Wir hatten ja schon von Planungsmurks, jahrelangen Verzögerungen und Merkwürdigkeiten beim Baugrund unter der Schiersteiner Brücke berichtet – und was sollen wir sagen? Es stimmt alles. Das sagt nun der Bundesrechnungshof, und setzt noch einen drauf: Die Prüfbehörde wirft dem Land Rheinland-Pfalz gravierende Planungsmängel und Kostenverschleierung vor. Schlimmer noch: Der Plan, die alte Vorlandbrücke vor der Schiersteiner Brücke zu sanieren anstatt neu zu bauen, war mindestens fragwürdig. Denn es war offenbar bekannt, dass das alte Bauwerk tatsächlich einen „ungenügenden“ Zustand hatte. Und auch zum Baugrund unter der Brücke gibt es neue Erkenntnisse – und neue Fragen.
Der Bericht des Bundesrechnungshofes, der Mainz& natürlich vorliegt, ist eine schallende Ohrfeige für die Landesregierung: Planungsfehler, jahrelange Verzögerung, Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, fehlende Baugrunduntersuchungen, fehlerhafte Kostenberechnungen. Die Liste der Mängel in dem vorläufigen Bericht ist lang, und sie ist erschreckend. Denn der Bundesrechnungshof wundert sich ausdrücklich darüber, wie das Land auf die Idee kommen konnte, die alte Vorlandbrücke behalten zu wollen, „Der Zustand der drei Bauwerke [mit den Mombacher Rampen] ist mit Zustandsnoten von 3,5 als ungenügend zu bezeichnen“, schreibt der Rechnungshof ins einem Bericht: „Es wird bezweifelt, dass es möglich ist, die drei Bauwerke instand zu setzen.“
3,5 – das ist auf der Zustandsskala des Bundes von 1 bis 4 die vorletzte Stufe, „kurz vor kaputt“ nannte sie bei uns der Mainzer Architekt und CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner. Bauwerke mit einer 3,5 seien „umgehend instand zu setzen bzw. zu erneuern“, schreibt der Bundesrechnungshof. Es sei auch nicht auszuschließen, dass solche Strecken „lastbeschränkt oder gar gesperrt werden müssen.“ Nanu? Die wiedereröffnete Schiersteiner Brücke ist noch immer für Lkw über 3,5 Tonnen gesperrt – ein Zusammenhang?
„Nein“, sagte am Mittwoch bei einer Brücken-Presskonferenz Bernd Hölzgen, Leiter des Landesbetriebs Mobilität (LBM). Die Brücke sei vielmehr in einem „guten Zustand“ und liege etwa bei 2,8 auf der Skala. Die 3,5 kämen nur zustande, weil es in Rheinland-Pfalz „einen Zuschlag auf alte Brücken“ gebe. Grund für die schlechte Bewertung seien Betonabplatzungen in großer Zahl, das heiße aber nicht, dass die Brücke gefährlich sei.
Ein Zuschlag auf die Bundes-Skala in Rheinland-Pfalz? Das klingt in unseren Ohren geradezu abenteuerlich. Und selbst wenn so etwas normal sein sollte – die Schiersteiner Brücke scheint ja diesen Zuschlag bekommen zu haben – weil sie 50 Jahre alt ist. Und weil sie ja offenbar Probleme hat. Die Betonabplatzungen seien kein Sicherheitsrisiko, beeilte man sich zu versichern und gefährdeten auch nicht die Standsicherheit.
Bleibt die Frage: Wieso will man ein bröckelndes, offenbar marodes Bauwerk überhaupt erhalten? Eine Prüfung 2007 habe ergeben, dass eine Sanierung „wirtschaftlicher“ sei, sagte Hölzgen. Erst eine neue Prüfung in diesem Jahr habe anderes ergeben. Das wird ja immer doller… Warum eigentlich musste die Planung der Brücke unbedingt wirtschaftlich und kostengünstig sein? Eine Antwort auf diese Frage bekamen wir heute nicht.
Der Bundesrechnungshof aber kritisiert, das Land habe außerdem die Kostenberechnung im Planungsentwurf „um einen mehrfachen Millionenbetrag zu gering berechnet.“ Da fehlten Kosten für Beschilderung, Kampfmittelräumdienst und Ausgleichsmaßnahmen, aber auch die Kosten für die Sanierung der alten Vorlandbrücke sowie den Bau der neuen seien zu niedrig angesetzt.
Die Kosten von rund 100 Millionen Euro für das Bauvorhaben seien „ganz normale Schätzungen“, wehrte sich Hölzgen. Die Schätzung sei „ja kein Festpreis“, bei Bauvorhaben änderten sich die Preise ohnehin noch, der Unterschied werde „marginal“ sein. Stellt sich für uns die Frage: Wenn sich Kosten sowieso noch ändern, warum hat man dann nicht die vorläufigen angesetzt? Wer hat ein Interesse daran, dass die Kosten deutlich niedriger ausfallen als in der Realität? Im Infrastrukturministerium gibt man indes schmallippig zu, der Bund habe dem Land jetzt „aufgegeben, die Kosten neu zu berechnen, das werden wir nun tun.“ Soso.
Der Bund hatte ja 2014 verfügt, die Autobahn 643 im Anschluss an die Schiersteiner Brücke sei sechsspurig auszubauen, Rheinland-Pfalz hatte sich ja in jahrelangen Verhandlungen mit Naturschützern und Stadt Mainz auf die 4+2-Variante geeinigt, um den Mainzer Sand zu schützen: vier reguläre Fahrstreifen plus zwei Standspuren, die bei Bedarf mit als Fahrbahnen genutzt werden können.
Dieses Vorgehen, sagt der Bundesrechnungshof nun, seien ein Verstoß gegen den Bundesverkehrsplan: Rheinland-Pfalz habe Vereinbarungen zum sechsspurigen Ausbau eigenmächtig geändert – und zwar mit dem Koalitionsvertrag 2011 zwischen SPD und Grünen. Mit der 4+2-Variante im Koalitionsvertrag habe die Regierung „die Vorgaben des geltenden Fernstraßenbaugesetzes und des Bedarfsplans ignoriert“ und eine Verwaltungsvereinbarung mit Hessen gebrochen, schreibt der Bundesrechnungshof.
Im Klartext: Die Vereinbarung war rechtswidrig, sie war eigenmächtig, und sie war nicht sachgerecht, schreibt der Bundesrechnungshof. Denn es fehlten außerdem Untersuchungen, dass der 4+2-Ausbau überhaupt leistungsfähig und sicher genug sei, so der Bericht weiter. Eine eigens in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie sei abgebrochen worden, „für uns ein Hinweis dafür, dass die Studie kein positives Ergebnis zugunsten eines 4+2-Ausbaus erwarten ließ.“
Hölzgen und das Land Rheinland-Pfalz sind nun in Erklärungsnot, und das gilt auch für den Grund und Boden unter der Brücke. Der Vorwurf des Bundesrechnungshof, es lägen keine Bodenuntersuchungen vor, ist inzwischen zum Teil entkräftet. Wie Mainz& ja schon schrieb gibt es diese Bodenuntersuchungen tatsächlich nicht für den Bereich der A643 – aber hier besteht auch noch kein Baurecht. Die hier notwendigen Bodenuntersuchungen würden selbstverständlich gemacht, sobald man wisse, wo man was baue, versicherte Hölzgen. Sonst drohten teure Untersuchungen für Bereiche, wo dann gar kein Pfeiler hinkomme.
Den Boden unter dem derzeitigen Baugrund für das Herzstück und die alte Vorlandbrücke hingegen sei umfassend untersucht, versicherte Hölzgenl, und präsentierte dafür am Mittwoch eigens den Bodengutachter des Landes, Professor Wolfgang Krajewski. Der berichtete, es habe neun Kernbohrungen bis in 30 Meter Tiefe gegeben, dazu Rammkern-Sondierungen sowie Laboruntersuchungen. Außerdem seien ältere Untersuchungen einbezogen worden, unter anderem die ursprünglichen Kernbohrungen aus dem Jahr 1959. Das sei „üblich und legitim“, betonte Krajewski, denn „der Boden in großer Tiefe verändert sich nicht.“ Warum aber rutschte dann der Pfeiler ab?
Der Boden unter der Schiersteiner Brücke, erklärte Krajewski, bestehe aus vier Schichten: Unter der Oberfläche (Schicht 1) lägen Hochflut-Lehmböden aus der Jungsteinzeit, diese seien weich und wenig tragfähig. Schicht drei bestehe dann aus Sanden und Kiesen aus dem Quartär, diese seien tragfähig. In dieser Schicht sind auch die alten Brückenpfeiler gegründet. Eine „Flachgründung auf Erdpolstern“, nannte Krajewski diese Gründung, die nur fünf Meter in den Boden reicht. Deshalb habe er in seinen Gutachten 2012 empfohlen, das Bauwerk auf mehr als zehn Meter tief verankerte Bohrpfähle zu setzen, sagte Krajewski.
Genau das wollte der LBM tun und plante satte 90 Bohrungen. Und genau bei den Arbeiten zu dieser Gründung geschah der Bauunfall: In den Boden wurde eine Betonmasse gepresst, die aushärten und eine Art stabilen Felsen bilden sollte. Doch genau dabei sackte der Brückenpfeiler weg – warum, diese Frage hat das Land bis heute nicht beantwortet. „Vielleicht ist die ganze Soße in die falsche Richtung geflossen, oder auf 50 Meter abgesackt“, spekulierte Schreiner auf Mainz&-Wunsch.
Krajewski sagte, die Bohrungen reichten in Bodenschicht vier, einer „kunterbunten Mischung“ aus Tonen, Kalksteinen und Riffkalken, Überreste eines Meeres von vor 20 Millionen Jahren. In dieser Schicht vier könne es Sandeinlagerungen geben, sagte der Baugrundexperte weiter – stießen die Arbeiter versehentlich auf so eine Blase? Krajewski gab aber Mainz& gegenüber noch etwas zu bedenken: Der Pfeiler müsse nicht unbedingt abgesackt sein, er könne auch an der anderen Seite angehoben worden sein – wurde dann vielleicht zu viel Betonmasse in den Untergrund gepresst?
Wie dem auch sei – an so einem maroden Bauwerk „noch mal dran rumzudoktern“, sei „fahrlässig“, kritisiert Schreiner, die Brücke einfach „uralt und überlastet“, die Planungen des Landes schlicht „Planungsmurks.“ Nun aber werden wir über Jahre hinaus mit dem Provisorium des Herzstücks leben müssen: Der engen S-Kurve, mit der der Verkehr ab 2016 von der neuen Rheinbrücke auf die alte Vorlandbrücke geführt wird. Diese S-Kurve, schreibt der Bundesrechnungshof, werde zu „kilometerlangen Staus und einer kaum hinzunehmenden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit führen“ und „volkswirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe verursachen.“
Hölzgen sagte dann noch, es sei „schade, dass der vorläufige Bericht rausgekommen ist“, schließlich habe das Land noch zwei Monate Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Dazu hat das Land alles Recht, in der Regel werden Berichte tatsächlich erst intern zwischen den Behörden besprochen, bevor die endgültige Fassung erstellt wird. Der Bundesrechnungshof schreibt aber auch: „Das Landesministerium verzichtete auf eine abschließende Erörterung der wesentlichen Prüfungsergebnisse.“