Nach der Wahl ist vor der Stichwahl: In nur zwei Wochen müssen sich Amtsinhaber Michael Ebling (SPD) und Herausforderer Nino Haase (Parteilos/CDU/ÖDP/FW) in einer Stichwahl am 10. November 2019 erneut den Wählern stellen – und das wird spannend. Am Tag eins nach der Wahl am Sonntag hatten deshalb die Rechenschieber Hochkonjunktur bei den politischen Parteien. 8,6 Prozent trennten die beiden Kandidaten am Sonntag – oder 6.310 Stimmen. 19.683 Stimmen entfielen am Sonntag auf die drei Kandidaten, die es nicht in die Stichwahl schafften – die spannende Frage ist deshalb nun: Welche Partei gibt eine Wahlempfehlung für welchen Kandidaten aus – und geben sie überhaupt Wahlempfehlungen aus? Wer geht in zwei Wochen überhaupt noch zur Wahl? Eine Mainz&-Analyse.

Der parteilose Nino Haase (CDU/ÖDP/FW) und Michael Ebling (SPD) stehen sich bei der Stichwahl am 10. November 2019 gegenüber. - Foto: gik
Der parteilose Nino Haase (CDU/ÖDP/FW) und Amtsinhaber Michael Ebling (SPD) stehen sich bei der Stichwahl am 10. November 2019 gegenüber. – Foto: gik

Am Sonntag war bei der Oberbürgermeisterwahl in Mainz Amtsinhaber Ebling (SPD) auf 41 Prozent der Stimmen gekommen und hatte damit klar vorne gelegen. Doch die notwendigen 50 Prozent plus X bekam Ebling nicht, um direkt im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit wiedergewählt zu werden. Gleich vier Gegenkandidaten hatten sich auf ins Rennen gegen Ebling gemacht, abgeschlagen auf den hinteren Plätzen landeten der Linke Martin Malcherek mit 2,8 Prozent und der Kandidat der Satirepartei „Die Partei“, Martin Ehrhardt, mit 1,4 Prozent.

In die Stichwahl schaffte es hingegen der parteilose Nino Haase, der mit Hilfe von CDU, ÖDP und Freien Wählern auf 32,4 Prozent kam. Nicht in die Stichwahl hingegen schaffte es die Grüne Tabea Rößner mit 22,5 Prozent – und hier wird es spannend: Für die Grünen entschieden sich am Sonntag 16.621 Mainzer, würden die alle geschlossen in der Stichwahl Ebling wählen, der SPD-Mann wäre unangefochten wiedergewählt. Doch so einfach ist die Sache nicht.

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SPD, Grüne und FDP verhandeln derzeit hinter den Kulissen die Fortsetzung der Ampel-Koalition, doch von Harmonie war zumindest im Wahlkampf gerade zwischen SPD und Grünen wenig zu spüren. Die SPD lege auch nach der Wahl ein völlig überzogenes Selbstverständnis an den Tag, schimpfte da etwa der frühere Ebersheimer Ortsvorsteher Matthias Gill öffentlich auf dem Grünen-Parteitag, die Sozialdemokraten weigerten sich, den veränderten Machtverhältnissen in der Stadt ins Auge zu sehen. Von Neid und Blockade gegenüber den grünen Wahlgewinnern von der Kommunalwahl im Mai war die Rede – harmonische Partnerschaft sieht anders aus.

Ampel mit rotem und grünem Mainzelmännchen am Mainzer Neubrunnenplatz. - Foto: gik
Rot und Grün waren sich auch in den vergangenen Jahren alles andere als einig in Sachen Mainzer Verkehrspolitik… – Foto: gik

SPD-Amtschef Ebling habe in den vergangenen Jahren wiederholt grüne Verkehrsprojekte wie etwa einen Radweg auf der Kaiserstraße blockiert, klagte die grüne OB-Kandidatin Rößner im Wahlkampf öffentlich. SPD-Parteichef Marc Bleicher wiederum warf den Grünen schon im März „Legendenbildung und Unverschämtheiten“ vor, kurz vor der Wahl zankte man sich noch öffentlich, wer die Urheberschaft an der Mainzelbahn habe. Die Grünen wiederum sind sauer, weil die SPD auch nur erste Sondierungsgespräche mit der Linken kategorisch blockierte – obwohl die Grünen als Mehrheitsfraktion das Vorrecht zur Einladung haben. Die Frage könnte deshalb durchaus spannend werden: Werden die Grünen eine Wahlempfehlung zugunsten Eblings herausgeben, um ihre Treue zur Ampel zu bekunden? Oder tun sie es nicht? Und wohin tendieren die grünen Wähler?

Und dann gibt es da ja noch den dritten Partner, die FDP. Die Liberalen hatten vor der Wahl am Sonntag keine Wahlempfehlung für einen der Kandidaten herausgegeben – trotz Koalitionsverhandlungen. 6,0 Prozent erzielte die FDP bei der Kommunalwahl im Mai, dieses Wählerpotenzial kann den Rückstand Haases fast schon ausgleichen. „Wir haben aus guten Gründen gesagt, dass wir in der ersten Runde keine Wahlempfehlung herausgeben“, sagte FDP-Kreischef David Dietz Mainz&: „Es gab Leute, die haben Ebling unterstützt, andere, die haben Rößner unterstützt, und welche, die finden den Nino Haase gut.“

Mit Aktionen wie diese warb OB-Kandidat Nino Haase für eine grünere Innenstadt. - Foto: gik
Mit Aktionen wie diese warb der parteilose OB-Kandidat Nino Haase (CDU/ÖDP/FW) für eine grünere Innenstadt. – Foto: gik

Für die Stichwahl werde sich die FDP nun neu beraten. „Wir haben verabredet, dass wir die Situation analysieren“, sagte Dietz, „die spannende Frage ist: wen können wir als freie Demokraten unterstützen – diese Frage stellen wir uns jetzt.“ Mit der SPD hat die FDP gemeinsam in den vergangenen zehn Jahren im Stadtrat regiert, doch FDP-Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte verließ Ende 2018 über Nacht seinen Posten – auch wegen mangelhafter Zusammenarbeit im Stadtvorstand. Seither ist die FDP im Stadtvorstand nicht mehr vertreten, glücklich sind die Liberalen darüber nicht.

Zudem vertrat der parteilose Haase als einziger Kandidat in der ersten Runde dezidiert Wirtschafts-freundliche Positionen: Haase betont, das Zentrenkonzept grundlegend überarbeiten zu wollen und machte sich auch den Terminus „Verhinderungskonzept“ zu eigen – den Begriff hatte 2017 die Industrie- und Handelskammer (IHK) in ihrem Aufstand gegen das Konzept geprägt. Im Wahlkampf machte Haase diverse Termine mit Einzelhändlern, auch in den Stadtteilen, einer seiner Kern-Programmpunkte ist die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und die Ansiedlung neuer Firmen in Mainz – kein anderer Kandidat betonte diesen Aspekt so umfangreich wie Haase.

Die Entscheidung Wahlempfehlung Ja oder Nein werde in den Gremien getroffen, aber nicht vor kommendem Montag, sagte Dietz, auch dass die Liberalen wieder alles offen lassen, ist gut denkbar. „So liberal sind wir dann“, sagte Dietz. Auch bei der Linken ist die Liebe zur SPD derzeit nicht besonders ausgeprägt, der Ärger über das kategorische Nein der SPD auch nur zu Sondierungsgesprächen mit der Linken, sitzt tief. Es habe die Chance gegeben, eine echte Veränderung bei Sozialthemen wie Wohnen herbeizuführen, klagte Parteichef Tupac Orellana, es sei völlig unverständlich, dass die SPD das blockiere. Damit sind der SPD die 2.000 Stimmen der Linken alles andere als sicher – das Werben Haases um eine parteiübergreifende Politik im Stadtrat jenseits von Blockbildungen ist für die Linke durchaus attraktiv.

Vorläufiges amtliches Endergebnis der OB-Wahl Mainz erste Runde. - Foto: gik
Vorläufiges amtliches Endergebnis der OB-Wahl Mainz erste Runde. – Foto: gik

Haase unterstrich denn auch prompt am Wahlabend, er wolle in den kommenden zwei Wochen „diesen Glauben, der heute bei vielen erzeugt wurde, als Motivation nutzen, dass wir eine parteiübergreifende Kultur in Mainz hinbekommen mit einem Stadtrat, der diskutiert und nicht nur lamentiert.“ Das war eine klare Kampfansage an die SPD – und ein Lockangebot vor allem auch an die kleineren Parteien. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Erreichten und wir sind sehr guter Dinge, dass wir den Rückstand in der Stichwahl aufholen können“, sagte denn auch CDU-Kreisvize Karsten Lange am Montag Mainz&. Es habe auch in anderen Städten schon ähnliche Konstellationen gegeben, „da lag der Amtsinhaber auch bei über 40 Prozent und verlor trotzdem – etwa in Saarbrücken“, sagte Lange, und betonte: „Wir sind der Überzeugung, dass wir auch in Mainz eine realistische Chance haben.“

Haase kam am Sonntag auf 32,4 Prozent und brachte damit wohl einen Großteil der CDU-Wähler hinter sich – wenn auch nicht alle. „Wir glauben, dass es im Bereich der CDU-Wählerschaft noch Mobilisationsmöglichkeiten gibt“, sagte Lange, das zeigten die Ergebnisse der äußeren Stadtbezirke. Gerade in den südlichen Bezirken wie Laubenheim und Weisenau hatte Haase entweder auf Augenhöhe mit Ebling gelegen oder – wie in Hechtsheim und Drais – den Stadtteil sogar für sich gewonnen. „Wir sehen da die ganz große Chance für die Stichwahl“, sagte Lange, gerade auch in Marienborn und Bretzenheim seien „offenbar viele nicht zur Wahl gegangen, die in der Vergangenheit CDU gewählt haben.“

Das Mainzer Rathaus. - Foto: gik
Wer regiert ab 2020 im Mainzer Rathaus? – Foto: gik

Und so könnte der entscheidende Faktor am 10. November denn auch ein ganz anderer sein: Die Wahlbeteiligung. 2012 sank die Beteiligung bei der OB-Wahl von 42,8 Prozent auf 34,3 Prozent in der Stichwahl – nur noch 52.646 Mainzer gingen damals beim zweiten Urnengang überhaupt noch zur Wahl. „Wir wissen, der zweite Wahlgang wird dadurch entschieden, wer seine Wähler überhaupt an die Wahlurne bringt“, sagt Lange deshalb, und spekuliert, „viele Grüne werden zur Stichwahl gar nichts erst hingehen.“ Das Thema Klimaschutz habe in den vergangene zwei, drei Monaten etwas nachgelassen, zudem gerade in diesem Feld Haase durchaus punkten können. „Warum sollten die Grünen eine Kohlepartei SPD wählen“, die ja auch bisher nicht mit großem Interesse an Klimaschutz und Verkehrswende aufgefallen sei, stichelt Lange.

Klar ist: Die Unterstützer von Haase werden in den kommenden Wochen alles tun, um den Wählern von Grünen, FDP und Linken ihren Kandidaten schmackhaft zu machen – Lange gab schon einmal einen Vorgeschmack: Man werde den Grünen-Wählern das Angebot machen, „wenn Ihr einen echten Wechsel in der Verkehrspolitik wollt, mit Fahrradstraßen und autofreien Zonen, dann ist der Nino Haase die Alternative.“ Der beschwor schon am Wahlabend seine Anhänger: „Den Rückstand – das holt man noch auf in der Stichwahl.“

Die SPD wird alles, was sie kann dagegen setzen, das kündigte Bleicher noch in der Wahlnacht an. 2012 hatte Michael Ebling auch im ersten Wahlgang gegen sieben andere Kandidaten mit 40,5 Prozent vorne gelegen, ziemlich genau so viele wie vergangenen Sonntag. Am Abend der Stichwahl kam der grüne Herausforderer Günter Beck auf satte 41,8 Prozent – der Sieger hieß am Ende mit 58,2 Prozent: Michael Ebling.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Wahlabend vergangenen Sonntag und dem Ausgang der ersten Runde lest Ihr hier auf Mainz&. Die Stichwahl findet am Sonntag, den 10. November 2019 statt – sie entscheidet, wer in den kommenden acht (!) Jahren die Geschicke der Mainzer Stadtpolitik maßgeblich leitet. Alle Porträts, Programme und Informationen zum bisherigen Verlauf des OB-Wahlkampfes findet Ihr in unserem Mainz&-Dossier OB-Wahl 2019 genau hier.

Achtung&: Dieser Text ist eine Analyse. Analysen im Journalismus sind Texte, die ein Thema kritisch-analytisch unter die Lupe nehmen, von verschiedenen Seiten beleuchten, Zusammenhänge herstellen und mögliche Entwicklungen aufzeigen. Analysen sind KEINE Meinungstexte oder Kommentare, sie beruhen vielmehr auf intensiven Recherchen und Vorgesprächen mit verschiedenen Gesprächspartnern, die nicht immer alle offen gelegt werden müssen, weil sie oft auch Einschätzungen „unter Drei“ berichten (Informantenschutz). Analysen ziehen Verbindungen, ordnen Geschehnisse ein und zeigen mögliche Entwicklungen auf, sie beruhen immer auf umfangreichen Quellen und eigenen Beobachtungen des Verfassers (Korrespondent.)

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