Der anonyme Brief mit zahlreichen Vorwürfen wegen Vetternwirtschaft und Vergünstigungen im Mainzer Rathaus wirft hohe Wellen – Mainz kennt seit Tagen praktisch kein anderes Thema. Kaum ein politischer Akteur oder in dem Brief als Beschuldigter Angesprochener will sich derzeit öffentlich zu den Vorwürfen äußern, doch bis die Staatsanwaltschaft überhaupt entscheidet, ob sie Ermittlungen aufnimmt oder nicht, werden Wochen, wenn nicht gar Monate vergehen. Ein paar (zitierfähige) Reaktionen erreichten Mainz& aber dennoch: Bürgermeister Günter Beck (Grüne) und Wohnbau-Geschäftsführer Franz Ringhoffer weisen alle Anschuldigungen zurück, der Bund der Steuerzahler kann derweil die „kritischen Hinweise“ zu manch einem Thema durchaus nachvollziehen. Am Freitag gab es zudem Wirbel um die Frage: Darf Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) seinen Dienstwagen für private Zwecke benutzen?

Wurden Wohnungen in Mainz, etwa im Mainzer Zollhafen, an hochrangige Entscheider in Mainz zu Sonderkonditionen veräußert? Diesen Vorwurf erheben die Verfasser des anonymen Briefes. – Foto: gik

Am Dienstag war bei diversen Medien sowie bei der Staatsanwaltschaft Mainz ein anonymes Schreiben eingegangen, in dem auf fünf Seiten umfangreiche Vorwürfe gegen Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), Bürgermeister Günter Beck sowie weiteren leitenden Personen in der Stadtverwaltung sowie bei stadtnahen Gesellschaften erhoben werden. Die Verfasser sprechen von einem Geflecht von Vetternwirtschaft und gegenseitigen Vergünstigungen, sie sprechen sogar von Untreue und geldwerten Vergünstigungen. Die Verfasser geben an, sie seien langjährige Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die schon lange von den Verfehlungen wüssten und nun „unserem Gewissen endlich Luft machen“ wollten.

Tatsächlich werden in dem Brief Sachverhalte aus unterschiedlichsten Bereichen angesprochen – aus verschiedenen Dezernaten der Stadt sowie aus unterschiedlichen städtischen Gesellschaften. Viele Vorgänge haben miteinander nichts zu tun, zum Teil werden zu ihnen aber detaillierte Angaben gemacht.

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Das betrifft auch Wohnbau-Geschäftsführer Franz Ringhoffer, ihm werfen die Verfasser Immobiliengeschäfte zu Vorzugspreisen vor. „Alle in dem anonymen Schreiben gegen meine Person formulierten Behauptungen sind gegenstandslos und schlicht falsch“, teilte Ringhoffer schriftlich Mainz& in einer Stellungnahme mit. Er werde im Übrigen „alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, insbesondere die strafrechtlichen, um mich gegen die haltlosen Vorwürfe zu schützen und deren Verbreitung zu verhindern.“

Kritiker sprechen von falschen Anschuldigungen und Diffamierungen, die zielgerichtet im Vorfeld der Kommunalwahl am 26. Mai gestreut würden, um bestimmten Politikern zu schaden. Die Briefeschreiber selbst geben an, Anlass für den Brief sei, „dass die Wiesbadener sich geoutet haben, und auch den Mund nicht mehr halten“ – gemeint sind die Vorwürfe gegen den Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) wegen Einladungen zu Dienstreisen und üppigen Essen. Ende Februar war im Zuge dieser Affäre auch ein üppiges Weihnachtsessen bekannt geworden, zu dem Gerich 2017 den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sowie dessen Ehepartner Andreas Schulz einlud. Die 1.019 Euro bezahlte Gerich mit der städtischen Kreditkarte, zahlte den Betrag nun aber, nach Bekanntwerden des Vorfalls, aus seiner privaten Tasche an die Stadtkasse Wiesbaden zurück.

Auch private Treffen zwischen den OBs Sven Gerich (links) und Michael Ebling (beide SPD) stehen jetzt im Fokus – weil Ebling dazu seinen Dienstwagen samt Fahrer nutzte. – Foto: gik

Ebling hatte damals gesagt, es habe sich „aus meiner Sicht um eine private Einladung gehandelt“, Gerich hatte hingegen betont, es habe „auch dienstliche Themen als Bestandteil des Gesprächs gegeben.“ Tatsächlich besteht nicht nur zwischen den beiden Oberbürgermeistern – naturgemäß – eine dienstliche Beziehung als Stadtoberhäupter von Mainz und Wiesbaden, auch Eblings Ehemann Schulz hat enge dienstliche Beziehungen mit der Stadt Wiesbaden. Mit seiner Ingelheimer Firma, die Ingenieursleistungen für Bauwesen anbietet, ist er in den vergangene Jahren laut seiner eigenen Internetseite vielfach für die Landeshauptstadt Wiesbaden, das Hessische Baumanagement, die GWW Wohnungsbaugesellschaft Wiesbaden  und die WiBau Gesellschaft Wiesbaden tätig gewesen. Damit gibt es ganz offiziell geschäftliche Verbindungen zwischen Schulz und der Stadt Wiesbaden, und somit auch mit OB Gerich.

In dem anonymen Brief wird Ebling nun auch beschuldigt, er habe sich zu diesen Essenseinladungen mit Gerich von seinem Dienstwagen samt Fahrer bringen lassen – und das auch bei privaten Treffen. Der Fahrer habe über Stunden hinweg bis zum Ende des Treffens vor Ort gewartet. Die private Nutzung von Dienstwagen ist heikel – 2009 musste sich die damalige Bundesgesundheitsministerin Ministerin Ulla Schmidt (SPD) einer Affäre stellen, weil sie ihren Dienstwagen samt Fahrer in ihren Spanienurlaub hatte nachkommen lassen. Der Vorfall flog auf, weil der Wagen gestohlen wurde – Schmidt beglich am Ende die Kosten privat. 2002 trat der Grüne Cem Özdemir als innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er private Flüge von Bonusmeilen bezahlt hatte, die er durch Dienstflüge erworben hatte.

Ebling sagte dazu nun auf Anfrage der „Allgemeinen Zeitung“, er habe in der Tat seinen Dienstwagen „in geringem Umfang“ für private Treffen eingesetzt – doch nach einer Richtlinie des Landes Rheinland-Pfalz sei das rechtmäßig. Tatsächlich gibt es eine „Dienstkraftfahrzeug-Richtlinie“ des Landes Rheinland-Pfalz und des Finanzministeriums vom 28. Januar 2014, darin heißt es unter Punkt 9: „Die Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen außerhalb der dienstlichen Verwendung (Privatfahrten und Fahrten zwischen Wohnung und Dienststelle) ist grundsätzlich unzulässig.“ Den Mitgliedern der Landesregierung – also Ministern und Staatssekretären – stehen ihre Dienstfahrzeuge laut der Verordnung aber „zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung“, das umfasst auch Privatfahrten.

Laut der Dienstwagenrichtlinie gehören zu diesen Personen die Minister und Staatssekretäre, aber auch Ministerialdirektoren, der Präsident des Verfassungsgerichtshofes und der Präsident der Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz. Diesen Berechtigten sei die „unbeschränkte unentgeltliche Privatnutzung“ erlaubt, schreibt der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz in seinem Kommunalbericht 2018 – der Rechnungshof widmete in dem Jahr der Frage der persönlichen Dienstwagen kommunaler Wahlbeamter eine eigene Studie. Darin heißt es zur Übertragbarkeit des Dienstwagenprivilegs für Privatfahrten auf kommunale Beamte: „Zu den hiernach Berechtigten gehören auf der Ebene der Kommunen die Oberbürgermeister von kreisfreien Städten ab 100.001 Einwohnern.“

Mainz hat derzeit rund 220.000 Einwohner, mithin gehört der Oberbürgermeister von Mainz klar zum Kreis derer, die ihren Dienstwagen unbeschränkt und unentgeltlich nutzen dürfen. Kostenlos sind die Privatfahrten damit aber noch nicht: „Die steuerrechtlichen Bestimmungen, die für die ganze oder teilweise unentgeltliche Überlassung von Kraftfahrzeugen zur privaten Benutzung gelten, bleiben unberührt“, heißt es in der Dienstwagenrichtlinie des Landes auch.  Damit hat jeder Dienstwagen-Nutzer, auch ein Minister, Staatssekretär oder Oberbürgermeister, prinzipiell die Pflicht, die private Nutzung des Dienstwagens als geldwerten Vorteil zu versteuern. Laut Steuerrecht kann diese Besteuerung auf der Grundlage eines Fahrtenbuches geschehen – dann müssen Privatfahrten in dem Fahrtenbuch vermerkt werden – oder pauschal mit einer 1-Prozent-Regel abgegolten werden.

Auch die Vorgänge rund um die Insolvenz und die erheblichen Baumängel des Taubertsbergbades spielen erneut eine Rolle. – Foto: gik

Zu der Frage der Versteuerung äußerte sich Ebling bisher nicht, der Oberbürgermeister will aber am Montag auf einer Pressekonferenz nun doch ausführlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung nehmen. Dazu gehört auch der Vorwurf, er habe gemeinsam mit seinem Ehemann Schulz eine hochpreisige Wohnung im Mainzer Zollhafen zu Vorzugskonditionen erworben.

Der Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz forderte am Freitag auf Mainz&-Anfrage eine zügige Aufklärung der Vorwürfe. „Die Vielzahl und Schwere der Vorwürfe empfinden wir teilweise als sehr erschreckend“, sagte Finanzreferent Frank Senger – der Vorgang „erinnert uns sehr an die Vorkommnisse in Oppenheim, die bis heute nicht vollkommen aufgearbeitet sind.“ Auch die Affäre um den Oppenheimer Bürgermeister Marcus Held wurde durch anonyme Schreiben ausgelöst, am Ende erwies sich das Geflecht auf Vergünstigungen und Vorteilsnahmen weitgehend als wahr, Held steht heute wegen der Vorwürfe vor Gericht.  Am Anfang habe auch in Oppenheim „ein anonymer Brief mit konkreten Belastungen gestanden und eine Stadtspitze, die alle Vorwürfe abstritt“, sagte Senger: „Wiederholt sich Oppenheim in Mainz?“

Mit dem Taubersbergbad und seiner Insolvenz beschäftigten sich 2017 auch schon die Mainzer Narren – auf einem Motivwagen im Rosenmontagszug. – Foto: gik

Auch die in dem Mainzer Schreiben erhobenen Vorwürfe zum Taubertsbergbad habe der Steuerzahlerbund registriert, „wir können diese kritischen Hinweise zum Taubertsbergbad durchaus nachvollziehen“, sagte Senger zu Mainz&. Der Steuerzahlerbund beschäftigte sich schon in seinem Schwarzbuch 2017 mit dem einstigen Vorzeigebad und wirft den Verantwortlichen vor, sie hätten „das einstige Vorzeigebad zu einem Sanierungsfall verlottern“ lassen. Der Steuerzahler müsse heute „ausbaden“, dass die Stadt Mainz sich nicht von Pächter Uwe Deyle trennte, „obwohl der Stadt Mainz bekannt war, dass der Pächter seiner Instandhaltungspflicht nicht nachkam.“ Auch in dem anonymen Schreiben werden Vorwürfe erhoben, die Stadt sei Baumängelverfolgungen nicht nachgegangen. Bürgermeister Beck habe es den heutigen Zustand des Bades deshalb persönlich zu verwantorten.

Beck wies das empört zurück: „das ist der absurdeste Vorwurf, den ich je gehört habe“, sagte Beck im Gespräch mit Mainz&: „Ich habe zwei Jahre gekämpft, dass ich da überhaupt rein durfte.“ Er habe das Bad nicht gebaut und sei damals gegen die Beauftragung Deyles gewesen, den Vertrag mit dem Betreiber hätten der damalige Bürgermeister Norbert Schüler (CDU) und der damalige Oberbürgermeister Jens Beutel (SPD) gemacht. „Wir haben jedes Jahr eine Begehung durchgeführt und haben auch darauf gedrungen, dass die Mängel beseitigt werden“, sagte Beck, weiter habe er aber keine Handhabe gehabt. Auch eine Möglichkeit, Deyle früher aus dem Bad zu bekommen, habe es nicht gegeben, betonte Beck: „Hätte ich nicht mit Verve gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter das Bad gerettet, würde da jetzt eine Ruine stehen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum anonymen Brief und seinem Inhalt lest Ihr hier bei Mainz& – mehr Reaktionen, auch zur Frage der Anonymität der Verfasser, lest Ihr gleich bei Mainz&.

 

 

 

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