Das war mehr als deutlich: Mit 62,1 Prozent haben die Wiesbadener am Sonntag Nein zur Citybahn gesagt, laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis stimmten am Ende zwei Drittel gegen das Großprojekt, nur 37,9 Prozent der Wiesbadener sagten Ja. Knapp 96.700 Wiesbadener gingen zur Abstimmung, das entsprach einer sehr guten Wahlbeteiligung von 46,2 Prozent. „Eine klare Mehrheit wollte dieses Projekt nicht“, sagte am Sonntagabend ein enttäuschter Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD). Die Entscheidung sei bindend, betonte der OB, die Citybahn werde nicht gebaut. Aus Mainz kam Bedauern von der Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne), aber auch Kritik von Seiten der SPD an dem Wiesbadener Kommunikationsmanagement, sowie Verständnis über den Ausgang von der CDU.
Die Mienen waren lang, die Gesichter versteinert: Um kurz nach 19.00 Uhr traten der Wiesbadener Oberbürgermeister Mende mit seinen zwei Dezernenten Andreas Kowol (Verkehr, Grüne) und Kessler (Stadtentwicklung, CDU) vor die Presse, denn schon da war klar: Die Niederlage in Sachen Citybahn würde deutlich ausfallen – und es würde eine Ohrfeige für die Wiesbadener Stadtspitze. 61,6 Prozent Nein-Stimmen – so der Stand gegen 19.00 Uhr – sprachen eine deutliche Sprache: Die Wiesbadener wollen mit großer Mehrheit keine Citybahn und erteilten dem Großprojekt im Bürgerentscheid eine klare Absage.
„Ich hatte für eine andere Entscheidung geworben, um die Verkehrsprobleme Wiesbadens zu lösen, es ist anders ausgefallen“, sagte ein ratlos wirkender Oberbürgermeister, eines sei aber klar: „Es ist eine bindende Entscheidung, die Entscheidung der Wähler gilt es zu akzeptieren.“ Tatsächlich erreichte der Bürgerentscheid das nötige Quorum deutlich: 209.204 Wahlberechtigte waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, 96.693 Wiesbadener folgten dem – das entspricht einer Wählerbeteiligung von 46,2 Prozent. Dazu mussten sich 30 Prozent der Wahlberechtigten klar für eine Antwort entscheiden, auch das gelang: 36.591 Wiesbadener sagten Ja zur Citybahn – aber 59.829 Nein.
Damit fiel die Ablehnung unerwartet deutlich aus, bis zuletzt hatte der Ausgang auf der Kippe gestanden. Gleich nach den Sommerferien hatte die Stadt Wiesbaden gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben ESWE und der Citybahn GmbH eine groß angelegte Werbekampagne gestartet: Mit hoch professionellen Videos, mit Plakaten, Flyern und Aushängen wurde für ein Ja zur Citybahn geworben. Doch tatsächlich stieß die Werbekampagne vielen Wiesbadenern durchaus negativ auf: Da hing ein großes Transparent pro Citybahn am Wiesbadener Rathaus, obwohl das als Ausrichter der Wahl eigentlich zu Neutralität verpflichtet ist.
Am Sonntag dann teilte die Bürgerinitiative Mitbestimmung Citybahn – die gegen die Bahn kämpfte – Fotos von Corona-Hygienemaßnahme-Plakaten in Wahlbüros, auf denen das Logo der Citybahn-Kampagne prangte, auch das sei ein klarer Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, wetterten die Gegner. Wiesbadener berichteten zudem gegenüber Mainz&, selbst in Bussen habe es Durchsagen gegeben, in denen für die Citybahn geworben worden sei – so etwa am 30. Oktober um 10.00 Uhr morgens in der Buslinie 9. Das sei als völlig unverhältnismäßiges „Agitieren“ empfunden worden, berichtete das Kostheimer Ortsbeiratsmitglied Marion Mück-Raab (AUF), die selbst für ein Ja zu dem Projekt geworben hatte: „Ich kenne Leute, die deswegen nicht zur Wahl gegangen sind oder gegen die Bahn gestimmt haben.“
„Von Durchsagen in Bussen weiß ich nichts“, sagte Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) am Sonntagabend auf Mainz&-Frage. Die Stadt habe sehr umfangreich informieren müssen, weil das Projekt Citybahn ein sehr komplexes Projekt gewesen sei, „das ist nicht trivial“, betonte Kowol, „und man musste auch viele Sachen geraderücken, die fälschlicherweise behauptet wurden.“ Im Wahlkampf hatten Befürworter und Gegner sich gegenseitig immer wieder vorgeworfen, Falschmeldungen zu verbreiten, so hätten die Gegner des Projektes etwa bei der Zahl der für das Projekt zu fällenden Bäume völlig übertrieben.
Kowol warnte zudem, mit dem Aus für die Citybahn könnten nun neue Klagen der Deutschen Umwelthilfe drohen. „Das Problem der Luftreinhaltung ist noch nicht gelöst“, sagte Kowol gegenüber Mainz&, „wir müssen jetzt sehr schnell Lösungen anbieten, sonst gibt es erneut Klagen, und es droht erneut ein Dieselfahrverbot.“ Die Deutsche Umwelthilfe habe erst kürzlich noch einmal „zu Recht darauf verwiesen, dass die Weiterentwicklung des ÖPNV mit einer Citybahn vorgesehen ist.“ Wenn das jetzt so nicht komme, werde die Stadt sich sehr schnell Alternativen überlegen müssen. Da gehe es etwa um die Elektrifizierung der Busflotte, doch damit habe Wiesbaden „noch keine Lösung für die Aufgaben der Zukunft, nämlich den Mehrverkehr umweltfreundlich und klimafreundlich abzuwickeln“, sagte Kowol.
Zugleich stellte aber auch der Dezernent eindeutig fest, das Votum der Wiesbaden sei zu akzeptieren: „Die Citybahn kommt nicht“, bekräftigte er, auch wenn das „ausgesprochen bedauerlich“ sei. Die Stadt habe intensiv darum gerungen, „der alte Spruch: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren‘, hat sich bestätigt“, fügte Kowol hinzu. Welche Gründe am Ende zu dem Nein der Wiesbadener führten, konnte Kowol aber nicht sagen, auch OB Mende sagte ratlos: „Wir haben einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass eine größere Menge nicht überzeugt war, die Gründe kann ich Ihnen nicht nennen“, sagte er auf Mainz&-Frage: „Offenbar hat die Argumentation der Gegner bei der Mehrheit verfangen.“
„Ich hatte das Gefühl, dass es bei vielen eine Generalabrechnung mit der Wiesbadener Politik wurde“, sagte Mück-Raab hingegen. Dabei habe auch die Abstimmung über den neuen Wiesbadener Stadtteil Ostfeld-Kalkofe eine Rolle gespielt, bei dem Gegner von der Abstimmung ausgeschlossen wurden, und viele Bürger sowie auch Landwirte vergeblich gegen das Durchwinken des Grundsatzbeschlusses protestierten. Doch auch die Art und Weise des Bürgerbescheids selbst stand bis zum Schluss in der Kritik: Die Abstimmungsfrage sei doch „keine neutrale Frage gewesen“, schimpfte Mück-Raab, „das erinnert ja an Volkskammerwahlen der DDR.“
Tatsächlich stand auf dem Stimmzettel nicht schlicht die Frage: „Sind Sie für oder gegen die Citybahn?“ sondern stattdessen die Fragestellung: “
Soll der Verkehr in Wiesbaden, zur Vermeidung von Staus und weiteren Verkehrsbeschränkungen für den Autoverkehr, durch eine leistungsfähige Straßenbahn (Citybahn) von Mainz kommend über die Wiesbadener Innenstadt bis Bad Schwalbach weiterentwickelt werden, um Verkehrszuwächse aufzufangen und Umweltbelastungen (Luftverschmutzung, Lärmbelastung) zu verringern?
Viele Wiesbadener empfanden das als Bevormundung und als suggestiv gestellte Abstimmungsfrage. Entsprechend deutlich fiel das Ergebnis aus: Bis auf einige Bereiche in der Innenstadt blieb die Abstimmungskarte in Wiesbaden ein leuchtend-rotes Nein-Feld. Auch in den rechtsrheinischen AKK-Gemeinden entschieden sich die Bürger mehrheitlich gegen die Citybahn: In Kostheim stimmten 58,7 Prozent mit Nein, in Kastel waren es 57,1 Prozent und in Amöneburg sogar 69,1 Prozent. Zu den Spitzenreitern bei der Nein-Fraktion gehörte der Stadtteil Biebrich mit 71,5 Prozent Nein-Stimmen.
Einzig der Wiesbadener Stadtentwicklungsdezernent Hans-Martin Kessler (CDU) sagte am Abend: „Wir werden uns sehr intensiv damit auseinanderzusetzen haben, wie Kommunikation zu solchen Themen läuft.“ Es gelte nun auch zu bewerten, wie die Kommunikation zur Citybahn-Abstimmung stattgefunden habe, was sie erreicht habe, „und was man möglicherweise anders hätte machen sollen.“ Auch müsse sich Wiesbaden sehr genau überlegen, welch eine Bedeutung ein schienengebundenes Verkehrsmittel noch haben könne, und wie Entwicklungsgebiete künftig angebunden werden könnten.
In Mainz bedauerte man am Abend die Wiesbadener Entscheidung: „Ich bin natürlich sehr enttäuscht über das Ergebnis und habe mit Spannung auch die Ergebnisse in AKK erwartet“, sagte die Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) am Abend auf Mainz&-Anfrage – auch Eder hatte bis zum Schluss für die Citybahn geworben. Sie sei auch deshalb so enttäuscht, „weil das keine Entscheidung für Wiesbaden war, sondern für die ganze Region.“ Mainz werde sich jetzt auf die Straßenbahnprojekte konzentrieren, die der Stadtrat beschlossen habe – mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.
„Ich bedauere diesen Ausgang außerordentlich, denn er bedeutet den teilweisen Stillstand beim Ausbau des ÖPNV in unserer Region“, reagierte auch der Mainzer SPD-Chef Johannes Klomann. Alle betonten stets, dass die Innenstädte vom Autoverkehr entlastet werden müssten, „diesen Lippenbekenntnissen müssen auch Taten folgen“, schimpfte Klomann. Dies habe die Mehrheit der Menschen in Wiesbaden wohl „leider nicht so gesehen und damit eine große Chance verpasst.“ Klomann kritisierte aber zugleich, das habe „wohl auch an der suboptimalen Vorbereitung und Begleitung durch dortigen Verkehrsdezernenten Kowol“ gelegen. Oberbürgermeister Mende habe hingegen „das Projekt von Anfang an und bis zuletzt öffentlich unterstützt.“
Mit dem Nein zur Citybahn sei auch eine Chance zur schnelleren Anbindung der rechtsrheinischen Mainzer Stadtteile an die Innenstadt verpasst worden, sagte Klomann weiter. „Auf unserer Rheinseite bedeutet das Ergebnis, dass der Ausbau eines modernen ÖPNV in Mainz weiter geht, wenn auch anders als erhofft“, betonte er zugleich. Die Straßenbahntrasse zwischen dem Münsterplatz und dem Hauptbahnhof West zur Entlastung des Hauptbahnhofs sowie möglichen neuen Routen in der Innenstadt und in die Vororte werde man „mit voller Kraft mit vorantreiben.“
„Ich respektiere die Entscheidung der Wiesbadener zur Citybahn“, sagte hingegen der CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster: Es sei „von Anfang an ein Fehler gewesen, die Citybahn ohne weitere Rheinbrücke zu bauen“, betonte er. Die Mainzer CDU hatte stets betont, sie sei für eine Citybahn, aber nur in Verbindung mit einer neuen, zusätzlichen Rheinbrücke, denn die Theodor-Heuss-Brücke werde eine zusätzliche Belastung durch eine Straßenbahn nicht stemmen können. Durch die heutige Entscheidung werde deshalb „der drohende Verkehrskollaps in Mainz abgewendet“, sagte Gerster mit Blick auf die Brücke.
CDU-Stadtrat Gerd Schreiner schlug bereits 2015 eine zusätzliche Rheinbrücke gleich neben der Kaiserbrücke im Norden der Mainzer Innenstadt vor. Über diese Brücke und die anschließenden Spange der Mombacher Straße könnte der Verkehr elegant an der Mainzer Innenstadt vorbei nach Wiesbaden geleitet werden, argumentierte Schreiner. Die Innenstadt werde so erheblich vom Verkehr entlastet. Im Mainzer OB-Wahlkampf kam dann zusätzlich die Idee einer „Umweltbrücke“ für Straßenbahn, Busse, Fußgänger und Radfahrer auf – zu so einer Umweltbrücke könnte dann die Theodor-Heuss-Brücke werden, wenn den Autos eine Alternative geboten würde. Bislang blockieren die Grünen in Mainz, aber auch auf Landesebene in Rheinland-Pfalz, jegliche Pläne für den Bau einer neuen Rheinbrücke.
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Kampf um die Citybahn und die Gründe für eine Ablehnung könnt Ihr auch hier bei Mainz& lesen: „High Noon für die Citybahn“. Die genauen Abstimmungsergebnisse der einzelnen Wiesbadener Stadtteile findet Ihr hier im Internet als pdf. Mehr zum Ausbau des Straßenbahnnetzes in Mainz haben wir hier bei Mainz& aufgeschrieben. Mehr über die Idee einer „Brooklyn Bridge“ für Mainz lest Ihr hier bei Mainz&.