Im Fall der früheren ADD-Vizepräsidentin ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Begoña Hermann. Es gebe einen Anfangsverdacht auf uneidliche Falschaussage Hermanns vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal, bestätigte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller am Donnerstagabend gegenüber der Internetzeitung Mainz&. Ein Ermittlungsverfahren sei deshalb eingeleitet worden. Derweil kommen immer neue Details zu dem Urlaub Hermanns in Kalifornien ans Licht – Details, die Fragen aufwerfen: Forderte die UC Davis Hermanns Besuch zwecks Austausch an?

AfD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter. - Foto: gik
Stellte Anzeige gegen Hermann: AfD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter. – Foto: gik

Der Obmann der AfD im Untersuchungsausschuss, Michael Frisch, hatte am 23. Februar 2023 Strafanzeige gegen Hermann wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss gestellt. Eine solche Falschaussage wäre strafbar, auch wenn Hermann nicht vereidigt wurde, und kann eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren nach sich ziehen.

Hermann habe „den Ausschuss über ihre Anwesenheit in der Einsatzleitung in Ahrweiler offensichtlich belogen“, begründete Frisch seine Anzeige Ende Februar. Tatsächlich hatte Hermann vor dem Ausschuss angegeben, sie sei bis zum 30. Juli 2021 „auf jeden Fall“ im Ahrtal im Einsatz gewesen – Hermann war als ADD-Vizepräsidentin für den Bereich Katastrophenschutz zuständig, ihre Expertise wurde in dem Chaos nach der verheerenden Flut vom 14. Juli 2021 dringend vor Ort gebraucht.

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Falschangaben zur Anwesenheit im ADD-Krisenstab nach der Flut?

Hermann war aber bis zum 17. Juli 2021 noch in Urlaub gewesen, vor dem Ausschuss hatte sie angegeben, sie sei vom 23. Juli bis zum 30. Juli in der Einsatzleitung in Ahrweiler beim Krisenmanagement tätig gewesen, und habe in dieser Zeit auch ADD-Präsident Thomas Linnertz vertreten. Doch das stimmte wohl nicht, denn das Innenministerium teilte Ende Februar auf eine Anfrage der AfD mit: Hermann sei vom 23. Juli bis 26. Juli 2021 in der Einsatzleitung der ADD im Ahrtal gewesen – das wäre vier Tage weniger, als Hermann vor dem Ausschuss angegeben hatte.

Die Flutwelle im Ahrtal hinterließ eine Trümmerwüste. - Foto: Polizei RLP
Die Flutwelle im Ahrtal hinterließ eine Trümmerwüste. – Foto: Polizei RLP

Frisch hatte genau deswegen Anzeige erstattet, nun bestätigte die Staatsanwaltschaft Mainz: „Die Staatsanwaltschaft bejaht einen Anfangsverdacht. Zur Klärung des Sachverhalts wurde auf dem Dienstweg beim Herrn Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses das Protokoll der Vernehmung der (früheren) Vizepräsidentin der ADD als Zeugin sowie der korrespondierende Beweisbeschluss angefordert.“ Die Anzeige sei bei der Staatsanwaltschaft am 9. März 2023 eingegangen, der Ausgang des Verfahrens hänge „vom Ergebnis der Ermittlungen und der rechtlichen Einordnung dieses Ergebnisses ab“, fügte Keller noch hinzu.

Frisch reagierte am Abend gegenüber Mainz&, er wolle niemanden vorverurteilen, begrüße aber die Ermittlungen: „Mit Blick auf die Opfer im Ahrtal, halte ich es für erforderlich, dass diese Geschichte strafrechtlich aufgearbeitet wird“, betonte der Ausschuss-Obmann. Es könne nicht sein, dass eine leitende Beamtin „mit möglicherweise betrügerischen Verhaltensweisen ungeschoren davon kommt, während die Menschen im Ahrtal darunter gelitten haben, dass die Einsatzleitung in Ahrweiler unterbesetzt war, und die Hilfe nicht so leisten konnte, wie wünschenswert gewesen wäre.“

Hermann: Appell für mehr Personal im Krisenstab in Ahrweiler

Tatsächlich hatten mehrere Zeugen im U-Ausschuss deutliche Kritik am Krisenmanagement der ADD nach der Flutkatastrophe geübt: Von chaotischen Zuständen und Unwissenheit der ADD war die Rede, die Einsatzleitung sei als „Hügel der Ahnungslosen“ bezeichnet worden, ihre Mitarbeiter hätten die Aufräumarbeiten eher behindert als befördert. Hermann selbst sei durchaus „bewusst gewesen, dass es an allen Ecken und Enden hakte, trotzdem ist sie in Urlaub gefahren“, kritisierte Frisch: „Das ist an Schamlosigkeit kaum zu überbieten.“

Die frühere ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags Anfang 2023. - Foto: gik
Die frühere ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags Anfang 2023. – Foto: gik

Tatsächlich verfasste Hermann selbst noch am 21. Juli 2021 einen dringenden Appell an Behörden der Landesregierung für personelle Unterstützung beim Krisenmanagement im Ahrtal: „Personelle Unterstützung gesucht für die Stabsarbeit in Bad Neuenahr-Ahrweiler“, heißt es in dem Schreiben, das der Internetzeitung Mainz& vorliegt. Für das Lagezentrum der ADD in Ahrweiler „wird dringend personelle Unterstützung benötigt“, schreibt Hermann in dem Brief, der ans Innenministerium in Mainz gerichtet ist. „Für Ihre Mithilfe durch eine Unterstützungsanfrage an alle anderen Ressorts und nachgeordnete Behörden wäre ich sehr dankbar“, heißt es in dem Schreiben weiter.

Es wäre „hilfreich, möglichst viele freiwillige Helfer*innen für die nächsten Wochen zu mobilisieren“, betont Hermann zudem – offenbar war die ADD-Vizepräsidentin dringend auf der Suche nach Personal für Aufgaben im Verwaltungsstab der ADD. Gesucht wurden Personen für praktisch alle Bereiche: Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Wohnraum und medizinischer Versorgung, Sicherstellung der Infrastruktur von Telefon über Trinkwasser bis hin zu „Wärme, Energie, Gas, Post“ sowie explizit auch für die Gefahrenabwehr, für den Brandschutz, die Sperrmüllentsorgung sowie Tierkörperbeseitigung.

Schreiben der UC Davis: Einladung an Hermann

Trotz dieser dringenden Bitte um mehr Personal, hielt sich Hermann selbst nach Angaben des Innenministeriums lediglich von Freitag bis Montag im Ahrtal beim Krisenstab auf – den Rest der Woche aber nicht. Was tat Hermann in dieser Zeit? Und wieso sahen sowohl sie selbst als auch ADD-Präsident Linnertz keine Veranlassung, Hermanns Kalifornien-Urlaub abzusagen? Der Urlaub sei bereits vor Beginn des Einsatzes im Ahrtal genehmigt worden, „und wurde unter Abwägung der Situation aufrechterhalten“, hieß es zur Verteidigung aus dem Innenministerium: Die Abwesenheit der Vizepräsidentin habe „keine nachteiligen Auswirkungen auf die Arbeit der ADD vor Ort““ gehabt.

Verwüstungen nach der Flut im Ahrtal, hier mitten in Dernau, sechs Tage nach der Flut. - Foto: gik
Verwüstungen nach der Flut im Ahrtal, hier mitten in Dernau, sechs Tage nach der Flut. – Foto: gik

Das Innenministerium hatte dennoch Ende Februar ein Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet, und wirft der inzwischen pensionierten ADD-Vize vor, einen dienstlichen Urlaub als Einreisegrund für die USA fingiert zu haben. Die Freien Wähler hatten daraufhin gefordert, es müsse dringend geklärt werden, wie es überhaupt zur Urlaubs-Genehmigung kommen konnte, und wie die Visavergabe an Hermann gelaufen sei. Wenn Linnertz „in den Wirren der Flutkatastrophe einen Urlaub genehmigt hat, der dann unter Angabe falscher Tatsachen durchgeführt wurde, dann bringt dies das Fass zum Überlaufen“, schimpfte FW-Obmann Stephan Wefelscheid.

Im Innenausschuss des Mainzer Landtags wurde nun am Donnerstag bekannt: Hermann präsentierte den US-Behörden offenbar eine Einladung der University of California at Davis als Grund für ihren Antrag auf Erteilung einer Ausnahme-Einreisegenehmigung, wie sie zu der damaligen Zeit der Corona-Pandemie nötig war. Tatsächlich ist die UC Davis eine hoch renommierte Universität in Kalifornien, an der es am Department of Earth and Planetary Sciences auch ausgewiesene Experten für Flutrisikomanagement gibt – und sie liegt 25 Kilometer entfernt vor den Toren von Sacramento.

Innenministerium beharrt auf Privatreise Hermanns

Bislang hatte Innenminister Michael Ebling (SPD) aber stets ausdrücklich betont, es habe sich bei der Reise Hermanns eben gerade nicht um eine Dienstreise, sondern um eine reine Privatreise gehandelt – dienstliche Termine im Rahmen dieser Reise waren bislang nicht bekannt. Im Innenministerium hieß es auf alle Nachfragen am Donnerstag wörtlich: „Da es um eine private Reise geht, handelt es sich hierbei um private Angelegenheiten, die grundsätzlich nicht der Dienststelle anzuzeigen sind.“ Die Reise sei zudem „von der Beamtin im Ruhestand ausschließlich selbst finanziert“ worden.

Komplett zerstörte Infrastruktur: Wie hier in Dernau sah es im Ahrtal in den Tagen nach der Flut praktisch überall aus. - Foto: gik
Komplett zerstörte Infrastruktur: Wie hier in Dernau sah es im Ahrtal in den Tagen nach der Flut praktisch überall aus. – Foto: gik

Wie diese „private Reise“ mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass Hermann ihren Visaantrag auf dem Dienstpapier der ADD und mit dem Briefkopf von Präsident Linnertz verfasste – solche Fragen beantwortet man im Innenministerium derzeit mit Verweis auf das Disziplinarverfahren nicht. Für die AfD stellen sich nun neue Fragen: Warum bestehe kein dienstlicher Anlass, wenn doch die UC Davis selbst Hermann angefordert habe, um sich in Sachen Katastrophenschutz auszutauschen? „Das alles muss geklärt werden“, forderte Frisch.

Der Untersuchungsausschuss könnte sich mit dem Thema am 21. April beschäftigen: Dann wollen CDU und Freie Wähler einen Abteilungsleiter der ADD und engen Mitarbeiter Hermanns als Zeuge vor den Ausschuss laden.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Disziplinarverfahren gegen Begona Hermann lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&, mehr zur Anzeige gegen Hermann und Details ihrer Einreise in die USA findet Ihr hier bei Mainz&.