Überraschende Wende am Wochenende in Sachen ÖPNV-Tickets: Zum 1. Juli will der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) die Tickets in seinem Verbreitungsgebiet um satte 3,9 Prozent anheben. Der RMV begründet das mit der allgemeinen Inflation und erhebliche Preissteigerungen und spricht von einer „einmaligen Anhebung des Preistableaus“, doch es hagelt Kritik: Die Städte Mainz und Wiesbaden protestierten in einer gemeinsamen Erklärung als „völlig falsches Signal zur völlig falschen Zeit.“ Kritik kommt auch von der Mainzer FDP und den Linken in Hessen.

Der RMV hebt zum 1. Juli seine Fahrpreise drastisch an, S-Bahnen, aber auch Busse werden um fast vier Prozent teurer. - Foto: RMV
Der RMV hebt zum 1. Juli seine Fahrpreise drastisch an, S-Bahnen, aber auch Busse werden um fast vier Prozent teurer. – Foto: RMV

Erst zum 1. Januar hatte der Rhein-Main-Verkehrsverbund – dem auch die Verkehrsbetriebe in Mainz und Wiesbaden angegliedert sind – seine Fahrpreise um durchschnittlich 1,5 Prozent angehoben. So war eine Einzelfahrt zwischen Frankfurt und Wiesbaden um 1,7 Prozent teurer geworden, eine Jahreskarte um 1,5 Prozent. Die Tarifanpassung liege damit „nicht nur deutlich unter der aktuellen Inflationsrate, sondern angesichts der steigenden Diesel- und Energiepreise auch deutlich unter unserer Kostensteigerungsrate“, hatte RMV-Geschäftsführer Knut Ringat noch Ende Dezember 2021 erklärt: Das sei „im Sinne der Fahrgäste und des Klimaschutzes“ eine Begrenzung auf das „absolut zwingend notwendige.“

Ringat hatte zugleich gewarnt: „Den dreifachen Spagat“ zwischen steigenden Kosten, attraktiven Fahrpreisen und einem dichten Angebot könne der ÖPNV „nur dann dauerhaft vollziehen, wenn die Finanzierung nachhaltig gesichert ist, zum Beispiel über alternative Finanzierungsformen.“ Am Samstag, genau vier Wochen später, kam dann der Paukenschlag: Die Preise im RMV sollen zum 1. Juli noch einmal um 3,9 Prozent steigen, das habe der RMV-Aufsichtsrat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, teilte das Unternehmen lapidar mit.

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Die RMV-Chefs beim Masken-Verteilen zu beginn der Corona-Pandemie. - Foto: RMV
Die RMV-Chefs beim Masken-Verteilen zu beginn der Corona-Pandemie. – Foto: RMV

Die Begründung fiel knapp aus: „Diese Erhöhung soll die überdurchschnittlich gestiegenen Betriebskosten abdecken und Einnahmen sichern, um das Angebot auch weiterhin verbessern und ausbauen zu können“, so die Mitteilung des RMV. Die Inflationsrate für das Jahr 2021 liege laut aktuellen Informationen des Statistischen Bundesamts bei über drei Prozent und damit so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Zudem seien die Kosten für Fahr-, Service- und Werkstattpersonal im RMV-Gebiet seit 2017 insgesamt um etwa 10 Prozent gestiegen, klagte der Konzern weiter: „Diesel- und Strompreise stiegen im selben Zeitraum um etwa 15 bzw. 33 Prozent.“

Die bisherige Erhöhung der Fahrpreise um jährlich 1,5 Prozent habe diese Teuerungsraten nicht mehr abfedern können, begründete der RMV seine Entscheidung weiter – von „alternativen Finanzierungsformen“ war nun keine Rede mehr. Jahreskarten seien von der Erhöhung ausgenommen, um Stammkunden entgegenzukommen und für ihre Treue
in der Pandemie zu danken, hieß es lediglich weiter. Auch die Preise von Schüler- und Seniorentickets blieben gleich.

Scharfe Kritik an der RMV-Preisanhebung: Wiesbadens Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne). - Foto: gik
Scharfe Kritik an der RMV-Preisanhebung: Wiesbadens Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) … – Foto: gik

Die Städte Mainz und Wiesbaden reagierten empört – ausgesprochen ungewöhnlich: In einer noch am Samstag veröffentlichten gemeinsamen Pressemitteilung übten sie harsche Kritik an dem Beschluss. „Das ist das völlig falsche Signal zur völlig falschen Zeit“, schimpften die beiden Verkehrsdezernenten der beiden Städte, Janina Steinkrüger (Mainz) und Andreas Kowol (Wiesbaden, beide Grüne), die auch jeweils Aufsichtsratsvorsitzende der beiden Verkehrsunternehmen Mainzer Mobilität und ESWE-Verkehr sind: Das sei „die höchste Tarifsteigerung im ÖPNV seit mehr als zehn Jahren.“

Wiesbadens Verkehrsdezernent Kowol betonte, er habe in der Sitzung des RMV-Aufsichtsrats am 27. und 28. Januar gegen die Erhöhung votiert, seine Kollegin Steinkrüger sei aufgrund des Mainzer Sonderstatus nicht stimmberechtigt. „Wir haben schlüssige Argumente vorgebracht, aber die Mehrheit der anderen Aufsichtsratsmitglieder hat leider für die Erhöhung votiert“, kritisierte Kowol. Als Teil des RMV seien nun sowohl Wiesbaden als auch Mainz rechtlich verpflichtet, die Erhöhung umzusetzen.

... und seine Mainzer Kollegin Janina Steinkrüger (Grüne). - Foto: gik
… und seine Mainzer Kollegin Janina Steinkrüger (Grüne). – Foto: gik

„Ich kann nachvollziehen, dass insbesondere die Energiekosten gestiegen sind. Aber das ist jetzt die vierte Preiserhöhung innerhalb von zwei Jahren“, kritisierte Kowol. Die Preiserhöhung treffe besonders diejenigen Menschen hart, die sowieso schon jeden Euro umdrehen müssten. „Diese Bevölkerungsgruppen, insbesondere Familien, Alleinerziehende und Rentner, sind schon von den aktuellen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Mieten, Heizkosten und Strom überproportional belastet“, betonte Kowol. Eine erneute Erhöhung könne „nicht im Interesse einer sozial ausgewogenen Politik sein.“

Der ÖPNV müsse nach der Corona-Pandemie erst einmal die verlorenen Fahrgäste zurückgewinnen, betonten die beiden Dezernenten – die Gefahr sei groß, „dass mit dieser Preispolitik Fahrgastzahlen und Einnahmen sinken und so das Gegenteil erreicht wird.“ Zudem entstünden kurzfristig durch die zusätzliche Preiserhöhungsrunde bei den Verkehrsunternehmen sogar Mehrkosten, weil alle Systeme im Fahrkartenverkauf umgestellt werden müssten und mehr Kommunikation für die Fahrgäste notwendig sei.

Auch in Mainz und Wiesbaden werden die preise für Fahrkarten im ÖPNV kräftig steigen. - Foto: gik
Auch in Mainz und Wiesbaden werden die preise für Fahrkarten im ÖPNV kräftig steigen. – Foto: gik

Beide Städte kritisieren zudem die nun entstehende neue Preistabelle: So steige der Preis für eine Einzelkarte für Erwachsene nunmehr von 2,90 Euro im Dezember auf 3,20 Euro im Juli – das seien mehr als zehn Prozent Aufschlag. „In der aktuellen Situation ist das nicht zumutbar und vermittelbar“, kritisierte Steinkrüger: „Als Kommunen unternehmen wir große Anstrengungen für die Mobilitätswende und den Klimaschutz, Teurere Bus- und Bahnpreise sind für dieses Ziel nicht hilfreich.“ Es müsse „aufhören, dass gestiegene Kosten allein den Städten und den Fahrgästen aufgebürdet werden“, kritisierten Kowol und Steinkrüger weiter. Bund und Länder stünden hier „genauso in Verantwortung, und wir wünschen uns, dass sie dieser Verantwortung in Zukunft mehr gerecht werden“, forderten die beiden städtischen Dezernenten.

Zugleich sagten Mainz und Wiesbaden zu, den Preis für die 5er-Sammelkarte nicht zu erhöhen – sie ist den Angaben zufolge das einzige Ticket-Produkt, über das Mainz und Wiesbaden frei entscheiden dürfen. „Die Sammelkarte für Wiesbaden und Mainz bleibt stabil“, versprachen Steinkrüger und Kowol. Die Sammelkarte beinhaltet fünf Fahrscheine für Einzelfahrten im Tarifgebiet Mainz-Wiesbaden, umgerechnet sind Erwachsene damit für 2,30 Euro pro Fahrt unterwegs, Kinder für 1,35 Euro pro Fahrt. Um den Menschen die 5er-Sammelkarte besser zugänglich zu machen, wollen Steinkrüger und Kowol sich dafür einsetzen, dass sie in Zukunft auch digital erworben werden kann – bislang kann die Sammelkarte nur an Automaten und in Vorverkaufsstellen erworben werden.

Kritisiert die Preisanhebung des RMV: FDP-Fraktionschef David Dietz. - Foto: FDP Mainz
Kritisiert die Preisanhebung des RMV: FDP-Fraktionschef David Dietz. – Foto: FDP Mainz

Kritik kommt indes auch vom Grünen-Koalitionspartner FDP in Mainz: „Vier Preiserhöhungen innerhalb von zwei Jahren in einer gesamtwirtschaftlich hoch angespannten Phase sind nicht nachvollziehbar“, schimpfte FDP-Fraktionschef David Dietz: „Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) zeigt sehr eindrücklich auf, wie man es auf keinen Fall tun sollte.“ Zwar seien steigende Energiepreise auch Treiber bei den ÖPNV-Kosten, es sei aber zu befürchten, dass die Attraktivität von Bussen und Straßenbahnen weiter leide. Gerade für Menschen, „die ohnehin finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, ist die Entscheidung des Aufsichtsrates ein Schlag“, kritisierte Dietz.

Andere wiederum würden nun erst recht nachrechnen, ob das eigene Auto nicht doch die günstigere Alternative sei. „Wer eine nachhaltigere Verkehrspolitik gerade in den Ballungsgebieten will, kann sich bei der aktuellen Entwicklung nur an den Kopf greifen“, schimpfte Dietz: „Offensichtlich meinen es die hessischen Vertreter im RMV- Aufsichtsrat – mit Ausnahme Wiesbadens – nicht sehr ernst mit einem attraktiven Bus- und Bahnsystem in unserer Region – zumindest handeln sie dem zuwider.“

Klare Worte fand auch die Linke im Hessischen Landtag: „Die vom RMV angekündigte außerordentliche Fahrpreiserhöhung ist ein außerordentlich falsches Signal für die dringend notwendige Verkehrswende“, kritisierte Linken-Verkehrsexperte Axel Gerntke. Es sei für viele Menschen nicht nachvollziehbar, „warum große E-Autos subventioniert werden, der ÖPNV aber immer teurer wird.“ Ziel müsse es doch sein, den ÖPNV für alle Menschen erschwinglich zu halten, das Angebot auszubauen und mit möglichst großen Schritten zu einem Nulltarif zu kommen, betonte Gerntke. DIE LINKE fordere hierfür seit langem mehr Geld aus dem Landeshaushalt: „Für das Erreichen der Klimaziele ist eine echte Verkehrswende notwendig – dafür müssen auch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden“, fügte er hinzu.

Mitglieder im RMV-Aufsichtsrat sind Vertreter der im Verkehrsverbund zusammengeschlossenen Städte und Landkreise, auch das Land Hessen hat Sitz und Stimme im Aufsichtsrat. Den Aufsichtsratsvorsitz hat der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) inne. Mainz ist im RMV nur assoziiertes Mitglied, ist aber gleichwohl an die Preisstruktur des RMV gebunden.

Info& auf Mainz&: Die ganze Meldung des RMV zur Fahrpreisanhebung könnt Ihr hier beim RMV nachlesen, wobei wir sie auch bereits komplett wiedergegeben haben – mehr gab’s nicht. Alle Infos zum ÖPNV in Mainz mit Preisen und Linien findet Ihr hier bei der Mainzer Mobilität.