Das ganze Chaos um die Schiersteiner Brücke hat natürlich längst auch Auswirkungen auf die Politik in Stadt und Land – und wie zu erwarten, wird heftig gestritten. Die CDU vertritt die These, die rot-grüne Landesregierung habe Schuld, weil sie Infrastrukturprojekte nicht zügig vorangetrieben habe. Das weist die Regierung natürlich zurück. Und im Verkehrsministerium heißt es, in der Mainzer Stadtpolitik sei man viel zu lange nicht in die Pötte gekommen über den Ausbau der Autobahn 643. Tja…
Klar, dass diesen Schwarzen Peter keiner haben will – aber wer ist denn nun Schuld am Verkehrschaos infolge der Vollsperrung der Schiersteiner Brücke? Einfach ist die Antwort darauf nicht – wir stellen vorab schon mal fest, dass sich keine Seite mit Ruhm bekleckert hat. Und das sagen die einzelnen Parteien zur Brücke – soweit sie so freundlich waren, uns Pressemeldungen zu schicken.
CDU: „Viel wertvolle Zeit vergeudet“
Die CDU sieht vor allem Planungsversäumnisse auf Seiten des Landes: „Jetzt rächt sich, dass es seit mittlerweile 20 Jahren versäumt wurde, die Rheinbrücken in Mainz zu entlasten und an anderer Stelle, etwa in Bingen, neue Brücken zu bauen. Das jetzige Chaos wäre absolut zu vermeiden gewesen“, wettert der Fraktionschef der CDU im Mainzer Stadtrat, Hannsgeorg Schönig. Der Stress sei für Pendler „mittlerweile unzumutbar“, deshalb brauche es jetzt (endlich) einen Ausbau der A643 – sechsspurig von der Brücke zum Autobahndreieck Mainz.
In dieses Horn stößt auch der Mainzer CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner: „Die Landesregierung hat viel wertvolle Zeit vergeudet“, kritisierte Schreiner, es könne längst Baurecht für eine neue Vorlandbrücke auf Mainzer Seite bestehen. Naturschutz sei selbstverständlich wichtig, aber dass es Klagen von Naturschutzverbänden geben werde, sei keineswegs sicher: „Auch Naturschutzverbände wissen um die Notwendigkeiten einer funktionierenden Infrastruktur.“ Hm.
SPD: „4 plus 2“ sollte Klagen vermeiden
SPD-Verkehrsminister Roger Lewentz sieht das ganz anders: Man werde jetzt der Weisung aus dem Bundesverkehrsministerium nachkommen und die Planung für sechs Spuren realisieren, „aber mit hohem Klagerisiko.“ Der Minister geht definitiv von Klagen aus – schließlich habe man ja die „4 plus 2“-Lösung eigens mit den Verbänden entwickelt, um dem Naturschutz Rechnung zu tragen. Diese Lösung sei „vernünftig“ gewesen, betonte Lenwetz am Montag noch einmal.
Mag sein, aber der Weg zum Kompromiss dauerte und dauerte. „Für Mainzer Verhältnisse ist das ja nicht neu“, heißt es aus dem Verkehrsministerium – auch über den Ausbau des Mainzer Rings sei ja erst einmal 15 Jahre lang gestritten worden.
Grüne: Verknüpfung Brücke und A643-Ausbau unsachlich
Welch kuriose Blüten das treiben kann, beweisen die Grünen: „Es ist unsachlich, das Thema Schiersteiner Brücke mit dem geplanten Ausbau der A643 durch den Mainzer Sand zu verknüpfen“, meinte doch allen Ernstes die Fraktionschefin der Grünen im Stadtrat, Sylvia Köbler-Gross. Beide Themen seien „losgelöst voneinander zu betrachten“, und wenn die Brücke gesperrt sei, „ist es egal, wie breit die Autobahn davor ist.“ Ah ja.
Worauf Köbler-Gross ‚raus wollte, ist dies: Es werde ja auch sechs Fahrspuren geben, nur eben abgedeckt durch vier reguläre Fahrspuren, die in Stoßzeiten durch zwei Standstreifen ergänzt werden. Und da befürworten Stadt und Land eben „die rechtssichere und naturschonende 4 plus 2-Variante, auf die man sich bereits mit Naturschutzverbänden einigen konnte“, betont die Grüne. Nun aber drohten durch die Weisung aus Berlin Klagen, die ein Scheitern eines Standardausbaus vor Gericht „höchst wahrscheinlich machen“ – mit jahrelanger Verzögerung.
FDP: Infrastrukturcheck, Linke: mehr ÖPNV
Die kleinen Parteien verlagern sich derweil auf ihre jeweilige Klientel: Die FDP fordert von der Landesregierung einen „umfassenden Infrastruktur-Check“, um Schwachstellen früher zu erkennen. „Man muss nicht warten, bis eine Brücke bröckelt“, sagte FDP-Landeschef Volker Wissing, womit er zwar Recht hat, aber unterschlägt: Der marode Zustand vieler Brücken ist längst bekannt.
Die Linke wiederum beklagt, das Verkehrschaos sei das Ergebnis einer „verfehlten“ Verkehrspolitik, die zu sehr aufs Auto und zu wenig auf den Öffentlichen Nahverkehr setze. „Wenn in einer solchen Ballungsregion auf das Auto als zentrales Verkehrsmittel gesetzt wird, muss das System beim kleinsten Ausfall massive Probleme bekommen“, sagt die Fraktionsvorsitzende Linken im Mainzer Stadtrat, Waltraud Hingst.
Das Auto funktioniere in ländlichen Regionen, nicht aber in Großstädten, sagt Hingst – und unterschlägt dabei nun wiederum, dass der ungeheure Pendlerstrom, der derzeit in den Staus steht, genau daher kommt: aus der ländlichen Region des rheinhessischen Hinterlands.
Analyse: Planungen dauern zu lange, Verfall wird zugesehen
Auch die CDU unterschlägt bei ihrer Kritik, dass auch ihre Ortsverbände Mombach und Gonsenheim auf Seiten der Naturschützer stehen – und gegen einen sechsspurigen Ausbau sind. Einfache, klare Fronten sind das nicht. Dass nun ein Bundesverkehrsminister über einen gefunden Kompromiss einfach hinwegbestimmt und anweist, wie zu Bauen ist – das dürfte bundesweit auch einmalig sein.
Die Schiersteiner Brücke wird unterdessen bundesweit zum Mahnmal für eine Infrastruktur, die marode ist und zerfällt. Die Brücke werde gerade „zum Symbol für schlechte Verkehrspolitik“, für „fehlende staatliche Investitionen in die Infrastruktur des Landes“ – sie sei „ein Mahnmal für die Industrienation Deutschland, die von der Substanz lebt“, kommentierte die Süddeutsche. Deutschlands Infrastruktur zerfällt – und die Politik schaut zu. Mit Schulterzucken.
Das mündete in den eigentlich unfassbaren Satz eines Bauexperten zur Schiersteiner Brücke, die Vorlandbrücke müsse jetzt wohl noch ein paar Jahre halten. „Sie muss“, sagte der Experte – „sonst haben wir ein richtig großes Problem.“ Für diesen Fall liegen aber offenbar keine Pläne in irgendwelchen Schubladen – die Politik fährt auf Sicht und verschiebt die Verantwortung dafür Achselzuckend von rechts nachlinks – wie es gerade passt.
Dabei wurde der Großteil der Brücken in Rheinland-Pfalz zwischen 1970 und 1979 gebaut, damals aber konnte niemand die Verkehrsexplosion unserer Zeit ahnen, schon gar nicht den massiven Zuwachs an schweren Lkws. Die aber schädigen die Brücken massiv – und schon jetzt sind 49 Prozent aller Brücken in Rheinland-Pfalz in einem nur ausreichenden Bauwerkszustand oder auch schlechter.
Analyse: Willen zum Bau und zur Sanierung fehlt
Für den Bau und die Sanierung von Autobahnen und Brücken „braucht es auch den Willen der Landesregierungen“, sagte CDU-Landeschefin Julia Klöckner jüngst, und „an diesem Willen fehlt es in Rheinland-Pfalz.“ Ganz unrecht hat sie damit nicht: Die Brücken waren die heiß umstrittenen Verkehrsprojekte im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen 2011.
Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Brücke über das Mittelrheintal kommt nicht – dafür wird der Hochmoselübergang gebaut. Und so entsteht nun für viele Millionen eine gigantische Querung des Moseltals, von der die Bürgerinitiative gegen die Brücke behauptet: Es braucht sie gar keiner. Eine wirklich dringend benötigte Rheinquerung zwischen Mainz und Wiesbaden bricht derweil zusammen – verkehrte Welt in der Verkehrspolitik.
Kommentar: Augen zu und durch – das rächt sich gerade
Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht übrigens zur A643, man werde die Realisierung eines 4 plus 2-Modells „untersuchen“, Ziel sei, ein solches Modell umzusetzen. Hätte man damit 2011 auch begonnen – für eine neue Vorlandbrücke könnte bereits Baurecht bestehen. Zu verstehen ist das alles nicht.
Dazu kommt noch eines: Der Landesbetrieb Mobilität drückt sich bisher davor, die genau Ursache des Brückenunfalls bekannt zu geben. Wenn da mal nicht die nächste Panne lauert – am Ende ist womöglich doch Materialermüdung eine der Ursachen. Augen zu und durch, diese Devise rächt sich gerade. Nur: den Pendlern zwischen Mainz und Wiesbaden hilft das alles nichts. Hoffen wir, dass die Politik jetzt vielleicht draus lernt.