Unangenehme Erkenntnisse für die Ex-Vize-Präsidentin der Dienstaufsichtsbehörde ADD am Freitag im Untersuchungsausschuss: Im Gegensatz zu Begona Hermann machten untergebene Abteilungsleiter in den Wichen nach der Flut praktisch keinen Urlaub oder bekamen ihn gar gestrichen – weil sie bei der Bewältigung der Flutkatastrophe unabdingbar waren. So gab es am Freitag ein Zeuge der ADD vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal zu Protokoll. War Hermann also verzichtbar – oder bekam sie eine Sonderbehandlung durch ADD-Präsident Thomas Linnertz? Die AfD will das den ADD-Präsidenten nun direkt fragen – der Ausschuss geht nun doch in die Verlängerung.

Sitzung des Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Mainzer Landtag in einer Sitzungspause. - Foto: gik
Sitzung des Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Mainzer Landtag in einer Sitzungspause. – Foto: gik

Eigentlich sollte die 41. Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung von Versäumnissen in der Flutkatastrophe im Ahrtal am Abend des 14. Juli 2021 die letzte öffentliche Beweisaufnahme des Gremiums sein, doch daraus wird nun nichts: Es wird wohl noch eine weitere Sitzung geben. „Ich werde den Antrag stellen, Herrn Linnertz erneut als Zeugen im Ausschuss zu vernehmen“, kündigte AfD-Obmann Michael Frisch am Freitag überraschend nach der Vernehmung eines Zeugen an.

Der Zeuge war Wolfgang Konder, Leiter der Abteilung „Zentrale Aufgaben“ in der Dienstaufsichtsbehörde ADD, der damit auch für Personalangelegenheiten in der Behörde zuständig ist. Und Konder hatte Interessantes zu berichten: Die ADD hatte am 17. Juli 2021, also drei Tage nach der verheerenden Flutkatastrophe, die Einsatzleitung im Ahrtal für die Aufräumarbeiten übernommen, Zeugen hatten in früheren Sitzungen bereits berichtet, dass an diesen Tagen großes Chaos herrschte – und zwar sowohl im Tal selbst, als auch zu Beginn im Krisenstab der ADD.

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Drastischer Personalmangel in den Tagen nach der Flut

Speziell in den ersten Tagen nach der Flut fehlte es an organisierenden Händen an allen Ecken und Enden: Es habe Trinkwasser, Material und die Versorgung der Bevölkerung organisiert werden müssen, und auch für den Krisen- sowie den Verwaltungsstab selbst hätten erhebliche Mengen an „Material“ besorgt werden müssen, schilderte es nun auch Wolfgang Konder: „Wir mussten mit erheblichen Kräften in den ersten Tagen für eine Komplettausstattung sorgen.“

ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann bei ihrem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss. - Foto: gik
ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann bei ihrem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss. – Foto: gik

Tatsächlich schrieb die ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann nur wenige Tage nach der Flutkatastrophe, nämlich am 21. Juli 2021, einen dringenden Appell an Behörden der Landesregierung, in der sie um Unterstützung bittet:  „Personelle Unterstützung gesucht für die Stabsarbeit in Bad Neuenahr-Ahrweiler“, heißt es in dem Schreiben, über das unsere Internetzeitung Mainz& schon im März berichtete. Für das Lagezentrum der ADD in Ahrweiler „wird dringend personelle Unterstützung benötigt“, bittet Hermann in dem Schreiben, das ans Innenministerium in Mainz gerichtet war. Für eine Unterstützung wäre sie „sehr dankbar.“

Auch Konder bestätigte, er habe dieses Schreiben in seinem eigenen Haus weitergeleitet habe, die Lage sei so gewesen, „dass wir es mit eigenen Kräften bei dieser Großlage nicht schaffen“, betonte er. Trotz dieses offenbar eklatantanten Personalmangels aber fuhr Hermann selbst am 31. Juli 2021 in Urlaub – und zwar für zwei volle Wochen. Hermann reiste eigenen Angaben zufolge zu einem privaten Familienbesuch ins kalifornische Sacramento, gegen die inzwischen pensionierte Vizepräsidentin wurde mittlerweile ein Disziplinarverfahren eingeleitet: Das Innenministerium wirft ihr vor, eine Dienstreise fingiert zu haben.

Gestrichene Urlaube in der ADD, unverzichtbare Experten

Hermann nämlich beantragte für ihre USA-Reise ein Einreisevisum, das aber nur für dringende dienstliche Anliegen gewährt wird. Die Begründung für diese vorgebliche Dienstreise erfolgte auf dem offiziellen Briefpapier der ADD, mit dem Briefkopf des ADD-Präsidenten – und unterschrieben von einem hochrangigen Mitarbeiter. Über den geplanten Urlaub der ADD-Vizepräsidentin habe er sich auch mit ADD-Präsident Linnertz ausgetauscht, gab nun Konder im Ausschuss zu Protokoll: „Wir haben uns auch mit dem Präsidenten kurzgeschlossen und gefragt, wie ist es zu gewährleisten, dass vor Ort die Aufgaben wahrgenommen werden“, berichtete er.

Ein Hotel in Altenahr Ende Juli 2021. - Foto: gik
Ein Hotel in Altenahr Ende Juli 2021. – Foto: gik

Da Präsident Linnertz selbst vor Ort im Ahrtal gewesen sei, „und die Einsatzleitung hatte, war das gewährleistet“, betonte Konder, und fügte hinzu: „Deshalb wurde der genehmigte Urlaub von Frau Hermann nicht widerrufen.“ Diese Aussage wirft indes Fragen auf, hatte das Mainzer Innenministerium zuvor doch stets betont, Linnertz habe sich mit dem Urlaubsziel Hermanns im Vorfeld gar nicht beschäftigt. Dass man sich innerhalb der ADD über Hermanns Urlaub austauschte, aber das Ziel dabei nicht erwähnte, während gleichzeitig in der ADD ein Visumsantrag ausgestellt wurde, der explizit das Ziel der Universität UC Davis vor den Toren von Sacramento als Ziel einer Dienstreise nannte, ist wenig plausibel.

Gleichzeitig wurden offenbar die Urlaube anderer hochrangiger Abteilungsleiter der ADD im gleichen Zeitraum gestrichen oder deutlich reduziert, das ergab die Vernehmung von Konder ebenfalls. „Ich habe auch eine Woche Urlaub nicht angetreten, das war selbstverständlich“, betonte der Abteilungsleiter explizit, und berichtete dann: Auch Abteilungsleiter Heinz Wolschendorf habe „einen Urlaub zurückgegeben“.

„Er kann schlicht in dieser Lage nicht in Urlaub fahren“

Die AfD konfrontierte Konder daraufhin mit einem Vermerk aus dem Hause der ADD, in dem dagegen von ADD-Präsident Linnertz an Wolschendorf heißt: „Ordne ich hiermit an, Ihren Urlaub vom 08.08. bis 20.8.2021 zu stornieren, da bereits abzusehen ist, dass Sie in dieser Zeit unentbehrlich sind.“ Konder sagte dazu, es sei nicht nicht so gewesen „dass Herr Wolschendorf angewiesen werden musste, dass er den Urlaub nicht antrat – das  war für ihn selbstverständlich.“

Der Bahnhof des Ortes Dernau sechs tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Der Bahnhof des Ortes Dernau sechs tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

„Wir haben gesagt, er kann schlichtweg nicht in dieser Lage in den Urlaub fahren“, ergänzte Konder weiter: Das Schreiben sei notwendig gewesen, um mit dem Reiseunternehmer über die Stornierung des Urlaubs zu reden – mit dem Ziel weniger Stornokosten zahlen zu müssen. Frisch betonte, das werfe für ihn die Frage auf, ob dieses Vorgehen juristisch korrekt sei: Wenn Wolschendorf seinen Urlaub freiwillig nicht angetreten habe, sei die Anweisung, den Urlaub nicht anzutreten, ja womöglich eine vorgeschobene gewesen.

Habe man denn „bei der Vizepräsidentin auch geprüft, ob sie unentbehrlich ist“, wollte Frisch daraufhin wissen, und der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid fragte: Ob das denn nicht komisch sei, dass ausgerechnet die Leiterin für den Bereich Bevölkerungsschutz als abkömmlich gesehen wurde? Man habe gewährleistet, dass die Aufgaben vor Ort wahrgenommen werden konnten, und „es immer Vertretung vor Ort gab“, sagte Konder dazu: „Es war das oberste Gut, dass die Arbeit vor Ort gut gelaufen ist.“

ADD-Vizepräsidentin Hermann „nicht speziell ausgebildet“

Wolschendorf sei ein sehr gut ausgebildeter Experte für Katastrophenschutz, „er ist hochqualifiziert in diesem Bereich“, sagte Konder: Hermann hingegen sei „nicht speziell ausgebildet“, sie sei Leiterin eines sehr weiten Abteilungsbereichs.

Wenn Hermann „durchaus abkömmlich sein konnte“ und bei Bedarf sogar „auch durch fachfremde Referate oder Abteilungen vertreten werden konnte, stellt sich mir die Frage, wofür es diese Abteilungsleiterin für Bevölkerungsschutz überhaupt brauchte“, kritisierte Wefelscheid: „Gerade im Krisenfall müsste man doch eigentlich annehmen, dass die sachlich-fachlich zuständige Abteilungsleiterin vor Ort anwesend ist.“ Man könne nun „fast den Eindruck gewinnen, dass die technische Einsatzleitung und der Verwaltungsstab gar froh waren, dass die Dame im Urlaub war“, argwöhnte Wefelscheid – „anders lässt sich das für mich nicht erklären!“

Muss nun noch einmal vor den Untersuchungsausschuss: ADD-Präsident Thomas Linnertz. - Foto: gik
Muss nun noch einmal vor den Untersuchungsausschuss: ADD-Präsident Thomas Linnertz. – Foto: gik

Auch AfD-Obmann Frisch sah danach „dringenden Aufklärungsbedarf“: Die Aussagen des ADD-Abteilungsleiters Konder hinsichtlich der Personal- und Urlaubssituation „haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet“, sagte Frisch: Es sei unklar geblieben, warum der Brand- und Katastrophenschutz-Inspekteur des Landes – also Wolschendorf – „angewiesen wurde, seinen Urlaub zu stornieren, die ADD-Vizepräsidentin jedoch einen mehrwöchigen Kalifornien-Urlaub antreten durfte“, sagte Frisch: „Sollte Frau Hermann aufgrund ihrer Stellung als Vizepräsidentin hier eine bevorzugte Behandlung erfahren haben, wäre das für mich im Hinblick auf die damalige Krisensituation ein unglaublicher Skandal.“

ADD-Präsident Linnertz muss nun noch einmal vor dem Untersuchungsausschuss zu diesen Fragen Stellung nehmen – das soll nun am kommenden Donnerstag, den 27. April 2023, geschehen, sagte Ausschuss-Vorsitzender Martin Haller (SPD) im Anschluss an die Sitzung. Dier Vernehmung von Linnertz soll gleich morgens um 8.30 Uhr erfolgen, Linnertz ist dann der einzige Zeuge – und womöglich dann tatsächlich der letzte Zeuge.

Info& auf Mainz&: Ausführliche Informationen zu dem USA-Urlaub der damaliger ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann findet Ihr auch hier auf Mainz&. Unser gesamtes Ahrtal-Dossier zur Flutkatastrophe im Ahrtal mit ausführlichen Berichten von den Tagen nach der Flut sowie aus dem Untersuchungsausschuss findet Ihr hier bei Mainz&.