Der seit Jahrzehnten umstrittene und dennoch geplante Ausbau der Autobahn A643 bei Mainz ist um eine weitere Volte reicher: Die Umweltdirektion der Europäischen Union lehnte den geplanten sechsspurigen Ausbau der Autobahn zwischen Mainz-Gonsenheim und Mainz-Mombach ab – vorerst. Grüne und SPD jubelten, doch ein kompletter Verzicht auf jeglichen Ausbau ist das nicht: Die EU schlägt selbst einen Ausbau nach der 4+2-Variante vor – auch das wäre wohl mit einem Ausbau der ohnehin maroden Vorlandbrücke verbunden. Ungeklärt ist damit auch der Anschluss an die sechsspurige Schiersteiner Brücke.

„Sechsspuriger Ausbau der A643 verhindert“, jubelten Mombacher Grüne, und die SPD aus dem nördlichen Mainzer Ortsteil stimmte mit ein: Der Ausbau der Autobahn durch das Naturschutzgebiet „Mombacher Sand“ sei vorerst verhindert, das sei ein Sieg für den Naturschutz und vor allem für den „Mainzer Sand“. Und der Mainzer Grünen-Chef betonte: „Ein Ausbau der A643 würde nicht zu weniger Stau, sondern zu Stau mit mehr Fahrzeugen und den damit einhergehenden negativen Auswirkungen führen.“
Aber hat die EU den Ausbau der Autobahn zwischen Mainz-Gonsenheim und Mainz-Mombach, und damit auch den Anschluss an die Schiersteiner Brücke nach Hessen tatsächlich „gestoppt“? Fakt ist: Die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission schickte am 23. Juli 2025 ein Schreiben an die Bundesregierung sowie den zuständigen Landesbetrieb Mobilität in Worms in dem es heißt, die EU-Kommission sei „zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, eine positive Stellungnahme“ zum sechsspurigen Ausbau der A643 abzugeben.
EU-Umweltdirektion: Nein zum sechsspurigen Ausbau der A643
Das Nein zum Ausbau wird von der Umweltdirektion vor allem mit drei Punkten begründet: Demnach wurde die Verträglichkeitsprüfung für das FFH-Naturschutzgebiet „unzureichend durchgeführt“, die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen reichten nicht aus – und eine Alternativprüfung sei „unzureichend durchgeführt worden.“ Das ist zunächst einmal eine Ohrfeige für den Landesbetrieb Mobilität Worms, aber auch für den damalige rheinland-pfälzischen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der die Pläne für den sechsspurigen Ausbau der Autobahn 2018 auf den Weg gebracht hatte.

Die A643 ist eine enorm wichtige Mobilitäts- und Pendlerroute, die Mainz, Rheinhessen und die nördlich angrenzenden Gebiet wie Nahe, Mittelrhein und Hunsrück mit Wiesbaden und dem Rhein-Main-Gebiet verbindet. Wie wichtig die Autobahnstrecke ist, zeigte sich, als die Schiersteiner Brücke kollabierte und wochenlang gesperrt werden musste – was folgte, war ein veritabler Verkehrs-Super-GAU, der das ganze westliche Rhein-Mainz-Gebiet nahezu lahmlegte. Dazu kam, dass die Schiersteiner Brücke ebenso wie ihre angrenzende Autobahn einst für sehr viel weniger Verkehr gebaut wurden als heute.
Hessen und Rheinland-Pfalz vereinbarten deshalb im Jahr 2010 gemeinsam den Neubau der Schiersteiner Brücke zwischen den beiden Landeshauptstädten – und zwar gleich auch einen Ausbau auf sechs Spuren, um den gestiegenen Pendlerströmen Herr zu werden. Die Verwaltungsvereinbarung sah zudem auch vor, dass Rheinland-Pfalz auch die angrenzende Autobahn A643 sechsspurig ausbauen würde – und zwar bis zur Anschlussstelle Mainz-Gonsenheim. Doch dagegen regte sich massiver Widerstand, zunächst vor allem von Naturschützern, dem sich dann ein Großteil der Mainzer Stadtpolitik anschloss.
Streit Naturschutzgebiet Mainzer Sand kontra Mobilität
Die Kritik des Bündnisses „Nix in den (Mainzer) Sand setzen“: Die Autobahn führe durch das europaweit einmalige Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“, eine Steppenlandschaft mit seltensten Tieren und Pflanzen, und die sei ohnehin schon stark bedroht. In Mainz wurde deshalb die Variante eines 4+2-Ausbaus entwickelt, also statt eines Ausbaus auf sechs Spuren plus Standspur lediglich vier Fahrspuren, bei denen der Standstreifen bei Bedarf mitgenutzt werden kann. Das reiche völlig aus, argumentierten Umweltverbände und Mainzer Politiker – beim Bund und beim Landesbetrieb LBM hieß es hingegen: Nein, ein solcher Ausbau reiche eben nicht aus.

2015 hatte das damals CSU-geführte Bundesverkehrsministerium dann den sechsspurigen Ausbau gar per Erlass angeordnet – auch das nützte indes wenig: In der Mainzer Ampel-Koalition kam das Projekt auch unter FDP-Verkehrsminister Wissing nicht voran, weil vor allem die Grünen den Ausbau blockierten. Dabei hatte Wissing noch 2018 getönt, der Ausbau habe „Priorität“ und müsse „so schnell wie möglich abgeschlossen“ werden, „die Menschen der Region warten dringend auf diesen Ausbau.“ Der damals auf den Weg gebrachte Planfeststellungsbeschluss steht indes bis heute nicht, mehrfach forderte die EU neue Gutachten vor allem zur Umweltverträglichkeit an.
Wissing wechselte 2021 ins Bundesverkehrsministerium nach Berlin, bei seiner FDP-Nachfolgerin hatte das Projekt keine Priorität: Bis heute besteht für den Ausbau der A643 kein Baurecht. Die Stadtpolitik hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mehrheitlich auf die 4+2-Variante versteift, lediglich die damalige CDU-Opposition und Teile der FDP übten Kritik: Wer die Mainzer Innenstadt von Durchgangsverkehr entlasten wolle, müsse den Autobahnring rund um Mainz stärken, argumentierten etwa FDP-Verkehrsexperte David Dietz und der damalige CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig: Es sei „naiv zu glauben“, dass der Mobilitätsbedarf der Zukunft „über Lastenfahrräder und den ÖPNV größtenteils abgewickelt werden kann“, schimpfte Schönig im Oktober 2021.

EU: Alternative nicht ausreichend geprüft, FFH-Prüfung mangelhaft
Nun heißt es im Schreiben der EU-Kommission, das Mainz& vorliegt, die Alternativprüfung sei „unzureichend durchgeführt worden“ – den Landesbetrieb Mobilität dürfte das erstaunen: Nach dem Diktat aus Berlin war eine Alternative faktisch ausgeschlossen worden, trotzdem hieß es im Umweltverträglichkeitsbericht zu Ausbauvorhaben im Jahr 2018, man habe auch die 4+2-Lösung geprüft – die scheide aber wegen klarer rechtlicher Vorgaben des Bundes sowie wegen der Vereinbarung zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz aus. Zudem sei eine Nutzung des Seitenstreifens als dritte Fahrspur wegen der Auffahrt Mombach nicht durchgängig machbar, das führe zu höherer Verunsicherung und geringerer Verkehrssicherheit.

Trotzdem jubelten Umweltverbände sowie SPD und Grüne in Mainz diese Woche über die Mitteilung der EU: „Ich bin sehr glücklich darüber , dass die EU den Plänen zum sechsspurigen Ausbau der A 643 in der vorgelegten Form nicht zustimmen kann“, sagte die Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne). Der Mainzer Sand sei „ein einzigartiges Schutzgebiet, dessen großer ökologischer Wert durch die Bewertung der EU erneut untermauert und bestätigt wird.“ Sie begrüße den Vorschlag der EU zu neuen Gesprächen mit dem Bund nun „ausdrücklich, und möchte den aus Rheinland-Pfalz stammenden Bundesverkehrsminister ermuntern, solche Gespräche zu initiieren.“
„Der sechsspurige Ausbau der A643 wird nicht kommen“, jubelte auch die Vorsitzende der Mombacher Grünen, Stefanie Gorges, und ihr Kollege Ansgar Helm-Becker betonte stolz>: „Die Mombacher GRÜNEN standen mit an der Spitze der Bewegung gegen den Ausbau und wir sind stolz, dass sich das Engagement von uns und vielen beteiligten Verbänden und Organisationen letztendlich ausgezahlt hat.“ Und die Mainzer Grünen betonten, der sechsspurige Ausbau hätte „insbesondere mit der geplanten Lärmschutzwand weitere negative Eingriffe in die Natur bedeutet, und den Erhalt des Naturschutzgebietes weiter gefährdet.“ Wer „das Nadelöhr im Mainzer Sand“ entlasten wolle, müsse die Radinfrastruktur und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen.
LBM: Auch bei 4+2 muss die A643 ausgebaut werden – deutlich
Auch die Mainzer SPD jubelte, man sehe sich durch die Entscheidung der EU „in unserer Position bestätigt“: Ein sechsspuriger Ausbau sei „nicht sinnvoll, bahnt keinen Weg in die Zukunft und schädigt ein Naturschutzgebiet von europäischem Rang weiter“, sagten die SPD-Chefs Jana Schmöller und Ata Delbasteh: „Dieses Projekt können wir uns nicht leisten. Das ist seit vielen Jahren klar.“ Man bedaure, dass sich „wesentliche Akteure dieser Erkenntnis so lange verschlossen haben, und dass es einer deutlichen Stellungnahme der EU-Kommission bedurfte.“

Aber heißt das nun, dass die A643 in Höhe des Mainzer Sandes überhaupt nicht ausgebaut, das Naturschutzgebiet nicht angetastet wird? Mitnichten: Auf der aktuellen Vorlandbrücke seit eine 4+2-Lösung „aufgrund der geringen Querschnittsbreite von 7,50 Metern je Richtungsfahrbahn“ nicht umsetzbar, stellte der LBM bereits 2018 klar. Für die Umsetzung von 4+2 wäre ebenso wie für einen sechsspurigen Ausbau „ein Abriss des bestehenden Brückenbauwerks und der Neubau von zwei getrennten Vorlandbrücken erforderlich.“
Im Klartext: Auch für 4+2 muss im Mainzer Sand neu gebaut werden, der Unterschied zwischen beiden Varianten mache indes nur rund 3.000 Quadratmeter aus – und die lägen weitgehend außerhalb des FFH-Gebietes. Der Flächenverlust für typische Arten des Lebensraumes belaufe sich gar nur auf 140 Quadratmeter, generell seien Eingriffe in den Mainzer Sand auch bei einer 4+2-Variante „nicht zu vermeiden“. Nach Ansicht des LBMs könnte die sogar schädlicher sein als ein sechsspuriger Ausbau, denn sie führe zu einer höheren Stickstoffbelastung.

LBM: Kein echter Umweltvorteil bei 4+2-Variante
Der Grund aus Sicht des LBM: Bei einem sechsspurigen Ausbau – und nur dann – wäre der Bau einer Lärmschutzwand möglich gewesen, die einerseits die Stickstoffbelastung für den Mainzer Sand gesenkt, und zudem die Anwohner vor allem in Mainz-Gonsenheim sowie in Mombach stark vom Lärm entlastet hätte. Tatsächlich hatte der LBM 2018 ausführliche Pläne zum sechsspurigen Ausbau vorgelegt, der eine sehr geringe Breitenausdehnung samt Lärmschutzwand und einer breiten Grünbrücke für Tiere und Pflanzen vorsah. Einen echten Vorteil einer 4+2-Variante für die Natur könne man nicht sehen – im Gegenteil, erklärten die Planer damals.

Kritiker monieren hingegen, die sehr hohen Lärmschutzwände sperrten den Wind aus, von dem trockenen Wind lebe aber die Mainzer Steppenlandschaft – kleinere Lärmschutzwände könnten dem Problem abhelfen. Nun aber wird es wohl gar keine Lärmschutzwände geben – und der Ausbau selbst steht nun wieder komplett in den Sternen. Die Autobahn GmbH des Bundes, inzwischen zuständig für die Autobahnen und deren Ausbau, warnte noch im Sommer 2022: Wer die Planungen zum A643-Ausbau auf Stopp setze, dem müsse klar sein, dass dann von vorne angefangen werde – und das werde weitere zehn Jahre dauern.
Beim Bund hielt man damals strikt an dem sechsspurigen Ausbau der A643 fest, weil inzwischen die Belastung auf der Schiersteiner Brücke selbst bei rund 90.000 Fahrzeugen pro Tag liege. Die Schiersteiner Brücke ist inzwischen fertiggestellt, seither führen sechs Fahrspuren über de Rhein – und stoßen auf Mainzer Seite weiter auf vier Fahrspuren, der Verkehr muss mühsam abgebremst und über eine Behelfskonstruktion verschwenkt werden.
Unterstützung bekam das im Juni 2022 ausgerechnet von einem Grünen: Andreas Kowol, Wiesbadner Verkehrsdezernent, erlebte damals gerade, was passiert, wenn sich der Durchgangsverkehr einer Autobahn durch eine Stadt quält – damals war gerade die Salzbachtalbrücke der A66 havariert. Kowol seufzte deshalb im Gespräch mit Mainz& damals, es sei doch wünschenswert, dass die Menschen statt dem Stadtverkehr die Autobahn nutzten, Mainz habe schließlich „den großen Vorteil“, einen Autobahnring zu besitzen. Der sechsspurige Ausbau der A643 sei in der Verlängerung der sechsspurigen Schiersteiner deshalb notwendig, betonte Kowol damals: „Sonst wäre es ein Treppenwitz.“
Info& auf Mainz&: Über die Pläne zum sechsspurigen Ausbau der A643 haben wir ausführlich im November 2018 hier bei Mainz& berichtet, das gesamte Gutachten des Landesbetriebs Mobilität zum Ausbau, aus dem wir hier zitiert haben, findet Ihr hier als pdf zum Download. Und ja, wir haben auch bereits über die Schönheit und Bedeutung des Mainzer Sands berichtet – unsere Reportage aus dem März 2015 findet Ihr hier.