das Abwasser-Survey genau funktioniert, haben wir hier bei Mainz& berichtet.