Der Aufschrei ist gigantisch: Friedrich Merz reiße die Brandmauer zur AfD ein, öffne Rechtsextremen Tür und Tor zur Macht, begehe gar Rechtsbruch oder trete aus der EU aus – was da diese Woche über die Bundesrepublik hereinbrach, ist einmalig. Aber stimmen die Vorwürfe überhaupt? Was ist da am Mittwoch wirklich geschehen? Welche Taktik verfolgte der CDU-Kanzlerkandidat – und welche Schuld treffen dabei SPD und Grüne? Klar ist: Friedrich Merz hat eine rote Linie überschritten – aber das Getöse von Links verdeckt vor allem eins: SPD und Grüne haben keinerlei Lösung in der Migrationspolitik. Merz hat in der Tat eine Mauer eingerissen – die Brandmauer zur AfD war es nicht. Eine politische Analyse in der Rubrik “Mainz& politisch”.
Es war am Nachmittag des 29. Januar 2025, als der Eklat feststand: Im Deutschen Bundestag hatte ein CDU-Antrag mit fünf Punkten zu einer verschärften Migrationspolitik eine Mehrheit gefunden – und zwar mit Hilfe der Stimmen der AfD-Fraktion. Von den demokratischen Parteien stimmte außer der antragstellenden CDU nur die FDP zu, alle anderen stimmten dagegen, auch das BSW, das zuvor mit einer Zustimmung gespielt hatte.
Die Reaktionen folgten prompt: Unsäglich sei das, ein Tabubruch, ein historischer Fehler – der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz habe damit die Brandmauer zur AfD eingerissen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) behauptete gar, Merz wolle jetzt auch eine echte Zusammenarbeit mit der AfD nach der Bundestagswahl – wirklich? “Mainz& politisch” analysiert in dieser Kolumne: Was stimmt an den Vorwürfen und wer hat eigentlich was gesagt – und aus welchen Gründen?
Tabubruch: ja – Fall der Brandmauer: nein
Es war zweifellos ein Erdbeben in der politischen Landschaft Deutschlands: Zum ersten Mal eröffnete eine demokratische Partei der Mitte im Deutschen Bundestag der in Teilen rechtsextremen AfD die Möglichkeit, einem Antrag durch ihre Stimmen zu einer Mehrheit zu verhelfen. Ein Tabubruch – zweifellos. Aber ist das auch “ein Bruch der Brandmauer”? Die Berichterstatter von Tagesschau bis FAZ waren sich am Mittwoch einig: Nein, ein Bruch der Brandmauer zur AfD ist das nicht – denn die Definition der “Brandmauer” ist eindeutig: Keine Zusammenarbeit mit der AfD.
Das Wort, auf das es hier ankommt, ist das Wort “Zusammenarbeit” – und genau das hatte Friedrich Merz eben gerade nicht getan. Was war geschehen? Vor einer Woche hatte ein ausreisepflichtiger Afghane in Aschaffenburg eine Gruppe Kindergartenkinder auf einem Spielplatz angegriffen, und dabei ein zweijähriges Kind sowie einen erwachsenen Mann getötet, der sich schützend vor die Kinder stellte. Die grauenhafte Tat führte zu einem Aufschrei, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte markig: “Mir reicht’s jetzt” – doch danach folgte: nichts.
Es folgte, was nach jedem einzelnen dieser Anschläge in der letzten Zeit folgte, nach Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg: Worte der Betroffenheit – und sonst nichts. Wie immer, so beschränkte sich der Mann, der immerhin Bundeskanzler dieser Republik ist, darauf, die Verantwortung an andere abzuschieben – in diesem Fall die Bayrische Landesregierung, praktischerweise geführt vom politischen Gegner der CSU. Dabei war es das Bundesamt für Migration (BAMF), das den Ausreisebescheid für den Afghanen erst am 26. Juli 2024, um damit fast sechs Monate zu spät, zugestellt hatte – und damit die Kette auslöste, die dazu führte, dass der Mann im Januar 2025 immer noch im Land war.
Merz will “aus der EU austreten”? – Fakenews
Selbstkritik der regierenden Rumpf-Ampel in Berlin: keine. Vorschläge zur Abhilfe des immer gleichen Behördenversagens: keine. Und ganz offensichtlich platzte am vergangenen Donnerstag einem dabei der Kragen: Friedrich Merz. Am Mittwochabend war der CDU-Kanzlerkandidat noch auf dem Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz aufgetreten – und hatte dabei kein Wort zu Aschaffenburg verloren. Er habe erst “eine Nacht über seine Reaktion schlafen wollen”, sagte Merz später, genau das das tat er offenbar.
Am Donnerstag legte Merz dann einen Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik vor, der vor allem drei Ziele hat: Eine unkontrollierte Einwanderung nach Deutschland verhindern, Haft für vollziehbare Ausreisepflichtige sowie mehr Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan. Der Aufschrei von SPD und Grünen folgte postwendend, wie in Wahlkampfzeiten nicht anders zu erwarten: Merz Vorschläge seien “rechtswidrig”, und angeblich Grundgesetz-widrig, ein Experte verstieg sich gar im ZDF zu der Aussage, dann müsse “man aus der EU austreten” – auf einmal stand Merz als EU-Sprenger da.
Von der Wahrheit war das meilenweit entfernt. Kein anderer Kanzlerkandidat setzt sich im Bundestagswahlkampf so sehr für eine Wiederbelebung der Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten ein, wie Friedrich Merz, kein anderer hat so konkrete Vorschläge für eine engere Kooperation zwischen den EU-Ländern vorgelegt, wie der CDU-Kandidat. Merz zitierte zudem ranghohe Rechtsexperten, sogar den Ex-Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der explizit betonte: Den Asyl-Vorstoß der Union sei mit deutschem und europäischem Recht vereinbar, Zurückweisungen an den Grenzen sogar “überfällig”.
Grenzkontrollen: bereits in Kraft – Wirksamkeit: hoch
SPD und Grüne focht das nicht an, stattdessen verbreitet man weiter das Narrativ vom Rechtsbruch. Dabei sind Zurückweisungen an den Binnengrenzen der EU durchaus erlaubt, sofern ein Staat eine Gefährdung für seinen Sicherheit und Ordnung geltend machen kann. Deutschland tut aktuell genau das – beantragt von der SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser im August 2024. Auch damals hieß es: geht nicht, bringt nichts, verstößt gegen EU-Recht – nichts davon entspricht der Realität. Die EU genehmigte die temporären Grenzkontrollen, die Bilanz dazu lautet: die Kontrollen wirken.
Seit dem Beginn der Kontrollen an den deutschen Grenzen im September 2024 zählten die Bundesbehörden 43.500 Zurückweisungen – das waren so viele, wie zwischen Januar und November 2024. Seit September 2023 kontrolliert Deutschland bereits seine Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz, das sorgte nach Zahlen des Mediendienstes Migration bereits für einen deutlichen Rückgang der unerlaubten Einreisen im Jahr 2024. Deutschland kontrolliert also bereits seit 1,5 Jahren Flüchtlinge an seinen Grenzen, und zwar auch zu anderen EU-Binnenstaaten, und es weist dort Flüchtlinge ohne Einreiseerlaubnis zurück – mit Duldung der EU.
Seit September 2024 wurden zudem durch die ausgeweiteten Kontrollen an allen Grenzen rund 1.900 Schleuser festgenommen – eine enorme Zahl. Die Zahl der Asylgesuche ging 2024 um 34 Prozent auf 213.499 zurück, so die Bilanz im ZDF nach Zahlen des Bundes. Das entspricht in etwa dem Niveau des Jahres 2014 – in den Jahren 2000 bis 2014 waren es immer deutlich weniger gewesen. So hoch wie heute waren die Zahlen zuvor nur einmal in 40 Jahren gewesen: Als der Jugoslawienkrieg in den Jahren 1992 und 1993 Hunderttausende in die Flucht trieb – in der Folge wurden 1993 im Asylrecht unter anderem die Drittstaatenregelung eingeführt.
Kommunen fordern “Kurswechsel”, Kreise flehen um Hilfe
Man muss auf diese Bilanz noch einmal hinweisen, denn sie entlarvt das Getöse von SPD und Grünen als scheinheiliges Ablenkungsmanöver: Die Parteien vom selbst ernannten “linken” Spektrum haben keinerlei Lösungen in der Frage der Migrationspolitik zu bieten. Seit Jahren kämpfen Städte und Gemeinden verzweifelt darum, die anhaltend hohen Zuweisungen von Flüchtlingen zu bewältigen – viele stehen kurz vor dem Kollaps. Gerade erst forderten Städtetag UND Landkreistag in Rheinland-Pfalz einen “entschlossenen Kurswechsel” bei Abschiebungen: das Land müsse diese zentral organisieren, die Kommunen seien damit heillos überfordert. In den Medien: kaum ein Echo.
An diesem Dienstag veröffentlichte der Kreis Mainz-Bingen – immerhin der reichste Landkreis der Republik – einen flehentlichen Aufruf: “Angesichts der anhaltend hohen Zuweisungszahlen fehlt es weiterhin an Unterkünften für geflüchtete Menschen”, heißt es darin. Man bitte händeringend um Unterstützung aus der Bevölkerung und nehme auch “ungenutzte Büroflächen, freistehende Lagerräume oder größere Gebäudekomplexe für eine Nutzung als Notunterkünfte.” Die bestehenden Kapazität reichten “einfach nicht aus, um allen Geflüchteten eine Unterkunft bieten zu können.” Reaktion des Landes? Keine.
Als die Kommunen im Februar 2023 einen Aktionsplan vom Bund und deutlich mehr Hilfe bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten forderten, berief Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Flüchtlingsgipfel ein – in der Folge änderte sich: nichts. Als die Kommunen im April 2023 erneut Alarm schlugen, reagierte Faeser patzig – eine Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge lehnte sie rundweg ab. Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, warf Faeser daraufhin “Arbeitsverweigerung” vor und warnte: Der Bund habe die Pflicht, dafür zu sorgen, dass weniger Asylsuchende nach Deutschland kämen.
Atempause, Migrationswende: Scholz glänzt durch Untätigkeit
Das Problem dabei: Wer einmal hier ist, bleibt es meistens auch – das System der Abschiebungen ist hoch komplex, zwei Drittel der geplanten Abschiebungen scheitern. Wie die ZDF-Heute-Nachrichten am Dienstag bilanzierten, waren Ende 2024 in Deutschland 220.808 Menschen ausreisepflichtig – gut 178.000 davon aber haben einen Duldungsstatus. Meist sind fehlende Papiere der Grund oder auch Krankheit, oft scheitern Abschiebungen daran, dass die Herkunftsländer die Geflüchteten einfach nicht zurücknehmen. Abgeschoben wurden im Jahr 2024 so nur 20.084 Menschen, das waren 22 Prozent mehr als 2023.
Merz und die CDU fordern deshalb bereits seit Monaten eine “Atempause” in der Migrationspolitik – und eine “Migrationswende”. Bereits im August 2024 hatte Merz, nachdem ein Syrer auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt hatte, Bundeskanzler Scholz eine enge Zusammenarbeit in der Migrationspolitik vorgeschlagen. Merz wollte auch jenseits der Ampel-Koalition über Begrenzung der Zuwanderung und Zurückweisungen an den Grenzen reden. Das Gespräch endete: ergebnislos. “Dem Bundeskanzler entgleitet das Land”, warnte Merz damals.
Nach der Todesfahrt eines saudi-arabischen Psychiaters auf dem Weihnachtsmarkt von Magdeburg im Dezember 2024 war die Bestürzung erneut groß. Kanzler Scholz fordert “eine Aufarbeitung des Anschlags”, Merz forderte erneut eine schärfere Migrationspolitik – sichtbar für die Öffentlichkeit geschah: nichts. Als die Ampel im Oktober 2024 ein “Sicherheitspaket” in den Bundestag einbrachte, klagte die CDU, die Maßnahmen seien unzureichend, die Ampelfraktionen hätten wichtige Beschlüsse “immer weiter verwässert” – und lehnte eine Zustimmung ab. Das Paket scheiterte schließlich im Bundesrat – an den Stimmen der CDU-geführten Länder, aber auch des grün-regierten Baden-Württemberg.
66 Prozent stehen hinter Merz’ Forderungen in der Migrationspolitik
Und dann kam der 22. Januar 2025. Wieder Tote durch einen Messerangriff, ausgeführt durch einen Asylbewerber, der längst nicht mehr im Land sein sollte. Wieder ein mehrfach straffällig gewordener Mann, der eigentlich Ende Dezember ins Gefängnis hätte kommen sollen, aber noch immer auf freiem Fuß war – weil Behörden sich nicht auf ein Strafmaß einigen konnten. Wieder ein Behördenwirrwarr von zu spät zugestellten Unterlagen, verpassten Abschiebefristen, nicht erfolgtem Austausch untereinander. FDP-Parteichef Christian Lindner nennt das nicht zu Unrecht “Staatsversagen”.
Und Scholz? Er sei es “jetzt Leid”, polterte der Bundeskanzler los – Konsequenzen: keine. Nicht einmal seine “Regierungserklärung” am Mittwoch nutzte Olaf Scholz, um dem Land und seinen Wählern zu erklären wie denn eine funktionierende sozialdemokratische Flüchtlingspolitik aussehen solle – das sei eine “Bankrotterklärung” des Bundeskanzlers gewesen, konstatierte Julius Betschka, Politikredakteur des Stern. Stattdessen habe Scholz: Wahlkampf gemacht.
Es könnte der Grund gewesen sein, warum Friedrich Merz vergangene Woche der Kragen platzte: “Wir dürfen nicht mehr nur reden. Wir müssen handeln. Wir müssen Schaden vom deutschen Volk abwenden”, erklärt Merz seither. Merz dürfte damit einem Großteil der Bevölkerung aus tiefstem Herzen sprechen: 66 Prozent gaben in einer repräsentativen INSA-Umfrage an, hinter den 5 Punkte des CDU-Chefs zu stehen – also auch, Zurückweisungen an den Grenzen und Haft für ausreisepflichtige Abzuschiebende zu unterstützen.
Vielleicht wollte sich Friedrich Merz deshalb nicht damit zufrieden geben, es bei der Ankündigung zu belassen: Er beschloss, die Punkte im Bundestag zur Abstimmung zu stellen – noch vor der Wahl. Was hat den CDU-Chef dazu getrieben? Nach dieser Serie von Taten sei die Zeit des “Taktierens” und Redens vorbei, betonte Merz, – “jetzt ist die Zeit für Entscheidungen.” Merz fühlte sich offenbar dazu genötigt, der Republik zu demonstrieren, dass er es Ernst meint – er könnte gute Gründe dafür gehabt haben: Bisher nämlich hatte jede folgenlose Debatte über Migrationspolitik stets nur einen Sieger: die AfD.
“Der eigentliche Tabubruch: die Stärkung der AfD durch die Ampel”
Womöglich nahm Merz sehr viel genauer wahr, was in der Bevölkerung und vor allem auch in der Wirtschaft seit Monaten geklagt wird: Ihr redet nur, aber Ihr handelt nie! Es ist gerade auch diese Enttäuschung, die seit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel (CDU) der AfD Wähler in Scharen zutreibt. Tatsächlich sei es doch so, schrieb am Mittwoch eine langjährige Wählerin von SPD (!) und Grünen (!) auf Facebook, dass nicht Friedrich Merz’ Vorstoß die AfD gestärkt habe – sondern die Politik der Berliner Ampel. “Genau in der kurzen Amtszeit der Ampel” habe die AfD ihre Zustimmungswerte von 10 Prozent auf über 20 Prozent verdoppelt, klagte die Kommentatorin – übrigens unter einem Post der SPD.
“Ich kritisiere das seit über einem Jahr, hat bisher keinen Impuls der Selbstkritik ausgelöst”, schreibt die Wählerin weiter: “Mehr als Bashen und Verbieten fällt den Grünen und Sozialdemokraten seit Jahren nicht ein im Umgang mit der AfD.” Dabei wäre es “leicht gewesen, die Misere zu verhindern”, doch gerade SPD und Grüne hätten “wie keine andere Regierung der Nachkriegszeit zugelassen, dass eine in Teilen rechtsextreme Partei so stark wird: Das ist der eigentliche Tabubruch. Alles, was danach kommt, das Resultat.”
“Bashen und Verbieten” – man könnte es auch Blockade und Einmauern nennen. Wie das geht, kann man seit dem Einzug der AfD in den Mainzer Landtag beobachten: In dem Moment, in dem die AfD einen Antrag zu irgendeinem Thema stellt – ist dieses Thema inhaltlich tot. Besonders gern macht die AfD das natürlich zu konservativen Themen der CDU: Man klaut die Positionen, gießt sie in einen eigenen Antrag – und stellt sie zur Abstimmung. Das Ergebnis? Die CDU muss sich winden und wehren, auf gar keinen Fall darf sie der AfD auch nur einen Millimeter Recht geben – sonst bricht sofort die Lawine “Nazis”, “Ihr stimmt mit Rechts”, “Ihr Verräter an der Demokratie!” über sie herein.
Mit der “Nazikeule” die CDU schön eingemauert
Genau dieser Mechanismus hat mit dazu geführt, dass die CDU in Rheinland-Pfalz weitgehend profillos dasteht – und dass die SPD eine Wahl nach der anderen gewinnt. Der Mechanismus der “Nazikeule” ist SPD und Grünen nicht nur hochwillkommen, er wird auch gezielt und bewusst angewendet – um die CDU und ihre Positionen klein zu halten. Die CDU wird so in den Parlamenten regelrecht eingemauert, das Ergebnis: Stillstand im demokratischen Diskurs – und eine babylonische Gefangenschaft der CDU.
“Es gibt eine politische und demoskopische Mehrheit im Land für eine härtere Asylpolitik (…) – genutzt werden darf sie nicht”, kommentierte Julius Betschka, Redakteur im Politikressort des Stern am Mittwoch – sehr viele Wähler im Land nehmen das längst wahr: Viele geben genau das als Grund an, AfD zu wählen. Und genau dagegen wehrte sich Friedrich Merz, als er sagte: die CDU mache sich nicht länger “von Blockaden von SPD und Grünen abhängig” – auch deshalb ist die Zustimmung zu seinem Vorgehen in der CDU so hoch.
Und nicht nur dort: Merz habe “den demokratietheoretisch höchst problematischen Lockdown des Parlaments beendet, der einer gesellschaftlichen Mehrheit untersagen wollte, ihre vorhandene Mehrheit im Parlament auch zu nutzen”, schreibt der Ex-Grüne Boris Palmer heute auf Facebook, und paraphrasiert damit einen Kommentar von FAZ-Herausgeber Berthold Kohler. Der Mechanismus sei doch genau so, wie Sahra Wagenknecht einmal formuliert habe: “Wenn die AfD sagt, die Sonne geht im Westen unter, muss ich doch nicht sagen, sie geht im Osten unter.”
In der Sache richtig ist, aber falsch durch “falsche” Zustimmung?
Genau das meinte Friedrich Merz wohl mit dem Satz: “Das, was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen.” Das ist weder ein Plädoyer für eine Zusammenarbeit mit der AfD noch mit Populisten, sondern eine Kernfrage demokratischer Verfahren: Wenn Parteien des demokratischen Spektrums ihre Inhalte nicht mehr offensiv verteidigen und einbringen dürfen, wenn sie tabuisiert werden durch Druck einer anderen politischen Richtung – was ist dann die Demokratie noch Wert?
Die Tabuisierung von Meinungen haben SPD und Grüne zum Diktum der deutschen Politik gemacht, genau so ist bei so vielen Menschen jenseits der Parlamente der Eindruck entstanden: “Man darf gar nicht mehr offen sagen, was man denkt.” Und genau dieses Diktum hat die AfD erst richtig stark gemacht: Das widerliche Feixen der AfD-Abgeordneten im Bundestag am Mittwoch gründete doch genau auf der Behauptung, man sei “die einzigen”, die echte Lösungen in der Migrationspolitik anzubieten habe – und bekomme nun Recht. Merz habe sich “den AfD-Lösungen angeschlossen”, tönten AfD-Vertreter – es sind Fakenews, die die CDU weiter einmauern und beschädigen sollen.
Denn Merz hatte auch dieses Mal explizit versucht, SPD und Grüne zur Zustimmung, ja: zur Zusammenarbeit zu bewegen. “Ich erneuere mein Angebot an SPD, Grüne und FDP, diesen Weg mit uns zu gehen. Es kann so nicht bleiben”, betonte Merz – es brauche Lösungen “aus der Mitte des Parlaments.” Seine Anträge schickte er nicht der AfD, er schickte sie den Ex-Ampel-Parteien. Die CDU schrieb in ihre Anträge Sätze wie, die AfD sei “kein Partner, sondern unser politischer Gegner”, denn sie benutze “Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.”
Scheunentor zur Nazikeule geöffnet, echte Debatte verhindert
Dass die AfD den Anträgen zustimmte, die sie selbst als Populisten und Menschenfeinde brandmarkte, war vorhersehbar, weil genau so Rechtsextreme agieren: Völlig egal, was drin steht, Hauptsache, die Abrissbirne gegen die Demokratie hat eine weitere Bresche geschlagen. Friedrich Merz’ großer taktischer Fehler dabei war: Mit seinem Satz “es ist mir egal, wer zustimmt”, öffnete Merz Zweifeln an seiner Haltung Tür und Tor – vor allem aber öffnete er SPD und Grünen das Scheunentor zur Nazikeule. Anstatt inhaltlich über die Frage zu debattieren, welche Änderungen in der Migrationspolitik nötig sind, greifen jetzt die üblichen Empörungsreflexe “gegen Rechts”.
Beflissentlich wird dabei ignoriert: “Rechts” und “konservativ” ist eben nicht “rechtsextrem”, genau diese Gleichsetzung ist es, die das demokratische Spektrum einengen soll auf eine einzige “genehme” Richtung. Das ist das Gegenteil von Demokratie und offener Debatte. Wohin es führt, zeigte sich am Donnerstagabend: Die CDU schickte ihre Mitarbeiter in der Parteizentrale in Berlin aus Sicherheitsgründen nach Hause, weil vor dem Konrad-Adenauer-Haus linke Demonstranten randalierten. Und in Mainz bekam eine Mitarbeiterin der CDU-Landesgeschäftsstelle Morddrohungen mit der Aussage: “Ich stech’ Dich ab!” Das sei Ausfluss einer “völlig aufgeheizten Stimmung”, klagte CDU-Generalsekretär Jo Steiniger.
Um nicht missverstanden zu werden: Die Demonstrationen von Zehntausenden gegen jede Zusammenarbeit mit Rechts sind wichtig und richtig, auch in Mainz gingen am Donnerstagabend rund 4.500 Menschen gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD auf die Straße. Die Demos machen deutlich: Deutschland will keine Rechtsradikalen an der Macht – denn auch im konservativen Lager gibt es solche, die diese Linie aufweichen möchten. Aber wer laut schreit, hat nicht automatisch Recht – und Friedrich Merz einfach mal und gegen alle Fakten zu unterstellen, er wolle eine Koalition mit der AfD nach der Bundestagswahl, wie Olaf Scholz es tat – das ist perfide und schäbig. Merz hat hinreichend deutlich gemacht, dass er das nicht tun wird.
Ex-Kanzlerin Merkel: Merz genussvoll in den Rücken gefallen
Dass ein Michel Friedmann jetzt unter Protest aus der CDU austritt, ist zwangsläufig – der Mann ist Jude. Doch selbst Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, äußerte sich deutlich differenzierter: “Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben”, sagte Schuster der “Jüdischen Allgemeinen”. Die demokratischen politischen Kräfte – damit sind ausdrücklich auch SPD und Grüne gemeint.
Das Problem sei doch nicht, dass die AfD den Anträgen zustimme, betonte FDP-Chef Christian Lindner – sondern, dass SPD und Grüne es nicht täten. Taktik, Ausgrenzen und Moralkeulen sind wichtiger als Lösungen und Handeln, das ist der Eindruck in der Bevölkerung. Dass Ex-Kanzlerin Angela Merkel Merz jetzt in den Rücken fällt, ist ebenso wohlfeil wie überheblich: Es war ausgerechnet Merkels Politik des Nichtstun nach 2015, die die Republik erst in diese Lage gebracht – und den Grundstein für den Aufschwung der AfD gelegt hat.
Merkels Einwurf zeigt auch: Der Konflikt zwischen den Merkelianern in der CDU und denen, die schon lange eine andere Politik, einen klareren konservativen (!) Kurs in der Union wollen, ist nicht ausgestanden – allenfalls überdeckt. Merkel ignoriert damit jedoch: Es gibt eine große Mehrheit nicht nur in der CDU, sondern eben auch in der Bevölkerung, die genau diese, ihre Politik des Sedierens jeglicher kritischer Debatten und der asymmetrischen Demobilisierung restlos Leid sind, ja: sie gefährlich finden für die Demokratie. Nicht umsonst unterstützen 95 Prozent der CDU-Anhänger derzeit den Kurs von: Friedrich Merz.
Merz’ Manöver: Riskant aber alternativlos?
Vieles spricht also dafür, dass Friedrich Merz womöglich einfach der Kragen geplatzt ist: Handeln statt Taktik, dem Wähler endlich klare Entscheidungen vorlegen statt Abwarten – und der AfD endlich einmal nicht das Feld überlassen. Merz’ Manöver war zweifellos riskant, noch riskanter wird die Abstimmung am Freitag im Bundestag: Dann könnte erstmals mit den Stimmen der AfD ein Gesetzesentwurf im Bundestag entschieden werden – und somit recht geschaffen werden. Viele empfinden das völlig zu Recht als unerträglich – aber welche Wahl hatte Merz denn?
Die AfD drohte, den Gesetzentwurf von ihrer Seite aus zur Abstimmung zu stellen – dann hätte die CDU entweder mit der AfD stimmen müssen – oder gegen ihren eigenen Gesetzentwurf. Und wieder wäre die CDU eingemauert gewesen, nur dieses Mal mit noch schlimmeren Folgen: Ganze drei Wochen vor der Bundestagwahl hätte Merz als Umfaller dagestanden, als jemand, der nur redet, aber im Zweifel eben nicht zu seinen Haltungen steht. SPD und Grünen wäre das gerade Recht gekommen: entweder “Nazikeule” oder “der Mann kann nicht Kanzler” – was für eine Steilvorlage für den Wahlkampf.
Friedrich Merz hat sich entschieden, diesen Teufelskreis für die CDU nicht mehr mitzumachen, und die Flucht nach vorne angetreten. Die lautstarke Meinungsmache von Links könnte darüber hinwegtäuschen, dass die Sache womöglich ganz anders ausgeht: “Für die große Mehrheit sind solche taktischen Fragen, ob es erlaubt sein soll, so abzustimmen wie jemand anders, kaum relevant”, schreibt Boris Palmer: “Sie wollen, dass sich etwas ändert. Und Merz hat mit seiner furchtlosen Aktion ziemlich klar gemacht, dass er fest entschlossen ist, aus den ritualisierten Verfahren auszubrechen und das, was er will, auch umzusetzen.”
Merz, glaubt Palmer, habe genau damit die Bundestagswahl gerade gewonnen. Ob das stimmt, wird sich am 23. Februar zeigen. Palmer ist mit seiner Meinung jedenfalls nicht allein: “Brandmauer”-Debatten würden doch “außerhalb der politischen Blasen kaum verstanden”, kommentierte am Mittwochabend ARD-Korrespondent Hans-Joachim Vieweger – übrigens ein gläubiger Christ, und betonte: Friedrich Merz habe mit seinem Agieren “der Demokratie einen Dienst erwiesen.” Denn Merz habe mit seinem Fünf-Punkte-Plan nach Aschaffenburg “die Meinungsführerschaft übernommen und sie nicht radikalen Kräften überlassen. Wer immer nur sagt, was nicht geht, der erzeugt Unzufriedenheit, der sorgt für Demokratieverdrossenheit.”
Info& auf Mainz&: Für diesen Text hat die Autorin tagelang die verschiedensten Quellen von Spiegel über Tagesschau und Heute bis hin zu Tagesspiegel, Welt und Stern ausgewertet – die Quellen, die in den Text einflossen, sind im Artikel verlinkt. Was die Autorin übrigens von Faschismus hält, kann man hier nachlesen: