Gendern ist im Trend, es macht sich in offiziellen Mitteilungen von Verwaltungen, in Texten und Reden, und seit etwa zwei Jahren auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk breit. Das kritisieren nun mehr als 120 führende Sprachwissenschaftler: In einem Aufruf kritisieren die Praxis von Gendersternchen und Kunstpausen scharf als ideologisch und polarisierend. Das Gendern führe „zu einer ausgeprägten Sexualisierung der Sprache“ und einer permanenten Betonung von Geschlechterdifferenzen, es missachte geltende Rechtschreibnormen und verhindere gerade Geschlechtergerechtigkeit. Die CDU fordert nun: Kein Gendern in Schulen.

Der deutsche Duden zum Genderstern. - Screenshot: gik
Der deutsche Duden zum Genderstern. – Screenshot: gik

126 Wissenschaftler haben als Erstunterzeichner den Aufruf „Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis im ÖRR“ unterzeichnet, die meisten von ihnen sind Professoren für Sprachwissenschaft, Germanisten und Literaturwissenschaftler an renommierten Universitäten in ganz Deutschland. Auch Experten für Deutsch als Fremdsprache sind darunter, Historiker, Übersetzer und Autoren, 69 weitere Unterzeichner haben sich ebenfalls bereits gefunden, darunter Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler und Kommunikationstrainer.

Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie lehnen nicht das Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit im Sprachgebrauch ab – dies sei „ebenso legitim wie begrüßenswert“ -, wohl aber das immer weiter um sich greifende Gendern mit Gender-Sternchen, Doppelpunkt oder Kunstpause mitten im Wort. Konkret kritisieren die Unterzeichner des Aufrufs das gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, doch ihre Argumentation gilt dem Sprachgebrauch im Deutschen insgesamt.

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„Ausgangspunkt dieser Sprachpraxis ist die Bewertung des generischen Maskulinums als diskriminierende Sprachform“, heißt es gleich zu Beginn des Textes, das „weisen wir als Sprachwissenschaftler und Philologen zurück.“ Dass das generische Maskulinum grundsätzlich Frauen „ausschließe“ oder nur „mitmeine“, sei „eine Behauptung, die auf einer Fehlinterpretation grammatischer Strukturen basiert“, betonten die Experten: „Die deutsche Grammatik ist weder ‚gerecht‘ noch ‚ungerecht‘ – Gerechtigkeit ist eine ethische Kategorie, die zur Beschreibung grammatischer Strukturen nicht tauglich ist.“

Satire in Sachen Genderstern: Fastnachter Johannes Bersch als "Moguntia". - Foto: gik
Satire in Sachen Genderstern: Fastnachter Johannes Bersch als „Moguntia“. – Foto: gik

Das Konzept der gendergerechten Sprache basiere „auf der wissenschaftlich umstrittenen Vermengung der Kategorien Genus und Sexus“, so die Wissenschaftler weiter: ‚Genus‘ ist dabei eine innersprachliche grammatische Kategorie, ‚Sexus‘ hingegen eine außersprachliche, die das biologische Geschlecht einer Person bezeichnet. Im deutschen aber gebe es eben keine durchgängige logische Verbindung zwischen Genus und Sexus, was Wörter wie „die Person“, „der Mensch“ oder „das Opfer“ zeigten.

„Das Deutsche formuliert seit Jahrhunderten neutral“

Ein Maskulinum wie „Mensch“ könne daher ebenso eine Frau bezeichnen wie das Femininum „Person“ einen Mann. „Ebenso kann ein generisches Maskulinum wie „die Kunden“ Menschen jeglichen Geschlechts bezeichnen, Genus und Sexus müssen also nicht gekoppelt sein“, betonen die Sprachexperten weiter. Sprachhistorische Untersuchungen belegten zudem, dass das generische Maskulinum keineswegs erst in jüngerer Zeit Verwendung finde, sondern bereits im Althochdeutschen „als eine inklusive, also geschlechtsneutrale Verwendung“ belegt sei.

 

„Das Deutsche verfügt also bereits seit Jahrhunderten über ein Mittel, geschlechtsneutral zu formulieren“, konstatieren die Wissenschaftler: „Ein Bedarf für das Erstellen von Neuformen besteht grundsätzlich nicht.“ Auch gebe es keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig „Bilder von Männern“ erzeugten – entscheidend sei vielmehr der Kontext, der in einschlägigen Studien meist ausgeblendet werde, klagen die Sprachexperten: „Die pauschalisierende Bewertung des generischen Maskulinums als grundsätzlich diskriminierende Sprachform ist auf wissenschaftlicher Basis nicht begründbar.“

Sind Frauen in der Sprache "zu wenig sichtbar"? - Foto: Gutenberg Museum Mainz
Sind Frauen in der Sprache „zu wenig sichtbar“? – Foto: Gutenberg Museum Mainz

Geradezu „abwegig“ sei die Behauptung von der angeblichen „Unsichtbarkeit“ der Frau in der deutschen Sprache, „oder die These, mit einem Eingriff in sprachliche Strukturen könnten gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden“, heißt es im Aufruf weiter. Vielmehr führe das Gendern im Gegenzug „zu einer ausgeprägten Sexualisierung der Sprache, also zu einer permanenten Betonung von Geschlechterdifferenzen“, kritisieren die Sprachwissenschaftler: „Daher wird das wichtige Ziel der Geschlechtergerechtigkeit konterkariert.“ Im Hinblick auf das angestrebte Ziel der Geschlechtergerechtigkeit „ist Gendern also dysfunktional“, so die Bilanz.

Gendern führt zu Sexualisierung und betont Differenzen

Anlass für den Aufruf ist allerdings eine besondere Institution: der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (ÖRR). Hier habe seit 2020 die Verwendung der sogenannten gendergerechten Sprache in erheblichem Maße zugenommen, „wir fordern eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage“, so die Autoren weiter: „Die Sprachverwendung des ÖRR ist Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern. Daraus erwächst für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen.“

 

Genau das aber geschehe nicht: „Wir fordern die Abkehr von einem Sprachgebrauch, der stark ideologisch motiviert ist und überdies – so zeigen es alle aktuellen Umfragen – von der Mehrheit der Bevölkerung (ca. 75-80 %) eindeutig abgelehnt wird“, so der Aufruf weiter: „Es ist bedenklich, wenn immer mehr Journalisten in Unkenntnis der sprachwissenschaftlichen Fakten den Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten in der Öffentlichkeit verbreiten, und sich hierbei fälschlicherweise auf “Sprachwandel” berufen.“

Gendern leistet „gefährlichen Polarisierungstendenzen“ Vorschub

Auch der Duden streicht heraus: Genderstern & Co entsprechen nicht den Regeln der deutschen Rechtschreibung. - Screenshot: gik
Auch der Duden streicht heraus: Genderstern & Co entsprechen nicht den Regeln der deutschen Rechtschreibung. – Screenshot: gik

So habe der Rat für Deutsche Rechtschreibung noch im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprächen, „da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen.“ Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln sei nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar.

„Statt ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden, praktizieren und propagieren die Sender in ihrer Schriftnutzung orthografische Freizügigkeit jenseits der verbindlichen Regeln“ und ignorierten im gesprochenen Wort geltende Aussprachenormen des Deutschen – etwa mit dem Glottisschlag. Nicht zuletzt sorge „die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für erheblichen sozialen Unfrieden, und das in Zeiten, in denen ohnehin zahlreiche gesellschaftliche Spaltungstendenzen zu beobachten sind“, kritisieren die Unterzeichner weiter: „Auch diesen gefährlichen Partikularisierungs- und Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft leistet Gendern Vorschub.“

 

"Aktenzeichen XY ungelöst", so hieß ein treffender Titel des "Open Ohr" in Mainz. - Foto: Open Ohr
„Aktenzeichen XY ungelöst“, so hieß ein treffender Titel des „Open Ohr“ in Mainz. – Foto: Open Ohr

Es widerspreche vor allem auch „dem Prinzip der politischen Unparteilichkeit“ und der kritischen Distanz, wenn sich Journalisten mit einem solchen „ideologisch begründeten“ Sprachgebrauch gemein machten, anstatt kritische Distanz zu wahren, rügen die Autoren ferner, und weiter: „Die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache ist unausgewogen, vielfach tendenziös und dient im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis.“ Eine positive Darstellung des Genderns überwiege, Befürworter erhielten einen größeren Redeanteil – und Kritiker würden „nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert.“

Die Sprachwissenschaftler führen für ihre Argumente und Einschätzungen auch umfassende Belege an, allein knapp 20 zum Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dazu gehören auch Sendungen wie Leschs Kosmos, Tagesthemen, Heute-Nachrichten und sogar Kindersendungen wie Funk oder Logo. So referiere etwa der bekannte Wissenschafts-Journalist Harald Lesch in Sachen gendern „lediglich die Argumente der einer Seite, und suggeriert damit einen wissenschaftlichen Konsens, den es in dieser Sache nicht gibt.“, kritisieren die Sprachwissenschaftler: Das sei „sowohl aus journalistischer Sicht als auch aus wissenschaftlicher mangelhaft.“

 

Fordert kein Gendern in Schulen: CDU-Landeschef Christian Baldauf. - Screenshot: gik
Fordert kein Gendern in Schulen: CDU-Landeschef Christian Baldauf. – Screenshot: gik

Der Chef der rheinland-pfälzischen CDU, Christian Baldauf, nahm den Aufruf der Sprachwissenschaftler nun zum Anlass, den Blick auf die Schulen zu richten: „Damit ist eine Frage angesprochen, die von zentraler Bedeutung für den Bildungsauftrag der Schulen ist“, sagte Baldauf am Montag in Mainz. Gegenwärtig sehe man „mit der selbstverordneten Abkehr einzelner Institutionen von geltenden Schreib- und Sprachregeln eine Entwicklung, die gerade bei jüngeren Schülerinnen und Schülern mehr Verwirrung als Sinn stiftet.“

Gerade in der Rechtschreibung sei für den Spracherwerb von Kindern ein klares, verbindliches Regelwerk nötig, betonte Baldauf weiter: „Deshalb erwarte ich auch von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), dass sie auf Genderexperimente in den Schulen verzichtet und klarstellt, welches Regelwerk für den Spracherwerb von Kindern verbindlich ist.“ Sprache müsse „bei allem Veränderungsbedarf“ verständlich bleiben, sie müsse „vernünftig sprech- und lesbar sein, darf nicht kollektiviert werden und muss zusammenführen, nicht spalten“, fügte Baldauf hinzu.

Info& auf Mainz&: Den ganzen Aufruf der Sprachwissenschaftler im Wortlaut findet Ihr hier im Internet. Was der Duden zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch sagt, findet Ihr hier. Einen ausführlichen Überblick über die Entstehung und den Gebrauch von Gendersternchen in Deutschland findet Ihr hier bei Wikipedia, dort finden sich auch Beispiel großer deutscher Zeitungsverlage in Deutschland, die den Genderstern nicht nutzen (und warum), sowie Beispiel von Medien, die die Verwendung wieder abgeschafft haben – die Benutzer empfanden den Gebrauch weit überwiegend als störend und hatten sich auch nach Monaten nicht daran gewöhnt.

Auch wir bei Mainz& lehnen aus genau den oben genannten Gründen den Gebrauch von Gendersternchen oder Doppelpunkt ab – wir halten es mit dem Duden: „Das Deutsche bietet eine Fülle an Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren.“ Bei uns sind Frauen nicht nur sichtbar, sie machen Zeitung und jonglieren mit Sprache – wir verdrehen und missbrauchen sie aber nicht. Ihr fragt, wie wir Frauen sichtbar machen? Nun, zum Beispiel so:

Tolle Frauen, starke Geschichten: Buch “Starke Frauen Portraits” ab 18.12. – Portraits mit Sponheimer, Woody Feldmann, Anja Gockel, N’Eis