Der 7. Mai war der Tag des großen Gutenberg-Marathons, doch es war auch ein Tag erheblichen Flugverkehrs am Himmel über Mainz. Auswertungen der ersten Messdaten aus der neuen Messstation für Ultrafeinstaubpartikel in Mainz-Hechtsheim legen nun nahe: Die rund 9.000 Läufer liefen womöglich unter einer veritablen Abgaswolke aus Rußpartikeln durch Mainz. Denn zwischen 10.00 Uhr und 15.00 Uhr maß die neue Messstation Werte zwischen 40.000 und 55.000 Partikel pro Kubikzentimeter Luft – über Stunden. „Ich bin wirklich überrascht“, sagte Joachim Alt vom Arbeitskreis Fluglärm in Hechtsheim zu den Ergebnissen: Das seien erschreckende Mengen an Rußpartikeln in der Luft über Mainz.
Seit Mitte März misst eine neue Messstation des Hessischen Landesamtes für Umwelt am südlichen Ortsrand von Mainz-Hechtsheim Ultrafeinstaubpartikel in der Luft. Damit beschreite man „neue Wege für Rheinland-Pfalz in Sachen Luftreinhaltung“, freute sich die rheinland-pfälzische Klimaschutzministerin Katrin Eder (Grüne) bei der Vorstellung der Messstation. Nach jahrzehntelanger Überwachung von Schwebstaub und Feinstaub, rücke nun zunehmend die Belastung durch ultrafeine Partikel in den lufthygienischen Fokus. Das sei in Mainz gerade auch durch die besondere Nähe zum Frankfurter Flughafen „immer wieder Thema gewesen.“
In der Tat: Der Streit um die Frage, wie viele winzigste Rußpartikel Flugzeugtriebwerke ausstoßen – und wieviel davon am Boden ankommen – tobt, seitdem die Mainzer Ingenieure Joachim Alt und Wolfgang Schwämmlein 2015 in den Einflugschneisen rund um den Frankfurter Flughafen erhebliche und erschreckend hohe Mengen ultrafeiner Rußpartikel in der Luft maßen – in Raunheim maßen sie etwa einen Mittelwert von rund 46.000 Partikeln, mit Spitzenwerten von bis zu 500.000 Partikeln pro Kubikzentimeter Luft.
UFP: Giftige Rußpartikel im Nanobereich, Gefahr für Herz, Lunge
Ultrafeine Partikel (UFP) sind winzigste Rußteilchen im Nanobereich, die in der Folge von Verbrennungsprozessen etwa bei Motoren, in der Industrie und auch in Heizanlagen und Kaminöfen entstehen. Wissenschaftliche Studien rechnen den winzigen Rußpartikeln schon lange ein hohes Gesundheitsrisiko für Atemwegserkrankungen und Herzinfarkte zu. In Studien führten etwa erhöhte UFP-Konzentrationen, wie sie im dichten Straßenverkehr auftreten, bereits nach fünf Minuten zu veränderter Herzfrequenz – und damit zu erheblichen Gefahren für Herzinfarkt, Kreislauf und Atemwegsproblemen. So hatte gerade erst im April die Europäische Umweltagentur gewarnt, pro Jahr gebe es 1.200 vorzeitige Todesfälle bei Kindern unter 18 Jahren – durch Luftverschmutzung.
Trotzdem tut sich die Politik mit der Gefahr aus den Mikropartikeln immer noch schwer: Grenzwerte für UFP-Konzentrationen gibt es bis heute nicht, Forscher sagen, schon kleinste Mengen haben eine große – und negative – Wirkung auf Herz, Lunge und sogar das vegetative Nervensystem. Alt und Schwämmlein hatten indes nicht nur in unmittelbarer Nähe zum Frankfurter Flughafen hohe Konzentrationen von UFP-Partikeln gemessen – sondern auch in Mainz: In Hechtsheim, unter der Anflugschneise im Mainzer Süden, maßen die beiden Technikexperten schon 2015 Konzentrationen von rund 4.000 bis 16.000 UFP-Partikel.
Die Spannung war denn auch groß: Was würde die neue Messstation nun an Konzentrationen registrieren? Das Ergebnis überraschte selbst Alt und Schwämmlein: „Der Einfluss des Flugbetriebs ist unverkennbar – und die Belastung ist unerwartet hoch“, berichtete nun Joachim Alt am Mittwochabend bei einer Sitzung des Arbeitskreises Fluglärm in Mainz-Hechtsheim. Alt legte dabei erneut detaillierte Auswertungen der Messergebnisse vor, die er wiederum mit den real erfassten Flugspuren über Mainz zum gleichen Zeitpunkt abglichen.
„Ein Berg von UFP-Partikeln“ in der Luft
Das Ergebnis: „Ab dem Start des Flugbetriebs um 5.00 Uhr morgens baut sich kontinuierlich ein Berg von erfassten UFP-Partikeln auf“, demonstrierte Alt anhand mehrerer Grafiken. Während das Landesumweltamt auf seiner Internetseite lediglich Halbstundenwerte nur für einen kurzen Zeitraum am Tag, und ansonsten Tagesmittelwerte präsentiert, schauten sich Alt und Schwämmlein die Werte pro halbe Stunde über ganze Tage hinweg an. Die klare Erkenntnis: an Tagen mit Flugbetrieb lagen die UFP-Konzentrationen durchgehend vier- bis fünfmal höher als an Tagen ohne Flugbetrieb über Mainz.
So kletterten die UFP-Konzentrationen etwa am 4. April 2023 ab 5.00 Uhr morgens von einem Grundrauschen von etwa 5.000 Partikeln kontinuierlich steil nach oben, und erreichten zwischen 10.30 Uhr und etwa 14.30 Uhr permanent Mengen von über 15.000 Partikeln, mit Spitzen jenseits der 20.000 Partikel. Doch das war nicht einmal das schlimmste: Am Tag des Gutenberg-Marathons, dem 7. Mai, explodierten die UFP-Messwerte geradezu.
„Wir hatten den ganzen Tag starken Flugbetrieb“, berichtet Alt, die Messstation in Hechtsheim zeigte ab 08.30 Uhr durchgehend bis etwa 14.30 Uhr Halbstundenwerte von mehr als 20.000 Partikel – und zwischen 10.00 Uhr und 12.30 Uhr durchgehend mehr als 50.000 Partikel. „Das bedeutet: mit jedem Atemzug atmen Sie diese Dosis ein“, verdeutlichte Alt im Gespräch mit Mainz&: „Ich bin wirklich überrascht und erschrocken.“
Tag des Marathons: Ultrafeinstaub wie in der Silvesternacht
50.000 Partikel pro Kubikzentimeter Luft, das seien Werte wie in einer Silvesternacht – da aber kämen solche Konzentrationen nur in der ersten halben Stunde nach Mitternacht vor. „Hier hab ich solche Werte über viele Stunden des Tages“, betonte Alt – und in einer Entfernung von mehr als 20 Kilometern vom Flughafen. In Raunheim, nahe am Frankfurter Flughafen, „da hätte ich damit gerechnet“, betonte Alt, „aber ich hätte nie und nimmer gedacht, dass sich in Hechtsheim solche Berge an UFP-Partikeln auftürmen.“ Am späten Nachmittag bricht die Kurve dann schlagartig ab nach unten – in Mainz begann es ab diesem Zeitpunkt zu regnen.
Damit zeige sich schon nach zwei Monaten, „dass es notwendig ist, dass man hier misst“, betonte der Experte weiter. Auch bei den eigenen Messungen 2015 sei ihnen schon klar gewesen, dass ihre damals gemessenen Werte unter den realen liegen mussten: „Mit unserem Messgerät 2015 haben wir nur etwa ein Drittel erfassen können“, sagte Alt, das habe an der Qualität des Geräts gelegen. Die Messstation aus Hessen erfasse nun Partikel ab 10 Nanometer Größe – und erfasse damit auch noch immer nicht alle Partikel, denn eigentlich sehe die Messnorm eine Erfassung ab 7 Nanometer vor.
Enorme Spitzen selbst an Tagen ohne Flugbetrieb über Mainz
„Was der Flughafen hier tagtäglich verbrennt, ist die Dimension eines riesigen Umweltverschmutzers“, bilanziert Alt, ein „Herüberwehen“ der Rußpartikel vom Flughafen selbst sei indes über die große Entfernung hinweg praktisch ausgeschlossen. Feststellen konnten die Ingenieure hingegen einen großen Einfluss von Windstärke und Windrichtung – und das ist keine wirklich gute Nachricht: Denn selbst an Tagen, an denen über Mainz gar keine Anflüge in Richtung Frankfurt stattfanden, fanden sich enorm hohe Ausschlagspitzen in den UFP-Messungen.
„Das sind kurze Zeitspannen, in denen die Belastung eklatant nach oben geht – das geht bis 86.000 Partikel pro Kubikzentimeter Luft“, berichtete Alt. Das sei eine Konzentration, „da bin ich direkt am Auspuff des Autos“, machte der Experte deutlich – und das eben auch an Tagen ohne Flugbetrieb über Mainz. „Wir konnten uns zunächst nicht erklären, wer dafür in Frage kommt“, sagte Alt weiter, „wir haben neben der Messstation ja keine Fabrik mit Schornstein.“
Der Messcontainer liegt am südlichen Ortsrand von Hechtsheim, unmittelbar neben den Feldern, in einem Garten neben einer wenig befahrenen Feldrandstraße. Die Station stehe etwa 800 Meter südlich unter der Anflugroute in Richtung Südbahn des Frankfurter Flughafens, erklärte Alt. Etwa zwei Kilometer nördlich – über Bretzenheim, der Oberstadt und der Innenstadt – verlaufe die zweite Anflugschneise auf die Nordwestlandebahn.
Einzelne Maschinen in großer Höhe: hohe UFP-Konzentrationen
„Dann haben wir uns die Flugspuren angeguckt – und siehe da: die Station wird direkt überflogen von abfliegenden Maschinen vom Frankfurter Flughafen“, berichtete Alt weiter. Die Flugspuren zeigten eindeutig, wie Maschinen, die bei Westwind-Wetterlage in Richtung Mainz starten, und dann über die Südumfliegung eine Schleife über Nierstein drehen, anschließend wieder auf ihrem Weg Richtung Norden die Messstation in Hechtsheim passieren – allerdings in einer Höhe von rund 3000 Metern.
Trotzdem registrierten die Messgeräte am Boden enorme UFP-Konzentrationen, berichtete Alt, und das sei kein Einzelfall gewesen: Am 17. März, am 28. März und erneut am 1. April stellten sie immer das gleiche Phänomen fest – „wir haben immer wieder diese Peaks von bis zu 30.000 Partikel, und beim Blick auf die Flugspuren dieselbe Situation mit überfliegenden Maschinen“, berichtet Alt: „Das heißt, es ist nicht ein einmaliges Phänomen, sondern der Verdacht erhärtet sich – es sind die Vorbei- oder Überflieger.“
Das aber würde bedeuten: Selbst einzelne Flugzeuge hoch am Himmel würden erhebliche Mengen giftiger Rußpartikel bis zum Boden hinunter schicken – und damit für eine erhebliche Verschmutzung der Luft und sogar für massive Gesundheitsgefahren sorgen. Alt und Schwämmlein erklären sich den Effekt mit den Wirbelschleppen der Flieger: „Das sind innen drehende Wirbel, die verdichten die Abgase, wickeln sie praktisch ein, und senken sich mit den verdichteten Abgasen mit etwa 150 Meter pro Minute nach unten“, erklärte Alt. Solche Wirbelschleppen-Phänomene habe er bereits in Raunheim beobachten können, auch dort hätten diese zu Spitzen bei den Messwerten geführt. „Es ist naheliegend, dass es dieses Phänomen auch in Mainz gibt“, sagte Alt.
„Mainz spürt ganz massiv die Belastungen des Flugverkehrs“
Das heißt aber eben auch: Wir spüren hier in Mainz ganz massiv die Belastungen des Flugverkehrs, auch mit Blick auf die Abgaspartikel“, betonte Alt, und warnte: An Tagen wie dem 7. Mai hätten Konzentrationen von mehr als 50.000 UFP-Partikeln wahrscheinlich eine deutlich erhöhte Belastung von Bronchien, Lungen und Herzgefäßen verursacht. „Es wäre an den Folgetagen sogar mit erhöhten Krankenhauseinweisungen und Schlaganfällen zu rechnen“, fügte Alt hinzu.
Die Experten stellten bei ihren Auswirkungen zudem einen erheblichen Einfluss der Windrichtung auf die Messergebnisse fest, das wiederum bedeutet aber auch: Die Abgaswolken der Flugzeuge werden womöglich deutlich breiter gestreut, als „lediglich“ unterhalb der Einflussschneisen. „Dass das gänzlich an der Stadt vorbei geht, kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Alt, und forderte: Es brauche unbedingt weitere Messstationen im Stadtgebiet, etwa auf der Mainzer Universitätsmedizin – wo die Flieger sogar die Herzklinik in niedriger Höhe überqueren.
Doch im Mainzer Landesamt für Umwelt habe man auf seine Anfrage hin abgewunken, berichtete Alt weiter: Er habe den zuständigen Referatsleiter für Emissionen der Luft eingeladen, ihm seine Ergebnisse vorzustellen, doch dort habe man gesagt, man wolle bis zum Herbst warten. „Bei diesen Ergebnissen darf man nicht warten bis im Herbst“, betonte Alt indes: „Der Einfluss des Flugverkehrs ist aus meiner Sicht nicht mehr zu leugnen, die Bevölkerung erwartet zurecht eine Antwort auf die Frage: was ist denn nun?“
Alt forderte, wie schon in früheren Jahren, es müsse bei solchen hohen Konzentrationen ein Warnsystem für die Bevölkerung geben – „zumindest für die alten Menschen, die Kranken und die Jungen.“ Man müsse die Menschen warnen, an solchen Tagen „keine schwere Gartenarbeit zu verrichten, nicht zu lüften – und erst recht keinen Marathon zu laufen.“
Info& auf Mainz&: Mehr zur neuen Messstation in Mainz-Hechtsheim und was die Politik dazu sagt, findet Ihr hier bei Mainz&. Mehr zu den Messungen von Ultrafeinstaub rund um den Frankfurter Flughafen könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Über die Gesundheitsgefahren durch UFP haben wir ausführlich hier berichtet – und wer noch mehr wissen will, gibt einfach in die Suchmaske oben „Ultrafeinstaub“ ein – dann findet Ihr alle unsere Artikel zu dem Thema.