Der Ausbau der A643 zwischen Mainz-Mombach und Mainz-Gonsenheim ist seit zehn Jahren heiß umstritten, nun flammt die Debatte wieder auf: Volker Wissing (FDP), inzwischen Bundesverkehrsminister, will den Ausbau auf sechs Spuren schnell umsetzen, in Mainz regt sich dagegen aber Widerstand. Nun appelliert der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) gemeinsam mit der Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne), den Ausbau zu überdenken – in Mainz präferiere man weiter die „4+2“-Lösung. Vor allem SPD und Grüne machen sich dafür stark, und argumentieren dabei mit dem Schutz des Naturschutzgebietes „Mainzer Sands“ – und mit dem reduzierten Verkehr in der Corona-Pandemie. Doch der normalisiert sich gerade wieder – und jüngsten Studien zufolge, setzen nun mehr Menschen aufs Auto als zuvor.

Verbreiterung der Autobahn A643 durch den sechssuprigen Ausbau. - Foto: gik
Verbreiterung der Autobahn A643 durch den sechssuprigen Ausbau. – Foto: gik

Seit mehr als zehn Jahren tobt der Streit um den Ausbau des Autobahnstücks zwischen dem Autobahndreieck Mainz und der Schiersteiner Brücke, der Haken: Die Autobahn führt mitten durch ein europaweit einmaliges Naturschutzgebiet, den „Mainzer Sand“. Ein Bündnis von Umweltschützern wehrt sich deshalb seit Jahren gegen einen weiteren Ausbau und befürchtet erhebliche Schäden für die hier heimischen seltenen Pflanzen und Tierarten – Unterstützung findet es vor allem bei den Parteien von SPD und Grünen.

In Mainz wurde deshalb schon vor zehn Jahren ein Kompromiss entwickelt: „4+2“ heißt die Lösung, bei der die Autobahn bei vier Spuren blieben, die beiden Standspuren aber in Stoßzeiten als zusätzliche Fahrspuren genutzt werden können. Der Bund lehnt das indes strikt ab: Seitdem der Neubau der Schiersteiner Brücke als sechsspuriger Ausbau konzipiert wurde, brauche es auch einen sechsspurigen Ausbau im Anschluss, alles andere mache keinen Sinn, argumentieren die Verkehrsplaner von Bund und Land Rheinland-Pfalz – auch, um das massiv gestiegene Verkehrsaufkommen auch in Zukunft noch bewältigen zu können.

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Die A643 bei Mainz, um ihren Ausbau tobt seit zehn Jahren ein heftiger Streit. - Foto: Andreas Undeutsch
Die A643 bei Mainz, um ihren Ausbau tobt seit zehn Jahren ein heftiger Streit. – Foto: Andreas Undeutsch

Die Verkehrszahlen sind nach Angaben des Landesbetriebs LBB in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angestiegen: Passieren heute schon rund 66.000 Fahrzeuge pro Tag die Schiersteiner Brücke und die angrenzende A643, sollen es im Jahr 2030 Prognosen zufolge schon 83.000 bis 84.000 sein. Vier Fahrspuren könnten den Verkehr der Zukunft nicht ausreichend abwickeln, betont man beim Land Rheinland-Pfalz, zu einem Ausbau gebe es keine Alternative. Zumal die Autobahn durch den Ausbau nach den 2018 vom LBB vorgestellten Plänen lediglich von jetzt 25 Metern Breite auf künftig 32 Meter Breite anwachsen soll – sieben Meter mehr als heute.

 

Der Streit um den „4+2“-Ausbau schien zudem Geschichte, hatte doch das Bundesverskehrministerium – damals CSU-geführt – 2015 den sechsspurigen Ausbau final verfügt, diese Ausbauvariante ist auch inzwischen im Bundesverkehrswegeplan verankert. Ende 2018 hatte Volker Wissing, damals Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz, das Planfeststellungsverfahren für den sechsspurigen Ausbau auf den Weg gebracht, nun will der FDP-Politiker auch als Bundesverkehrsminister daran festhalten: Es gehe jetzt darum, dass der Ausbau „so schnell wie möglich abgeschlossen“ werde, teilte Wissing auf Anfrage von Mainz& mit: „Ganz klar: Diese Sache hat für mich Priorität“, betonte der Minister, „die Menschen der Region warten dringend auf diesen Ausbau.“

So soll der sechsspurige Ausbau der A643 einmal aussehen, rechts die Lärmschutzwand für Mainz-Gonsenheim. - Grafik: LBB
So soll der sechsspurige Ausbau der A643 einmal aussehen, rechts die Lärmschutzwand für Mainz-Gonsenheim. – Grafik: LBB

In Mainz regt sich dagegen erneut Widerstand: Schon im Oktober hatten SPD und Grüne in Mainz den Bund aufgefordert, die Planungen zu überdenken, auf den sechsspurigen Ausbau zu verzichten, und den Bundesverkehrswegeplan zu überarbeiten. Die Weisung des Bundes für den Ausbau solle zurückgenommen, die alten Pläne für eine „4+2“-Lösung wieder aufgegriffen werden, appellierte die SPD.

Am Mittwoch nun wandten sich der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) in einem Brief an Wissing – mit einem Appell für die umweltschonendere „4+2“-Lösung. „Die Stadt Mainz lehnt den geplanten 6+2-Ausbau für die Autobahn 643 ab“, heißt es darin, man appelliere an den Minister, von der vorgesehenen „6+2“-Variante Abstand zu nehmen. Auch die Landeshauptstadt Mainz stehe „zunehmend vor der Aufgabe, sich den Herausforderungen des Klimaschutzes zu stellen, um auch zukünftig einen lebenswerten Stadtraum zu erhalten“, betonten darin Ebling und Steinkrüger. Die dafür verfügbaren Handlungsspielräume lägen „verstärkt im Bereich der Mobilität und Grünanlagen.“

Der Mainzer Sand bei Mainz-Gonsenheim ist ein europaweit einmaliges Naturschutzgebiet, das auf Sandbühnen fußt. - Foto: gik
Der Mainzer Sand bei Mainz-Gonsenheim ist ein europaweit einmaliges Naturschutzgebiet, das auf Sandbühnen fußt. – Foto: gik

In Mainz würden daher bereits Straßen umgestaltet und Flächen entsiegelt, um die Aufenthaltsqualität nachhaltig zu stärken, argumentieren Ebling und Steinkrüger. Angesichts der Anforderungen an eine klimagerechte Stadtgestaltung erscheine „eine Neubewertung bereits bestehender Projekte notwendig.“ Das gelte insbesondere für den innerhalb des Stadtgebietes von Mainz verlaufenden Teil der Bundesautobahn 643, die durch das ganz besondere Naturschutzgebiet des „Großen Mainzer Sandes“ führe.

Dieser Lebensraum für viele seltene Pflanzen sei bereits in der Vergangenheit „erheblich durch vielfältigen Flächenverbrauch reduziert, zerschnitten und beeinträchtigt“ worden, betonten Ebling und Steinkrüger weiter: „Die Verbreiterung der Autobahn im Rahmen einer 6+2-Lösung ist mit dem weiteren Verlust von FFH-Lebensraumtypen und von Standorten einer prioritären Pflanzenart verbunden.“ Daher gehe es bei dem Ausbau der A 643 nicht nur um weitere Flächenversiegelung, sondern insbesondere auch um die unwiederbringliche Beseitigung eines begrenzten Lebensraumes für eine Vielzahl von seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, für die die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verantwortung trage.

Diese Grünbrücke ist im Fall des sechsspurigen Ausbaus eigens für Wildtiere und Grünwanderungen geplant. - Grafik: LBB
Diese Grünbrücke ist im Fall des sechsspurigen Ausbaus eigens für Wildtiere und Grünwanderungen geplant. – Grafik: LBB

Die 4+2-Lösung hingegen stelle „einen tragbaren Kompromiss zwischen den Belangen des Menschen und der Natur“ dar, argumentieren Ebling und Steinkrüger. Gekoppelt mit der Schaffung eines ausreichenden Lärmschutzes werde sie allen Belangen gerecht. „Diese Lösung ist auch die schneller zu realisierende, denn 6+2 führt zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen – mit ungewissem Ausgang“, warnen sie weiter – tatsächlich haben Umweltverbände für den Fall eines sechsspurigen Ausbaus Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss angekündigt.

 

Gegenwind kommt indes von der CDU-Opposition – aber auch vom eigenen Koalitionspartner FDP. Die teilte mit, man unterstütze die Pläne Wissings, den sechsspurigen Ausbau mit hoher Priorität anzugehen. „Man muss doch nur an die Stauproblematik denken, die doch jeder von uns schon mal leidvoll erfahren hat“, sagte der FDP-Fraktionschef im Mainzer Stadtrat, David Dietz. Das Rhein-Main-Gebiet „als einer der progressivsten und wirtschaftlich dynamischsten Regionen Europas benötigt leistungsstarke Autobahnen“, betonte Dietz.

Stau auf der Theodor-Heuss-Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden - die CDU argumentiert: Mit dem Ringausbau würde werde die Innenstadt entlastet. - Foto: gik
Stau auf der Theodor-Heuss-Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden – die CDU argumentiert: Mit dem Ringausbau würde werde die Innenstadt entlastet. – Foto: gik

Die Idee, Verkehrswege auf die Schiene zu verlagern, habe natürlich gerade im Rhein-Main-Gebiet Charme, sagte Dietz weiter – aber dafür seien neue Bahntrassen nötig, und deren Ausbau brauche massiv Zeit. Deshalb sei der seit langem beschiedene und nun avisierte Ausbau der A643 „absolut notwendig“, unterstrich der FDP-Mann. Der vollumfängliche Ausbau ermögliche darüber hinaus weitergehende Schutzmaßnahmen für Mensch, Tier und Umwelt. „Nur auf diese Weise wird es eine Lärmschutzwand geben, eine grüne Brücke für die Wildtiere, weniger Staus und damit auch weniger Abgase“, betonte Dietz.

Zudem müssten auch die Auswirkungen auf Mainz im Auge behalten werden: „Wer die Innenstadt von Verkehr entlasten will, der muss den Mainzer Ring stärken“, betonte Dietz – genauso hatte auch schon im vergangenen Oktober die Mainzer CDU argumentiert: Wer keinen Durchgangsverkehr in der Stadt wolle, müsse funktionierende Umgehungsstraßen anbieten, betonte die CDU schon damals. „SPD und Grüne wollen einfach nicht wahrhaben, dass die Mobilität auch zukünftig in Mainz eine große Rolle spielen wird“, hatte CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig gesagt: Allein für die Arbeitswelt sowie für den Güter- und Warenverkehr sei im ständig wachsenden Rhein-Main-Gebiet „eine top ausgebaute Infrastruktur ein ganz zentraler Punkt.“

Visualisierung des Ausbaus der A643 im Jahr 2018. - Grafik: LBB
Visualisierung des Ausbaus der A643 im Jahr 2018. – Grafik: LBB

Es sei doch „naiv zu glauben, dass das über Lastenfahrräder und den ÖPNV größtenteils abgewickelt werden“ könne, hatte Schönig weiter argumentiert – zumal die Autos der Zukunft „immer umweltschonender unterwegs sein werden.“ CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster hatte SPD und Grünen zudem vorgeworfen, aus ihren Fehlern der Vergangenheit nichts zu lernen: Beide Parteien hätten schon den Bau des Hechtsheimer Tunnels in den 80er Jahren blockiert, „dadurch hat sich das Projekt um Jahrzehnte verzögert, worunter ganz Mainz gelitten hat“, kritisierte Gerster. Der jetzige Ausbau der A643 soll den Plänen zufolge nicht vor 2030 fertiggestellt sein.

„Der Ausbau muss selbstverständlich kommen, und er muss sechsspurig kommen, es ist höchste Zeit“, bekräftigte Gerster nun noch einmal gegenüber Mainz&. Die Fachleute hätten nach einer intensiven Prüfung gesagt, „4+2“ bringe „gar nichts“, die Beeinträchtigung für den Mainzer Sand werde „gering bis gar nicht“ zu spüren sein. „Der Ausbau muss selbstverständlich möglichst umweltverträglich passieren, aber dafür wird es Lösungen geben“, sagte Gerster weiter. Angesichts des sechsspurigen Ausbaus der neuen Rheinbrücke, mache ein Anschluss im „4+2“-Modus überhaupt keinen Sinn. Gerster zeigte sich zudem „irritiert“ über Eblings und Steinkrügers eigenmächtigen Brief-Appell: „Dafür hatten sie kein Mandat des Stadtrates“, kritisierte Gerster.

SPD und Grüne betonen hingegen,  wer jetzt noch für den Ausbau sei, habe jüngste Entwicklungen „verschlafen“. „Der ohnehin fehlgeleitete Vollausbau ist mittlerweile im Angesicht der Klimakrise und der notwendigen Verkehrswende grundfalsch“, betonten die Grünen schon im Oktober, und die SPD argumentierte zudem damit, dass die Corona-Pandemie einen Trend zu Homeoffice ausgelöst habe: Das lasse „eine Reduzierung der Nachfrage nach Mobilität und damit auch einen nachlassenden Druck auf die Straßen erwarten.“

In der Corona-Pandemie setzten die Menschen wieder mehr aufs Auto statt auf ÖPNV. - Foto: gik
In der Corona-Pandemie setzten die Menschen wieder mehr aufs Auto statt auf ÖPNV. – Foto: gik

Dem widersprechen allerdings Mobilitätsforscher deutlich, zumal die Homeoffice-Pflicht, die wegen der Corona-Pandemie eingeführt wurde, Mitte März ausläuft – viele Arbeitnehmer werden dann von ihren Firmen zurück ins Büro beordert werden. Zudem belegen jüngste Studien zum Mobilitätsverhalten eindeutig Veränderungen durch die Corona-Pandemie – und zwar zugunsten des Autos.

„Die Corona-Pandemie hat die Mobilität nachhaltig verändert: Wer unterwegs ist, nutzt seltener den öffentlichen Verkehr und steigt häufiger ins Auto“, bilanzierte etwa im Dezember 2021 eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Danach erklärten in der Umfrage 29 Prozent der Befragten, dass sie häufiger oder viel häufiger zu Fuß gingen als vor der Pandemie. 20 Prozent aber gaben auch an, sie nutzen häufiger oder viel häufiger das Auto. – der Grund: Angst vor Ansteckungen mit dem Coronavirus im Öffentlichen Nahverkehr.

„Die öffentlichen Verkehrsmittel sind der Verlierer der Pandemie“, betont das DLR denn auch: „Das Unbehagen in kollektiv genutzten Verkehrsmitteln wie ÖPNV, Bahn, Flugzeug oder auch Carsharing bleibt bestehen.“ Aktuell fühlten sich 53 Prozent der Befragten im ÖPNV unwohler oder deutlich unwohler als vor der Pandemie. Umgekehrt sei die Autonutzung „auf einem Niveau, das deutlich höher liegt als vor der Pandemie“, heißt es weiter. Auch der Anteil der Menschen, die im Sinne der Verkehrswende unterschiedliche Verkehrsmittel kombinierten habe abgenommen: von vorher 31 Prozent auf jetzt 25 Prozent. Das DLR untersucht seit Beginn der Pandemie das Alltags- und Reiseverhalten der Menschen in Deutschland – mehr zur Studienreihe „Mobilität in Krisenzeiten“ findet Ihr hier.

Info& auf Mainz&: Eine ausführliche Darstellung der Ausbaupläne für die A643, samt Wildbrücke, Lärmschutzwand und Flächenverlust, findet Ihr hier bei Mainz&. Unseren Bericht über die neue Debatte zum Ausbau aus dem Oktober 2021 könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.