Der Ausschluss des Grünen-Politikers Ronny Maritzen aus dem Wiesbadener Stadtrat sowie dem Ortsbeirat Mainz-Kastel vergangenes Jahr hat nun ein juristisches Nachspiel: Maritzen hat gegen seinen Ausschluss aus den städtischen Gremien Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eingereicht. Maritzen war im Herbst 2020 bei beiden Gremien von der Teilnahme an entscheidenden Abstimmungen über das Wiesbadener Ostfeld ausgeschlossen worden, weil die Stadt Wiesbaden ihm einen Interessenskonflikt vorwarf. Maritzen bestreitet das, seine Fraktion im Kasteler Ortsbeirat, der AUF AKK, kritisiert, hier solle ein profilierter Kritiker des Wohnprojekts Ostfeld mundtot gemacht werden.
Im September 2020 entschieden die städtischen Gremien in Wiesbaden über die „Entwicklungssatzung zum städtebaulichen Entwicklungsbereich Ostfeld“ und damit über die Frage, ob auf dem 490 Hektar großen Grün- und Ackergelände rund um das kleine Wohngebiet Fort Biehler ein neuer Stadtteil entstehen soll. Das Projekt ist stark umstritten, denn das Ostfeld liegt mitten in einer wichtigen Kaltluftentstehungszone für Wiesbaden. Wie das Klimaprojekt Klimprax zeigte, zieht sich von hier aus eine wesentliche Kaltluftschneise zu den rechtsrheinischen Wiesbadener Stadtteilen Amöneburg, Kastel und Kostheim, der sogar Teile der Mainzer Innenstadt bei Nacht mit frischer und kühler Luft versorgt.
Kritiker des Projektes befürchten deshalb, dass eine Versiegelung und Bebauung des Ostfelds diese Kaltluftströme erheblich beeinträchtigen oder gar stoppen würden, die Folge wäre eine erhebliche Aufheizung für die rechtsrheinischen Stadtteile, aber sogar auch für Mainz – in Zeiten des Klimawandels sei das absolut inakzeptabel – so argumentiert auch Ronny Maritzen. Der Wiesbadener Stadtrat lebt in der Wohnsiedlung Fort Biehler, ist dort seit mehr als 25 Jahren politisch aktiv und war schon immer ein erklärter Gegner jeglicher Bebauung des Umfelds. So war Maritzen bereits 1995 Gründungsprecher der Bürgerinitiative Fort Biehler, die sich erfolgreich gegen eine damals schon einmal geplante Bebauung wehrte, auch gegen das neue Projekt kämpft Maritzen vehement – ausführlich lest Ihr das hier bei Mainz&.
Im September 2020 nun schloss die Stadt Wiesbaden völlig überraschend Maritzen von den Abstimmungen zum Ostfeld aus, und zwar sowohl im Ortsbeirat Mainz-Kastel, als auch in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung – ebenso wie Maritzens Fraktionskollegin im Ortsbeirat, Irmi Jungels. Beide wohnen Fort Biehler, beide wurden deshalb von den Abstimmungen ausgeschlossen, weil angeblich ein „Interessenwiderstreit“ nach Paragraph 25 der Hessischen Gemeindeordnung vorliege. Nach dem Paragraphen darf „niemand darf in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann.“
Den Vorwurf hatte der AUF, der Arbeitskreis Umwelt und Frieden, dem Maritzen und Jungels im Ortsbeirat Kastel angehören, bereits im Herbst 2020 als absurd zurückgewiesen: Keiner von beiden besitze Grund und Boden am Fort Biehler, keiner könne deshalb überhaupt aus den Bodenentwicklungen einen Vor- oder Nachteil ziehen – die Entscheidung führe jegliches Engagement von Ortsteil-Politikern ad absurdum, weil dann kein einziger Ortsbeirat mehr über Belange seines Ortsteils entscheiden dürfe.
Am Montag teilte Maritzen nun mit, er habe Klage gegen seinen Ausschluss aus den Gremien eingereicht. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden müsse nun die Frage klären, ob der Paragraf 25 HGO auf ihn zutreffe, „also ob ich im Hinblick auf die Entscheidung zum Ostfeld einen direkten persönlichen Vor- oder Nachteil haben könnte“, sagte Maritzen. Aus seiner Sicht sei eine solche Betroffenheit nicht gegeben: „Ich bin kein Grundstückseigentümer am Fort Biehler, ich kann weder vom Ostfeld wirtschaftlich profitieren, noch kann ich persönlich finanzielle Nachteile davon haben“, betonte er.
Tatsächlich hat Maritzen ein Grundstück vom Bund gepachtet, Maritzens Anwalt argumentiert, das mache einen erheblichen Unterschied aus: Pächter seien anders als Eigentümer und Mieter zu bewerten, was im Übrigen auch das Rechtsamt der Landeshauptstadt Wiesbaden feststelle. Ein Pächter jedenfalls hat aus einer Wertsteigerung eines Grundstücks – die sich meist aus der Entwicklung eines Gebietes als Bauland ergibt – keinen Nutzen, deshalb könne Maritzen aus einer Entscheidung pro oder contra Ostfeld keinen unmittelbaren Vor- oder Nachteil ziehen – schon gar nicht einen, der so groß sei, dass der gewählte politische Vertreter womöglich im eigenen Interesse und nicht mehr nur zum Wohle der Gemeinde handele.
„Dass sich betroffene Bürger politisch engagieren, dass sie Initiativen gründen und dann auch für Parlamente kandidieren, um ihre Ziele zu verfolgen, ist ein in der Demokratie völlig normaler Vorgang“, betonte Frank Porten, Sprecher des AUF AKK. Es sei aber absolut „unüblich und rechtlich fragwürdig, solche betroffenen Bürgervertreter dann aus den Gremien zu entfernen.“ Der AUF hatte bereits im September kritisiert, der Ausschlussgrund sei vorgeschoben, hier sollten lediglich zwei profilierte Ostfeld-Gegner von Abstimmungen ausgeschlossen werden, um eine überaus knappe Stimmenmehrheit für das Ostfeld sicher zu stellen. Das sei „ein ungeheuerlicher Angriff auf demokratisch gewählte Bürgervertreter“ kritisierte der AUF, hier solle in umstrittenes Projekt „um jeden Preis durchgesetzt“ werden.
Zudem wurde Jungels in der September-Sitzung zunächst bei der Abstimmung über die Ostfeld-Satzung wegen des angeblichen Interessenwiderstreites ausgeschlossen, zwei Monate später aber durfte sie ihre Rechte als gewählte Vertreterin in der November-Sitzung des Ortsbeirats Kastel wahrnehmen – obwohl es ebenfalls um das Ostfeld ging. „Das ist alles ziemlich willkürlich“, kritisierte Porten das Verfahren, er begrüße es, dass Maritzen den Vorgang nur rechtlich prüfen lasse: „Es darf nicht Schule machen, dass engagierte Bürger wegen angeblicher Betroffenheit aus den Parlamenten verbannt werden“, betonte Porten, das sei ein Missbrauch der HGO.
Auch Maritzens Rechtsanwalt Mathias Päßler betonte, der Umgang mit Jungels werfe Fragen auf: „Es erfordert keine vertieften juristischen Erkenntnisse, um zu erkennen, dass zumindest eine Entscheidung Frau Jungels betreffend denknotwendig falsch sein muss“, sagte Päßler: „Entweder ist sie persönlich betroffen oder sie ist es nicht.“ An der Sach- und Rechtslage hat sich jedenfalls zwischen September und November 2020 nichts verändert. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden muss nun zunächst über die Zulässigkeit der Klage entscheiden, wann eine Verhandlung vor Gericht stattfinden könnte, ist unklar. Entscheidet das Gericht aber, dass insbesondere Maritzens Ausschluss von der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung rechtswidrig war, könnte der gesamte Beschluss des Wiesbadener Stadtrats für das Ostfeld nichtig sein.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Projekt Ostfeld, was die Stadt Wiesbaden da plant, und wo die Gefahr für das Mainzer Stadtklima liegt, lest Ihr hier bei Mainz&. Einen ausführlichen Bericht über den Ausschluss von Ronny Maritzen und Irmi Jungels im September 2020 findet ihr hier auf Mainz&.