Die Serie der nächtlichen Verspätungen am Flughafen Frankfurt nach 23.00 Uhr geht weiter – und das Land Hessen bekommt sie nicht in den Griff: Im Juni registrierte die hessische Luftaufsicht erneut 203 Landungen zwischen dem Beginn der Nachtfluggrenze von 23.00 Uhr und Mitternacht. Das seien sogar noch mehr Verspätungslandungen gewesen als im Mai, teilte das Hessische Verkehrsministerium nun mit. Bisher war der Mai mit 183 Verspätungslandungen nach Beginn der Nachtfluggrenze um 23.00 Uhr der Rekordmonat gewesen, nun wird das noch getoppt. Hauptverursacher ist zudem nicht mehr nur die irische Fluglinie Ryanair: Auch bei Lufthansa und TuiFly steigen die Verspätungen. Im Juni war erstmals der größte Verursacher die Fluglinie Condor. Die SPD-Opposition in Hessen kritisiert die mangelnde Autorität des Landes gegenüber den Fluglinien, mainzer Bundestagsabgeordnete fordern deutlich höhere Strafgelder.
Bisher hatte vor allem die irische Billigfluglinie Ryanair für die meisten Verspätungslandungen gesorgt. Deren Anteil ging nach Angaben des Ministeriums von 63 Prozent der Verspätungsflieger in der ersten Woche des Sommerflugplans im März auf inzwischen 25 Prozent im Juni zurück. „Ryanair hat auf unseren Druck hin einige verspätungsanfällige Verbindungen vorverlegt, seit 1. Juli auch den besonders oft verspäteten Flug aus Barcelona“, sagte der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne): „Unser Vorgehen wirkt also.“
Doch offenbar ist inzwischen die Hemmschwelle bei anderen Fluglinien, die Nachtfluggrenze zu ignorieren, spürbar gesunken: Im Juni hatte nun Condor den höchsten Anteil an verspäteten Nachtflügen. Die hessische SPD-Opposition kritisierte deshalb, offenbar habe sich bei den Fluggesellschaften die Haltung durchgesetzt: „Was Ryanair straflos darf, machen wir auch.“ Al-Wazir sei „für die Airlines ein zahnloser Tiger, der nicht die nötige Autorität besitzt, dem bestehenden Recht Geltung zu verschaffen“, schimpfte SPD-Flughafenexperte Marius Weiß. Die Fluglinien ignorierten den „allzu freundlichen Minister“ offenbar. So habe Ryanair zwar einen Flug mit ständigen Verspätungen nach vorne, gleichzeitig aber einen anderen nach hinten verlegt, der jetzt wieder alle Chancen auf Verletzung der 23-Uhr-Grenze habe, sagte Weiß. Wer sich so etwas gefallen lasse, „muss sich nicht wundern, wenn er in der Branche nicht mehr ernst genommen wird“, kritisierte er.
In Frankfurt dürfen nach 23.00 Uhr eigentlich keine geplanten Flüge mehr landen, gerade viele Billigfluglinien – so der Vorwurf – gestalten ihre Flugpläne aber so eng, dass sie eine Ankunft in Frankfurt nach 23.00 Uhr zumindest billigend in Kauf nehmen. Eine Einzelgenehmigung für eine Verspätungslandung brauchen die Fluglinien im Gegensatz zur Starterlaubnis nach 23.00 Uhr aber nicht. Kritiker hatten deshalb frühzeitig gewarnt, eine Öffnung Frankfurts für die Billigairlines werde zu mehr Fluglärm in genau dieser Nachtrandstunde führen.
„Ein beträchtlicher Anteil der verspäteten Flugbewegungen entfällt auf bestimmte chronisch verspätete Flüge und wenige Airlines“, räumte Al-Wazir ein. Dazu gehören neben Ryanair und Condor auch Tuifly. Das Land Hessen baue „einen hohen Kontrolldruck auf“ und prüfe die vorgebrachten Gründe für die Verspätung sehr genau, betonte der Minister. Erhärte sich der Verdacht, dass sich die Verspätung aus der Flugplangestaltung ergebe, werde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.
49 solcher Fälle liegen inzwischen beim Regierungspräsidium Darmstadt, darunter seien auch vier Juni-Landungen des chronisch verspäteten Condor-Flugs DE1505 aus Palma de Mallorca, teilte der Minister weiter mit. Weitere Verspätungslandungen dieses Fluges würden nun ebenfalls an das Regierungspräsidium abgegeben. „Ein Verbot spezifischer Landungen oder bestimmter Airlines kann das Ministerium hingegen nicht aussprechen“, heißt es weiter. Auch TUIfly habe inzwischen zugesagt, den Flug TUI2187 aus Lanzarote ab Juli um eine Stunde vorzuverlegen.
Al-Wazir forderte zudem, „die Flughafenbetreiber“ müssten Start- und Landeentgelte noch stärker „so gestalten, dass Unpünktlichkeit sich nicht lohnt.“ In Frankfurt werde bereits jetzt das pro Landung zu zahlende Lärmentgelt für die Zeit 22.00 und 23.00 Uhr um 50 Prozent erhöht, bei Verspätungslandungen nach 23.00 Uhr sogar um 200 Prozent. „Offensichtlich hat das noch keine ausreichende Lenkungswirkung“, kritisierte Al-Wazir.
Eine deutliche Erhöhung der Strafen forderten indes die Mainzer Bundestagsabgeordneten Ursula Groden-Kranich (CDU) und Tabea Rössner (Grüne). „Dass die Lärmentgelte für Flugbewegungen nach 23.00 Uhr nur um wenige hundert Euro erhöht werden, ist wohl kaum abschreckend und reicht uns nicht aus“, kritisierten die beiden Abgeordneten, die den Parlamentskreis „Fluglärm“ im Bundestag gegründet haben. Nur mit deutlich höheren Strafen könne die Einhaltung des Nachtflugverbots gewährleistet werden. „Hier werden wir auch mit der hessischen Landesregierung erneut das Gespräch suchen“, fügten Groden-Kranich und Rößner hinzu.
Minister Al-Wazir macht unterdessen auch den überfüllten Flugraum über Europa für die Misere mitverantwortlich: Europaweit hätten in diesem Sommer die Verspätungen stark zugenommen, auch tagsüber, sagte Al-Wazir: „Unsere Analyse zeigt, dass der deutsche und der europäische Luftraum der europaweit starken Zunahme des Luftverkehrs und den zunehmenden wetterbedingten Ausnahmesituationen nicht gewachsen sind.“ Schuld seien auch Personalmangel sowie Streiks bei Flugsicherungen und die nationale Gliederung des Luftraums. Diese Zustände träten nicht allein in Frankfurt auf und ließen sich keiner einzelnen Fluglinie zur Last legen. Auch andere Flughäfen stellten einen außergewöhnlichen Anstieg von Verspätungen in der Kernzeit der Nacht fest.
„Die Luftverkehrswirtschaft muss ihre strukturellen Probleme lösen“, forderte Al-Wazir. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) und ihre Partnerorganisationen in der EU müssten die entsprechenden Personalkapazitäten schaffen, damit Verspätungen sich nicht aus fehlenden Kapazitäten ergäben. Auch das Bundesverkehrsministerium müsse aktiver dafür eintreten, dass der europäische Luftraum so geordnet werde, dass der Luftverkehr effizienter abgewickelt werden könne. Er habe entsprechende Briefe an die Fraport, den Bundesverkehrsminister sowie die DFS geschrieben. „Es kann nicht sein, dass die Anwohner der Flughäfen darunter leiden, dass Fluggesellschaften und Flugsicherungen nicht in der Lage sind, den Verkehr im europäischen Luftraum pünktlich und effizient abzuwickeln“, fügte Al-Wazir hinzu.
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Problem mit den nächtlichen Verspätungslandungen am Frankfurter Flughafen lest Ihr natürlich bei Mainz& – zum Beispiel hier.