Muss der Norden von Mainz demnächst deutlich mehr Fluglärm durch startende Maschinen vom Frankfurter Flughafen fürchten? Ein neues Betriebskonzept des Flughafen-Betreibers Fraport sorgt derzeit für massiven Ärger in der Region, denn das Konzept sieht mehr Abflüge über die Nordwest-Abflugroute vor. Fluglärmgegner kritisieren, die Serie der jahrelangen gebrochenen Versprechen gehe weiter, doch auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) wirft der Fraport vor: „Es wurde die Unwahrheit gesagt“, der Bruch dieser Zusagen sei „ein Schock“. Nun will das Land eine weitere Lärmmessstation im Norden von Mainz einrichten.

Anfang Juni hatten der Flughafenbetreiber Fraport und die Deutsche Flugsicherung (DFS) überraschend ein „weiterentwickeltes Betriebskonzept“ für die westliche Betriebsrichtung am Frankfurter Flughafen vorgelegt, der wichtigste Punkt darin: Künftig sollen deutlich mehr Abflüge über die Nordwest-Abflugstrecke erfolgen. „DFS und Fraport gehen davon aus, dass das weiterentwickelte Betriebskonzept spätestens ab einem Eckwert von 110 Flugbewegungen pro Stunde erforderlich sein wird“, teilten beide Unternehmen am 04. Juni 2025 mit. Dieser Eckwert ist nahezu erreicht: Derzeit werden im Schnitt in Frankfurt 106 Flugbewegungen pro Stunde erreicht
Das Problem dabei: Die Nordwest-Abflugstrecke führt geradewegs über Flörsheim und Hochheim zum Rhein, und streift dort die Mainzer Neustadt sowie den nördlichen Stadtteil Mombach, weil die Flieger am Rhein nach Norden Richtung Taunus abdrehen. Die Folgen des neuen Konzeptes „werden für Flörsheim und Hochheim massiv sein, aber auch Mainz und Rheinhessen werden betroffen sein“, warnte am Donnerstagabend Horst Weis, Gründer des Deutschen Fluglärmdienstes DFLD, bei einer Informationsveranstaltung in Mainz-Weisenau. Der DFLD ist ein 2002 gegründeter gemeinnütziger Verein aus Mainz, der seit mehr als 20 Jahren Flugbewegungen und Lärmemissionen durch den Flugverkehr erfasst, und zwar in 61 Regionen und neun Ländern.
Fluglärm über Mainz hat deutlich zugenommen: 42 Prozent Landungen
Rund 200 Zuhörer waren am Donnerstagabend zu der Veranstaltung ins Bürgerhaus Weisenau gekommen, zu der die Mainzer Initiative Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im Luftverkehr (IKUL) eingeladen hatte. Moderiert wurde der Abend vom Mainzer Stadtrat Erwin Stufler (Freie Wähler), der seit vielen Jahren gegen Fluglärm über Mainz kämpft. Der Zuspruch war unerwartet hoch, und dabei zeigte sich: Die Wut auf Flughafen-Betreiber Fraport ist groß. IKUL-Vorsitzender Lars Nevian sprach von einer „Geschichte der gebrochenen Versprechen“, und die setze sich jetzt weiter fort.

Nevian erinnerte noch einmal daran, dass einst beim Bau der Startbahn West hoch und heilig versprochen wurde, es werde keine weiteren Ausbau des Flughafens geben – das Versprechen wurde mit dem Bau der 2011 eingeweihten Nordwestlandebahn gebrochen. Nur vor Gericht konnte damals ein Lärmschutzkonzept mit einem weitgehenden Nachtflugverbot durchgesetzt worden, das sah auch einen Ausgleich für Gemeinden im Westen des Flughafens wegen der gestiegenen Belastungen durch die neue Anflugroute auf die Nordwestlandebahn vor.
Denn seit dem Bau der Nordwestlandebahn wird gerade auch Mainz nicht mehr nur von einer, sondern von zwei Anflugrouten überflogen, die der Landeshauptstadt erheblich mehr Fluglärm bringen. Auswertungen des Umwelthauses in Frankfurt zeigen zudem: Der Anteil von landenden Fliegern, die von Westen ehr den Flughafen erreichen, ist deutlich höher geworden: So wurden zwischen Januar und September 2025 Landebahnen aus Richtung Osten zu 58 Prozent angeflogen, aus Richtung Mainz aber zu 42 Prozent – vor dem Bau der Nordwestlandebahn war das Verhältnis einmal 25 bis 30 Prozent aus Richtung Westen. Der Fluglärm über Mainz hat also nicht nur gefühlt zugenommen.
Südumfliegung sollte Westkommunen entlasten: „hat nie funktioniert“
Das Lärmkonzept des Planfeststellungsbeschlusses von 2007 sah auch einen sogenannten „Migrationsplan“ vor, nach dem Kommunen, die bei Ostbetrieb – also bei Anflug aus Richtung Mainz – belastet werden, durch die sogenannte Südumfliegung entlastet werden sollten. Die Südumfliegung habe nie ordentlich funktioniert, sagte Nevian: Bereits nach wenigen Wochen sei es zu einem schweren Vorfall gekommen, bei dem ein nach Süden startender Airbus A320 fast in die Wirbelschleppe eines A380 geraten sei, der durchstarten musste. „Seitdem ist bei der Südumfliegung Sand im Getriebe“, sagte Nevian, trotzdem habe die Fraport bis Juli 2205 „behauptet, sie würden die Südumfliegung in den Griff kriegen.“

Das Versprechen des Migrationsplans habe weiter gelautet, dass eine Stadt wie Flörsheim, die durch die neue Nordwestlandebahn massiv belastet wird, im Gegenzug maximal 1,5 Prozent des Abflugverkehrs in Richtung Westen bekommen solle. Tatsächlich werde die Nordwest-Abflugroute aber am Tag über Flörsheim zu 10 Prozent genutzt und nachts sogar mit bis zu 21 Prozent der Abflüge, sagte Nevian – das sei ein eklatanter Bruch des damaligen Versprechens.
Dass die Fraport nun noch mehr Abflüge über diese Route lenken wolle, „ist ein eklatanter Vertrauensbruch von Fraport gegenüber der Region“, kritisierte er. Auch die Fluglärmkommission sei getäuscht worden. Die hatte Ende Juni das neue Betriebskonzept scharf kritisiert, auch die Stadt Mainz protestierte dagegen. Der Stadtrat hatte Ende Juni eine Protest-Resolution gegen mehr Fluglärm verabschiedet und Umweltdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) beauftragt, dagegen zu protestieren.

Ministerin Eder: Schock über neues Konzept – Messstation geplant
Den Vorwurf erheben aber nicht nur Bürgerinitiativen, auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) redete am Donnerstagabend Klartext: „Die geplante Änderung der Flugroutennutzung war für mich ein Schock“, gestand die Ministerin die bis 2021 Dezernentin für Umwelt in Mainz war. „Es wurde die Unwahrheit gesagt“, stellte Eder nun fest, die Prämissen des Ausbaus seien „ad absurdum“ geführt worden, die Fraport falle zurück in eine Nicht-Kommunikation wie vor 20 Jahren. „Es ist Zeit, wieder ein Signal aus der Region zu senden“, betonte Eder, und forderte auf, Beschwerden an die Fraport zu schicken.

Eder sagte nun, auch die Fluglärmkommission habe das neue Konzept „sehr deutlich abgelehnt“, das hessische Verkehrsministerium habe zudem angekündigt, das Konzept und seine Prognosen ab Ende des Jahres intensiv prüfen zu wollen. „Hier werden wir uns als rheinland-pfälzisches Umweltministerium einbringen“, kündigte Eder an. Sie habe zudem das Landesamt für Umwelt gebeten, eine Fluglärmmessstation direkt unter der Abflugroute Nordwest zu planen, „wir suchen jetzt geeignete Standorte“, sagte die Ministerin weiter.
Das Land Rheinland-Pfalz betreibt bislang drei Fluglärm-Messstationen in Mainz, und zwar in Weisenau, in Laubenheim sowie auf dem Dach der Mainzer Universitätsmedizin. Dazu kommen Messstationen von Privatleuten sowie eine der Stadt Mainz auf dem Dach der Kommunalen Datenzentrale in der Hechtsheimer Straße. Daten aller dieser Stationen fließen in die Karten des DFLD ein und können hier abgerufen werden. Die Verteilung im Stadtgebiet ist kein Zufall: Bislang verlärmen vor allem landende Flieger das Stadtgebiet, der Lärm durch startende Maschinen in der Mainzer Neustadt und erst Recht in Mombach ist damit nicht im Ansatz vergleichbar.
Fraport und DFS: Kapazitäten bereits heute „deutlich reduziert“
Von Seiten Fraport und DFS heißt es hingegen, das weiterentwickelte Betriebskonzept „nach derzeitigem Kenntnisstand das Potenzial bietet, die Anzahl der Lärmbetroffenen in der Region insgesamt gegenüber dem aktuellen Betriebskonzept zu reduzieren und weitere Lärmminderungsmaßnahmen zu ermöglichen.“ Wie genau die aussehen sollen, wird indes nicht erwähnt. Die „wesentliche Rahmenbedingungen“ hätten sich seit dem Ausbau des Flughafens Frankfurt geändert – und diese schränkten die Kapazität der Südumfliegung ein.

„Ein Beispiel ist, dass Starts von der Centerbahn über die Südumfliegung nicht unabhängig von den Abflügen der Startbahn 18 West möglich sind“, heißt es weiter. Die Auswirkungen reduzierten die An- und Abflugkapazität „bereits heute, und würden künftig die flüssige Abwicklung der erwarteten Verkehrsmengen verhindern.“ Abflüge Richtung Nordwest hingegen wiesen im Vergleich geringere Abhängigkeiten auf, deshalb werde schon heute die Nordwest-Abflugroute verstärkt genutzt, weil bei Verkehrsspitzen Kapazitätsengpässe bestünden.
Die Fraport argumentiert denn auch noch immer mit steigenden Flug- und Passagierzahlen: „Wir rechnen langfristig mit einem Anstieg des Verkehrsaufkommens am Flughafen Frankfurt“, sagte Pierre Dominique Prümm, Vorstand Aviation und Infrastruktur der Fraport AG. Man habe „bei der Weiterentwicklung des Betriebskonzeptes sehr darauf geachtet, die Abweichungen zum bestehenden Betriebskonzept so gering wie möglich zu halten und die Lärmauswirkungen für die Region zu minimieren.“
Prognosen Steigerungen im Flugverkehr nicht eingetreten
Doch die einst prognostizierten Steigerungen der Flugbewegungen, wegen denen 2007 der Ausbau des Flughafens mit den Nordwestlandebahn genehmigt wurde, sind bis heute nicht eingetreten: Mit 700.000 Flugbewegungen pro Jahr hatte die Fraport damals argumentiert, tatsächlich waren es im Jahr 2024 „lediglich“ rund 440.000. Höhepunkt des Traffics ist bis heute das Vor-Coronajahr 2019 mit dem Rekord von rund 513.900 Flugbewegungen, selbst dieser Stand wurde seither nicht wieder erreicht.

Kritiker monieren deshalb, die Fraport agiere seit Jahren mit falschen Zahlen und der Vorspiegelung falscher Tatsachen, das sei auch beim Bau des Terminals 3 der Fall gewesen. Tatsächlich liegen auch die Passagierzahlen in Frankfurt noch immer weit unter den einstigen Prognosen und immer noch hinter den Vor-Corona-Jahren zurück: Der Rekord von mehr als 70 Millionen Passagieren pro Jahr von 2019 wurde nicht wieder erreicht, 2024 waren es rund 61,5 Millionen. Wenn das Terminal 3 im kommenden Jahr in Betrieb geht, wird die Fraport denn auch das Terminal 2 schließen – zu Sanierungszwecken.
Die Kapazitätssteigerungen werden deshalb von Fluglärmgegnern kritisiert, ein großes Problem seien zudem weiter die niedrigen Anflughöhen am Frankfurter Flughafen, kritisierte Weise: „Wir nennen das das ‚Tiefflugsystem Rhein-Main‘, ich kenne weltweit keinen Flughafen, der so ein tiefes Anflugsystem hat.“ Flörsheim etwa werde in einer Höhe von gerade einmal 200 Metern überflogen, zum Vergleich: „In Mainz sind es rund 1000 Meter – und schon das empfinden wir als unerträglich.“
Fluglärm-Experte Joachim Alt von der Hechtsheimer Fluglärminitiative kritisierte denn auch im Gespräch mit Mainz&, es gebe ein fache Maßnahmen, den Fluglärm schnell und effektiv zu verringern. Dazu gehöre eben eine Anhebung der Anflughöhen sowie eine Vorschrift, das Fahrwerk beim Landeanflug deutlich später auszufahren. Flughäfen in den Niederlanden und in England hätten längst solche Vorschriften erlassen, betonte Alt – nur in Deutschland tue sich nichts. Politiker auch in Hessen und Rheinland-Pfalz hätten längst handeln können, sagte Alt, und bilanzierte: „Die Politik will es nicht.“
Info& auf Mainz&: Wer wissen will, wie laut es am Himmel über Mainz ist: Sämtliche Karten und Daten des deutschen Fluglärmdienstes findet Ihr hier im Internet, mehr zur IKUL findet Ihr hier. Mehr zu Terminal 3 lest Ihr hier:




