Wir haben ja Feridun Zaimoglu als Mainzer Stadtschreiber geliebt, den sanften Deutsch-Türken mit der großen Neugierde auf Mainz. Nun wird es eine ziemliche Umstellung werden: Clemens Meyer, Literat aus Leipzig ist beinahe schon das genau Gegenteil: Ostdeutscher, blond und im Umgang ziemlich ruppig. Bei seinem Antritt des Stadtschreiberamtes am Donnerstag war klar: Hier kommt ein ganz anderer Typ. Doch im Gespräch taten sich dann spannende literarische Welten auf: Von Abgründen & Grotesken, Hemingway & Spiegelkabinetten – und einer vorsichtigen Annäherung an Mainzer Weinstuben.

Meyer mit Gutenberg-Kopf vor Gutenberg Museum hoch - Foto Kirschstein
Der neue Mainzer Stadtschreiber Clemens Meyer vor dem Kopf von Buchdrucker Johannes Gutenberg vor dem Gutenberg-Museum – Foto: gik

„Eins woll’n wer mal klar stellen: Ich bin hier nicht auskunftspflichtig über Sachsen“, sagt Clemens Meyer schroff, „ich rede hier über Literatur.“ Nein, ein höflich-konzilianter Mensch ist der blonde 38-Jährige mit der schmalen Brille nicht. Ruppig, rau, am ganzen Körper tätowiert – es ist ein ungewöhnlicher Literat, den ZDF und Stadt Mainz da als 32. Mainzer Stadtschreiber ausgewählt haben.

Raues Image, große Literatur

Bier, Galopprennsport und die Wetten darauf, dazu Fußball, aber bloß nicht Bundesliga – Clemens Meyer pflegt ein raues Image, ein bisschen Unterwelt, viel Arbeitermilieu. Dabei kommt der Sohn eines Krankenpflegers und einer Heilerziehungspflegerin aus einem bürgerlichen Umfeld, seine Großeltern waren Künstler, er selbst wuchs in Leipzig auf, vor und nach der Wende.

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Fast ein bisschen schüchtern sitzt Meyer auf dem roten Sofa der Stadtschreiber-Wohnung in Mainz, mit leiser Stimme erzählt er diese Dinge. Der Leipziger ist ein Shootingstar des deutschen Literaturbetriebes, der 2006 schlagartig durch seinen Roman „Als wir träumten“ bekannt wurde, (s)eine Geschichte der DDR-Nachwendezeit. „Das ist immer noch ein wichtiges Buch“, sagt Meyer leise, und dass er stolz ist, dass es in Schulen gelesen wird, zum Kanon deutscher Literatur gehört. Dabei widmet sich Meyer vor von den Außenseitern, den Gescheiterten, jenen weit abseits des Mainstream.

Literat der „Abseiten“, des Ungemütlichen

„Als wir träumten“ erzählt von Kleinkriminalität und harten Technoparties, Bierexzessen, Drogen und Gewalt. Es sind die „Abseiten“, wie es die Jury des Stadtschreiberpreises nennt, die ihn faszinieren, von denen er erzählt. In seinem zweiten großen Roman, „Im Stein“, erschienen 2013, geht es um Sexarbeit und Zwangsprostitution. Meyer gehe dahin, „wo es nicht so gemütlich ist“, sagte ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, und genau deshalb sei Meyer 32. Mainzer Stadtschreiber geworden: „Weil Sie derzeit die kunstvollsten, die härtesten und herzergreifendsten Geschichten Deutschlands schreiben.“

Clemens Meyer rotes Sofa Stadtschreiber Wohnung Gutenberg Museum - Foto Kirschstein
Rotes Sofas, angespannter Blick: Clemens Meyer in der Stadtschreiber-Wohnung unterm Dach des Gutenberg-Museums – Foto: gik

Es sind auch seine eigenen Geschichten, nicht nur die Nachwendezeit, die der Autor einmal als „Tanz auf den Trümern“ bezeichnete. Sein Literaturstudium am renommierten Deutschen Literaturinstitut in Leipzig finanzierte sich Meyer als Möbelpacker und Wachmann – und saß zwischendurch auch im Gefängnis. Dinge wie die eigene Vergangenheit „passieren einem“, sagt er vorsichtig, und dass ihn die Fallhöhe seiner Protagonisten interessiert, der Aufstieg und der tiefe Fall, „eines der großen Themen der Literatur“, sagt er.

Hemingway als Vorbild, Erzählstil des Eisbergs

Typisch ist das für Meyer: Immer wieder blitzt sie durch, eine große Belesenheit, Vertrautheit mit der deutschen Literatur, die Beschäftigung mit Stilen, Erzählformen. Meyer, der wirkt wie ein Unterschichten-Typ, bekennt, Lyrik zu lesen und dass die Literatur von klein auf sein Begleiter gewesen sei. An einem Band Kurzgeschichten arbeite er, er soll im Sommer fertig sein. Von Ernest Hemingway spricht Meyer, und dass eine seiner neuen Erzählungen „In unserer Zeit“ heißen wird – nach Hemingways „In Our Time“.

Stadtschreiber Clemens Meyer - Foto Gaby Gerster
Die Tatoos seiht man nur im T-Shirt: Clemens Meyer auf einem älteren Foto des ZDF – Foto Gaby Gerster

Die Kurzgeschichte – sie ist Meyers typische Erzählform, auch seine Romane sind Montageromane, zusammengesetzt aus Episoden. Hemingways Eisberg-Theorie des intensiven Erzählens durch Weglassen passe jedenfalls perfekt auf Meyer, sagte Laudator Michael Hametner bei Meyers Einführung. Hemingway hatte einst gesagt, wenn ein Schriftsteller seine Prosa wirklich beherrsche, so solle er aussparen – der Leser werde trotzdem „das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht.“

Schreiben als intensiver, körperlicher Prozess

Meyer selbst erzählt, Schreiben sei für ihn ein intensiver, körperlicher Prozess. Vom körperlich spürbaren Klang von Sätzen spricht er, der von Kind an durch einen Gehörschaden schwerhörig ist, und von Erinnerungen, die man sich auf die Haut einbrennen lasse. Dass Sätze einen Fluss ergeben müssen. Und dass die Welt, in der wir leben, häufig umkippe „ins Surreale, Groteske, in einen Alptraum.“ Dass er in seiner Literatur die Realität zerschlage und „wie ein Spiegelkabinett“ neu zusammensetze. Dass sein Stadtschreiberiflm von Schaustellern handeln solle, von dem alten Rummel mit seinem morbiden, abgeblätterten Charme.

Gleichzeitig zoome Meyer „wie mit einer Linse ganz nah an die Realität heran“, sagte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) bei der Einführung. Immer wieder gelängen Meyer dabei auch leise, zarte Töne, „berührende Momentaufnahmen des Lebens“, die sich zum großen Sittengemälde unserer Zeit“ zusammen fügten. Wie sein Vorgänger Zaimoglu sei Meyer „mutig“ und „ein frischer Wind“ in der Literaturszene, Meyer allerdings eher „der laute Weckruf am Morgen“, dessen Literatur schon mal weh tue. Er sei jedenfalls gespannt, in welche „Abseiten“ Meyer in seinem Mainzer Jahr entführen werde, sagte Ebling.

Clemens Meyer am Mainzer Dom
„Wieso denn ein Bild vor dem Dom?“, grummelte der neue Stadtschreiber Clemens Meyer – Foto: gik

„Mit Mainz verbinde ich nix“

Was er mit Mainz verbinde, fragte ihn Mainz&. „Erst mal nix“, sagte Meyer prompt, „dazu ist mir die Stadt einfach zu fremd.“ Die Fastnacht – „zu viele Leute, zu viel Gesaufe“, sagt er. Fußball mag er, ja, aber bloß keine Bundesliga. Zu viele Menschen im Stadion sagt er, und bei den Fußballern gebe es keine Typen mehr, das seien doch „alles nur noch glatt gebügelte Vorstandslieblinge.“ Überhaupt meide große Menschenansammlungen, der „Herdentrieb der Menschen“ ist ihm suspekt.

Bier möge er, sagt Meyer, „wie jeder normale Mensch“, doch zum Essen trinke er lieber Rotwein, gerne einen Spätburgunder. Die Mainzer Weinstuben? Ja, die werde er gerne mal entdecken, auch „die regionale Küche“, sagt er – und schwärmt prompt vom Pfälzer Saumagen. Dass Mainz nicht in der Pfalz liegt, sondern in Rheinhessen, nun ja, das war zum Literaten aus dem Osten noch nicht vorgedrungen.

Westliche Städte – ein fremder Planet mit vielen Ausländern

„In erster Linie will ich hier was arbeiten“, betont Meyer. Der Stadtschreiber-Preis, der seit 1984 verliehen wird, sei eine Anerkennung für sein bisheriges Schaffen, „da freut man sich“, und die 12.500 Euro Preisgeld seien „eine willkommene Einkommensquelle.“ Wochenweise wolle er nach Mainz kommen, auch mal Lesungen in Schulen halten, in erster Linie aber „mich hierher zurückziehen und schreiben, konzentriert arbeiten.“ In einer Woche könne er vielleicht eine Geschichte fertig schreiben, ohne Störungen, „das ist schon was.“

Und dann berichtet der Literat aus dem Osten, dass westliche Städte ja eine ganz andere Welt seien, „ein anderer Planet“ – die Fußgängerzonen nicht so geleckt, die Architektur eine andere. Es gebe im Westen „viel mehr ausländischen Einflüsse, hier ist alles durchmischt“, sagt Meyer. Das sei zwar „interessant“, aber „daran muss man sich erst mal gewöhnen.“ Da hatte Meyer dann doch noch einiges über den Osten verraten. Das könnte ein spannender Ost-West-Austausch werden…

Info& auf Mainz&: Mehr über den 32. Mainzer Stadtschreiber Clemens Meyer gibt es auf seiner eigenen Internetseite sowie in diesem Mainz&-Artikel. Wenn Ihr Meyer live erleben wollt: Am 1. März liest er um 17.30 Uhr in der Buchhandlung Hugendubel Am Brand in Mainz. Eine Rückschau auf den Mainzer Stadtschreiber 2015, Feridun Zaimoglu, mit dessen tollem Istanbul-Film findet Ihr hier beim ZDF.

 

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