Vor 100 Jahren durften Frauen zum ersten mal an Wahlen in Deutschland teilnehmen, 100 Jahre danach haben sie zumindest in Mainz einen Erfolg zu verzeichnen: Mit 45 Prozent ist der Frauenanteil im Mainzer Stadtrat so hoch wie nie zuvor. Von den insgesamt 60 Stadträten sind seit der Kommunalwahl am 26. Mai 27 Frauen, damit stieg der Frauenanteil im Rat im vergleich zu 2014 um fünf Prozent, ergab nun eine Auswertung des Mainzer Frauenbüros. Mainz ist damit bundesweit gesehen allerdings ein Sonderfall: Nur 27 Prozent aller Mandate in kommunalen Räten sind mit Frauen besetzt – und nicht einmal jedes zehnte Rathaus der Republik wird von einer Frau geleitet. Ein Kongress mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) suchte deshalb am Dienstag in Mainz nach Wegen, Frauen in kommunalen Ämtern zu stärken.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem ersten Frauenkongress kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit der Bürgermeisterin von Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos, rechts) und der Justiziarin von Bad Neueanahr-Ahrweiler, Vanessa Marner (links). - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem ersten Frauenkongress kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit der Bürgermeisterin von Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos, rechts) und der Justiziarin von Bad Neueanahr-Ahrweiler, Vanessa Marner (links). – Foto: gik

Die erste Frage bei ihrer Kandidatur sei immer gewesen: „Kann die das denn?“ erzählte Cornelia Weigand, und fügt trocken hinzu: „Der zehn Jahre jüngere Mann wurde das nicht gefragt.“ Weigand ist seit dem 1. Juli Bürgermeisterin der Gemeinde Altenahr im Norden von Rheinland-Pfalz, als Parteilose eroberte sie das Rathaus ihrer Heimatstadt. Im Altenahrer Rat sind nur sieben von 28 Ratsmitgliedern Frauen, in manchen Räten wären sie froh, sie hätten überhaupt eine. „Wir Frauen sind noch so wenige, wir müssen uns unterstützen, über alle Grenzen hinweg, und dafür möchte ich werben“, sagte Weigand.

Wie kann man mehr Frauen in kommunale Gremien und Spitzenämtern bringen? Der Frage ging am Dienstag der 1. Frauenkongress kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) in Mainz nach. „Das Thema brennt, die Lage in den Kommunen wird nicht besser, sondern schlechter“, sagte GStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg: „Das ist schlecht, für die Gesellschaft und schlecht für die Kommunalpolitik.“

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Denn lediglich 27 Prozent aller Mandate in kommunalen Räten sind mit Frauen besetzt, bei den Landrätinnen sind nur 27 Frauen, insgesamt 9,5 Prozent. Der Anteil Der Bürgermeisterinnen in der Republik sank gar in den vergangenen Jahren von 17,7 Prozent in 2008 auf 8,2 Prozent im Jahr 2017. „Ich glaube, dass Frauenförderung genauso wichtig ist wie Klimaschutz“, sagte Landsberg: „Wir brauchen die Sachkompetenz der Frauen in der Kommunalpolitik.“

Die weiblichste Fraktion im neuen Mainzer Stadtrat stellt die SPD mit acht Frauen. - Foto: SPD
Die weiblichste Fraktion im neuen Mainzer Stadtrat stellt die SPD mit acht Frauen. – Foto: SPD

„Gute Politik beginnt immer mit dem Betrachten der Wirklichkeit“, unterstrich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), und die Wirklichkeit in Deutschland sei, dass viel mehr Männer Bürgermeister seien. „Das ist ja nun kein Gott gegebener Zustand, das kann man ändern“, betonte Giffey: „Wenn die Hälfte der Bevölkerung aus Männern und Frauen besteht, ist ja nicht einzusehen, warum das Parlament nicht je zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen soll.“

In Mainz ist dieses Ziel fast erreicht, mit 45 Prozent ist der Frauenanteil im Stadtparlament so hoch wie nie. Unter den Kandidaten für den Stadtrat waren aber „nur“ 37 Prozent Frauen gewesen, Frauen profitierten also vom Kumulieren und Panaschieren der Wähler. Landesweit betrug der Frauenanteil unter den Kandidaten für die Kommunalwahl übrigens nur 29 Prozent. Den höchsten Frauenanteil im Mainzer Stadtrat hält die SPD: 8 von 12 Fraktionsmitgliedern sind Frauen, das entspricht einer Quote von 66,7 Prozent. Die Sozialdemokraten schlagen damit noch die Grünen, die auf einen Frauenanteil von 52,9 Prozent kommen, gefolgt von Linken und ÖDP ( je 50%) und der CDU (46,2%).

Der Mainzer Stadtrat während einer Sitzung im August 2019. - Foto: gik
Der Mainzer Stadtrat während einer Sitzung im August 2019. – Foto: gik

Die FDP kommt hingegen nur auf einen Frauenanteil von 25 Prozent – unter den vier Fraktionsmitgliedern ist eine Frau. Die AfD hat bei drei Mandaten keine einzige Frau in ihren Reihen, Freie Wähler, Piraten, Die Partei und Volt, die jeweils ein Mandat im Rat haben, weisen ebenfalls einen Frauenanteil von Null auf – ihre Vertreter sind alles Männer. In den Ortsbeiräten ist das Bild nicht ganz so positiv: Hier sind nur 35 Prozent der Mandate von Frauen besetzt.

Auch für Rheinland-Pfalz fordert deshalb nun Frauenministerin Anne Spiegel (Grüne) ein Paritätsgesetz: Das Gesetz würde vorschreiben, dass Frauen den gleichen Zugang zu Wahlämtern bekommen müssen – damit wären wahrscheinlich Kandidatenlisten Pflicht, die zu 50 Prozent aus Frauen bestünden. In Frankreich gibt es bereits seit 2001 ein Paritätsgesetz, das Land Brandenburg führte nun auch in Deutschland als erstes Bundesland ein solches Gesetz ein – Gerichte überprüfen derzeit die Verfassungskonformität.Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte bereits vergangenen November beim FrauenLandTag ein Paritätsgesetz gefordert.

„Frauen, traut Euch die Mach zu!“, hieß es denn auch in der „Mainzer Resolution“, die am Dienstag von den rund 150 Teilnehmerinnen des Frauenkongresses verabschiedet wurde. „Der Kongress wird ein Signal senden, dass sich etwas ändern muss“, betonte Landsberg: „Wir müssen einen Bewusstseinswandel schaffen.“ Kommunen müssten ein Leitbild für Frauenförderung entwickeln, an vielen Stellschrauben lasse sich drehen. Warum nicht per Webcam an Kommunalsitzungen teilnehmen, während die Kinder schliefen?

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem ersten Frauenkongress kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (links) und Pressesprecher Handschuh (rechts). - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem ersten Frauenkongress kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (links) und Pressesprecher Handschuh (rechts). – Foto: gik

„Es geht immer auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagte Giffey, kein Mann werde gefragt, wie er sein Amt mit Kindern zu vereinbaren gedenke – Frauen schon. Für diesen Herbst plane sie deshalb eine Reform des Elterngeldes, kündigte Giffey an. Ziel sei eine stärkere Flexibilisierung, um Männer noch stärker in Elternzeit zu bringen. Auch die Vorstandsetagen will Giffey mit einer Novelle des Führungspositionengesetzes ins Visier nehmen: Unternehmen, die keine Frau im Vorstand hätten, eine Zielgröße Null meldeten oder gar nichts, könne in Zukunft eine empfindliche Geldbuße drohen, sagte Giffey. Bei den Aufsichtsräten habe das geholfen, dort liege die Quote inzwischen bei über 30 Prozent.

In Mainz sind übrigens laut Frauenbüro in den Aufsichts- und Verwaltungsräten Frauen zu rund 37 Prozent vertreten, die Verteilung ist aber höchst unterschiedlich: Während es im Aufsichtsrat der Mainzer Alten- und Wohnheime gGmbH einen vom Rat bestimmten Frauenanteil von 80 Prozent gibt, sind es im Verwaltungsrat des Wirtschaftsbetriebs AöR ganze 0 Prozent. Auch bei den Beiräten reicht die Spanne von fast 88 Prozent Frauen im Kuratorium zur Vergabe des Gutenberg-Preises bis zu beispielsweise 25 Prozent im Klimaschutzbeirat.

Für die Förderung von Frauen in den Kommunen hatte Ministerin Giffey denn auch gleich eine ganze Reihe an Rezepten zur Abhilfe dabei: „Mentoring, Netzwerkarbeit, Talentförderung, Coaching“, zählte sie auf, und betonte: Frauen mit Talent für Kommunalpolitik „wachsen ja nicht auf Bäumen.“ Talentförderung müsse früh ansetzen, am besten schon in der Schule, etwa mit einem Girlsday in der Kommunalpolitik. Es brauche Vorbilder, Netzwerke und gesetzliche Rahmenbedingungen.Cornelia Weigand begründete ihre Kandidatur zur Bürgermeisterin übrigens mit Können, Kraft, Ausdauer und Erfahrung, kurz: „Weil ich es kann.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht über Frauen in Parlamenten, ein Paritätsgesetz und 100 Jahre Frauenwahlrecht findet Ihr hier bei Mainz&. Die ausführliche Wahlauswertung über den Frauenanteil in Mainzer Gremien seit der Kommunalwahl 2019 findet Ihr hier als Download beim Mainzer Frauenbüro im Internet.

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